Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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50.

Rahel an Marwitz.

Sonntag, neun Uhr morgens, d. 17t. November 1811.

Soll ich mich ängstigen oder nicht, lieber Marwitz? Es ist nicht in meiner Natur viel Umstände mit mir zu machen; ich kann mich gar über ausbleibende Briefe nicht ängstigen, es hat jedesmal eine nichtsnutzige Ursach oder ein Mißverständnis zu Grunde. Seit gestern aber bin ich doch besorgt; wenn ich aber nur einmal wissen werde, daß Sie mir Donnerstag schreiben können, ich komme Freitag, und daß Sie darauf ohne weiteres abschreiben, nicht kommen können, so will ich zu Ihrer ewigen Bequemlichkeit nie wieder nachfragen, wenn Sie wegbleiben.Randbemerkung von Marwitz: Ich hatte Freitag und Sonnabend Flußfieber gehabt und kam daher erst Sonntag. Donnerstag erhielt ich einen Brief, der Mittwoch abgegangen sein muß, in welchem Sie mir sagen, Freitag sehe ich Sie. Der Tag geht vorüber, und Sie sind nicht gekommen. Ich bilde mir ein, ich werde Sonnabend einen Brief erhalten, der mir abschreiben soll; der Brief kommt auch nicht. Nun also, da Sie mir vor acht Tagen so exakt abschrieben, muß ich Sie fragen, wie ist es. Lassen Sie es sich nicht verdrießen und halten Sie es für keine gêne für künftig; nur diesmal mußte es mich stutzig machen. Sie sollen aber, wenn Sie wollen, nie sich wieder zu bestimmen haben und können kommen und wegbleiben, wie Sie wollen; bei mir ist immerweg alles zu Ihrem Empfang bereitet, weil Sie immer gewünscht sind, und finden Sie Ihr Zimmer nicht warm, so gehen Sie unterdes in meines. Schreiben Sie mir aber diesmal ein Wort! Mir ist, als wären Sie gar nicht in Potsdam; ich kann Ihnen also in keinem Fall etwas über Ihren Brief sagen; ich wartete immer Sie zu sprechen, da aber auch würd' ich Ihnen nicht drauf geantwortet haben. Ich hätte Ihnen nachher geschrieben. Wissen Sie, daß dieser Schmeichelbrief mich unendlich geschmeichelt hat; wissen Sie, daß es ganz wahr ist, daß ich Beruhigung über meine ganz entsetzlichen Briefe brauchte, daß ich nicht ahnden konnte, daß Sie so mit ihnen verführen? Wissen Sie aber auch, daß ich Ihnen ganz andere wünsche, um daß Sie so mit ihnen verfahren, meine aber doch nicht für unwürdig halten? Und hören Sie für's erste, was ich bei mir beschlossen habe, ich will Ihnen ferner solche schreiben, es sind wahre confessions, hab' ich mir überlegt, und Sie sollen sie sehen, meine Seele, wie ich sie nur selbst erhaschen kann! Vorgestern und gestern las ich einen enormen Pak meiner Briefe an Urquijo. Allwaltender Gott! Da kann man sehen, wie tief der Mensch sinken kann, wie die ganze Welt einer Seele zur Folterbank dienen kann, wie eine Seele vom Himmel zu Erde auseinandergezerrt sein kann – diese Verzerrung ist Leidenschaft –, wie niedrig man sein kann, daß unser Inneres Schicksale von den Göttern herruft, und daß großes Unglück große Verachtung verdient. Wenn ich Ihnen diese Briefe zeige – wie ich es mir vorgenommen habe –, so kann ich Ihnen nichts Niedrigeres mehr von mir zeigen. Auch in meinem Gesicht habe ich diese Seelenseite gefunden, und wie widrig war sie mir immer. Ein zähes Festhalten, ein ekelhaftes Nachgeben, ein Beugen und Bangen mit einem widrigen Lächeln dabei. Sie werden sehen, wie ekelhaft. Aber auch das Schicksal hatte mir einen Menschen bereitet, der zu seinem Gräuelplan geschaffen war, das ist wahr. Eins aber habe ich in diesen Briefen entdeckt, ich bin sehr fromm. Und dann viel über die Liebe; ohne Vorrede kann ich sie Ihnen gar nicht geben, also wenn Sie kommen. Mir war übernatürlich, als ich sie las. Noch lange, Tage lang nachher, als umfingen mich noch gegenwärtig all die Umstände, in denen ich damals war. Orte, Gegenstände, alles. Die Möglichkeit solcher Leiden ist gräßlich, und ich dachte nach, ein gnädiger Gott sollt' es nicht erlauben. Sie sehen also, diese Verwirrung kann mich ewig von neuem verwirren. Vieles muß ich Ihnen dazu als Erklärung sagen. Viele Briefe sind nur geschrieben, damit er wußte, daß ich geschrieben und nichts anderes getan hatte, alle eingerichtet, daß er sie verstehen soll, in einem gräßlichen Französisch; ich konnte es damals gar nicht. Adieu! Künftig einen Brief auf Ihren Brief. O, wüßten Sie, wie ich mit Ihnen verfahre, aber Sie zweifeln nicht. Ihre Adresse lese ich tausendmal und lege sie nicht von meinem Tisch. Heute bin ich bei Marcus, wo Lercaros und andere sind. Morgen habe ich Bethmanns und Jettchen FrommHenriette Fromm, die Favoritin des Prinzen Louis Ferdinand. und Harscher, der Madame Bethmann sehen will; er war Dienstag bei mir, sehr aufrichtig und gut. Ich hatte den Tag Varnhagen geschrieben und die wichtigsten Stellen abgeschrieben für Sie. Adieu, Lieber! Antwort!

R. R.

Ich bin noch in meinem Bette. Adieu!


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