Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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46.

Marwitz an Rahel.

Potsdam, d. 3t. Nov. 1811.

Es ist ganz vergeblich. Ich wollte und müßte heute arbeiten, aber wie soll ich die Wogen besänftigen, die die harmonischen Stürme Ihres Briefs in mir aufgeregt haben? Campans Brief ist redlich gemeint, ruht aber doch auf einem schwachen Gemüt. Die gegenseitige innere Überzeugung, welche die starken Freundschaften echter Seelen hervorrufen, fehlt ihm, und so redet er albern und ungezogen von Perfidien und Gefühllosigkeiten. Sie hatten ganz recht ihn zu schelten. Göttlich ist, was Sie über Finckenstein schreiben, im Vorbeigehn muß ich Ihnen sagen, daß Sie zu den klassischen Schriftstellern der Franzosen gehören. Es ist merkwürdig, worin alle schwache Menschen das Beharrliche suchen, nicht in der notwendigen Wechsellosigkeit einer großen Natur (denn grade die klagen sie bei der ersten Gelegenheit der Unbeständigkeit an), sondern umgekehrt in den ewig veränderlichen äußern Umständen, in den Kombinationen des Zufalls. Er giebt lieber die Überzeugung auf, die er von ihrem Wesen hat, als daß er die Regelmäßigkeit des Postenlaufs und überhaupt die gewöhnliche, tausend Veränderlichkeiten unterliegende Ordnung der äußern Dinge bezweifelt.

Dienstag Abend ¾ auf 9 Uhr.

Ich hatte diese Zeilen Sonntag früh geschrieben und wurde dabei gestört. Seitdem bin ich anhaltend fleißig gewesen. Mit Ad[am] Smith bin ich bald fertig zu meiner nicht geringen Freude, denn gegen das Ende, wo er auf große Staatsangelegenheiten, Kriegführung, Rechtspflege, Erziehung zu sprechen kommt, wird er ganz dumm. Das Buch von Friedrich Schlegel habe ich auch bald durchgelesen. Neben der gewissenlosesten Ungründlichkeit und einer ekelhaften Befangenheit in bornierten Vorurteilen hat er doch große und geistreiche Blicke. So ist alles vortrefflich, was er über das alte deutsche Kaisertum in der sechsten und siebenten Vorlesung und an mehreren Stellen über die Formen sagt, unter denen der Adel im Mittelalter erschien. Schade, daß wir das Buch nicht zusammen oder zugleich lasen. Es enthält den Stoff zu unendlichen Gesprächen, weil es so vieles berührt und dem meisten eine schiefe Richtung giebt. Bei Rettel war ich Sonnabend Abend. Ihm fehlt das Riguröse; so viel Geist und Bildung, wie man ohne frische, mutige Tätigkeit haben kann, hat er ungefähr; doch drücken ihn die Geschäfte, die er auf eine penible und daher überaus zeitraubende Weise treibt, sehr zusammen und hindern ihn am Fortschreiten. Vor acht Uhr des Abends steht er nie auf vom Altentisch. Über die Frau bin ich noch nicht im klaren. Sie ist sehr gutmütig und ohne Manier, aber wahrscheinlich sehr dumm, schlecht gewachsen, mit einem Gesicht, in dem man nur weniges zurecht zu rücken brauchte, um es angenehm und ausdrucksvoll zu machen, aber eben weil das Wenige fehlt, taugt es nichts. Sie hat schönes, glänzendes, braunes Haar. Meine Gespräche mit Rettel waren oberflächlich, aber imponierten ihm vielleicht, weil ich sie mit großer Sicherheit und Bequemlichkeit ohne Pausen führte und doch wohl manches ihm neue vorbrachte. Am folgenden Tag (Sonntag) war Ball auf dem Kasino; schlechtes, enges, schmutziges, niedriges Lokal, Referendarien, die alle schlecht und nicht ohne Gemeinheit tanzten, unbedeutendes Weibervolk, bis auf eine Frau von BassewitzFrau von Bassewitz, Frau des Regierungspräsidenten in Potsdam., die beinah schön ist (hier für überschön gehalten wird). Ich beschriebe sie Ihnen gern, wenn ich sie noch ganz gegenwärtig hätte, doch soll es bei erster Gelegenheit geschehen, wenn ich sie bei Tage werde gesehen haben, denn über Frauen, die ich bei Lichte sehe, kann ich mich gewaltig täuschen. Eben fällt mir ein, daß Sie sie wahrscheinlich kennen, denn sie war den Sommer über in Töplitz. Sie ist aus innerer Freundlichkeit sehr gesprächig, lächelt und lacht gern, dabei ist sie einfach und ganz ohne Manier, in Summa liebenswürdig: an der Natur hat sie viele Lust; ich sprach sehr viel mit ihr. Gestern Vormittag arbeitete ich und war auf der Regierung. Nach Tische schlief ich beinah anderthalb Stunden zum Ersatz der Nacht, die ich sehr unruhig und unbequem zugebracht hatte, dann ging ich in später Abenddämmerung im Schloßgarten spazieren; darauf bis ½ 11 Adam Smith und Friedrich Schlegel. Heute war ich wieder in der Dämmerung im Neuen Garten; lange stand ich unter der Marmorhalle des Palais und sah bald über den rasch flutenden See weg, bald, nicht ohne Angst vor Geistererscheinungen, in die dunklen Zimmer des Hauses hinein; die Einsamkeit ist schauerlich dort, aber doch großartig; ich mußte viel über Königtum und über die jetzige Lage von Deutschland nachdenken. Sie wissen wohl, daß das Haus bald eine Ruine sein wird; an einem Säulengang, der neben den Flügeln fortläuft, ist der Fußboden zum Teil nicht ausgebaut, zum Teil sehr eingefallen, nach außen hin steht die Marmorbekleidung, inwendig sind über den verfallnen Gang Bretter gelegt, und auch die sind schon verfault. Der König kommt nie hin.

Gute Nacht, liebe R. Freitag komme ich nach Berlin und bleibe wohl bis Sonntag da.

A. M.


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