Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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5.

Marwitz an Rahel.

Töplitz, d. 15t. Juli 1810.

Warum ich nicht geschrieben, liebe Rahel? Weil ich krank gewesen, den ganzen Juni hindurch. Ich habe Fieber gehabt und eine Halsentzündung, die mich mit Schmerz und Hunger entsetzlich geplagt hat, gerade in der nämlichen Zeit, in der Sie auch litten. Jetzt erhole ich mich. Die Mitte des Juli ist da, und Sie noch nicht hier (ich schreibe aus Töplitz). Kommen Sie denn noch? Ich glaube es, da Sie in Ihren letzten Zeilen (vom 17t. Juni, die ich wegen der niederträchtigen Posten erst vor acht Tagen erhalten habe) so gewiß davon sprachen. Kommen Sie aber bald. Zu Ende dieses Monats ist mit Gentz Goethe hier. Gentz kommt heuer aus Karlsbad zurück. Ich liebe ihn sehr, weil er so naiv, so gutmütig, so enthusiastisch, so eitel, kurz auf eine so allerliebste Weise kindlich und kindisch ist, bei vielem Geist, denn ohne den wäre das übrige eben nicht viel wert. Wenn Sie kommen wollen, so bleiben Sie ein paar Tage in Dresden und schreiben Sie wegen des Quartiers an Gentz, warten Sie auf seine Antwort. Aber tun Sie das ja, denn sonst möchten Sie bei Ihrem Ankommen in Verlegenheit geraten; es ist hier entsetzlich voll. Allerlei Leute sind hier, die man gern sieht, der Herzog von Weimar – ein recht braver und unterrichteter Enthusiast [Lücke, ein Wort] er mit sich führt, ein Herr von Rühle (Freund [von] Adam Müller und Kleist), ein paar gescheute Offiziere; von Familien, wie mir scheint, gar nichts Bedeutendes (Frau von Reede aus Berlin avec Mlle Adélaide, die sich statt Reede roide schreiben sollte, elle n'a ni esprit ni tempérament; beauté sans répression, sans attrait; donc elle n'est pas belle; auch nicht plastisch schön ist sie, wie man gesagt hat, keine Fülle stillen, sich genügenden, in sich versunkenen Lebens; nichts als Albernheit et du savoir factive, ich meine das kleinliche Wissen, das in der Erziehung von anno 90-98 mitgeteilt wurde (denn diese Erziehung hat sie genossen, obgleich seitdem Jahrhunderte verflossen sind, das Wissen, durch das man nichts verstehen lernt, das im Gegenteil einen Nebel von Dummheit und Unnatürlichkeit in das Gehirn hineinpumpt, der später nicht mehr zu zerstreuen ist). Von der Gegend kann ich Ihnen nichts sagen; ich habe sie noch nicht gesehn, wegen Hitze, Mattigkeit, Mangel an Gesellschaft, wegen des trouble, in dem man hier leben muß, so lange man keinen eignen Cirkel hat. Adieu, liebe Rahel. Ich höre auf, weil ich abreisen muß, und weil ich lieber mit Ihnen gut reden, als schlecht an Sie schreiben mag.

A.M.

Aus dem Briefe M.s geht hervor, daß Briefe der beiden, z. B. der der Rahel vom 17. Juni, verloren gegangen sind. – Der Herzog Karl August von Weimar veranlaßte Goethe nach Teplitz zu kommen, wo Marwitz sich mit ihm unterhalten hat; Rahel hatte Goethe schon 1795 in Karlsbad getroffen. – August Rühle von Lilienstern, Leiter der Studiendirektion der Kriegsschule in Berlin und bekannter Militärschriftsteller. – Graf Wilhelm von Kleist-Lotz, Major, später Hofjägermeister. – Charlotte Elisabeth Gräfin von Reede-Ginkel, geb. von Krusemark, die spätere Oberhofmeisterin der Königin Elisabeth von Preußen.


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