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Siebzehntes Kapitel.

Ulrichs Arm bebte und Eleonores Hand zitterte, während er sie durch den Saal führte, Frau Blandow folgend, welche zu einem kleinen Tisch in der fernsten Ecke des großen Raumes voranging, auf dem bereits für Eleonore gedeckt war.

Ein zweites Couvert kommt sofort, sagte Frau Blandow.

Vorausgesetzt, daß das gnädige Fräulein es gestattet, sagte Ulrich, zu Frau Blandow gewandt.

I, das gnädige Fräulein wird doch einem guten Freunde von ihrem Herrn Bräutigam keinen Korb geben! erwiderte die lustige Frau.

Darf ich bitten? murmelte Eleonore.

Sie hatten einander gegenüber Platz genommen und sprachen, während der Kellner die Suppe servierte, miteinander: Ulrich von seinem Ritt durch die Nacht, der infolge des Unwetters, anstatt in der Stadt, schon hier ein Ende gefunden; Eleonore von den Erlebnissen ihrer Reise: dem schlimmen Aufenthalt in dem überfüllten Wartesaal, dem ungastlichen Berliner Hof. Der Kellner, auch wenn er schärfere Ohren gehabt hätte, würde nicht herausgehört haben, was diesen beiden Menschen so tief die Seelen bewegte.

Der Kellner war gegangen, das zweite Gericht zu holen; in demselben Moment erhoben sie – jetzt zum erstenmale – ihre Augen und blickten sich an mit einem langen stummen Blick – einem Blick, der alles zusammenfaßte, alles enthielt: die Geschichte der Leiden, die sie, eines um des andern Liebe, erduldet; den Ausdruck der unsäglichen Wonne, sich wieder so Auge in Auge sehen zu dürfen; und daß, was auch geschehen sei, oder noch geschehe, sie niemals, niemals voneinander lassen könnten.

Und dann lächelten sie beide in der neu gewonnenen, seligen Sicherheit ihrer Liebe, und er flüsterte: Eleonore! und wie ein Hauch kam es zurück: Ulrich!

Und dann erschien der Kellner wieder, oder Herr und Frau Blandow traten für eine Minute an den Tisch, sich zu überzeugen, daß es an nichts fehle. Und der Kellner, der ihn schon oft bedient, und Herr und Frau Blandow hatten des Herrn Barons Augen noch nie so glänzen sehen. Der Röderer, den der Herr Baron hatte kommen lassen, konnte es nicht sein, denn er nippte kaum an dem Wein, während das gnädige Fräulein ihr Glas ganz herzhaft wiederholt leerte.

Der Nachtisch war aufgetragen; sie blieben fortan allein; durften unbelauscht sich in Versicherungen ihrer Liebe überbieten; die Erinnerungen der seligen Tage von Norderney zum andernmale durchkosten. Und immer neue holde Einzelheiten traten hervor, wie immer neue Sterne, je länger man in den nächtlichen Himmel blickt; das Gefühl der Unermeßlichkeit ihrer Liebe erfüllte ihre Seelen mit wonnevollem Schauder.

Aber von dem, was nun werden sollte, werden mußte, sprachen sie nicht, jedes in seiner Weise überzeugt, daß sie auf einem Strome trieben, gegen dessen Gewalt es für sie keinen Widerstand mehr gab. Du bist mein! sagte sein Blick; ich bin dein! gab ihr Blick zurück. Weshalb ihm da noch sagen, daß ihre Verlobung mit Guido nichts andres gewesen als ein hilfloses Ringen, aus dem strudelnden Strom sich ans Ufer zu retten? Weshalb ihr sagen, daß sein Versuch, eine Ehe wieder aufzunehmen, die er gebrochen hatte mit dem ersten Blick in ihre Augen, kläglich scheitern mußte an einer Liebe, die nur mit seinem Leben enden konnte?

Du lächelst, Geliebter?

Ich sehe in meines Geistes Aug' ein blaues Meer, dessen Wellen zu unsern Füßen verzittern. Und ob unsern Häupten in dem Palmenhain, der unsre Hütte überschattet, singen die Vögel.

Ich höre sie, Geliebter! sie singen wundersüß. Aber unter ihnen ist ein mocking-bird. Und ich bin der Vogelstimmen kund und verstehe seinen spöttischen Sang: Glück und Glas, wie bald bricht das!

Mag's doch, wenn's nur Glück war! Glaubst du nicht an unser Glück?

Ich glaube an unsre Liebe!

Ich kenne kein andres, habe nie ein andres gekannt, werde nie ein andres kennen! Und du? Herz meines Herzens, liebst du mich?

Mehr als mein Leben.

Ihre trunkenen Blicke schwammen ineinander, und ihre Seelen küßten sich, während ihre Gedanken weit auseinander irrten. Ihre letzten Worte, für ihn nur eine holde Liebesbeteuerung mehr – für sie waren sie von fürchterlicher Bedeutung.

Von fürchterlicher Bedeutung, die dennoch keinen Schrecken für sie hatte: nur den Glanz ihrer Augen erhöhte, um ihre Lippen ein Lächeln zaubernd, tödlich-schön, wie das der Medusa.

Frau Blandow trat an den Tisch, ein großes Bund Schlüssel in der Hand.

Verzeihung! Ich wollte den Herrschaften nur eine geruhsame Nacht wünschen. Ich hatte einen gar schweren Tag. Wollen die Herrschaften hernach hinaufgehen – die Zimmer sind jetzt schön warm. Das von dem Herrn Baron ist das vorletzte rechts auf dem Korridor, neben dem vom gnädigen Fräulein. Es waren die beiden einzigen, die wir noch frei hatten.

Während die Wirtin sprach, waren Ulrichs und Eleonores Blicke scheusam seitwärts geirrt und um ihre Lippen hatte es seltsam gezuckt.

Wenn ich mich von neulich recht erinnere, schlafen auch Sie oben, Frau Blandow? sagte Eleonore.

Ihre Stimme klang plötzlich verschleiert, wie heiser.

Freilich, erwiderte Frau Blandow; an dem andern Ende vom Korridor.

So gehe ich gleich mit Ihnen hinauf. Lassen Sie sich nicht derangieren, Herr Baron!

Verstatten Sie wenigstens, daß ich Sie bis zur Thür begleite!

An der Thür trennten sie sich mit einem Gute Nacht.

Diesmal waren ihre Blicke sich begegnet und hatten fest ineinander geruht mit dem Ausdruck glühender verzehrender Leidenschaft. Nur für einen Moment. Um im nächsten sich wieder zu senken, während derselbe tiefe Atemzug seine Brust und ihren Busen zu heben schien.

Ulrich war an den Tisch zurückgegangen und saß nun da, den Kopf in beide Hände gestützt, vor den geschlossenen Augen das Bild der Geliebten in seiner süßen Anmut, in den Ohren den Nachklang ihrer melodischen Stimme. Die Adern in den Schläfen klopften, das Herz in der Brust hämmerte, als wollte es seine Bande sprengen. Von Zeit zu Zeit richtete er sich mit einem leisen Stöhnen auf, stürzte ein Glas Wein hinunter und drückte die heiße Stirn wieder in beide Hände. Es war nicht auszudenken! es war, um auf der Stelle wahnsinnig zu werden! Aber das ungeheure Glück sollte ihn nicht wieder mutlos finden. Diesmal wollte er es fassen an der flatternden Stirnlocke. Fassen und halten – halten!

So mochte er eine Viertelstunde vor sich hingebrütet haben. Plötzlich, wie aus schwerem Traume erwachend, fuhr er von seinem Sitze auf und stand da, bebend an allen Gliedern mit wildklopfendem Herzen, auf das er krampfhaft die Rechte preßte, wie ein Spieler, der eben sein alles auf eine letzte Karte setzt.

Es ist nur das namenlose Glück, murmelte er, während die pressende Hand sich löste und langsam herabsank – das namenlose Glück!

An ein paar Landleuten vorüber, die noch allein in dem vorhin überfüllten Saal, in ihr Gespräch vertieft, rauchend und trinkend, seiner nicht achteten, schritt er langsam, gesenkten Hauptes durch den weiten Raum; dann über den unteren Flur, in den von der Küche her das Klappern von Tellern und die Stimmen der Mägde tönten, die matt erhellte Treppe hinauf, den langen schmalen Korridor entlang, auf der ihm niemand begegnete, bis zu der Thür, welche die zu seinem Zimmer sein mußte. Außer ihr gab es nur noch eine auf dieser Seite: die zu dem letzten, zu ihrem Zimmer.

Und wieder begann sein Herz den wahnsinnigen Schlag und zitterten ihm die Glieder.

Dann war er in seinem Zimmer, wo auf dem runden Tisch in der Mitte zwei Lichter brannten und sein Felleisen lag.

Die Lichter flackerten in dem Zug, der vom See her durch Fenster und Fensterthür blies, mit deren Jalousien der Sturm klapperte. Ulrichs glühender Blick haftete an der Thür, die sein Zimmer mit dem ihren verband. Die Thür war frei; der Schlüssel stak an seiner Seite. Er machte ein paar schnelle Schritte dahin und hatte sich dann doch nach der Fensterthür gewandt, die er aufriß, als ob nur die dumpfe Luft im Zimmer ihm die Brust bis zum Ersticken beklemmte. Auf dem schmalen Balkon, der hier an dem ganzen Stockwerk entlang lief, schlug ihm der Sturm entgegen, der über den aufgewühlten See heransauste. In die rabenschwarze Finsternis, die vor ihm gähnte, fiel, wie aus seinem Zimmer, ein paar Schritte links von ihm über den Balkon ein zweiter, matterer Schein.

Und in dem matten Schein sah er eine dunkle Gestalt, die sich jetzt von der Brüstung des Balkons, auf die sie sich gelehnt hatte, aufrichtete.


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