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Fünftes Kapitel.

Ungefähr um dieselbe Zeit, in welcher Hertha nach Seehausen kam, stieg Ulrich vor dem Wirtshause »Zu den drei Hechten« auf der andern Seite des Sees vom Pferde. Herr Blandow, der mit ein paar Stadtherren an einem der Tische auf dem von Bäumen beschatteten Vorplatz schwatzte, erhob sich eilends, ihn zu begrüßen.

Der Herr Baron haben schon einen langen Ritt gemacht, sagte er, auf Ulrichs Braunen deutend, den ein Knecht am Zügel hielt.

Ich bin nur auf meinem Vorwerk gewesen, entgegnete Ulrich. Lassen Sie das Pferd in den Stall bringen und abreiben! Ich will hernach noch in die Stadt.

Womit kann ich dem Herrn Baron inzwischen dienen?

Eine Flasche Mosel, wenn ich bitten darf.

Befehlen der Herr Baron hier oder auf der Seeveranda?

Wenn es da nicht zu heiß ist?

Gar nicht. Es weht ein angenehmes Lüftchen vom Wasser. Im Augenblick ist auch niemand da. Später werden wohl noch ein paar Herrschaften aus der Stadt kommen bei dem schönen Wetter.

Also auf der Veranda!

Ulrich schritt durch den Hausflur, auf dem ihm die Wirtin ihren Knix machte, nach dem Garten und stieg die Stufen zu der Veranda hinab, die auf Pfählen in dem See stand und mit einem Zeltdach überspannt war. An der vorragenden Brücke lag ein halbes Dutzend sauber gehaltener größerer und kleinerer Ruderboote, welche der Wirt an die Gäste vermietete. Es war hier in der That, trotzdem es die Sonnenseite war, kühler als auf der andern unter den Bäumen, auch fehlten hier die dort in Scharen schwärmenden Fliegen.

Herr Blandow selbst brachte den Wein in dem mit Eis gefüllten Kübel.

Es geht schon auf die Neige, sagte er, der Sommer war gar zu heiß; aber für den Herrn Baron ist immer noch was übrig. Haben der Herr Baron den Hafer schon herein?

Nicht ganz.

Na, wir behalten das gute Wetter vorläufig, hoffentlich noch bis zum fünfzehnten. Es wäre ein Jammer, wenn uns das Fest in diesem Jahre wieder verregnete, wie im vorigen. Der Herr Baron und Frau Gemahlin werden sich doch beteiligen?

Ich glaube kaum. Ich habe noch eine Reise vor.

Nachdem der Herr Baron so lange fortgewesen! Freilich, die Frau Baronin, die versteht's besser als unsereiner. Und wenn man einen Inspektor wie den Herrn Pasedag hat! Aber Jammer und Schade wär's doch, wenn der Herr Baron fehlen sollten. Gestern erst waren Herr von Brandt und Herr von Griebenow hier, um alles mit mir zu besprechen. Es wird großartig werden: Illumination drüben unter den Bäumen und hier auf dem See Feuerwerk. Die Herren waren sich nur noch nicht darüber einig, wie weit sie die Einladungen an die Herrschaften in der Stadt – die Herren Offiziere sind ja selbstverständlich – ausdehnen sollten. Herr von Griebenow meinte: es sei hergekommenermaßen ein Fest nur für den Adel – was ja ganz richtig ist; aber Herr von Brandt war der Ansicht, daß man der Zeit Rechnung tragen müsse, wie er sich auszudrücken beliebte, und ein paar mit Vorsicht ausgewählte Bürgerliche die Gesellschaft zahlreicher und lebendiger machen würden – was ja auch viel für sich hat. Darf ich fragen, wie der Herr Baron darüber denken?

Ich denke ganz, wie Herr von Brandt.

Wußte ich, Herr Baron; habe ich gestern schon zu den Herren gesagt: ›Herr Baron von Randow auf Wüstenei ist für die Bürgerlichen.‹ Der Herr Baron wollen mich gütigst entschuldigen. Ich höre, man verlangt mich da drüben.

Ulrich blieb seinen Gedanken überlassen. Er hätte sie gern und sich dazu in den See versenkt, wo er am tiefsten war. Das Seeadelsfest! Freilich, es stand ja bevor, das größte Ereignis des Jahres, von dem in seinem elterlichen Hause immer wochenlang vorher gesprochen worden war. Wie oft hatte er den Vater die Geschichte der Entstehung des Festes erzählen hören! Sie gehörte zum eisernen Bestande der Familientradition. Er hatte sie auswendig gekannt wie eine Gellertsche Fabel und sie sich als Knabe hersagte, wenn er nicht einschlafen konnte. Ob sie die alte Kraft noch besaß im Bunde mit der schwülen Stille ringsumher und der Schwere, die er im Kopf und in den Gliedern fühlte?

Im Jahre 1785 – merke es dir, Ulrich, und auch du, Ottomar, obgleich du kein Gelehrter werden willst, wie dein Bruder! – vier Jahre vor dem Ausbruch der französischen Revolution, die dem armen König Ludwig das Leben kostete, und von der all das Unheil kommt, das jetzt in der Welt herrscht – da war hier um den See herum jeder Fußbreit Landes in adligen Händen, außer dem Terrain, auf dem die Stadt liegt, und ein paar hundert Morgen Acker, auf denen die Pfahlbürger ihre Kartoffeln und ihren Kohl bauten. Selbst der Forst, der jetzt zum guten Teil mitsamt dem Gasthaus am See fiskalisch ist, gehörte den Griebenows. Alles in allem waren es sieben Familien: auf der Westseite die Brandts, die Wendelins, die Lilien und die Waldows; auf der Ostseite die Voigts und die Griebenows, endlich wir, die Randows, hier im Norden, der Stadt im Süden gegenüber. Da träumte eines Nachts euer Großvater Ulrich Ottomar, nach dem ihr beide heißt, genau den Traum des Pharao von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen, bloß daß die Kühe nicht aus dem Nil, sondern aus unserm See kamen. Und er deutete sich, als ein nachdenklicher Mann, den wunderlichen Traum, und zwar so: es werde der augenblickliche glückliche Stand der Dinge hier um den See nicht immer so bleiben, vielmehr das Bürgertum mit dem Königtum im Verein würden ihre Hand nach dem adligen Besitz ausstrecken und nach und nach an sich raffen. Dieserhalb müßten die sieben Familien, solange ihnen Gott seine Gnade schenke, sich dessen würdig erweisen und einen Bund schließen, einander beizustehn und zu helfen in Not und Trübsal. Und zum Zeichen, daß sie das mit gutem Bedacht beschlossen hätten und in Treue auszuführen und zu halten gedächten, alljährlich nach der Ernte festlich zusammenkommen. Damit aber keiner den andern an Gastlichkeit überbieten möge, und auf diese Weise Neid, Zwietracht und Hader entstünden, nicht in den eigenen Schlössern, sondern in dem Gasthaus am See, das, wenn es auch auf Griebenowschem Grund und Boden lag, die Blandows in Erbpacht hatten und somit als eine Art neutrales Terrain zu betrachten war.

Das ist denn alles so geschehen, wie euer Urgroßvater Ulrich Ottomar es gedacht und geplant hatte. Und ist das Fest, welches das Seeadelsfest genannt wurde, jedes Jahr gefeiert worden mit Ausnahme von ein paar Jahren im Anfang dieses Jahrhunderts, wo die Kriegsfurie gar zu arg wütete. Es ist auch sonst gekommen, wie er vorausgesehn: die mageren Kühe sind aus dem See gestiegen, und man hat sich ihrer nicht völlig erwehren können, trotzdem man treu und redlich zum Bunde gehalten. Zuerst haben die Waldows abgewirtschaftet, dann die Voigts, und ihre Güter sind städtisch geworden. Dann haben die Griebenows ihr halbes Erbe an den Staat verkaufen müssen. und wenn jetzt die Arnfelds auf Seehausen sitzen, anstatt der Lilien, so ist es doch auch schon durch bürgerliche Hände gegangen.

Das, liebe Söhne, ist die Geschichte von der Entstehung des Seeadelsfestes, und ich denke, ihr werdet es in Ehren halten und zum Bunde stehn, den eure Väter beschworen, also daß, wenn Gott beschlossen haben sollte, den Traum eures Ahnen ganz in Erfüllung gehen zu lassen – wie er denn schon beinahe halb erfüllt ist – es doch nicht so bald geschehe. –

Ulrich mußte lächeln. Die alte Litanei! Wahrhaftig, es hatte ihm nicht ein Wort gefehlt – nach zwanzig Jahren!

Dann aber bewölkte sich seine Stirn wieder und er starrte düster in sein Glas. War es denn nicht die in den Knabenjahren eingesogene Ehrfurcht vor der Urvätertradition gewesen, die ihn nach dem Tode von Bruder und Vater zu allen eigenen Sorgen noch die für die Arnfelds auf sich nehmen ließ, und er sich selbst in schwerste Verlegenheiten verstrickte, der verwitweten Generalin wenigstens Seehausen zu retten, nachdem ihr Gemahl die beiden andern zum Nachlaß seines Vorgängers gehörenden Güter zu Gelde gemacht hatte, seine Spiel- und sonstigen Schulden zu bezahlen? Schon damals war es nicht zweifelhaft gewesen, daß er bei der maßlosen Eitelkeit und den extravaganten Ansprüchen der Generalin den endlichen Ruin doch nicht würde aufhalten können, und das arme, von der Mutter in schnödester Weise vernachlässigte Mädchen, ihres bescheidenen, fleißigen bürgerlichen Vaters bescheidene, fleißige Tochter, hatte sein innigstes Mitleiden erregt. Dann, als sie erwachsen war – mein Gott! hatte er sie denn nicht geliebt? Waren die ersten anderthalb Jahre ihrer Ehe nicht glücklich gewesen? Ja, ja! Und doch hatte bloß Lida zu erscheinen brauchen, und er hatte gewußt, daß, was er für Gluck gehalten, weiter nichts gewesen als ein dämmerndes Ahnen des Lichtes, das von der wahren Liebe ausstrahlt.

Der wahren Liebe! Wer darf wagen zu behaupten, daß er sie hat und fühlt? Er hatte es geglaubt, als er Lida liebte. Und als er Eleonore sah, hatte er dasselbe empfunden, was er empfand, als er Lida sah. War das nur ein Vergessen dessen, was man einst gefühlt? Dann mochte die eine Liebe genau so viel Wert haben, wie die andre. Oder gab es eine Steigerung in der Liebe, wer konnte dann sagen: dies ist ihr höchster Grad? Oder erforderte jedes Lebensalter seine eigene Liebe? Schwebte dem Jüngling ein andres Ideal vor als dem jungen Mann; dem wieder ein andres, als dem gereiften, so mochte ihm in zehn Jahren Eleonores Bild so verblaßt sein, wie heute Lidas.

War es aber so – und es hatte ihn sein Denken in der letzten Zeit wieder und wieder bis zu diesem Punkte geführt – dann war die Institution der Ehe, wie sie jetzt bestand, ein Nonsens, vielmehr eine qualvolle Tyrannei, ein Prokrustesbett, das den Starken um sein natürliches Maß verkürzt und verstümmelt.

Und doch gab es vielleicht einen andern Ausweg: den, daß, wie der Mann sich physisch und geistig von Stufe zu Stufe aufschwang und entwickelte, das Weib seinerseits eine gleichwertige Metamorphose an sich vollzog; und die gereifte Frau die junge unerfahrene so weit überragte, wie diese die Jungfrau, deren Leben vorerst ein halbwaches Träumen ist.

Da mußte der Punkt sein, in welchem man den Hebel anzusetzen hatte, aus der Unmoralität der Ehe, wie sie tausend und tausendfach bestand, ein moralisches Etwas zu machen, dem seine beste Kraft hinzugegeben, der Freieste der Freien sich nicht zu schämen brauchte. Und gerade hier war es, wo ihn nach seiner Meinung Hertha im Stich gelassen. Wie er sie vor zwölf Jahren gefunden, so war sie heute noch: dieselbe treue Seele, die immer erst an andre dachte, liebend, nach Liebe verlangend, ein goldenes Herz. Und ihr geistiger Horizont ebenso derselbe, wie damals, nicht erweitert um eines Spannes Breite. Und nun zu fühlen, wie man selbst im Anfang aus Galanterie und Ritterlichkeit in diese Enge hineinzuleben sich versucht, und zu dem Zweck an sich selbst zum Verräter wird, bis der Genius die Qual nicht länger erträgt und sich aufbäumt und sich aufreckt und das Dach des Tempels einstößt, das ihm zum gräßlichen Gefängnis geworden ist; und der Tempel zusammenbricht über den Häuptern des ahnungslosen Weibes, der unschuldigen Kinder! –

Ulrich sprang auf voller Entsetzen, als wäre da aus dem See ein Scheusal aufgetaucht und schnappte nach ihm mit gierigem Rachen. Ein paar Minuten später saß er im Sattel, das Pferd, sobald er auf der Chaussee war, zu scharfem Trab antreibend, gefolgt von den verwunderten Blicken Herrn Blandows, der gegen seine Gäste aus der Stadt mit der Bemerkung nicht zurückhielt, daß ihm der Herr Baron seit seiner Reise sonderbar verändert vorkomme, fast, als ob es bei ihm nicht ganz richtig im Kopfe sei.


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