Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Trotzdem Ulrich durch Guidos Mitteilungen auf die Möglichkeit eines Wiedersehens mit Eleonore vorbereitet gewesen war, hatte ihn doch die plötzliche Begegnung am Saum des Wäldchens in der ersten Minute völlig der Fassung beraubt. Er bebte an allen Gliedern und wagte nicht, die Augen aufzuschlagen, aus Furcht, sich zu verraten. Wann er sich in der Phantasie dies Wiedersehen ausgemalt – und er hatte es oft genug gethan –, es war ein andres gewesen als jetzt. Immer hatten sie sich allein befunden – er und sie – und sie waren sich in die Arme gesunken und hatten sich zugeschworen, daß sie sich nie, nie wieder verlassen wollten. Jetzt waren vier fremde Augen da, vor denen man sich höflich verbeugen, vier fremde Ohren, vor denen man ein paar nichtssagende Phrasen wechseln mußte. Und als nun wirklich ein neckischer Einfall Clementinens sie zusammengeführt, war die Entfernung zwischen ihnen und jenen anfänglich so gering – irgend eine laut geführte, banale Unterhaltung also, ohne daß eines gewußt hätte, was es sagte, was das andre antwortete. Endlich, wenn auch die beobachtenden Augen hinter ihnen blieben, sie sich nicht einmal die verlangenden Hände reichen durften, die Distance hatte sich doch so weit vergrößert und ein freies, halblautes Wort war möglich geworden.

Eleonore, liebst du mich noch?

Ja, von ganzem Herzen.

Und ich dich – unaussprechlich. Ach, ich habe an deiner Liebe gezweifelt. Wie sollte ich nicht, nachdem du dich in Norderney so von mir losgerissen hattest und mir den Abschiedsbrief schriebst! Ich habe fürchterliche Wochen verlebt. Nun ist alles wieder gut. Nun weiß ich, daß du mich liebst. Du wärest ja nicht hier, wenn du es nicht thätest.

Eleonore erschrak in tiefster Seele, und es regte sich etwas in ihr von beleidigtem Stolz. Er konnte glauben, sie sei aus freien Stücken hier, habe alles klüglich so geordnet, daß sie sich wiederfinden mußten! Nicht einen Moment länger durfte sie ihn in diesem Irrtum lassen.

Nein, sagte sie in sanftem, aber festen Ton, so ist es nicht. Was mich hierher gebracht hat, ist Zufall – eine Zeitungsannonce. Ich hatte keine Ahnung von dem Verhältnis der Generalin zu dir. Ich glaubte, zu fremden Menschen in, der Himmel weiß, welche mir unbekannte Gegend zu kommen, ich habe alles erst erfahren, als ich nicht mehr zurück konnte.

Das heißt, wenn du gewußt hättest, was du jetzt weißt, du wärest nicht gekommen?

Der schmerzensvolle Ton, in dem er es gesagt, schnitt ihr durchs Herz; aber es mußte sein.

Nein, sagte sie in demselben sanften, festen Ton, ich wäre nicht gekommen.

Ach! stöhnte er.

Und dann nach einer kurzen schwülen Pause, in der sie nur seine schweren Atemzüge hörte: So war denn alles nur ein nichtiger Traum. Ich habe nur geträumt, daß wir uns liebten. Deine süßen Worte, deine holden Blicke, den Kuß von deinen Lippen, daß ich dich in diesen meinen Armen gehalten – alles, alles nur geträumt! Meine Verzweiflung, dich verloren zu haben, die grenzenlose Sehnsucht, all die jammervollen durchwachten Nächte, die öden, verlorenen Tage, das bittere Weh im eigenen Herzen und das ich andern Herzen bereitet – das wahnsinnige Entzücken eben, als ich dich wieder sah – alles umsonst! alles um nichts! Und du sagst, daß du mich noch liebst!

Eleonore hatte den Sturm schweigend über sich hinbrausen lassen müssen – schweigend und zitternd in schmerzensvoller Lust. Sie fühlte, daß sie Ulrich noch nie so geliebt hatte, wie in diesem Augenblick; daß, wenn er sie jetzt in seine Arme riß, auf sein Pferd, und mit ihr davonjagte, sie widerstandslos sein Eigentum gewesen wäre. Und dann dachte sie an die bleiche Frau, an deren Seite sie noch eben im Wagen gesessen, und an das Kind ihr gegenüber mit den großen, melancholischen, liebeheischenden Augen –

Ulrich, sagte sie mit bebender Stimme, höre mich ruhig an – ich beschwöre dich, wenn nicht um deinethalben, so um meinethalben! Ich wiederhole dir: ich liebe dich, vielleicht mehr als je. Was du durchgemacht, ich habe es auch durchgemacht; was du gelitten, es ist mir nichts davon erspart geblieben. Und doch noch einmal: hätte ich von Anfang an gewußt, daß ich dich hier finden würde, ich wäre geflohen, so weit mich meine Füße trügen. Dann, als ich hier war, habe ich mir gesagt: es ist des Schicksals Wille: du sollst Gelegenheit haben, alles wieder gutzumachen, soweit es gutzumachen ist. Und er, der edel ist und gewohnt, sich ins Rechte zu denken, und im Unrecht nicht leben kann, sowenig wie du – er wird dir helfen. Ja, Ulrich, helfen mußt du mir! Und du wirst mir helfen, wenn du auch jetzt außer dir bist und mich eine Verräterin nennst. Da sind noch andre, die uns helfen werden. Da ist Clementine. Ich brauche nur in ihre vergeistigten Züge zu blicken, um zu wissen, wie man ein schwerstes Leid heroisch trägt. Da ist deine Frau –

Um Gotteswillen, rief Ulrich dumpf, nichts von ihr!

Ja, von ihr! entgegnete Eleonore fest; ich muß von ihr sprechen. Ich hatte mir ein falsches Bild von ihr gemacht; jetzt habe ich sie kennen gelernt. Sie mag einem geistreichen Mann, wie du, nicht überall genügen; aber sie ist klug und brav und in vieler Hinsicht hundertmal besser als ich. Und Ulrich, sie liebt dich, liebt dich grenzenlos. Ulrich, der Weg zu mir geht über ihre Leiche! Davon bin ich jetzt so fest überzeugt, wie von meinem Leben. Und, Ulrich, du bist es auch. Du täuschst dich geflissentlich, wenn du dir einredest, daß es anders ist. In dem Moment der Entscheidung könntest du es nicht mehr. Weshalb da den Moment herankommen lassen, vor dem wir beschämt stehen bleiben müßten, oder über den hinweg uns nur ein gräßliches Verbrechen trüge? Soll ich noch von deinen Kindern sprechen? Ulrich, mit solchen Kindern hat man nicht mehr das Recht, unglücklich zu sein.

Sie schwieg, weil sie vor Erregung nicht weiter konnte. Ulrich antwortete nicht sogleich, und dann in einem Ton, der ihr durch die Seele schnitt: Du hast dir ja inzwischen alles prächtig zurechtgelegt. Vielleicht hast du jetzt auch noch die Güte, mir zu sagen, was du wünschest, daß ich thun soll.

Wie furchtbar mußte er leiden, daß er so herb und hart zu ihr sprechen konnte! Aber zurück konnte und wollte sie nicht.

Ich hätte eine Frage nicht erwartet, die du dir doch selbst beantworten mußt, erwiderte sie traurig.

Warum nicht? sagte er in demselben bitteren Ton. Warum sollte ich mich nicht auch in diesem Punkte belehren lassen? Ich habe ja heute abend schon so viel Neues lernen müssen.

Ulrich, fühlst du nicht, daß du mir so auch noch das Einzige, das Letzte raubst: den Glauben an dich?

Er lachte höhnisch auf: Weshalb nicht auch den, wenn denn schon alles andre verloren ist!

Dann haben wir uns wohl zum letztenmal gesehen. Ich werde jetzt mein Verhältnis hier lösen, sobald ich schicklicherweise kann. Deine Frau hatte mich gebeten, sie zu besuchen. Ich habe gern zugesagt in der sicheren Hoffnung, daß du mich verstehen und mir als Freund entgegenkommen würdest. Da du es nicht sein willst –

Freilich! Man war auf Liebe geladen und ein frugales Freundschaftsgericht wird einem vorgesetzt!

Es gab und gibt Männer, die auf meine Freundschaft stolz sind.

Zum Beispiel Ihr Reisegefährte von Hannover her. Er hat noch keine Dame gefunden, die ihm die Unterhaltung so leicht gemacht hätte! Es war zauberhaft – einfach zauberhaft – selbstverständlich!

Es ist für eine Dame immer angenehm, sich einen Gentleman verbunden zu haben.

Schließen wir das lustige Gespräch mit einer flagranten Beleidigung.

Wenn eines von uns beiden das Recht hat, beleidigt zu sein, so bin ich es.

Wie das ja auch in der Unterhaltung mit einem, der zweifelsohne kein Gentleman ist, nicht anders zu erwarten stand.

Genug!

Eleonore war stehen geblieben und hatte sich kurz umgewandt, Clementine und Guido mit dem Taschentuche winkend. Ihr Atem flog, ihre feinen Nasenflügel bebten vor zorniger Erregung. Darum die zahllosen heißen Thränen! Es sollte ihr keine wieder die Wimper netzen.

Er stand ein paar Schritte abseits von ihr, die stieren, glühenden Augen auf sie geheftet, wünschend, daß Blicke töten könnten, und zugleich voll wahnwitzigen Verlangens, sie angesichts der beiden, die jetzt eilends herbeikamen, an seine Brust zu reißen und den stolzen Mund mit glühenden Küssen zu bedecken.

Mein Gott, rief Clementine, atemlos herantretend. Seid Ihr gelaufen! Das muß eine interessante Unterhaltung gewesen sein! Nicht ein einziges Mal habt ihr euch nach uns umgesehen.

Ja, wahrhaftig, sagte Guido, nicht ein einziges Mal! Fräulein Clementine war in heller Verzweiflung. Von mir darf ich nicht reden – selbstverständlich.

Sie Undankbarer, rief Clementine, bin ich etwa nicht amüsant gewesen?

Waren Sie auch, erwiderte Guido, zum Entzücken. Was aber doch nicht verhindern kann, daß ich es schmerzlich empfinde, von der Gesellschaft des gnädigen Fräuleins so gar nichts gehabt zu haben.

Er hatte sich zu Eleonore gewandt, die es fertig brachte, lächelnd ein paar höfliche Worte zu erwidern.

Holen Sie es morgen nach! sagte Clementine. Graf Guido will uns morgen nachmittag eine Visite machen? vielleicht schließt du dich ihm an, Ulrich?

Ich fürchte, gerade morgen werde ich keine Zeit haben, erwiderte Ulrich.

Nun denn, ein andermal! Aber wahrhaftig, Eleonore, wir müssen machen, daß wir nach Haus kommen, oder wir kriegen die schönste Schelte. Auf Wiedersehen!

Sie hatte Guido und Ulrich die Hand gereicht; auch von Eleonore verabschiedete sich Guido mit tiefer Verbeugung und freundschaftlichem Händeschütteln. Es fiel Clementine auf, daß Eleonore und Ulrich es bei der Verbeugung bewenden ließen.


 << zurück weiter >>