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Siebentes Kapitel.

Der Weg, den die Freunde zurückzulegen hatten, war für Ulrich ein gutes Dritteil länger als für Guido, dessen verpachtetes Gut Salchow unmittelbar an Seehausen grenzte, zwischen welchem und der Stadt nur zwei, früher von Waldowsche, jetzt städtische Güter lagen. Hinter Salchow bis Wüstenei dehnten sich von Brandts Besitzungen, Semlow und Pustow, weit am See hin. Der sich zwischen den verschiedenen Gütern und durch sie hinschlängelnde, im Winter manchmal sehr böse Kommunalweg war jetzt nach der langen Reihe schönster Sommertage vortrefflich, besonders für Reiter, und in Anbetracht der beträchtlichen zu durchmessenden Strecke ein mäßiger Trab die entsprechende Gangart.

Ihr Robin ist doch ein kapitaler Gaul und hält sich vorzüglich, sagte Guido.

Er machte diese Bemerkung jedesmal, wenn sie zu Pferde zusammentrafen, worauf dann für gewöhnlich das obligate Gespräch über die beiderseitigen Reitpferde im besonderen und Pferde im allgemeinen folgte. Heute mochte Ulrich auf das Thema nicht eingehen. Er war überzeugt, daß Guido etwas auf der Seele hatte, das ihn schwer drückte, und glaubte mit Bestimmtheit zu wissen, was es war. Zwar hatte Guido vorhin lebhaft in Abrede gestellt, daß er Kittie liebe, und sich in der That früher den sehr deutlichen Avancen von Mutter und Tochter gegenüber mit äußerster Zurückhaltung benommen. Aber die Gemüter der Menschen sind wandelbar, und Ulrich hatte stets gefürchtet, daß sein lenkbarer Freund doch endlich in die ihm gestellten Schlingen gehen werde. Wenn es nicht der Fall war, was hatte er in Berlin zu thun gehabt? Zu welchem Zweck hielt er sich jetzt in Salchow auf, wo er in dem Pächterhause unbequem logiert war, und das er sonst, gerade wegen der Nachbarschaft von Seehausen, geflissentlich mied? Woher zumal die Aufregung, die heute aus jeder seiner Mienen, Bewegungen, Reden sprach? und die plötzliche Vorliebe für Sekt, von dem er stets behauptet, daß er ihm schlecht bekomme? Die Sache war klar – leider! Ein so gefallsüchtiges, innerlich hohles, dazu völlig unter der Herrschaft ihrer frivolen, eitlen, durch und durch egoistischen Mutter stehendes Geschöpf, wie Kittie, konnte den gutmütigen, schwachen Guido nur grenzenlos unglücklich machen. Eine unglückliche Ehe mehr zu all den andern zahllosen unglücklichen! Das durfte nach Ulrichs Gefühl nicht sein, wenn er es verhindern konnte! Aber freilich, in solchen Dingen sind auch die gutmütigsten Menschen leicht verletzlich, und Kittie war Herthas Schwester. Man plaidiert doch nicht gern gegen ein Mitglied seiner eigenen Familie!

Während Ulrich noch überlegte, wie er den schwierigen Gegenstand am besten angreifen könnte, sagte Guido plötzlich, sich im Sattel zu ihm wendend: Sie äußerten vorhin, es habe Ihnen in Norderney so gut gefallen. Ich glaube, es würde Ihnen noch besser gefallen haben, wenn Sie eine Dame kennen gelernt hätten, die zu derselben Zeit mit Ihnen da war.

Es hat mir an Damenbekanntschaft nicht gefehlt, erwiderte Ulrich mit einem wehmütigen Lächeln.

Die Dame, die ich im Sinn habe, läßt sich mit einer andern nicht vergleichen.

Ulrich horchte hoch auf. Sollte er wirklich auf einer falschen Fährte gewesen sein?

In der That! sagte er. Sie machen mich neugierig. Darf man fragen, wer es ist?

Bevor ich es sage, muß ich eines befürworten, erwiderte Guido. Sie dürfen nicht glauben, daß ich an der Dame ein andres Interesse nehme als ein rein freundschaftliches – selbstverständlich!

Selbstverständlich! wiederholte Ulrich lächelnd das Lieblingswort des Freundes. Ich kenne die Dame also nicht? Ich meine: kann ihr nicht in Norderney begegnet sein?

Sie hat mich ausdrücklich versichert, daß es nicht der Fall gewesen ist. Sie können sich denken, ich habe sie danach gefragt – selbstverständlich. Ich machte ihre Bekanntschaft, als ich das vorletzte Mal von Hannover nach Berlin fuhr – auf der Eisenbahn – waren die ganze Zeit allein im Coupé. Sie kam direkt von Norderney. Ich stellte mich ihr vor – selbstverständlich – und wir gerieten in ein Gespräch – haben auch von Ihnen gesprochen.

Was die Dame schwerlich interessiert haben wird.

Doch! doch! Sie wissen, wenn es sich um Sie handelt, werde ich immer warm und kann dann ganz gut sprechen. Uebrigens keine Kunst in diesem Falle. Ich habe noch keine Dame gefunden, die einem die Unterhaltung so leicht gemacht hätte.

Wodurch?

Durch – durch – ja, das ist schwer zu sagen – durch – durch ich weiß wirklich nicht, wie ich es ausdrücken soll. Es ist zauberhaft – einfach zauberhaft.

Ulrich hatte schon von dem Augenblicke an, als Guido sagte, daß er mit der Dame auf dem Wege von Hannover nach Berlin zusammengetroffen, das Herz zu schlagen begonnen. War es denn möglich?

Erinnern Sie sich zufällig des Datums des Tages, an welchem Sie die liebenswürdige Bekanntschaft machten?

Sehr genau: es war am zweiundzwanzigsten Juli.

Ulrich klopfte das Herz bis in die Kehle: am einundzwanzigsten war Eleonore von Norderney abgereist. Die erste größere Etappe der Reise mußte Hannover gewesen sein. Und in Berlin wohnten ihre Verwandten!

Ist es sehr indiskret nach dem Namen zu fragen?

Es hatte so seltsam rauh geklungen? Guido hielt sein Pferd zurück.

Sollen wir vielleicht ein wenig Schritt reiten? Man gerät zu leicht in Transpiration bei der Schwüle. Darf ich Ihnen etwas Cognak offerieren? Friedrich muß immer ein Fläschchen bei sich führen. Es setzt die Bluttemperatur herab, habe ich mir von Doktor Balthasar sagen lassen.

War das Hohn? Ulrichs Herz schrie nach dem Namen, und der Mann sprach von Bluttemperatur!

Danke! Sie wollten mir den Namen der Dame sagen.

Keine von Stande, wie Sie sicher vermuten: ein Fräulein Eleonore Ritter.

Ulrich hätte fast laut aufgelacht: er hatte es mit solcher Bestimmtheit erwartet!

Und Sie trennten sich in Berlin?

In Berlin – selbstverständlich.

Für immer? Ich meine: Sie haben keine Aussicht, der Dame auf Ihrem Lebenswege wieder zu begegnen? Guido lachte verlegen.

O, doch, doch! sagte er, sehr starke sogar! Teile übrigens die Aussicht, wie Sie zu sagen belieben, mit vielen Leuten, unter andern mit Ihnen.

Mit mir?

Sie hätten sogar das Vergnügen noch eher haben können, als ich, wenn Sie heute nachmittag Ihre Frau Gemahlin – ich sah sie auf dem Wege, als ich in Salchow vom Hofe ritt – habe auch gehorsamst gegrüßt – hat mich aber nicht erkannt – die Entfernung war etwas groß – vermutete mich auch nicht hier – selbstverständlich – was ich sagen wollte: wenn Sie heute nachmittag Ihre Frau zu Ihrer Frau Schwiegermutter begleitet hätten.

Ulrich begann es im Kopfe zu wirbeln: wollte der andre ihn verrückt machen?

Ich verstehe das nicht, sagte er rauh.

Großer Gott, es ist auch eigentlich unverständlich, erwiderte Guido mit einem Reitpeitschenhieb nach der Bremse, die um den Kopf seines Rappen kreiste; eine Dame wie Fräulein Ritter – auf mein Wort, Randow, die geborene Prinzessin! – und jetzt – beim Himmel, es will mir kaum über die Zunge: Gesellschafterin bei der Frau Generalin.

Unmöglich! stieß Ulrich heraus.

Hätte ich es nicht aus dem Munde Ihrer Frau Schwiegermutter, die es mir bereits in Berlin erzählte; und wäre es mir nicht von Frau Becker bestätigt worden, als ich gestern nach Salchow kam. Von einem Nachbargute zum andern, Sie wissen ja, da hört man das Gras wachsen. – Großer Gott! sind das nicht –

Das Wort blieb Guido zwischen den Zähnen. Aus einem Wäldchen junger Tannen, das auf der Grenze von Seehausen und Salchow lag, und in welches sie eben hatten einbiegen wollen, waren zwei Damen in hellen Sommerkleidern getreten, ohne Hüte und Handschuhe, wie Damen zu Hause oder im Garten sich zu bewegen pflegen. Die Entfernung zwischen ihnen und den Damen war so gering, das Erkennen hinüber und herüber ein momentanes und gleichzeitiges gewesen. Die Damen waren stehen geblieben; in der nächsten Minute hielten die Reiter vor ihnen mit abgezogenen Hüten.

Fräulein Clementine – welch glücklicher Zufall! Fräulein Ritter – wie befinden Sie sich? Gut? selbstverständlich! Wollen Sie mir verstatten, Sie mit meinem Freunde Baron Randow bekannt zu machen?

Wie geht es dir, Ulrich? Gut? – selbstverständlich? sagte Clementine mit ihrem schelmischen Lächeln, Ulrich die Hand reichend. Du mußt wissen, Eleonore, dies ist mein lieber Schwager. – Wenn du scharf zureitest, kannst du deine Frau noch einholen, Ulrich; sie hat uns vor kaum zehn Minuten erst abgesetzt – dicht hinter dem Wäldchen.

Zehn Minuten sind schwer einzubringen, Fräulein Clementine, rief Guido; und Ihr Schwager hat Robin heute schon etwas scharf mitgenommen. Ich möchte mir einen andern Vorschlag erlauben; wenn die Damen uns verstatten, sie ein Streckchen auf dem Heimwege zu begleiten?

Damit wir doch den vollen Staub genießen!

Friedrich! Friedrich!

Guido war mit einem Sprunge aus dem Sattel und hatte dem heransprengenden Reitknecht die Zügel zugeworfen.

So laß ich's mir gefallen, rief Clementine. Nun, Ulrich, wenn du Hertha doch nicht mehr einholen kannst –

Ulrich stand bereits auf dem Boden.

Nimm den Robin zwischen dein Pferd und Viktor, Friedrich, und schling die Trense von Viktor durch den Ring von Robin! Warte, ich werde dir helfen! So? Und du bleibst immer gute fünfzig Schritte hinter uns! Alles in Ordnung, meine Damen!

Ulrich hatte, während Guido und der Reitknecht die Pferde zusammenkoppelten, das des letzteren gehalten. Clementine und Eleonore waren etwas beiseite an den Rand des Weges getreten.

Mein Gott, wie blaß du bist! flüsterte Clementine. Es ist dir doch nicht unangenehm?

Durchaus nicht; ich freue mich darauf, deinen Schwager kennen zu lernen.

Dann will ich ihn dir auch möglichst allein lassen. Graf Guido!

Was willst du thun?

Laß mich nur! – Guido!

Fräulein Clementine?

Ich muß Sie notwendig auf fünf Minuten sprechen. Derweilen können die beiden andern Herrschaften vorausgehen und nachzuholen suchen, was sie in Norderney versäumt haben.

Sie sehen, mein gnädiges Fräulein, daß Sie fünf Minuten lang mit mir vorlieb nehmen müssen, sagte Ulrich, sich vor Eleonore verbeugend.

Ich denke, Sie werden es mir nicht schwer machen, erwiderte Eleonore mit einem ernsten Lächeln.

Keine langen Komplimente! rief Clementine.

Die Gesellschaft setzte sich in Bewegung; voran Ulrich und Eleonore, dann Guido und Clementine, die ihre Schritte geflissentlich verlangsamte; in gemessener Entfernung hinter ihnen der Groom mit den Pferden.


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