Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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77.

Rahel an Marwitz.

Donnerstag, d. 25t. Juni 1812.

Mein sehr lieber, teurer Freund, ich habe wohl gefühlt, daß ich Ihnen gestern Abend nicht genug zeigte und sagte; ich zeigte Ihnen nur eine kluge, tätige Ruhe, es war aber, um Ihre Bewegung zu mildern, pour ne pas augmenter votre trouble et votre embarras, um denen keine Nahrung zu geben; denn ich litt mit, wenn Sie litten. Lassen Sie sich nichts gereuen oder ängstigen, Liebster! Es wird sich Ihnen zur Freude entwickeln. Warum wäre ich sonst heute ganz anders erwacht, gestern ganz anders zu Bette gegangen als sonst, der Erde neu vermählt, mit ganz andern Lebensbanden? Eine voreilende Zärtlichkeit und Sorge lagern sich schon jetzt zu des Geschöpfes Empfang in und um mich. Ich erfahre dadurch, auf welche Weise ich Sie liebe. Mit Ihnen muß es ja ebenso und noch besser sein. Nicht wahr, keine gemeine Rücksicht wird Sie abhalten es mir zu geben? Bei mir findet es Bergstrom, Äther und alles. Ich verstand jede Bewegung gestern in Ihnen, seien Sie dessen sicher. Und aus wahrer Emotion wollte ich Ihre nur nicht vermehren. Jede innere und äußere Unannehmlichkeit davon, von dieser Sache, teile ich mit Ihnen, fühle ich Ihnen und in Ihrem Sinne nach, aber kein Dritter wird je Sorge und Freude mit Ihnen teilen wie ich. Haben Sie geschlafen? Ich sonderbar geträumt. Ist es Ihnen auch so? Ich kann von Kindheit an die größten Momente meines Gemütes, seine größten Bewegungen und élans nur verbergen und nie zu seiner Glorie zeigen; daß dies gestern geschah, wollt' ich Ihnen nur sagen, und daß ich nun erst weiß, daß Sie eine Freundin haben wie keiner. Mein ganzes Herz ist eingenommen; ich ganz beschäftigt. Seien Sie vergnügt. Lieber!

R. R.

Nun ziehe ich mich an.


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