Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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43.

Rahel an Marwitz.

Sonnabend Vormittag, d. 2t. November 1811.

Harschern hatte ich gleich nach Ihrer Abreise, als ich angezogen war, ein hartes Billet geschickt, worin ich ihm sagte, er würde selbst wissen, daß er dies Schreiben nicht wert sei; ich schickte es ihm auch nur, weil ich böse auf ihn wäre, aus Rache zu Ihnen, den er zur Strafe nicht hatte sehn sollen, hätte ich klar auseinandergesetzt, aus welchen Gründen er nicht zu mir käme, worüber er sich in seinem verlognen Stolz würde wegsetzen wollen, welches ihm aber nichts helfen würde, weil ich es ihm selbst mit Gewalt auch auseinandersetzen würde. Diesen Abend ging ich auf einen Polterabend, und morgen würde ich mir von Schleiermacher diesen selben Brief wieder abholen lassen. Er kam also gestern Abend und wollte mir erst lange beweisen, daß er auf diesen Brief gar nicht gekommen sei, ich bewies aber ihm, daß ich das nie glauben würde, welches ich auch nicht tue, und dabei blieb's. Er war erst wieder über Kopf und Hals zugeknöpft gegen mich und divergierte in sich selbst herum; ich saß aber bei meinen zehn Seiten an Campan, wozu ich die Kommas und vergessenen Worte machte. Die Rede und die Situation brachte es mit sich, daß ich ihm vieles las. Er geriet wieder einmal in ein Entzücken und Bewundern meiner Natur, und am Ende des Abends hatte er auch viel gesprochen und sagte wieder, er spräche sich ganz los. Kurz, das ganze Betragen ward mein Lob, das sich besonders im Flottwerden seines ganzen geistigen Seins aussprach. Ich hatte auch Gelegenheit ihm zu sagen, warum er mich immer von neuem miede; er war wahr und aufrichtig. Auch über Sie sprachen wir viel, wie ich, wie er zu Ihnen stehen, wie er, wie ich Sie ansehe und finde. Dies fing mit ernsten und scherzhaften Vorwürfen gegen mich an, daß ich Sie ihm und den andern wegnehme. Ich bewies das Gegenteil, aus den Gemütern und äußern Umständen, und daß ein jeder, der sich dran setzte und es wert wäre, den andern haben könnte, wenn der es wieder wert wäre. Ich konnte sehr gut, besser und richtiger und geordneter, als Sie es von mir kennen, sprechen. Er wüßte noch lange nicht, was Liebe und Freundschaft ist, nicht daß die erste ein sich selbst erzeugendes Element sei, die ihren Gegenstand verschluckt, also nur diesen braucht; und wüßte nicht, was die zweite zu fordern hat, und daß auch die, jene in sich tragend, verschenkt und verschleudert und doch die reichste bleibt. Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu Rat? Und wer vertraut der Flut? Sie muß Lebenselement sein. Hierin liegt aller Irrtum und der Leidenschaften keine, daß ein höheres Leben uns ein geringeres zollen soll mit weltlichem Ertrag. Ich versteh' die Krankheit, ich habe sie genossen. Er wurde still und überzeugt insofern, daß ich wohl ihm, er aber nicht mich überzeugen kann hierin. Er sprach noch viel und gut über Steffens,Henrik Steffens, Freund Schleiermachers, Naturforscher, Professor in Halle und Breslau. es aus einem Wunsche herleitend, daß ich den kennen müßte, weil die Natur mich so bezwingt und schützt. Er erzählte mir, der Mann liebe keine geistreichen Weiber, und vieles noch; alles paßte zum ersten und zu dem, was Sie nachmals von ihm gesagt hatten. Über Varnhagen war Harscher sehr böse; ich mußte schweigen. Wir schieden sehr gut; ich invitierte ihn sehr, aber ich werde ihn nicht immer auftauen, eine Beichtnatur beim Sterbebett bin ich nicht; was habe ich davon? Er lebt, stellt seine Person vor, und so habe er auch die Mühe, das Freundlichste, Beste im Leben, gütig und unschuldig dargeboten, selbst zu ergreifen, und hiermit genug von ihm. W[olf] schenkte mir nur Augenblicke. Er meinte, Sie hätten ihn besuchen sollen, und scheint zu wünschen, Sie möchten studieren, und etwas Bestimmtes. So viel es schicklich war, setzte ich ihm Ihre Art zu sein flüchtigst auseinander, nur andeutend. Ich konnte ihn gar nicht loben und nur sagen, Sie hätten mir die Vorrede gelesen und manches aus den »Wolken«, das ich dadurch besser verstanden hätte. Ich lass' ihn nächstens bitten. Adieu. Ich bin gräßlich echauffiert und soll nun Barnekow schreiben. Vom Polterabend mündlich oder künftig. So viel wissen Sie. Es war eine solche schöne Jüdin von sechszehn Jahren dort, daß sie aus bloßer reiner Stammschönheit grade wie eine Prinzeß aussah und sich auch so betragen mußte; daß jede Nationalität in dieser klaren großen Schönheit unterging, ist natürlich. Der Augenschnitt beinah größer als das richtige griechische Näschen. Sie hatte eine vierzehnjährige hübsche Schwester und einen wunderschönen siebzehnjährigen Bruder mit sich. Künftig mehr. Harscher habe ich so davon erzählt, daß er entzückt und traurig wurde, weil sie ihm so lebhaft wurde, und er, mir wieder mein Gefühl für Natur neidend, bewunderte. So sieht niemand, meint' er, so bewundert niemand alles in der Natur, das wäre solchen Philosophen zu wünschen. Ich war gestern in der größten Harmonie über alle mir bekannten Dinge und in der vollständigsten Seelenruhe und fühlte, daß das Glück ist; und fühlte dabei in vollstimmigsten, zugleich tönenden Akkorden alles Leben meines Herzens. Auch über Sie war ich ganz klar. Nur dies ist Glück, und dies kann sich wirklich vermehren durch Schmerz und jeden Unfall. Adieu, lieber Brief! Grüße Marwitz und gieb ihm auch, teile ihm auch Segen, Ruhe, Fülle und Glück mit! Adieu. Dieser muß fort, eh' einer von Ihnen kommt.

R. R.


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