Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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73.

Marwitz an Rahel.

Potsdam, Sonntag d. 11t. April 1812.

Nur zwei Worte, liebe Rahel. Es ist elf Uhr, draußen mildes Frühlingswetter, der Himmel blau und von leichten Wolkenstreifen durchzogen, die Sonne scheint gelinde zu meinen Fenstern herein. Ich sitze, wollte arbeiten, aber die Arbeit ekelt mich an. Nachdem ich in Arnims WintergartenAchim von Arnim, Der Wintergarten. Novellen 1809. gelesen und noch nicht ausgehen mochte, nahm ich Ihre Briefe vor und las die lieben, die Sie mir vor einem Jahr schrieben, und worin alle Frühlingslüfte hauchen. Erinnern Sie sich eines aus den ersten Apriltagen, worin Sie mir von Bettina schrieben, der Sie begegnet waren. So aufgeschlossen, empfindlich berührt liegt mein Herz da, wie damals das Ihrige. Seit gestern ist es so. Ich machte am Nachmittag den angenehmsten Spaziergang, allein; gegen halb acht Uhr ging ich aus auf den Brauhausberg und von da in den Wald hinein; wechselnde hohe Hügel ziehn gegen Süden, Pfade führen hindurch, rechts tief unten liegen die Potsdamschen Wasser, auf die man zwischen den Fichten hindurch von Zeit zu Zeit hinsieht. Sie wissen, wie angenehm es ist hoch zu gehen und tiefe Gründe neben sich zu haben; Schafe weideten in dem sparsamen Holz, die Glocken klangen zu mir herüber. Da fühlte ich mich der Natur ganz nahe, wie aus einem Gefängnis entronnen, und das stille, heitre, fromme Lebensgefühl kam über mich, das die städtische Verkehrtheit so selten heranläßt. Wie ein ursprünglicher, wie ein Sohn Gottes und der Natur ging ich mutig und rasch vorwärts über den Waldrasen weg, und als ich endlich heimkehrte, da war mir das Herz ganz mild und rein, aller Ekel der Gegenwart, alles Unbehagen der kleinlich zusammengepreßten, ertötenden Existenz war verschwunden. Nur warum muß ich immer allein gehn, warum sind Sie nicht hier, liebe Rahel?

Ich sende Ihnen diese wenigen Zeilen. Sie werden Ihnen als ein neues Zeichen, daß meine besten Stunden mich immer an Sie erinnern, lieb sein. Antworten Sie ja auf meinen Brief. Sind Sie gesund? Ich gehe nun wieder in die Frühlingssonne.

A. M.


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