Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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51.

Rahel an Marwitz.

Sonnabend Vormittag halb zwölf Uhr, d. 23t. November 1811.

Sagen Sie, Liebster, Bester, warum schreiben Sie mir wieder nicht? Ein Wort. Ich bat Sie darum, Sie haben mir auch zu antworten, wenn Sie wollen. Sie sind aber nicht ganz herkulisch, nicht sehr entfernt vom Flußfieber in unleidlichem Wetter hier abgereist. Das verdiente wohl zwei Zeilen. Ich erwartete sie immer und wollte nicht mit meiner Stimmung und meinen Angelegenheiten so zuplatzen. Gestern aber hätte ich Ihnen doch geschrieben, wenn mich nicht H. Kleists Tod so sehr eingenommen hätte. Es läßt sich, wo das Leben aus ist, niemals etwas darüber sagen; von Kleist befremdete mich die Tat nicht, es ging streng in ihm her, er war wahrhaft und litt viel. Wir haben nie über Tod und Selbstmord gesprochen, – Sie wissen, wie ich über den Mord an uns selbst denke, wie Sie. Und niemals hör' ich dergleichen, ohne mich der Tat zu freuen. Ich mag es nicht, daß die Unglückseligen, die Menschen, bis auf den Hefen leiden, denn Wahrheit, Großes, Unendliches, wenn man es konzessiert, kann man sich auf allen Wegen nähern; begreifen können wir keine, wir müssen hoffen auf die göttliche Güte, und die sollte grade nach einem Pistolenschuß ihr Ende erreicht haben? Unglück aller Art dürfte mich berühren? Jeden Abend Fieber. Jedem Klotz, jedem Dachstein, jeder Ungeschicklichkeit sollte es erlaubt sein, nur mir nicht? Siech auf kranken und Unglückslagern sollt' ich müssen, und wenn es hoch und schön kommt, zu achtzig Jahren ein glücklicher imbecile werden, und wenn dreißig schon mich ekelhaft deteriorieren? Ich freue mich, daß mein edler Freund – denn Freund ruf' ich ihm bitter und mit Tränen nach – das Unwürdige nicht duldete; gelitten hat er genug. Sehen Sie mich! Keiner von denen, die ihn etwa tadeln, hätten ihm zehn Rtl. gereicht, Nächte gewidmet, Nachsicht mit ihm gehabt, hätt' er sich ihnen nur ungestört zeigen können. Der ewige Calcul hätte sie nie unterbrochen, ob er wohl recht, ob er wohl unrecht, ob er wohl Recht, ob er wohl nicht Recht zu dieser Tasse Kaffee habe. Ich weiß von seinem Tode nichts, als daß er eine Frau und dann sich erschossen hat. Es ist und bleibt ein Mut. Wer verließe nicht das abgetragene, inkorrigible Leben, wenn er die dunklen Möglichkeiten nicht noch mehr fürchtete? Uns loslösen vom Wünschenswerten, das tut der Weltgang schon, dies von denen, die sich nichts zu erfreuen haben; forsche ein jeder selbst, ob es viele oder wenige sind.

Sechs Uhr abends.

Bei dieser vierzehnten Zeile wurde ich unbändig gestört, habe die größten Kurven gemacht, Menschen gesehen, streiten hören, etwas gestritten, Verse hören müssen. Der tolle Meyer traf mich beim Schreiben, schleppte mich mit, ausgehen wollt' und mußt' ich zwar, weil es heute zum ersten Mal erst wieder trocken war und ich zu Bethmann mußte, ihm die Loge zu bezahlen, die er mir geschickt hatte. Es ist keine kleine, sondern eine zu sechs Plätzen; Sie kommen gewiß nicht, Marcusens nehme ich nun mit, Louis habe ich mir nur verbeten. Wo soll ich erst herumschicken, wer mit mir gehen will? Und die wollten gern Plätze. Allein kann ich mich auch in einen solchen Stall nicht setzen. Haben Sie noch irgend eine Lust, so können Sie doch auch einen Platz haben, weil ich so viel und so wenig von Marcusens Familie mitnehmen kann, als ich will. Hätte ich Ihnen nur schon dieser Tage geschrieben! Ich fühle mich entsetzlich zerstört, und vor ein paar Tagen war es doch noch nicht so arg; es nimmt zu. Erinnern Sie sich, wie Sie mich Sonntag fanden? Ich kann weder des Morgens noch des Nachmittags den Mut finden mich vom Lager zu heben, weil ich gar nicht weiß wozu. Meinem Herzen fehlt die Lebenslust, der Reiz, – es geht nicht. Sie werden hören und alles verstehn. Von Harscher hab' ich Ihnen wieder ein Buch zu schreiben, und wenn es geschehen ist, soll eine Vorrede nachkommen, wieso er so schrecklich auf mich wirkte. Nun ist es aber aus, ich versuche nichts mehr mit ihm. (Ich habe wieder eine gräßliche Feder, eine gekaufte, und schreibe ihretwegen in ganz andern Perioden), wie ich denn alles Probierens und Flickens überdrüssig bin, noch nebenher. Mittwoch Mittag trag' ich G[oethes] Leben zu Schedens, die mit einer Kousine aus Potsdam und Herrn Pfund bei Tisch sind; sie lassen mich hinein nötigen, ich setze mich zu ihnen, mache sie sehr zum Lachen, besonders Herrn Pfund; Madam Wucherer ist auch sehr munter, sie nehmen mich mit ins andere Zimmer, ich trinke eine Tasse Kaffee mit ihnen, ich bleibe, bis es dunkelt, dann geh' ich erst, um Dorens Mutter nicht warten zu lassen, meine ganze Pointe jetzt, sie hatte mir erzählt, Schleiermachers Geburtstag würde noch denselben Abend gefeiert, Reimers wären dort, und sie ging auch mit Blumentöpfen hin etc. Donnerstag Abend bald nach sechs sitze ich mit Hanne allein, die sich Halsbänder bei mir ausgesucht hatte zum morgenden Ball, so kommt Harscher in die Stube, der freien Eintritt hat. Er scheint sich über Hanne zu freuen, ich, um alle à leur aise zu setzen, und weil ich immer von Montag so berührt war, daß ich nicht sprechen konnte, sage ich gleich: Sie müssen viel sprechen, ich werde heute nicht. Sie erzählen aufs genauste, wie es bei Schleiermacher war. Nach einigen Niedlichkeiten schubs' ich mich wirklich in orestischem, nicht Furien-Humor in den Winkel, und er nennt die Personen, die Sie schon wissen, noch ein paar junge Zuhörer von Schleiermacher und Herrn von Winterfeld, der habe viel gespielt, das wäre das Beste gewesen, sonst wäre man eben wie nichts neben einander gewesen, ist sehr unerbaut, erzählt, um zwölf hätte man losgeklirrt und geschrieen zur Gratulation, Madam Schleiermacher hätte ein illuminiertes Tischchen hereingebracht mit sämtlichen Geschenken. Wenn mir das einer täte, hätte ich den Tod, sagte ich nur, – da bewies er mir, wie unfein es sei, daß Frau Schleiermacher kein Gefühl für Feinheiten in der Gesellschaft habe, aber wohl all dergleichen auf das Feinste auseinandersetzte, wo er auseinandersetzt. Punktum! Ohne jedoch alles wiederholt zu haben. Hanne mußte gehn, sie war nur auf einen Augenblick zu mir geschlüpft. Er brachte sie. Als wir allein waren, lobte er sie, sie sei ungemacht, unbefangen und bestimmt über – ich weiß nicht mehr was; nun wenn man das zu siebzehn Jahren nicht weiß, lernt man's nie. »Ist sie siebzehn? Da kann sie sich ja verlieben.« »Wenn sie sonst will.« »Will?« Wie signifikant! Ich hatte es aus Überdruß gesagt; dabei roch er unsäglich nach Rum, kam von Giovanoly, wo er schon Schokolade getrunken hatte, ich bin sicher, gleich von Schleiermacher aus, um nicht zu Hause zu gehen und zu sein. Daß er nach Rum röche, sagte ich ihm gleich, – überhaupt nach dem ganzen Laden roch er, – da gestand er denn die Schokolade, den Gräuel, und erzählte albern und lügend und sich widersprechend eine Geschichte von drei Studenten, wovon zwei Fichtianer und einer Schleiermachisch war, die sich bekriegt. Bald wollt' er sie klug, bald dumm darstellen, von wenig Zwischenfragen von mir ballotiert. Und wie er sie, wär' er munter gewesen, zurecht gesetzt hätte. Dies war noch in Hannes Gegenwart, und ich hatte schon genug. Er kam nämlich und die jungen Leute von Schleiermachers Vorlesungen, das hatte ich vergessen. Wie nun Hanne weg war, kam gleich die Rede von meinem Abend. Ich beklagte mich bitter, klagte mich aber selbst an, daß ich viel zu empfindlich, ja leidenschaftlich gegen ihr ennui gewesen wäre, stellte ihn den Abend zuvor bei Marcus vor, welche prouessen ich da geübt hätte, daß meine Feinde sich bei mir nicht anders hätten betragen können, wenn sie mich etwa tadelnswert fänden. Daß wir alle Lebensmangel gehabt hätten, sonst hätte der Baron wohl schweigen müssen, daß ein jeder doch gelassen ins andere Zimmer ungestört hätte gehn können. Er entschuldigte sich gleich, welches ich auch annahm und doch hinzufügte, daß mir nie eingefallen wäre ihn zu bitten, wenn er nicht Madam Bethmann hätte sehn wollen; daß sie besorgt genug von mir sich da befunden hätte, wieso ich keine andere, und wieso ich, die gegenwärtig gewesen, genötigt hätte, daß gebetene Gesellschaft seit 84 Jahr mein Grauel ist, daß ich nicht als Schneeflocke existierte, die eben ankäme, daß ich allerhand Rücksichten abzuwarten hätte, daß man die mit ihrem ennui jedem verziehe, nur mich immer als ein Unding betrachte, weil ich und was mich betrifft, keinen Titel habe, und je länger, je beflissener ich mich zeigte, wie es bequem und gewünscht wäre, je härter ließe man mich an, wenn das mal nicht ginge. Und das von je und ein jeder. Ich fetzte ihm weitläufigst jedes Verhältnis seit zehn und fünfzehn Jahren auseinander, in welchen ich mit all den Personen gelebt hätte. Welcher Grundstein zuletzt kam; er gab mir recht, und als ich sagte, es sei allenthalben so. Sagen Sie mal aufrichtig, war es besser bei Schleiermacher? Ja, sagte er. Ja, erwiderte ich, weil alle freundlich sich duldeten, weil keine mauvaise volonté war. Das ist wahr, sagte er, und so schlossen wir dies. Als dies abgetan war – mir schwindelte und mich souffoquierte sein Geruch nun schon so und das viele Sprechen, daß ich alle Viertelstunde in größtem Nebel ein Fenster aufmachte. Fängt er mit einem Male so an: Sagen Sie mir doch etwas über Ihren jüngsten Bruder! Alle Räder meiner Gedanken standen plötzlich dumm. Es giebt keine deteriorisierendere Frage. Ich möchte gerne etwas wissen, sagte er mir, über seine Heirat, er interessiert mich, denn – ich sehe zwei in ihm – er hat ihn nie drei Minuten gesehen, wo er ihn sehen könnte, – niemals sah ich ihn gut, oder was er da sagte, und einmal sah ich das Biest in ihm. Kurz, Ihre Worte. Und so fuhr er umständlich und genau nach Ihren Berichten fort. Denken Sie sich mich bei dieser Lage. Zorn und Scham hielten mich ab ihn zu beschämen. Den Tag zuvor hatten Sie mir ehrlich erzählt, was Sie mit ihm über Meyer gesprochen hatten. Sagt er Ihnen denn alles? frug er weiter. Ja, alles. Mit dem größten Zutrauen? Mit dem größten Zutrauen. Ist das aus Liebe? Nein. O weh, warum sagt er's denn? Weil er weiß, daß ich's verstehe und er's mir sagen kann. Nun kam er auf die Liebe meiner Brüder, und ich sagte, es liebe mich keiner meiner Brüder, und ich verachte sie deshalb. Da weinte ich. Überhaupt wollte er mich den Abend abfragen, und so sah er auch meine Tränen. Er sprach unendlich viel, von sich, von Ihnen. Daß Sie besser gegen ihn wären, und daß das in demselben Maße zunehme, als er gesünder würde. Ich leider sagte auch einmal, wie ich Sie liebe, und versuchte es in ein Exempel zu bringen; es geschieht mir nicht wieder. Er lobte Sie sehr und lobte und tadelte sich. Was half das nach der großen Lüge? Es lag ein Almanach auf meinem Tisch von 1812. Wo ich etwas von Apel aus Leipzig sah, wovon ich sagte, das muß ich lesen, weil ich ihn kenne. Ich weiß es, sagte er, wie Sie mit Varnhagen dort waren, durch den. Nein, nicht durch den. Als Sie mit der Burg (Putzhändlerin) zusammen reisten. Ja. Was ist das für eine Person? Sie ist wie Philine, so aß sie einem Manne zum Possen, mit dem wir reisten, und knackte Nüsse, bloß ihn zu ärgern. Nun machte er Millionen Fragen, wollte wissen, ob sie eine fille ist. ... Nun mehr als Pauline ärger verrufen ist sie nicht. Die stupide insolence. Ich schwieg. Sagen Sie mir, fuhr er fort, wie weit ging's mit Pauline? Noch regt sich mir das Herz im Zorn; ich weiß nicht, ist er angespießt dümmer oder atrocer. Wie unsittlich, wie unschicklich, wie untunlich! Ich schwieg, verlor mich ganz in mir und sang Elegien an Pauline, Hymnen mir. Er nannte mich im Verlauf des Abends wieder Heidin, verglich mich aber doch mit Schleiermacher; nur er trüge so vor, wie ich spräche etc., hätte er mich doch vor drei Jahren schon recht gekannt. Wir kamen auf Sittlichkeit, und er dachte mich attrapiert zu haben, meinte er. Hier, rief er, hier scheiden wir, es war mir so gleich. Ich hatte nämlich im Vorbeigehen gesagt, auf die Überzeugung käme mir alles an, die dumme Tat sei wenig; wenn sie mich betrifft, erklärte ich dann nachher. Er sprach von Fichte. Der habe keinen Philosophen verstanden, erzählte er. Streng genommen tun das alle Systemaufsteller. Er sah wohl, daß ich kein Vieh war in solchen Dingen, meinte aber doch, ich errate sie, ich aber lasse mich von undeutschen Worten und Disziplinen nicht abschrecken. Griechen, Römer, der Jude Spinoza, alle haben denken müssen. Endlich sagt' ich, andere dürfe man nicht beeinträchtigen, und klagte dann z. B. Ottilie an. Da hörte er mir lange zu und bricht endlich damit heraus, er wolle doch mal ihn, Schleiermacher, und die Damen fragen, ob sie sie auch so fänden. Mit dieser unharmonischen Harmonie als Schlußakkord sollt' auch ich von ihm aufhören. Aber noch eins; ich weiß, daß er mich nicht hat beleidigen wollen, aber er hat mich, er muß mich beleidigen. Ich habe ja auch noch weiter mit ihm gesprochen und diskutiert und erzählt. Aber an mich kommen lasse ich ihn weniger. Er fatiguiert und ennuyiert und ekelt mich. – Besser Dores Mutter, die unbefangen denkt, ich bin eine gute Mamsell, weil sie's sieht. Dies soll meine Rekreation sein? Dorens Mutter war es dieser Tage her. Das Bewußtsein eine Mutter im Hause zu haben, eine Liebe pflegen zu können, mich richtig aufführen zu können, sie nach meiner und ihrer Art ein Bißchen traktieren zu können. Ich habe sie mit Dore Dienstag Aschenbrödel als prachtvolle Oper sehen lassen. Sie ist noch hier, und ich lasse sie nur mit guter Gelegenheit zu Hause reisen. Sie ist zu Fuß gekommen, hört' ich erst später. – Bedauern Sie mich in meiner Oede. Mit meinem Lebensvorrat. Und würd' ich mir nicht, würden Sie mir nicht Vorwürfe machen wollen, glauben machen zu müssen, wenn ich Extravaganzen anfinge? O, wie nachsichtig macht mich dies, immer mehr! Ich erliege. Morgen mehr. Warum schreiben Sie nicht? Nun ist dieser Brief nicht fertig und liegt bis übermorgen. Immer länger. Adieu. Ich besinne mich anders. Morgen soll dieser Brief weg. Der Rest, der eigentlich in einer Antwort auf Ihren besteht, schreibe ich Ihnen nach. Den Sie in Potsdam von mir fanden, ist nur eine halbe Antwort. Schreiben Sie mir! Ihre Handzüge sind schon mein einziger Trost, meine einzige Freude jetzt. Ich bin sehr disgustiert in mir. Und zu allem. Adieu.

R.R.

Heinrich von Kleists Tod am 21. November. – Pfund war Oberlehrer am Joachimthalschen Gymnasium. – Agrionien von August Apel, F. Laun und Fr. Kind. Taschenbuch für das Jahr 1811, Leipzig. – Der ausführliche Brief Rahels, aus dem eine unwesentliche Stelle fortgelassen ist, ist an manchen Stellen unklar, weil er wahrscheinlich schnell geschrieben ist, so in der Erwähnung des Barons. Auffallend ist, daß Varnhagen, der einzelne Stellen aus dem Briefe abdruckt, folgendes einfügt, was nicht in dem Briefe sieht: »Er [Harscher] will gebildet und sittlich sein und ist stolz darauf, dünkt sich fein und sinnig und ist doch nur plump, verstockt und kleinlich, überall von vorgefaßten Meinungen befangen, die sein schwacher Geist nicht los werden kann: von unbefangener Güte, von natürlichem Interesse keine Spur! Solchen Umgang soll ich für was halten!«


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