Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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42.

Rahel an Marwitz.

Freitag Abend halb zwölf, d. 1t. November 1811.

Lesen Sie, was auf der andern Seite steht, es ist eine von den zehn, die ich Campan heute schrieb; hier ist auch sein Brief. Ich ließ Barnekows und Varnhagens und schrieb gleich ihm, beinah aber lauter Schelte. Ich setzte ihm auseinander, was Freundschaft ist, und daß er mich für seine Verschwendung hätte können kommen lassen, und daß Freunde, die sich lieben, zusammen sind, und wenn sie's nicht sind, es nicht nötig haben. Sehr gut konnt' ich es. Das abgeschriebene Blatt schicke ich Ihnen darum, weil es doch eigentlich nur einmal aus meinem Herzen geglitten ist, was darauf steht, und da es Menschen wissen, sollen Sie es wissen, die beiden Dinge, die Sie von mir sich ungeschehen vielleicht nicht vorgestellt hätten. Ich fühlte in der Krankheit das allgemeine Elend so innig und tief, daß ein allgemeines Mitleid mir entstand und gleich mir in dieser Tiefe Verbrecher und Reine standen. Güte mußte für alle eintreten, und Schuld kann man niemandem abnehmen, als durch reines Verzeihen; so und besser ging es in mir vor. Ich litt unendlich, den Tod damals. In Dresden mußte ich beten; es fiel mir ein, es für den Leidendsten zu tun; mein Unglück schien mir nicht groß genug, ich war ruhig. Da fiel er mir natürlich flüchtig ein, eine allgemeine Liebe für all meine Lieben durchflog mich, ich mußte auf den Schuldigsten kommen, der abgeschnitten von uns, von allem Wiedergutmachen, von jedem Ton ist, der Reue ausrufen kann; und so betete ich für ihn und rief ihm zu. – Harscher war bis jetzt bei mir, von halb sechs an, Wolf vorher eine kleine halbe Stunde, der hatte mich schon um drei gesucht, wo ich aus war, um mich zu ruhen vom Schreiben. Von beiden morgen. Adieu.

[Es folgt auf der Rückseite eine Stelle aus dem Briefe an Campan.]

... Le comte Finkenstein est mort, le premier, qui a voulu, que je l'aime, qui m'a séduite par son amour; il m'a trompé. Je l'ai encore vu chez moi cet été avant mon départ; froid comme une grenouille, embarrassé comme un filou attrappé. Il était marié à la belle soeur du chanteur Brizzi, il a un enfant, il souhaitoit que je visse sa femme, m'en faisoit un imbécile et fol éloge. Eh bien! le voilà rayé de ce globe, enfin dessous, lui avec sa fausse ambition et ses perfidies, mensonges, bassesses et orgueils. Je lui avois pardonné l'année passée dans ma grande maladie, à lui et à tous ceux, qui m' ont pulverisé le coeur. Dans l'église catholique à Dresde, lorsque tout le monde tomboit à genoux, et que mon coeur voloit à dieu, j'ai prié pour lui, puisque je crois, que les remords sont les maux les plus urgents, et que pour mon compte je n' en avois pas; mais je le méprise ce Finkenstein, mort ou vif, puisque je ne peux pas le voir autrement qu'il ne s'est montré. Dieu m'a fait le coeur rebel et doux, je n'ai jamais pu le changer.

Henri Campan, Freund der Rahel, mit der er auch in Briefwechsel stand. – Karl von Finckenstein, der Sohn des Ministers, später Gesandter in Wien und Dresden, war mit Rahel 1798 verlobt gewesen.


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