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Zwölftes Kapitel.

Da sind Sie! Gott sei Dank! rief die Generalin, auf Eleonore mit ausgebreiteten Armen zueilend und sie auf die Stirn küssend. Denken Sie, wir haben fast den ganzen Abend nur von Ihnen gesprochen! Ist es nicht so, Kittie?

Gewiß, Mama! sagte Kittie; den ganzen Abend. Aber, wie ist das möglich, gnädige Frau? fragte Eleonore.

Ja, das möchten Sie wohl wissen! rief die Generalin lachend. Nun, Sie sollen es erfahren. Aber erst muß ich mich restaurieren. Du, mein armes Kind bist gewiß auch halb verhungert. Ja, bei unsrer lieben alten Excellenz war Schmalhans von jeher Küchenmeister – Clementine!

Ich bin im Begriff, sagte Clementine, das Zimmer verlassend.

Es war ein harter Ton gewesen, in welchem die Generalin den Namen ihrer älteren Tochter gerufen, wie eine unmilde Herrin eine Dienerin ruft; und Eleonore war es nicht entgangen: Mutter und Tochter hatten bei ihrem Kommen kein Wort, keinen Blick, kein Zeichen der Begrüßung für Clementine gehabt. Es war also das Aschenbrödel der Familie, mit dem sie Freundschaft geschlossen. Das arme Mädchen wurde dadurch nicht schlechter in ihren Augen, aber die Liebenswürdigkeiten der beiden andern Damen, deren Wert sie bereits heute mittag nicht allzuhoch angeschlagen, waren jetzt noch tiefer bei ihr im Preise gefallen.

Clementine und der Diener hatten in großer Eile ein Abendbrot aus kaltem Aufschnitt, Thee und Wein hergerichtet. Dann war Clementine verschwunden; die Generalin und die Schwester schienen es nicht zu bemerken, oder zu sehr daran gewöhnt, als daß sie darüber sich hätten äußern sollen. Dafür thaten sie den guten Dingen auf dem Tisch eifrig Bescheid, besonders die Generalin; und Eleonore fand, daß die dünnen Lippen zwei Reihen ungewöhnlich kräftiger Zähne bedeckten. Das Thema, von dem sie begonnen, schien sie vergessen zu haben. Es war gewiß eine Phrase, wie sie hier im Schwange sind, dachte Eleonore und erschrak ein wenig, als die Generalin nach einer kurzen Unterhaltung über gleichgültige Dinge, Messer und Gabel niederlegend, plötzlich lachend sagte:

Wir trafen nämlich bei unsrer alten Excellenz einen Bekannten von Ihnen, liebes Fräulein. Raten Sie einmal wen?

Es würde mir nichts helfen, gnädige Frau, trotzdem ich hier nicht viel Bekannte habe, erwiderte Eleonore gelassen, während ihr das Herz unruhig klopfte. Konnte es Ulrich gewesen sein?

Einer, mit dem Sie auf der Reise zusammengetroffen sind! Nun?

Sie stellen mich vor eine Unmöglichkeit, gnädige Frau. Ich habe aus meinen Reisen so viele Menschen kennen gelernt. Sie werden sich schon entschließen müssen, mir den Herrn zu nennen.

Nun denn: Graf Wendelin. Sie erinnern sich seiner doch?

Wie sollte ich nicht!

Siehst du, sagte die Generalin, sich zu ihrer Tochter wendend. So ist er immer, immer die Bescheidenheit selbst, die übertriebene Bescheidenheit! Sie müssen wissen, liebes Fräulein, er behauptete und erklärte jede Wette darauf entrieren zu wollen: Sie würden, wenn Ihnen sein Name genannt würde, keine Ahnung davon haben, daß Sie mit ihm auf dem Wege von Hannover hierher – ich weiß nicht mehr wie lange – in demselben Coupé gewesen sind, und er Gelegenheit genommen hat, sich Ihnen vorzustellen.

Eleonore atmete auf: offenbar hatte der Graf nur von der gemeinschaftlichen Fahrt gesprochen. Es war das auch selbstverständlich.

Ich erinnere mich des Herrn Grafen sehr wohl, sagte sie.

Siehst du! rief die Generalin, wieder zu ihrer Tochter gewandt. Hättest du die Wette doch angenommen! Ich winkte dir noch zu. Du schienst mich nicht zu verstehen, oder verstehen zu wollen, was sehr thöricht von dir war. Er hätte eine kleine Strafe verdient.

Lebt der Herr Graf hier? fragte Eleonore mit möglichst unbefangener Miene.

Ja und nein, erwiderte die Generalin. Das heißt! er kommt oft hierher und hat auch ein Absteigequartier hier. Sonst, wenn er nicht auf Reisen ist – er reist allerdings ziemlich viel – lebt er auf dem Lande, wo wir sozusagen Nachbarn sind.

Ah! sagte Eleonore.

Ein wenig entfernte, allerdings, fuhr die Generalin fort, aber wenn er uns auch näher wohnte, man würde nicht viel von ihm haben. Oder hatte es doch bisher nicht, während ich hoffe, daß in Zukunft –

Hier hatte Kittie einen leichten Hustenanfall; auch die Generalin räusperte sich und sagte:

Ich fürchte, wir haben uns beide in dem offenen Wagen ein wenig erkältet.

Sehr geschickt und doch nicht geschickt genug, dachte Eleonore, und laut sagte sie:

Der Herr Graf ist nicht sehr umgänglich? Auch ich hatte den Eindruck von ihm, daß er sich von den Menschen mehr suchen lasse, als sie suche.

O, Sie sind eine feine Beobachterin! rief die Generalin. Sich mehr suchen lasse, als er suche! Wie vortrefflich das gesagt und wie richtig es ist! Ja, unser lieber Graf ist wirklich ein Sonderling. Mein Gott, freilich, in der Erziehung einer solchen Mutter! Eine vortreffliche Frau, die meine Kittie und ich aufs tiefste verehren, aber eine Ausländerin und halb blind dazu. Es ist ja nicht zu verwundern, wenn sie da ein bißchen menschenscheu ist, und das hat denn bei Guido – der Graf heißt nämlich mit Vornamen Guido – ein wenig abgefärbt. Können Sie sich denken, daß er acht Tage – also ebensolange wie wir – hier gewesen ist, ohne uns, seine besten Freunde, aufzusuchen?

Er wußte vielleicht nicht, daß Sie hier waren, gnädige Frau.

O, ich hatte ihm –

Hier hüstelte Kittie abermals; die Generalin blickte schnell auf:

Ich muß dir für heute nacht wirklich einen Priesnitzschen Umschlag machen, mein süßes Kind. Was ich sagen wollte – was meinst du? Kann der Graf es gewußt haben?

Ganz bestimmt nicht, erwiderte Kittie; er hat mich zweimal versichert, daß er keine Ahnung davon gehabt hat.

Um so größer war seine Freude, fuhr die Generalin fort, uns nun doch noch so ganz zufällig bei unsrer alten Freundin zu treffen, bei der er sich – en passant, ganz gegen seine Gewohnheit – vorher auch nicht hatte sehen lassen. Sie müssen wissen, liebes Fräulein, unsre liebe gute alte Excellenz Wendelin ist eine angeheiratete Großtante von ihm – sehr reich, kinderlos und er ihr enfant gaté und präsumtiver Erbe, oder doch des größten Teils ihres Vermögens, obgleich er es wahrhaftig nicht nötig hätte. Wahrhaftig! Aber so ist es immer in der Welt: wo viel ist, da kommt noch mehr dazu. Wie lange wird es dauern, so beerbt er auch seinen Stiefonkel, wenn die Leute, die immer sterben wollen, auch furchtbar lange zu leben pflegen. Sagte er nicht, Kittie, daß er wieder einmal auf dem Wege zu ihm sei?

Ja, Mama. Aber er wird nur ein paar Tage fortbleiben, hat er mir versprochen, erwiderte Kittie die Augen niederschlagend, während ein selbstgefälliges Lächeln um den kleinen, üppigen Mund spielte.

Natürlich nur ein paar Tage, rief die Generalin triumphierend; dann werden wir unsern lieben Springinsfeld bei uns auf dem Lande festhalten, und dabei zählen wir auch sehr auf Sie, liebes Fräulein. Sie glauben gar nicht, mit welcher Wärme er von Ihnen gesprochen hat! Vraiment! wir alten Freunde könnten beinahe eifersüchtig werden.

Nun, nun, mein süßes Kind, unser kluges Fräulein versteht einen Scherz. Es hindert dich ja nicht, weiter gegen unsern armen Grafen grausam zu sein. Ja, ja, liebes Fräulein, es macht sich niemand einen Begriff davon, wie grausam diese kleine Dame sein kann.

Aber, Mama, du bist heute abend unerträglich! sagte die kleine Dame, eine Umarmung der Generalin ablehnend. Was soll nur Fräulein Ritter von mir denken?

Vermutlich, daß ich dich schrecklich verziehe! rief die Generalin. Aber nun, zu Bett! zu Bett! Mon dieu! halb zwölf! und wir sollen morgen früh um neun in der Eisenbahn sitzen. Sind Sie denn mit Ihren Vorbereitungen fertig, liebes Fräulein?

Es war da nicht viel vorzubereiten, gnädige Frau.

So ist es recht! So habe ich Sie mir gedacht: kein langes Besinnen! immer bereit! immer fertig! – gerade wie ich. O, wir werden uns schon verstehen! wir werden vortreffliche Freundinnen werden!

Sie hatte bei den letzten Worten Eleonoren abermals umarmt und auf die Stirn geküßt. Kittie war hinzugetreten, hatte ihre beiden Hände erfaßt, mit kokettem Lächeln die Stirn neigend, jedenfalls, sich nun ihrerseits küssen zu lassen. Aber Eleonore konnte es nicht über sich gewinnen und begnügte sich, das Lächeln mit einem Lächeln und den kräftigen Druck der kleinen Hände mit einem leichten Gegendruck zu erwidern.

Eine Minute später trat sie in Clementinens Zimmer, wohin ihr die Kammerjungfer der Generalin geleuchtet hatte.


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