Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Die Generalin hatte Clementine und Eleonore unter dem Vorwand, daß sie für den erwarteten Besuch eine recht hübsche Toilette machen möchten, in das Haus geschickt. Sie wollte für eine halbe Stunde mit Hertha allein sein. Glücklicherweise hatte Hertha Helenen mitgebracht. So konnte sie auch Kittie, die bei ihr war, loswerden. Helene liebte die Blumen so. Kittie möchte so gut sein, dem Kinde einen recht schönen Strauß pflücken zu helfen.

Die Damen saßen auf leichten Stühlen im dichten Schatten der hohen Platanen unter dem Zeltdach, mit welchem ein Teil der Terrasse überspannt war. Die Generalin hatte die schicklichen Fragen gethan nach Ulrich, seinem Befinden, das sicher jetzt ein ausgezeichnetes sei; dem Befinden der beiden andern Kinder, auf deren Kommen sie sich nun vergeblich so gefreut habe; dem Stande der Wirtschaft, der natürlich nichts zu wünschen lasse. Herthas Antworten waren noch zurückhaltender gewesen, als schon sonst, und ihre halb zerstreute, halb düstere Miene gefiel der Generalin ganz und gar nicht. Mit übelgelaunten Leuten ist nichts anzufangen, besonders, wenn man etwas von ihnen haben will. Aber die Zeit drängte: Clementine und Eleonore konnten jeden Augenblick kommen; Kittie würde auch nicht ewig mit dem Kinde Blumen pflücken, und Hertha hatte, trotz aller Bitten, nicht ablegen wollen, würde also schwerlich lange bleiben.

Wie kommst du mit der neuen Gesellschafterin zurecht? fragte Hertha, eine kurze Pause, die im Gespräch entstanden war, unterbrechend.

Der Generalin schoß durch den Kopf, daß sie auch von diesem Punkte zu ihrem Thema gelangen könne.

Liebes Kind, erwiderte sie, frage mich nach vier Wochen wieder! Ich habe vorläufig nur die eine Seite der Medaille und auch die nur sehr flüchtig gesehen.

Wie heißt sie?

Eleonore Ritter. Ich nenne sie kurzweg Eleonore. Man muß den Leuten entgegenkommen, wenn man sie an sich attachieren will; du weißt, ich kann anders mit Menschen nicht leben. In diesem Falle – ich will es nur ganz offen gestehen – sind die Avancen, die ich, vielleicht etwas übertrieben, dem Mädchen mache, nicht ohne einen Nebengedanken, den man egoistisch nennen könnte, wenn etwas, das eine Mutter für eine Tochter thut, überhaupt in diese Rubrik gerechnet werden darf.

So hast du sie wohl hauptsächlich für Clementine engagiert?

Die Generalin staunte innerlich über eine so absurde Frage, antwortete aber, ohne sich zu besinnen:

Nun ja! auch für Clementine, um sie in ihrem Englisch zu fördern, das ja ihr Steckenpferd ist. Und Fräulein Ritter ist eine perfekte Engländerin. Kein Wunder, nachdem sie vier Jahre en suite Gesellschafterin in dem Hause eines Lords gewesen ist! Und Kittie hat jetzt plötzlich auch eine Passion für das Englische gefaßt. Du weißt warum?

Ich habe keine Ahnung.

Sie liebt Graf Guido.

Thut sie das?

Leidenschaftlich. Aber das ist doch keine Neuigkeit für dich.

Ich habe bis jetzt nur gewußt, daß du sie mit ihm verheiraten willst.

Ein alter Lieblingswunsch von mir; ich leugne es nicht. Aber das eine schließt das andere nicht aus.

Gewiß nicht. Mir scheint nur die Hauptsache, wie sich Graf Guido zu dem Projekte stellt.

Das ist es eben, rief die Generalin, die entschlossen war, sich durch den mehr als kühlen Ton Herthas nicht abschrecken zu lassen. Aber du kennst ihn ja: er ist so schüchtern, so unentschieden, so inkonsequent. Jetzt wieder: er weiß, daß wir in Berlin sind. Vierundzwanzig Stunden später ist er auch da, natürlich doch nur Kitties wegen, um weniger auffällig als hier auf dem Lande, wo jeder jeden ausspioniert, mit ihr verkehren zu können. Dann läßt er doch wieder acht Tage vergehen, bis er sich ein Herz faßt, um – du wirst lachen – Tante Excellenz zu bitten, daß sie uns gemeinschaftlich einladet. Am Abend ist Kittie – selbstverständlich – sehr reserviert; er Feuer und Flamme. Am folgenden Morgen reisen wir hierher; ich in der festen Meinung, daß er uns auf dem Fuße nachfolgen wird. Was thut er? Er fährt nach Hannover zu seinem alten Stiefonkel, der wieder einmal sterben will! Wie findest du das?

Hertha zuckte die Achseln.

Ja, mein Gott, Mama, man kann doch niemand zur Heirat zwingen, wenn er keine Lust hat.

Die Generalin wünschte in diesem Augenblicke dringend, Hertha möchte zwanzig Jahre jünger sein, um ihr für ihre »Froschblütigkeit« ein paar Ohrfeigen geben zu können. Dafür sagte sie dann mit der scheinbar unbefangensten Miene:

Liebes Kind, wie du redest! Wer spricht von zwingen! Encouragieren ist doch nicht zwingen! Wenn er – ganz gewiß mit Rücksicht auf seine Mama, an deren Schürze er ja von jeher gehangen hat – keine Courage besitzt, so muß man sie ihm eben machen. Mehr sage ich nicht.

Steht Fräulein Ritter mit deinem Projekte in einem Zusammenhang? fragte Hertha.

Die Generalin erstaunte: so viel Scharfsinn hätte sie Hertha nicht zugetraut. Aber die Frage kam ihr gerade recht.

In einem etwas entfernten allerdings, erwiderte sie lachend. Denke dir: ich habe sie am Mittag engagiert, weil sie mir soweit ganz leidlich schien, hauptsächlich aber, um aus der Qual der Wahl endlich herauszukommen. Am Abend bei unsrer alten Excellenz erzähle ich das und nenne den Namen. Ich bemerke, wie der Graf bei dem Namen aufhorcht, und frage ihn, ob er die Dame zufällig kenne? Er wird rot – was nichts Außergewöhnliches bei ihm ist –: ja! er hat sie kennen gelernt, als er vor vier Wochen von Hannover nach Berlin fuhr. Er wolle gestehen, daß die Dame ihm durch ihr zugleich bescheidenes und vornehmes Wesen, ihren Geist und Gott weiß was sehr – ich glaube, er sagte sogar: ausnehmend – gefallen habe, und gratulierte mir: zu einer ›so kostbaren Acquisition‹. Du siehst: hätte ich sie nicht schon engagiert gehabt, so würde ich jetzt haben engagieren müssen.

Natürlich, sagte Hertha, jedenfalls ist sie in deinem Hause, beständig unter deinen Augen, für Kittie weniger gefährlich, als irgendwo sonst.

Aber Kind, Kind! rief die Generalin. Nimm es mir nicht übel: du bist heute wirklich unbegreiflich. Graf Guido eine Gouvernante heiraten!

Warum nicht? entgegnete Hertha. Das ist schon dagewesen. Aermer, als ich war, kann sie auch nicht sein. Ob Hertha Niemann besser klingt als Eleonore Ritter, weiß ich nicht. Gelernt hat sie jedenfalls ein gut Teil mehr als ich.

Hier schien es der Generalin geraten, schmerzlichleise aufzuschluchzen und ihr Taschentuch an die Augen zu führen.

Ich habe dir nichts Böses sagen wollen, fuhr Hertha nach einer kleinen Pause fort. Mir ist heute nicht ganz wohl. Die Hitze unterwegs hat mich noch mehr angegriffen. Es ist besser, wenn ich nach Hause fahre.

Um Himmels willen, rief die Generalin, Hertha, die sich erheben wollte, die Hand auf den Arm legend. Bevor ich dir auch nur meine Bitte habe vortragen können!

Was ist es?

Wie soll ich es sagen, wenn du so wenig freundlich zu deiner alten Mama bist, die sich so sehr für euch sorgt! Jetzt um Kittie. Es ist doch nun einmal ihr und mein Herzenswunsch, daß sie Guido heiratet, und du hast recht: die Sache liegt noch im weiten Felde. Aber es wäre schrecklich, wenn nichts daraus würde; der armen Kittie würde das Herz brechen. Und, Hertha, du kennst meine miserabeln ökonomischen Verhältnisse besser als irgend jemand. Von Clementine kann selbstverständlich nicht die Rede sein. Kittie ist meine einzige, meine letzte Hoffnung. Sie muß eine reiche Partie machen. Ein reichere als diese wird sie schwerlich jemals finden, und eine, für die, alles in allem, die Chancen so günstig liegen. Und sieh, da habe ich nun in meiner mütterlichen Sorge und Angst gedacht: Guido hält so unendlich große Stücke auf dich und deinen Mann. Das hat er selbst mir tausendmal gesagt. Wenn nur ihr euch ein wenig ins Mittel legen wolltet? Ich bin überzeugt, er thut es, wenn ihr ihm zuredet, es ihm in dem möglichst günstigen Lichte zeigt. Aber ihr müßt es bald thun. Guido wird im Herbst achtundzwanzig – das ist die Zeit, in welcher die Männer sich arrangieren wollen. Ich dankte Gott, als er in diesem Jahre unverlobt aus England zurückkam. Ich wußte, daß er dort ein lebhaftes Verhältnis mit einer vornehmen und reichen jungen Dame angeknüpft hatte. Wer weiß, was das nächste Mal passiert! Ich bin nicht eher ruhig, als bis die Verlobungskarten verteilt sind. Nicht wahr, Hertha, du thust ein Uebriges für die arme Kittie und für deine alte Mutter?

Ich bin so ungeschickt in solchen Dingen, sagte Hertha.

So sprich wenigstens mit deinem Manne!

Er ist so verstimmt von der Reise zurückgekommen, so teilnahmlos an allem. Es vergehen Tage, wo wir keine fünf Worte miteinander sprechen.

Die Generalin horchte hoch auf: also ein Zerwürfnis! Zu einer andern Zeit hätte sie nichts dagegen gehabt: in dem trüben Wasser einer unglückliche Ehe fischt es sich besser, als in dem klaren einer harmonischen; aber für den Augenblick kam es ihr ungelegen.

Ach was! sagte sie. Die Männer sind launisch; heute so, morgen so; daraus darf man nichts machen. Und aus einem Seebade verstimmt zurückkommen, ist ganz polizeiwidrig. Ich habe mich immer prachtvoll in Ostende und Schevenigen amüsiert. Freilich, Norderney mag ein bißchen langweilig sein, meint Fräulein Ritter auch.

Ist sie in Norderney gewesen?

In diesem Sommer, in derselben Zeit, wie dein Mann – nach meiner Berechnung. Uebrigens kannst du sie ja selbst fragen. Ich weiß nicht, wo die Mädchen bleiben. Ach! da sind sie!

Eleonore und Clementine waren eben aus dem Hause getreten und kamen durch den Blumengarten auf die Terrasse zu, unterwegs von Helene angehalten, die noch immer mit Kittie zwischen den Beeten sich umgetrieben hatte und jetzt Tante Clementine entgegengesprungen war. Sie sprachen mit dem Kinde, das ihnen von den gepflückten Blumen reichte, wofür es von Clementinen einen Kuß erhielt. Dann hatte auch Eleonore sich herabgebeugt und sie geküßt.

Wie gefällt sie dir? fragte die Generalin mit der Lorgnette vor den Augen.

Ich dächte, sie wäre sehr schön, erwiderte Hertha.

Findest du? Nun ja, sie ist nicht übel, sagte die Generalin selbstgefällig. Eine häßliche, weißt du, hätte ich mir auch nicht genommen. – Nun, meine jungen Damen, Sie haben uns ja lange warten lassen! Darf ich dich mit Fräulein Eleonore Ritter bekannt machen, liebe Hertha?

Hertha, welche Clementinen die Hand gereicht hatte, bot sie jetzt auch Eleonoren.

Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, liebes Fräulein, sagte sie; hier, meine Helene hat sie schon begrüßt. Ich habe noch zwei von der Sorte zu Hause. Vielleicht sehen Sie sich auch die einmal an.

Sobald die Frau Generalin es verstattet, erwiderte Eleonore.

Aber selbstverständlich! rief die Generalin. Wir kommen in den nächsten Tagen allesamt zu euch hinüber. Und jetzt, Hertha, mußt du hier bleiben und eine Tasse Thee mit uns trinken, ohne Umstände, hier auf der Terrasse. Ich werde gleich Befehl geben.

Darf ich, gnädige Frau? fragte Eleonore.

Danke, liebe Eleonore; das könnte ja auch Clementine besorgen. Ich muß so wie so hinein. Wie lieb von dir!

Sie hatte Hertha, die jetzt ihren Hut abgelegt hatte, auf die Stirne geküßt und war gegangen.

Unterdessen könnte Fräulein Ritter Hertha ihre Aquarelle zeigen, sagte Kittie. Bitte, bitte, liebste Eleonore!

Eleonore hatte am Vormittag von der Terrasse aus eine Skizze von dem See und dem gegenüberliegenden Ufer begonnen, Malutensilien und die Mappe dann in das Borkenhäuschen in einer der hinteren Ecken der Terrasse gelegt, um sie morgen gleich wieder zur Hand zu haben. Unter den wenigen Skizzen in der Mappe befand sich zufällig eine, welche sie außer den beiden, die sie am letzten Morgen Ulrich geschickt, in Norderney gemalt hatte.

Ich weiß nicht, ob die gnädige Frau sich dafür interessiert, sagte sie unsicher.

Ich habe sogar eine Vorliebe für Aquarelle, entgegnete Hertha, wenn jemand, der in seinem Leben so wenig Kunst gesehen hat, wie ich, von einer Vorliebe sprechen kann.

Kittie hatte die Erlaubnis nicht abgewartet und kam jetzt mit der Mappe herbei, deren Blätter auf dem Tisch ausgebreitet wurden. Auf jedem stand unten in der Ecke mit schwarzer Tusche in Eleonorens deutlicher Schrift Name des Gegenstandes und Datum. Es kam, wie sie mit Herzklopfen vorausgesehen.

Also das ist Norderney, sagte Hertha, eines der Blätter in den Händen haltend.

Die Rhede auf der Südseite und ein Teil des Dorfes, erwiderte Eleonore, sich tausend Meilen weit von der Stelle wünschend.

Mama hatte mir schon gesagt, daß Sie in diesem Sommer dort gewesen sind; und wie ich aus dem Datum sehe, zu gleicher Zeit mit meinem Mann, Sie haben ihn nicht zufällig kennen gelernt?

Ich war nur so kurze Zeit dort, gnädige Frau – kaum vierzehn Tage.

Aber vielleicht gesehen?

Wohl möglich, gnädige Frau.

Und erkennen ihn nach diesem Bilde wieder. Es ist noch immer sehr ähnlich, obgleich es schon zwölf Jahre alt ist.

Sie hatte ein Medaillon, das sie an einem goldenen Kettchen um den Hals trug, aus dem Busen gezogen und reichte es samt dem Kettchen, das sie über den Kopf streifte, Eleonoren geöffnet hin. Ein vortreffliches kleines Brustbild. Dieselben Augen, in die sie so tief geblickt, die so oft mit dem Ausdruck innigster Liebe an ihr gehangen! Das Medaillon, das sie in den kalten, bebenden Händen hielt, noch warm von der Wärme des Herzens, auf dem es geruht – dem Herzen seiner Gattin! Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe.

Ich erinnere mich doch nicht, gnädige Frau, sagte sie.

Nun ja, erwiderte Hertha, das Medaillon wieder an sich nehmend; ich denke mir so ein Bad wie einen Jahrmarkt, wo man sich durcheinander schiebt und drängt, ohne sich zu kennen.

Sie hatte das Blatt wieder zur Hand genommen.

Trostlos! murmelte sie, ich hielte es da keine Stunde aus. Mein Mann ist über vier Wochen da gewesen. Sie sind ihm schlecht genug bekommen.

Geht es Ulrich nicht gut? fragte Clementine schüchtern.

Gar nicht, erwiderte Hertha; er ist kaum wiederzuerkennen. Und dabei habe ich ihm noch zugeredet, hinzugehen und länger zu bleiben, während jeder Tag Gift für ihn war!

Papa mag uns auch gar nicht mehr leiden, sagte die kleine Helene zu Eleonore, an deren Knie sie lehnte.

Er mag euch gewiß leiden, wenn ihr artig seid, erwiderte Eleonore, dem Kind das dunkle Haar aus der feinen Stirn streichend.

Ich habe dich viel lieber als Mademoiselle, flüsterte das Kind, sich enger an sie schmiegend und mit den großen tiefblauen Augen schwärmerisch zu ihr aufblickend.

Ein Schauer durchrieselte Eleonore: sie glaubte in Ulrichs Augen zu sehen.

Darf ich bitten! sagte die Generalin herantretend. Ländlich, sittlich! Ein Schelm giebt mehr als er hat. Unter dem Zelte war es noch so schwül. Ich habe ganz im Freien decken lassen. Es ist euch doch recht?

Es ist alles recht, was du thust, herzliebes Mamachen! rief Kittie, die Mutter umarmend.

Wenn doch alle so dächten, mein süßes Kind! sagte die Generalin.

Der Abend war herrlich. Von dem Tisch, der dicht an die Balustrade der Terrasse gerückt war, hatte man den freien Blick über den See nach dem Ufer drüben, dessen Wälder im letzten Abendrot glühten. Unter dem wolkenlosen Himmel erschien die Wasserfläche wie ein metallener Spiegel. Von dem Städtchen her, das, am südlichen Ende des Sees gelegen, den Blicken verdeckt war, hatte sich eine ganze kleine Flotille von Ruderböten aufgemacht, von denen dann und wann gedämpftes Lachen herüberschallte. Kam eins nahe genug, konnte man auch wohl die Leute sprechen hören. Ein winzig kleiner Remorqueur mit ein paar großen, kornbeladenen Booten hinter sich, schaufelte, von einem der am Nordende gelegenen Güter kommend, dem Städtchen zu; die von ihm aufgerührten Wellchen plätscherten leise unten an die Terrassenmauer. Da die Sonne landwärts bereits hinter das Haus gesunken war, saß man im vollen Schatten, während noch purpurne Lichter durch die Wipfel der mächtigen Platanen spielten, in denen die Vögel zwitschernd und zirpend ihr abendliches Wesen trieben.

Die Generalin, welche in der besten Laune war, führte die Konversation fast allein. Sie gab eine ausführliche Schilderung der beiden Hoffeste, die sie während des Winters mitgemacht hatte, und bei denen Kittie zum erstenmal den höchsten Herrschaften vorgestellt war. Ihre Rede wandte sie zumeist an Hertha, die nur einsilbige Antworten gab und erst lebendiger wurde, als die Mutter, das Thema zu wechseln, auf die ländlichen Verhältnisse des Kreises zu sprechen kam, über die sich nun mit einer Gründlichkeit und augenscheinlicher intimster Kenntnis aller einschlägigen Details verbreitete, welche dem erfahrensten Landmann Ehre gemacht haben würden, Eleonore hatte für diese Dinge nicht das mindeste Interesse, aber sie mußte sich den Anschein einer aufmerksamen Zuhörerin geben, da Hertha sich jetzt so ausschließlich an sie wandte, wie vorhin die Generalin an jene.

Dabei hörte sie, sah sie alles um sich her nur wie in einem wirren, beängstigenden Traum, aus dem man vergeblich zu erwachen strebt. Sie hatte ja, als sie vor vier Tagen sich zu der Dame begab, welche »eine Gesellschafterin suchte«, keine Ahnung von dem gehabt, was ihr bevorstand, und nun war ihr doch, als habe sie geflissentlich diese fürchterliche Situation aufgesucht. Wenn die Frau da ihr gegenüber, die so freundlich zu ihr sprach, wüßte, was sie ihr gethan – das Tischtuch würde sie zwischen sich und ihr zerschneiden! Wenn jemand dem Kinde hier an ihrer Seite sagte: Das ist die, die deinen Vater krank gemacht hat, um derenwillen er dich und deine Geschwister nicht mehr liebt – mit Abscheu würde es sich von ihr wenden.

Immer wieder mußte sie verstohlen nach dem Kinde blicken, desgleichen sie selbst in England, dem Lande der schönen Kinder, nicht gesehen hatte. Mit der Frau hätte sie noch um seine Liebe kämpfen können, dieses Kindes wehrlose Unschuld entwaffnete sie.

Auf den Wäldern drüben war das Abendrot verblichen; an dem ländlichen Wirtshause schräg gegenüber am Ufersaum funkelte noch ein Fenster wie ein Leuchtturmfeuer; jetzt erlosch auch das. In den Wipfeln der Platanen begann es leise zu rauschen in einem kühleren Lufthauch, der vom See heraufwehte.

Es ist die höchste Zeit für uns, sagte Hertha, sich vom Tisch erhebend; wir haben über eine Stunde zu fahren; es wird dunkel werden, bevor wir nach Hause kommen.

Alle hatten sich erhoben und standen und sprachen durcheinander.

Es bleibt also dabei, daß wir euch in den nächsten Tagen besuchen, sagte die Generalin.

Ich rechne mit Bestimmtheit darauf, daß Sie mitkommen, sagte Hertha, sich zu Eleonore wendend.

Ach ja, Tante Eleonore! rief Helene, die Arme zu ihr emporstreckend und die Lippen zum Kuß bietend.

Sie küßte das holde Geschöpf. Als sie sich aufrichtete, waren ihre Augen naß und ihre Stimme zitterte, als sie zu Hertha sagte:

Ich werde gern kommen, gnädige Frau.

Man war durch den Garten und das Haus gegangen, vor dessen Portal der angespannte Wagen hielt. Hertha und die Kleine waren bereits eingestiegen, als Hertha sagte:

Hat niemand Lust, eine Strecke mitzufahren? Platz genug ist.

Ich bin zu müde, Kind, sagte die Generalin.

Ich danke auch, sagte Kittie.

Clementine und Eleonore hatten einander angeblickt.

Ihr beide habt Lust, ich sehe es, sagte Hertha. Clementine als die schmalste, setzt sich mit Helene auf den Rücksitz; Fräulein Eleonore kommt zu mir. Hüte und Tücher braucht ihr nicht. Der Abend ist so warm und es begegnet uns kein Mensch. So, das ist recht! Also adieu, Mama! Adieu, Kittie! Auf Wiedersehen!

Der Wagen, jetzt mit seinen vier Insassen rollte davon.

Die Generalin und Kittie standen noch in dem Portal.

Weißt du, mein süßes Kind, sagte die Generalin mit einem Blick nach der Richtung, in welcher der Wagen verschwunden war, das ist eine gefährliche Person.

Ich habe es nur nicht sagen mögen, bis mein kluges Herzensmamachen es selbst herausgefunden hatte, erwiderte Kittie.


 << zurück weiter >>