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Elftes Kapitel.

Clementine war nicht wenig erstaunt, als Eleonore, während sie eilends durch den Park dem Hause zuschritten, anstatt in begeisterte Lobeserhebungen über Ulrich auszubrechen, zuerst, ohne ein Wort zu sprechen, neben ihr hinging, und dann auf ihre eifrigen direkten Fragen: wie ihr denn ihr Schwager gefallen habe? ob er nicht der liebenswürdigste Mann sei? nur spärliche, ausweichende Antwort gab. In ihrer abgöttischen Verehrung Ulrichs konnte sie für dies seltsame Benehmen nur eine Erklärung finden: der Eindruck, den er auf Eleonore gemacht, war ein überwältigender gewesen; sie hatte sich auf der Stelle rettungslos in ihn verliebt. Darüber hätte sie denn herzlich lachen mögen, nur daß die Sache doch auch ihre ernste Seite hatte. Sie selbst, mein Gott, sie konnte hoffnungslos lieben, das bedeutete gar nichts, sie durfte keine Ansprüche an das Leben machen. Aber Eleonore, das war etwas andres; das konnte ein großes Unglück geben, und nicht für sie allein. Ulrich war nicht glücklich in seiner Ehe; niemand wußte das besser als sie; und wenn eine auf Erden lebte, die für ihn geschaffen schien, so war es Eleonore. Und zu diesem Unglück hatte sie die erste Hand geboten, als sie vorhin die beiden zusammenführte, glücklich über die Schlauheit, mit der sie das zustande gebracht. Während Guido – ja, das war's! Das war, das konnte wenigstens ein Ausweg werden: Eleonore mußte Guido heiraten. Sie wollte für ihn sprechen, ihr ihn in dem besten Lichte zeigen. Vielleicht, daß sie dann doch ihre stolzen Augen von Ulrich auf den guten Menschen wandte, der ja wirklich verdiente, geliebt zu werden, und alles aufbieten würde, sie glücklich zu machen.

Diese Gedanken beschäftigten Clementine während der Abendtafel, bei der die Mama in offenbar bester Laune fast allein das Wort führte. Daß Graf Guido sich schon seit gestern morgen in Salchow aufhielt, ohne herübergekommen zu sein, war freilich stark, und er sollte, wenn er morgen kam, die schönste Schelte dafür haben. Seine alte Schüchternheit! natürlich! Aber sie stand ihm so gut! Ohne sie wäre er nicht halb der liebenswürdige Kavalier, der er war, und dem sie deshalb vor allen anderen den Vorzug gab! Selbstverständlich müsse man den geplanten Besuch bei der Gräfin Mutter so lange hinausschieben, bis er von der Partie sein könne – ein Vorschlag, den Kittie nicht gut heißen mochte: man dürfe die jungen Herren nicht verziehen, sie seien schon gerade arrogant genug.

In ihrer Redseligkeit schien die Mama Eleonorens Schweigsamkeit nicht zu bemerken; aber für Clementine war sie ein schlimmstes Zeichen, das ihren Verdacht nur bestätigte. Ein Verdacht, der beinahe zur Gewißheit wurde, als Eleonore, nachdem sie oben auf ihren Zimmern waren, ohne nach dem gewohnten Plauderstündchen zu verlangen, ohne ihr auch nur einen Kuß zu bieten, sich mit einem wie abwesend gesprochenen Gute Nacht! von ihr trennte.

Für Eleonore war es eine böse Nacht. Wie hätte sie an Schlafen auch nur denken können! Immer stand er vor ihrem Auge, der geliebte Mann, sein schönes, edles Gesicht verzerrt von zorniger Verzweiflung. Hatte er nicht das Recht gehabt, zornig und verzweifelt zu sein? Er hatte Unmögliches von ihr verlangt. Aber, großer Gott, er war eben ein Mann, und er liebte sie – sollte er sich geduldig in sein Schicksal fügen? Würde sie ihn lieben, thäte er es? Und durfte sie, die, auf diese Begegnung vorbereitet gewesen war, sich jedes Wort zurechtgelegt hatte, seine Heftigkeit mit Heftigkeit erwidern, seine Bitterkeit mit Bitterkeit? seine Beleidigungen mit Beleidigungen? Er kein Gentleman? Wer war dann einer? Hätte er lächeln sollen, während sie sein Herz in den Staub des Weges trat? Nicht er – sie war klein, erbärmlich gewesen. Von Stund an hatte er ein Recht, sie zu verachten.

Mochte er! Es war vielleicht für ihn das beste. Dann löschte er sie von der Tafel seiner Erinnerung und schrieb darauf den Namen seiner Frau, oder welchen Namen immer. Und sie zog ihre Straße weiter. Ihre einsame Straße. Aus Dunkel in Dunkel.

Denn dies eine stand für sie fest – in schwarzer Nacht ein einziger, stierer, mitleidsloser Stern: seine Gattin konnte sie, seine Geliebte wollte sie nicht sein.

Also fort! fort!

Wie es anfangen? Etwas, das einem Grund ähnlich sah, mußte sie haben. Sich acht Tage lang krank stellen? Angegriffene Gesundheit? Bedauern, eine so angenehme Situation so bald wieder aufgeben zu müssen? Oder an Tante Geheimrat schreiben, und sie bitten, die Nichte für ihr krankes Tilchen zurückzufordern? Oder Graf Guido heiraten? Warum nicht? Er war ein guter Reiter und sie ritt so leidenschaftlich gern! Das stimmte vortrefflich. Er war reich, sie blutarm – das stimmte nicht minder. Er, die Gutmütigkeit selbst, sie voller Launen; er bescheiden, sie anspruchsvoll – konnte es ein passenderes Paar geben? Oder, wenn nicht Gräfin, dann Zigeunerin – Nihilistin – Kommilitonin von Wera Borykine, – auf du und du mit ihrem Bruder. Es war ein unverschämter Brief gewesen, sein Brief aus Zürich, und sie hatte ihn nicht beantworten wollen. Ziererei! Mit einem geistvollen Manne nimmt man das nicht so genau. Es so feierlich ernsthaft nehmen, was kam denn dabei heraus? Wie weit hatte sie es denn dabei gebracht? Zur Gesellschaftsdame einer alten adligen Intrigantin mit den großen gierigen Zähnen und ihrer Puppe von Tochter mit dem dummen koketten Lächeln! Ketten von purem Gold drücken am Ende nicht schwer. Und thun sie es, nun, so wirft man sie eben ab. Es war ja die Mode des Tages. Weshalb die Mode nicht mitmachen? Und Moden sind nur für die Jugend und Schönheit. Wenn man alt und häßlich ist, fragt man nicht mehr nach der Mode, aber die Mode auch nicht nach einem. Also Gräfin oder Bohemienne! Daß man es nicht gleich auswürfeln konnte!

So raste es durch ihr zuckendes Herz, ihr verstörtes Hirn. Und dann saß sie im Bette und weinte unaufhaltsame Thränen um ihn, den sie grenzenlos glücklich machen wollte, gemacht haben würde, und der nun so grenzenlos unglücklich war, wie sie selbst.

Erst, da bereits der Morgen zu grauen begann, verfiel sie in bleiernen, traumlosen Schlaf. Als sie erwachte, war es heller Tag; Clementine saß auf ihrem Bettrand und hatte eine ihrer Hände mit beiden Händen gefaßt.

Ich hätte dich noch länger schlafen lassen, Herz. Du hast gewiß keine gute Nacht gehabt; ich habe dich so lange umhergehen hören. Aber es ist schon zehn, und in einer Stunde soll die Reise losgehen. Wohin? Denke dir: heute morgen in aller Frühe ein Briefchen von der Gräfin, ob wir ihr das Vergnügen machen und um vier Uhr mit ihr zu Mittag essen möchten. In der Hoffnung der Zusage werde sie sich erlauben, um zwölf Uhr ihre Equipage zu schicken, damit die vier Damen – verstehst du, Herz: die vier Damen! – es bequemer hätten, als in Mamas elegantem, aber engen Kabriolett. Sehr aufmerksam – nicht wahr? Dann eine Stunde später ein Billet von Graf Guido: er bitte um die Gnade, die Damen zu Pferde nach Wendelstein begleiten zu dürfen, und werde sich verstatten, Punkt zwölf seine Aufwartung zu machen. Es wird so nett werden. Das Wetter ist prachtvoll; der Weg, auf der letzten Hälfte wenigstens, sehr schön. Schloß Wendelstein und der Park – na, du bist in fürstlichen Schlössern groß geworden, aber schöner können sie auch nicht sein. Und die Gräfin – ich kenne keine so entzückende alte Dame, und du siehst, daß sie speciell an dich gedacht hat, sonst würde sie nicht den Landauer schicken. Nicht wahr, Herz, du kommst mit? Bitte, bitte, mir zuliebe!

Wer sagt dir denn, daß ich nicht mit will? fragte Eleonore.

Clementine wurde ein wenig rot.

Ich dachte nur, weil du eine so schlechte Nacht gehabt hast, erwiderte sie unsicher.

Eleonore richtete sich auf dem Ellbogen auf, strich Clementine das wirre, weiche Haar aus der feinen Stirn und blickte ihr forschend in die Augen.

Kleine, hat dir der Graf gestern abend etwa gewisse Mitteilungen gemacht?

Clementine war die Röte bis in die Schläfen geschossen, einen Moment schien sie zu überlegen, ob sie die Wahrheit bekennen solle, dann sagte sie mutig: Ja! er hat mir alles erzählt.

Und du bist noch der Meinung, daß ich die Einladung seiner Mutter annehmen soll?

Erst recht. Wenn du ihn nicht glücklich machen kannst, riskierst du ja nichts. Und wenn du ihn doch – ach, Herz, er ist ein so seelensguter Mensch und liebt dich unbeschreiblich – wenn du ihn glücklich machen könntest?

Sie hatte sich Eleonoren in die Arme geworfen.

Du bist ein närrisches Mädchen, sagte Eleonore, sie sanft von sich lösend. Und nun geh! damit ich mich schön machen kann.


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