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Achtzehntes Kapitel.

Durch die offenen Jalousien kam ein graues Morgenlicht, in welchen! sich die Gegenstände im Zimmer nur eben unterscheiden ließen. Seine Uhr war um fünf stehen geblieben; es mochte jetzt sechs sein. Vielleicht auch später. Der dicke weiße Nebel, der vom See aufwallte und an den Fenstern in dichten Schwaden vorüberzog, beeinträchtigte wohl die Helligkeit. Er hatte nicht schlafen wollen und war dann doch entschlummert. Es konnte nicht lange gedauert haben. In ihrem Zimmer war es still. Gott sei Dank! sie schlief!

Für ihn war es um den Schlaf geschehen.

Wie mochte er schlafen, wenn die Gedanken auf ihn einstürmten wie eine wütende Meute? Und er mußte die Meute zur Ruhe gebracht haben, bevor sie wieder erwachte. Sie durfte erwarten, daß er mit sich darüber einig sei, was nun geschehen solle. Was geschehen solle? Ja, was denn? was? Zuerst, man durfte sie hier nicht mehr finden, wenn heute früh der Wagen der Gräfin kam, der sie aus der Stadt abholen sollte. Vielleicht, daß sie ein Abschiedswort an die Gräfin schrieb, welches der heimkehrende Diener mitnehmen konnte. Darüber würde sie entscheiden. Daß er in die Stadt wolle, hatte er gestern abend bereits erklärt; unter irgend einem Vorwande mußte Eleonore sich ebenfalls dorthin wenden. Freilich ging von der Stadt erst um Mittag ein Zug, der Anschluß an die großen Züge auf der Hauptbahn hatte. Das war ein fatal langer Aufenthalt, aber stand nicht zu ändern. Auch mußte er die Zeit benutzen, sich Geld zu schaffen. Die Summe, über die er bei seinem Bankier in der Stadt verfügen konnte, war nicht groß; für den Augenblick mochte sie ausreichen, Eleonore irgendwohin in Sicherheit zu bringen. Und dann? Und dann? Eine Auseinandersetzung mit Guido – natürlich! Sie würde jedenfalls persönlich sein müssen und trotz Guidos enthusiastischer Freundschaft schwerlich gütlich. Ueber gewisse Dinge hilft auch die enthusiastischste Freundschaft nicht weg. Das würde sich finden. Es würde sich alles finden. Nur eines nicht!

Sein Herz krampfte sich zusammen. Das Furchtbare, vor dem er noch jedesmal, wenn es sich herandrängte, zurückgeschaudert – jetzt war kein Ausweichen mehr. Und in dem Augenblicke, wo die Aermste wähnte, daß alles wieder gut und besser sei, als es je gewesen! Ihr jetzt sagen müssen: von Stund an sollst du aufhören, mein Weib zu sein. Mein Gott! mein Gott! das war tausendmal bitterer als der Tod! In dem doch für ihn kein Entrinnen war. Er mußte leben um ihretwillen, der er geschworen hatte, daß sie ihm alles sei. Und die ihm dafür alles gegeben. Und nichts zurückbehalten. Und nun auf der weiten Gotteswelt nichts, nichts hatte als ihn!

So Fürchterliches in der Seele wälzend., mit leisen, unruhigen Schritten im Zimmer auf und ab gehend, sieht er auf dem runden Tische in der Mitte ein Blättchen liegen, das er gestern abend nicht bemerkt, das gestern abend schwerlich dagelegen hat – ein Blättchen, an der einen Seite mit ungleichmäßiger Kante, als wäre es aus einem Taschenbüchelchen gerissen –

Auf dem Blättchen – so viel kann er hier noch gerade erkennen – ist etwas mit Bleifeder geschrieben –

Sein Herz beginnt heftig zu klopfen. Wenn es von ihr ist, was kann es sein, als ein Auftrag, den er ausführen soll, bevor sie wieder erwacht – vielleicht nur ein Scherz –

Aber während er mühsam in dem Dämmer am Fenster die bleichen Schriftzüge entziffert, sträubt sich sein Haar.

 

»Glück und Glas – der mocking-bird hatte recht, unser namenloses Glück, nun liegt's zerbrochen.

Mein Recht, dich zu lieben, konnte ich nur durch ein schweres Unrecht erkaufen, das ich an deiner Frau, deinen Kindern gethan.

Diesen Kampf zwischen Recht und Unrecht weiß ich nicht zu schlichten. Ich weiß nur, daß ich in ihm nicht leben kann.

Ich habe, bevor ich ging, noch einmal deine geliebten Lippen geküßt. Versuche zu leben! Ich liebe dich bis in den Tod.«

 

Das Blatt entfällt seinen zitternden Händen. In dem Augenblicke besinnt er sich, daß dies niemand außer ihm lesen darf. Er rafft das Blatt wieder auf, steckt es zu sich und stürzt nach der Thür, welche die beiden Zimmer verbindet. Ihr Zimmer ist leer; das Bett sorgfältig geordnet, auf dem Tisch ihr Reisetäschchen, verschlossen; kein Gegenstand sonst, der ihr gehörte. –.

Bis in den Tod! – Sie kann nur einen Vorsprung von wenigen Minuten haben – das Blatt war noch feucht gewesen von den Thränen, die sie darauf geweint.

Wohin sich wenden?

Sein ratloser Blick streift die Fenster, an welchen die Nebel vom See wie Gespenster vorüberziehen. Er eilt aus dem Zimmer, über den Korridor, die Treppe hinab, durch den Garten nach der Landungsbrücke, an der die Boote befestigt sind. Da steht der alte Christian und kraut sich in dem grauen Haar. Kurios! Vor fünf Minuten sei das Fräulein aus dem Hause getreten und eilig durch den Garten gegangen – hierher zu den Booten. Und nun fehle das kleine Boot. Sie wolle gewiß mit dem nach Seehausen hinüber. Aber bei dem Nebel sei das ein schweres Stück, wenn sich ja auch der See soweit beruhigt habe, so daß man nach der Seite nichts zu fürchten brauche.

Die letzten Worte spricht der alte Mann bereits in dem großen Boote, in das er mit Ulrich gesprungen ist. Sie rudern aus Leibeskräften in der Richtung, die der Alte angibt. Auf gut Glück. Der Nebel ist so dicht. Ulrich schreit: Eleonore! Eleonore! – Keine Antwort kommt zurück.

Plötzlich reißt der Wind in die wallenden Schleier einen Spalt. Christian, der das Gesicht gerade nach der Seite gewendet, hat das Boot gesehen – nur einen Moment – dann war der Spalt wieder zugezogen.

Wie weit?

Keine hundert Schritt, Herr!

Mit ihr?

Ja, Herr!

Christian hat gelogen: das Boot ist leer gewesen.

Er wagt nicht, es dem Herrn Baron zu sagen. Dafür rudert er, als gelte es sein Leben. Er schreit auch, was er kann: Halloh! halloh! um sich glauben zu machen, daß er sich geirrt hat.

Da stoßen sie auf das Boot, das sie suchen. Sie haben es beinahe überfahren. Es schaukelt leer auf den Wellen. Christian zieht den Riemen ein und wirft einen scheuen Blick auf den Herrn Baron. Der sagt kein Wort. Er hat sich hoch erhoben, den Hut ins Boot geschleudert, den Rock abgeworfen und im nächsten Moment, bevor Christian nur die Arme heben kann, sich kopfüber ins Wasser gestürzt. Christian meint zuerst: er hat den Körper von dem gnädigen Fräulein im Wasser erblickt. Aber das kann nicht wohl sein; der Sturm in der Nacht hat das Wasser trüb gemacht wie geschmolzenen Schnee: einen halben Fuß, dann sieht man nichts mehr; und der See ist an der Stelle sechzig tief. So muß der Herr Baron es auf gut Glück versucht haben. Hätte er ihm doch nur gleich vorhin gesagt, daß das Boot leer gewesen!

Gott sei gelobt! Da – zehn Schritt vom Boot – taucht er wieder auf! Im Nu hat Christian beide Riemen eingesetzt und schreit: Halten Sie sich nur noch einen Augenblick, Herr! Der aber schüttelt den Kopf, und als Christian zu der Stelle kommt, ist er abermals untergetaucht.

Das heißt Gott versuchen! murmelt Christian.

Er hält die Riemen krampfhaft bereit und späht nach allen Seiten mit Augen, die sich schier aus den Höhlen drängen. Er weiß, wie lange einer tauchen kann, wenn er schon einmal beinahe eine Minute unter Wasser gewesen ist und für das zweite Mal kaum hat Atem schöpfen können. Kommt er wieder herauf, ist es gewiß mit ihm Matthäi am letzten.

Jetzt müssen mindestens drei Minuten vergangen sein – der kommt nicht wieder herauf.

Vielleicht nach vier oder fünf Tagen; möglicherweise niemals – ebenso wenig wie das Fräulein.

Vor zehn Jahren ist der Klas Wenhak aus Pustow beim Angeln an dieser selben Stelle über Bord gefallen und ist nicht wieder heraufgekommen.

Der Wind fährt in den Nebel, der sich zu Säulen ballt. Christian kann jetzt ein Stück vom See überblicken, das mit jeder Minute größer wird. Er rudert noch eine Stunde lang, scharf auslugend, sich immer auf demselben Platze haltend, hin und her. Er weiß recht gut, daß es ganz vergebens ist; aber er kann nicht von der Stelle fort.

Endlich sagt er entschlossen: Na, das hilft nun nicht! und kehrt die Spitze des Bootes nach dem Wirtshaus, das eben, von der Morgensonne rötlich beschienen, sich aus dem Nebel hebt. Dann wendet er wieder um: er hat das kleine Boot vergessen, das während der Zeit in der Nähe frei herumgetrieben ist. Ob wohl die Riemen noch drin sind? denkt Christian. Die Riemen sind im Boot, wie sie einer aus den Händen legt, der zu rudern versteht. Christian befestigt das kleine Boot hinter dem großen und rudert nach dem Ufer. Die Riemen, die so regelrecht da hinten in dem kleinen Boot liegen, wollen ihm nicht aus dem Sinne. Und die grausame Angst von dem Herrn Baron! Das wird er sein Lebtag nicht vergessen.

Dem Alten wird wunderlich zu Mute. Er meint, so müsse einem sein, der weinen möchte. Nur weiß er nicht mehr recht, wie das ist: er hat seit seinen Kinderjahren nicht mehr geweint, und das ist sechzig Jahre her.

Und während er darüber nachdenkt, zieht er plötzlich die Riemen ein, drückt die Fäuste in die Augen und weint wie ein Kind.

 

Ende.


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