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Viertes Kapitel.

Ulrich und Eleonore hatten die ersten Schritte schweigend gemacht; Eleonore hätte auch nicht sprechen können, kaum daß sie ihre Füße trugen. So mochte einem Menschen sein, der von der Folter kommt. Ihr Atem ging schnell und schwer. Sie mußte ihre ganze Kraft zusammennehmen, nicht in lautes Weinen auszubrechen. Ulrich bemerkte es wohl.

Mein armes Mädchen! flüsterte er. Ich hätte es dir gern erspart. Es war eine traurige Komödie.

Das Wort empörte Eleonore. Wie durfte er so sprechen, wenn ihr vor Gram und Scham fast das Herz brach! Er fühlte sofort, daß er einen schlimmen Ausdruck gebraucht hatte.

Verzeihe! sagte er; aber euch beide zusammen zu sehen, war mehr, als ich ertragen konnte.

Du wirst nicht wieder in die Verlegenheit kommen, murmelte Eleonore.

Nicht wieder? Was meinst du?

Eleonore war für den Moment der Antwort überhoben. Sie hatten das Haus betreten zugleich mit dem Rest der Nachzügler aus dem Vorplatz. Alles eilte und drängte nach der Thür, die von dem Flur nach dem Seegarten führte. Es hätte der Ueberhast nicht bedurft. Im Garten und auf der breiten Landungsbrücke war noch reichlich Platz für alle, da ein nicht kleiner Teil der Gesellschaft vorgezogen hatte, die Boote zu besteigen, um sich das Feuerwerk vom Wasser aus anzusehen. Eine ganze Flotille, in der jedes Fahrzeug eine oder mehrere Laternen führte, umkreiste in respektvoller Entfernung das Feuerwerktheater, einen Bretterbau, den man an einer sehr seichten, bei niedrigem Wasserstand trocken liegenden Stelle des Sees, etwa hundert Schritt vom Ufer entfernt, dem Garten gegenüber auf eingerammten Pfählen geschickt errichtet hatte. So durfte man sich in aller Bequemlichkeit und Sicherheit vom Lande und von den Booten aus des Schauspiels erfreuen, das denn auch nun mit drei weithin über den See hallenden Böllerschüssen eingeleitet wurde und mit dem plötzlichen Aufleuchten lapidarer Feuerbuchstaben, aus denen man, wenn man wollte, »Seefest« herauslesen konnte, seinen Anfang nahm. Dem zunächst folgte ein großes, zuletzt mit gewaltigem Lärm nach allen Seiten verpuffendes Feuerrad.

Soweit hatten die beiden, von dem Gedränge festgehalten, die Herrlichkeit mit ansehen müssen. Dann erspähte Ulrich eine Lücke, durch die sie, scheinbar nach einem bequemeren Platze suchend, entweichen konnten, bis sie, nachdem sie ein Dutzend Schritte seitwärts gemacht, sicher sein durften, von niemandem gehört zu werden. Es hätte der Vorsicht kaum bedurft: niemand in der vergnüglich schwatzenden oder jede nur einigermaßen hervorragende Leistung mit einem lauten unisonen Ah! begleitenden Menge hatte ein andres Interesse als das Feuerwerk.

Ich liebe dich, Eleonore! war Ulrichs erstes halblautes Wort, sobald sie sich allein befanden.

Ich weiß es, gab Eleonore in demselben Tone zurück; und ich dich. Dennoch, Ulrich, es ist das letzte Mal, daß wir es uns sagen werden.

Sie hatte ihren Arm aus seinem Arm gezogen und stand nun da, mit großen Augen, die in dem Widerschein des Lichtes irgend eines Feuerwerkkörpers seltsam leuchteten, starr vor sich hinblickend. Und als Ulrich, von dem furchtbaren Ernst, mit dem sie gesprochen, tief betroffen, schwieg:

Hast du meinen Brief von gestern gelesen?

Ja, erwiderte Ulrich. Du hast mir dasselbe damals in Norderney am letzten Tage geschrieben: wir dürften uns nicht wiedersehen. Hat es verhindert, daß wir uns wiedersahen? Was hat sich denn seitdem – seit gestern in unsrer Lage verändert?

In unsrer Lage? stieß Eleonore leidenschaftlich hervor. Das kannst du fragen nach dem, was wir eben durchgemacht? Unsrer Lage? Ja, mein Gott, fühlst du denn nicht, daß sie einfach unwürdig, unerträglich ist? Soll ich noch einmal deiner Frau gegenübertreten und ihr ins Gesicht lügen? und dich – ah, Ulrich, wie gräßlich habe ich mich unsrer geschämt!

Ja, mein Gott, rief Ulrich dumpf, was willst du? was verlangst du? Soll ich vielleicht zu meiner Frau sagen: dies ist das Mädchen, das ich liebe?

Ja, ja! Es wäre tausendmal besser, als was du, was wir gethan haben.

So komm! ich bin bereit.

Du bist es nicht. Du kannst ebensogut sagen: ich bin bereit, meiner Frau ein Messer ins Herz zu stoßen, oder ruhig zuzusehen, wie sie da vor unsern Augen in den See rennt und sich ertränkt. Ulrich, ich habe sie vorhin zum erstenmale wirklich beobachten können. Ich schwöre dir, sie steht schon jetzt auf dem Punkte, sich das Leben zu nehmen. Noch einen Schritt weiter, und sie thut es.

Nun gut! So kann ja ich das Experiment mit mir vornehmen.

Was würdest du sagen, wenn ich dir damit drohte?

Aber ich kann ohne dich nicht leben.

Du kannst es, wenn du begreifst, daß du mußt. Ich kenne jetzt deine Frau, ich habe die tiefste Achtung vor ihr; sie ist in vieler, vieler Hinsicht hundertmal mehr wert als ich. Und du mußt sie doch einst geliebt haben.

Nie!

Dann war es ein Frevel, daß du sie heiratetest. Aber das scheint dir auch jetzt nur so. Denke daran, wie es einmal zwischen euch war, und du wirst sie wieder lieben.

Aber Eleonore, das alles ist ja Wahnsinn; ist ja Hohn auf unsre Liebe! Sag doch einfach: ich liebe dich nicht mehr.

Oder: wir lieben uns nicht mehr. Eine Liebe, die von Verrat und Lüge und Grausamkeit lebt, ist keine – keine, die unsrer würdig wäre.

Du quittierst also über unsre Liebe und schickst mich wieder zu meiner Frau?

Nun denn – ja!

Und du hast die – du hast den Mut, mir das zu sagen?

Einen Mut, den ich mir durch Stunden erkauft habe, denen du, wie es scheint, nicht den Mut gehabt hast, ins Gesicht zu sehen.

Ah!

Er war einen Schritt zurückgeprallt, den Arm erhebend, wie einen Schlag abzuwehren, der ihn nun doch getroffen hatte, während eine Rakete zischend in die Höhe stieg, ihre anmutige Linie auf den dunklen Nachthimmel zog, um oben in feurige Sterne zu zerstießen, die sanft erloschen. Eleonores düsterer Blick war aufwärts gerichtet gewesen; das Bild der Sterne, in denen der Feuerblitz so schön und still dahinstarb, verlöschte auch ihren Zorn und stillte ihren Busen mit tiefer Wehmut. Sie trat an Ulrich heran und sagte, seine Hand erfassend, leise:

Laß uns so nicht scheiden! Ich schicke dich nicht zu deiner Frau zurück. Ich flehe dich nur an, zu gedenken, was du deiner Frau schuldig bist für die Treue, mit der sie dich so viele Jahre hindurch geliebt, für die holden Kinder, die sie dir geschenkt, für den herzzermalmenden Gram, den du ihr jetzt bereitet hast, und den sie doch in alle Zukunft nur wieder mit treuer Liebe vergelten wird. Sorge nicht um mich! Ich werde mein Los ertragen können, wenn ich sehe, daß du, wie ein Mann, das deine erträgst.

Er lachte bitter auf und knirschte, seine Hand aus der ihren ziehend:

Das sind ja nur Worte, Worte, die an der Thatsache nichts ändern, daß ich für all meine namenlose, wahnsinnige Liebe Liebe einzutauschen hoffte und sehe, daß ich ein Narr gewesen und zum Narren gehalten bin.

Ulrich!

Laß uns enden! Es führt zu nichts.

Ulrich, das kann dein letztes Wort nicht gewesen sein!

Er gab eine heftige Antwort, die sie nicht verstand vor dem betäubenden Lärm, mit dem ein letzter Feuerkörper verprasselte. Bereits vorher hatten sich die Zuschauer im Garten und auf der Landungsbrücke unruhig durcheinander bewegt, denen aus den Booten Platz zu machen, die noch vor Beendigung des Schauspiels an das Ufer eilten, sich einen Platz im Speisesaal zu sichern. Jetzt sahen sich die beiden in einen lachenden, schwatzenden Schwarm verwickelt, aus dem plötzlich der alte Herr von Trottau heraus und auf sie zutrat, beide Hände nach Eleonore ausstreckend.

Mein liebes, gnädiges Fräulein! Endlich! endlich! Ich suche Sie bereits seit einer Viertelstunde. Bin nämlich noch nicht länger hier. Hatte unterwegs Havarie mit meinem Geschirr. Bon soir, cher baron! Frau Gemahlin bereits meine Huldigung zu Füßen gelegt – im Vorübergehen drüben – ebenfalls im Vorübergehen einen Tisch dingfest gemacht – Graf Guido als Sauvegarde daneben gestellt – unsereiner kennt den Rummel .– gnädiges Fräulein, bitte um die Ehre – mit Frau Generalin alles abgemacht – stieg eben mit Fräulein Tochter und Hans – natürlich! – und ein paar andern Offizieren aus dem Boote – da stehen sie noch – hat gnädiges Fräulein meiner väterlichen Obhut anvertraut, wofür ich Hans ihrer mütterlichen überlasse. Lieber Baron, eilen Sie zu Ihrer Frau Gemahlin, die Sie erwartet, und schließen Sie sich uns an! Ich habe noch zwei Plätze an meinem Tisch. Aber eilen Sie! eilen Sie! Mein gnädiges Fräulein, darf ich um Ihren Arm bitten? Da sind ja die andern. Busse, Busse! hierher! Lieber Brandt! hierher! So, die übrigen werden sich auch schon finden. Also, vorwärts! vorwärts!

Eleonore sah sich von den genannten Herren, zu denen sich alsbald noch zwei Offiziere gesellten, umringt. Die Offiziere, die sie bereits kannte, stellten ihre Partnerinnen vor: eine junge, hübsche Frau von Ozanski – Witwe, wie Excellenz von Trottau Eleonore ins Ohr flüsterte – und ihre Nichte, Fräulein von Paalzow, weniger hübsch, aber – nach der Versicherung derselben Quelle – schwer reich.

Als Eleonore sich, nach Ulrich suchend, umwandte, war er verschwunden.


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