Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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60.

Rahel an Marwitz.

Donnerstag, halb zwei Uhr Mittag, d. 9t. Januar 1812.

Unpaß genug! und es ist eine ausgemachte Sache, daß Sie mich noch tot martern; denn mitten in diesen Zuständen bin ich auf nichts beflissen, als Ihnen alles zu erzählen, über alles genaue Rechenschaft zu geben. Dabei steht kein Augenblick still, und es folgen Ereignisse und Gedanken. Damit nun auch für Sie eine zu verstehende Folge möglich werde, wie es außen und innen über einander ging, so will ich die Dinge der Zeit nach vortragen, wie sie über einander gingen. Ein großer Zwang für mich, die ich am affiziertesten vom letzten bin und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der Lebendigkeit, die dies besonders heischt, und in welcher es vorging, nicht darstellen zu können. Als Sie ankamen, fanden Sie mich sehr perplex, – Sie sahen, glaub' ich, es nicht ganz. Auch dies, die Ursache davon sollen Sie erfahren, aber erst ganz am Ende dieses Briefes.

Ich erwartete einen Menschen, mit dem ich etwas abmachen wollte, welches meine ganze Seele unter seiner Gewalt hatte; dabei – Sie wissen, was und auch wohl wie – hatte ich Ihnen geschrieben, wollte Ihnen noch schreiben und dachte in dieser Seelenklemme in taktlosen Zwischenräumen an Sie und an das, was ich Ihnen noch sagen wollte. Hauptsächlich war eines davon dies, daß man als Unsinniger sein Leben in Schmutz, Unsinn, Dürre, Sand und Kot, in wahnsinnigen Torheiten hinrinnen läßt, nicht beachtend, daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebstahl an uns selbst geschieht und gräßlicher Mord ist. Bloß weil wir ewig Approbation haben wollen, aus der wir uns nichts machen und nicht tapfer genug sind, menschlich Antlitz nicht zu (soeben war Busch hier –, der mir gefällt, dem ich gegen Quittung 100 Rtl. gegeben habe, die dritte Störung in diesem Brief, erst Robert, dann Dörte, die mich so ärgerte, ich kann nichts mehr aushalten, daß ich noch zittre, da schreib' einmal einer. Auf den kleinen Brief auch nachher Antwort) fürchten und dreist zu sagen, was wir möchten, wünschen und begehren. Nichts ist heilig und wahr und unmittelbare Gottesgabe, als echte Neigung; ewig aber wird die bekämpft für anerkanntes Nichts. Das Fremdeste lassen wir uns aufbürden, und so kommen wir uns selbst abhanden. Ich selbst, wie selten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß, nie aber werde ich wieder zu der Sehnsucht kommen, die ich voriges Frühjahr erlitt, als das neue Jahr grad' aus Erd' und Himmel brach und Sie wegreisten. Ich erlebte eine Welt – ich schrieb es Ihnen –, was aber wär' es geworden, hätte ich Sie nur vier Tage länger behalten! Ich verging fast in Sehnsucht und Bedürfnis es mit Ihnen zu sehen. Ich Elende, Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! Gott sieht jetzt mein innerstes Herz und diese Tränen! Niedrige, Feige, die ich war! Hatte ich den Mut Sie bleiben zu lassen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie damals waren – grade durch die Reihe Leben, das wir geführt hatten, durch den Gang der Gespräche, die Blüten der Stimmung und des Frühlings! Was hätte es Ihrem für alle Ewigkeit fertigen Bruder geschadet, wenn Sie vier Tage später nach Friedersdorf gekommen wären, was Ihnen, wenn Sie mich so hätten beglücken können! Lassen Sie sich das für Ihre eigene Person zur ewigen Warnung dienen. Bezwingen Sie keine Stimmung, keine Gefühlsblüte! Sie werden nachher verzweifeln in der kargen Ausübung der unwahrhaften Verständigkeit. Untersuchen Sie sich immer genau, und fürchten Sie Weisheit, die nicht aus dem Herzen scheint. Nur Neigung, nur Herzenswünsche! Kann ich Ihnen nicht leben, bin ich dazu zu elend, zu verworfen, zu heruntergerissen und mißhandelt, so will ich sie von nun an in mir ergründen und sie anbeten. Gottes starker Wille ist das im Herzen – im dunklen, blutwogenden –, der keinen Namen bei uns hat, deswegen täuschen wir uns, bis es tot ist. Sie haben mich gefaßter gefunden die letzten Tage. Was ist es anders, als daß ich zu meiner Neigung wieder hinabgestiegen war, über die ich mich erheben, zerstreuen wollte. Glücklich bin ich fürwahr nicht von ihr gemacht, noch sanft, noch nur menschenverständlich behandelt, und doch erhalt' ich mich nur selbst, wenn auch in herbem Zustand, wenn ich mich ihr hingebe, mich ihrer ganz erinnere und nicht Sinnen und Herz ihre Güter vertauschen will.

Ich bin krank gewesen seit einem Ärger, den ich gehabt; ich kann durchaus nichts mehr ertragen! Nun sollte sich an diese Zeilen fügen, wie ich vorgestern und gestern Abend zugebracht; vergebens! Sie sollen es haben, aber in einem künftigen Brief. Dieser soll weg, wie er ist, damit er bald ankommt. Morgen schreibe ich Ihnen die beiden Abende. In diesem will ich Ihnen noch sagen, was kürzer ist, wozu keine Laune gehört, und was mehr in meine heutigen schmerzhaften Gedanken paßt. Es fehlte mir noch, daß Sie so in Ihrem Innern mit Varnhagen stehen. Also wenn der kommt, welches auch Sie schon für mich wünschten, hab' ich diesem Bruche mit zuzusehen, der sich in jedem Augenblick fühlen wird. Zum Glück, daß nichts in der Art mich schreckt, weil ich auf nichts mehr hoffe, keine Zeit erwarte, die ausgeputzt so kommt, wie wir, wie ich sie bestelle. Dies ist mein Glück, sonst müßt' ich verzweifeln. Varnhagen ist also mein Freund, der mich am meisten liebt, für dessen ganze Lebenseinrichtung ich Bedingung bin; und es ist nicht genug, daß ich ihn ganz kenne und fühle, nehme und ertrage; ich muß nun, Wog' auf Wog' unter, Klippen an mit ihm durch, und all unsre Freunde legen die ganze Last ganz auf mich. »Sie trägt so viel, so gut, warum nicht auch dies?« Dies sagt sich niemand, aber so geschieht's, weil – ich Ambos bin. Verzeihen Sie, ich bin zu krank heute, jetzt! Auch schicke ich nun diesen Brief nicht ab, bis das Folgende steht. Adieu. Ich verzweifle. Eine verfluchte Köchin von Meyer wartet schon wieder auf mich.

Freitag, zehn Uhr morgens.

Im Bette. Sie müssen Geduld haben, mein lieber Freund, und bedenken, daß Sie es sind. Sehen Sie mich an wie eine Krankheit des menschlichen Geschlechts; es giebt solche Menschen in der Reihe der geboren Wordenen und Werdenden, auf die sich Widersprechendes ladet, und sie liegen und brechen, wie es in einem Menschenleben Momente giebt, mit denen es ebenso geht, und die man kranke nennt und fühlt, die auch nichts anders sind als Träger der Verwirrung, des nicht Aufgegangenen für die gesammten Organisationen dieses Lebens, dieser Erde. Verzeihen Sie mir ja diesen Brief, wie er hier steht! Ich möchte um keinen Preis, was ich oben von Ihnen zu fordern schien, – und dachte schon so, als nur die Züge aus meiner Feder waren, ja als ich sie noch machte –, daß Sie mich schonten, für mich litten, schafften und machten; alsdann wären Sie ja auch Ambos, und dafür soll Gott uns behüten. Ihrem Befehl zufolge habe ich heute Nacht noch an Varnhagen geschrieben, damit der Brief heute vor sieben auf die Post kommt, befürchtend, Nostitz möchte sonst abreisen. Ihnen aber die beiden Abende, Dienstag und Mittwoch, zu beschreiben, dazu bin ich zu schwach, zu erschöpft endlich, zu irritiert; alles dies rein der Körper. Wie es mit meiner Seele ist, weiß wenigstens ich nicht, die scheint in der Tat von Unsterblichen gemacht zu sein. Hören Sie aber von anderen, wenn es möglich ist dergleichen zu beschreiben, auszudrücken, ja sich selbst anders als unwillkürlich zu wiederholen. (Von den beiden Abenden nächstens; dieser Brief wird nur abgeschickt, damit Sie einen erhalten und mir antworten; diesmal aber exigiere ich eine baldige Antwort; zwingen Sie sich zur Tugend!) Als Sie ankamen, erwartete ich Urquijo. Sie wissen, ich hatte seine Briefe gelesen, meine Bulletins; von meinen war mein ganzes Herz und alle Erinnerung aufgestört; ich las zwei Abende; den ersten schrieb ich ihm schon ein Wort, eine gleichgültige Phrase, ich wollte ihn brechen. Ich schickte es nicht ab. Sonnabend las ich wieder, schrieb ein ander Billet und schickte es endlich. Sechs oder mehrere Tage nun schon wollt' ich ihm die einzige Frage machen, ob er wirklich geglaubt habe und glaubt, daß ich ihn betrogen habe. Ich konnte nie den Mut dazu finden. Seine Billete gaben mir ihn endlich, die Liebe darin, die Leidenschaft, die Vorwürfe. Nicht daß ich mir aus der Unwürdigkeit des Verdachts etwas machte, der ist mir zu fremd, weit, ganz entfernt, unbekannt, trotz der langen Folterjahre des Herzenmordes; ich wollte nur wissen aus verliebtem Wahnsinn, der auch Vernunft zur Seite hat, ob es möglich ist, daß eine Liebe, wie ich sie übte, im Betragen wie das meinige nicht erkannt werden müßte. Es machte sich, daß er bis gestern nicht kam, von seiner, aber mehr von meiner Seite. Er stürzte – aus Verlegenheit – in mein Zimmer, laut schreiend, auch aus Verlegenheit. Eh bien votre question ne crie pas, sagte ich, halb schlug mein Herz gewaltsam, halb stockte es ganz. Ich machte die Laden zu und sagte ihm endlich: Lorsque nous nous sommes separes, avez-vous reelement cru que je vous avais trompe et le croyez-vous encore? Gott bewahre, schrie er, gehend, jamais un moment de ma vie, je peux le jurer. Und so wiederholte er es mir in zwanzig ungeschickten, wilden, nuden Wendungen. Vous ne l'avez jamais cru? sagt' ich wie ein Toter aus einer solchen Tiefe der Seele, mit einem solchen Entsetzen, daß dies Wort sein Geschrei übertönte. Lange konnte ich nicht mehr sagen: Pourquoi l'avez-vous donc dit? Nun wurd' er komplett unsinnig und albern. Ich ließ es geschehen; eine dämonische Klaue von Erz war über mein Herz; ich frug nichts mehr, ich wies ihn in nichts zurechte, nicht ad absurdum. Der Inhalt seiner gemachten léger sein sollenden, verlegenen, verdammten Reden war der, als in solchen liaisons hätte man ja keine Ruhe und immer solche soupçons. Er konnte mich wieder nicht ansehen, setzte sich auch nicht. In der Folge des Gesprächs sagte er mir, ich könne ganz glücklich sein, so ausgezeichnet wie ich wäre mit meinem moyens – geistig – und frei wie der Segel in der Luft Herr aller meiner Zeit, und machte mir und im Allgemeinen eine Art Plan, wie man vernünftig sein müsse und könne, wenn man auch manches mißt. Dem widerstritt ich stark und lange. Endlich sagte er mir, er sei auch nicht glücklich, man könne ihm auch sagen: Vous avez 4000 Taler de rente, tout ce que vous voulez, vous êtez lié avec une femme de laquelle vous croyez être aimé, eh bien je voudrais mourir demain, et je ne dis à personne mon malheur. (Nämlich sein Land, er sagte es aber nicht, auch frug er nicht). Diese unterstrichenen Worte sagte er mir; nachdem er vorher gesagt hatte, qu'il avait un caractère bien malheureux, qu'il se croyait l´homme le moins aimable, le moins jolie, le moindre de toutes manîères, et qu´aussi il n'a jamais pu croire, qu'une femme l'aime. Das war schon die Litanei zu meiner Zeit. Die unterstrichenen Worte sagte er mir in Gedanken. Sie sehen also, welcher Unsinn, Lüge, Verwirrung, Schlechtigkeit, Stupidität. Die Hauptsache war ihm die Geschichte von der Rampe, die fing er hundert Mal mit dem größten Geschrei und Zerknirschung an. Das interessierte mich gar nicht, sagt' ich ihm und unangenehm. Er sah alt und vertrocknet aus und ganz wie bucklicht, ganz wie ein morgen zu exekutierender lügenhafter Verbrecher. Könnt' ich ihn Ihnen zeigen! Dabei spricht er immer von Gewissen und glaubt wirklich, er hat ein gutes. Nun wie ist es also? Dies noch nicht genug. Dieser Mensch, dieses Geschöpf hat den größten Zauber über mich verübt, verübt ihn darum noch, dem veräußerte ich mich ganz, gab ihm – dies ist kein Sprichwort, hab' ich Verfluchte erfahren – mein ganzes Herz, und dies kann einem nur Liebe und Würdigkeit zurückgeben, sonst kriegt man's nie. Giebt es also Fluch, Zauber? Giebt es, sich einem Teufel ergeben? Als er aus dem Zimmer war, fiel ich laut schreiend, das Herz gegen die Rippen gesprengt, auf die Kommode und frug Gott, ob man ein Herz veräußern könne, er wüßte ja, daß man ohne Herz nicht weiter leben kann. Ich bin auch diesmal nicht zersprengt in Tränen und sanglots. Wer weiß, wie alles zusammenhängt und was ich ausrichten und aushalten soll! Sie wissen, daß ich im übrigen ganz vernünftig bin, daß ich Leben genießen kann, mich zerstreuen, die Welt fühlen, schon manche Neigung auf dies Herz, wie Sie es nun kennen, und wofür ich keinen Namen habe, gepfropft habe. Auch entzückt mich Urquijo gewiß nicht; es ist aber, als müßt' er mir etwas herausgeben, was er von mir hat, und seine Liebe könnte mich noch entzücken und heilen. Er hat mich zu verwundet! Ich verstehe es nicht; Sie müssen doch einmal seine und meine Briefe lesen. Ich liebt' ihn zu sehr, er erhöhte diesen Zustand zu sehr. Kurz, bis ich nicht einen stärker lieben kann, wie die Welt für mich nicht angetan war, bleibt der notwendige Teil meiner selbst zum Glück zurück, der Quell des hellsten, intimsten Seins begraben unter schwerem Fluch und Zauber. Sehen Sie ganz, wie ich Sie ehre! Gestern Abend nach Urquijo war Robert und Harschers Bach bei mir; weil ich sehr mit ihm gestritten hatte, ladete ich ihn vorgestern ein. Nachdem die weg waren, schrieb ich Urquijo dieses Billet und schickte es heute. Jetzt bekomme ich es mit diesen seinen Zeilen zurück. Sehen Sie ganz darin seinen epileptischen Unverstand, il ne s´agit gar nicht davon, was er mir da drunter setzt, darum schicke ich es Ihnen nur. Gestern wollte er immer wieder anfangen und sagte einige Mal: Non jamais, pas un instant de ma vie j'ai en une pensée si indigne. C'est assez, fiel ich ihm in die Rede, n'en parlons plus. Der Bock, denn wie ein unvernünftig gehörntes Tier kommt er mir gegen mich vor, glaubt, ich will eine Ehrenrettung von ihm. Daß ich will, er soll meine Liebe erkennen, ahndet er noch nicht und nie. Und sehen Sie mich, ebenso gehörnt in meinem Billete an ihn und in allem, was ich Ihnen schreibe! Hingegen, wenn Ihnen einer von Liebe erzählt, wenn sie Ihnen begegnet, wenn Sie ein Tollhaus voll Verliebter sehen, werden Sie wissen, ach ja, es ist möglich! Sie ist ein tolles Kind, der Vernunft mit Natur erzeugt, und Gott segne sie anstatt sie zu fluchen! Hierin könnt' es Ihr Fall sein und in allen Dingen. Leben Sie wohl.

R. R.

Er hat ein Kreuz bekommen von seinem neuen König und will damit zu mir kommen. Ich werde mich wohl wieder erholen.


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