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Neuntes Kapitel.

Das Otterndorfsche Restaurant war heute mittag wenig besucht. Neulinge kamen keine; selbst von den Stammgästen war wohl die Hälfte ausgeblieben. Infolgedessen war Herr Otterndorf sehr übler Laune, aus der er kein Hehl machte. Da laufe nun heute alles in die großen Restaurants und lasse sich mit übel zubereiteten Speisen und gefälschten Weinen vergiften, nur um über das Unglück am Strande reden zu können! Er verbiete auch niemand den Mund. Und was sei da viel zu sagen? Wo Holz gehauen werde, fielen auch Späne, und wo im Meer gebadet werde, kämen Unglücksfälle vor. Das Meer habe keine Balken, in Norderney so wenig wie in Ostende oder Scheveningen, wo jedes Jahr mindestens ein halbes Dutzend Menschen ertränke, während es sich doch hier nur um zwei handle, denn die dritte Dame sei ja aus aller Gefahr. Da würden nun die Zeitungen ein Geschrei erheben, das für zwölf ausreiche; und da wundere man sich, wenn der Besuch des Bades von Jahr zu Jahr abnehme! Ihm sei es gleich. Er könne sein Restaurant jeden Tag zumachen. Für die paar Menschen zu kochen, verlohne sich schon längst nicht der Mühe.

Wenn man den Mann so reden hört, sagte Eleonore, als Herr Otterndorf sich zu einem andern Tisch gewandt hatte sollte man meinen, er habe kein Herz in der Brust. Und dabei erzählte mir zufällig heute morgen meine Wirtin, daß er vor ein paar Jahren die Mannschaft von einem gestrandeten Schiff mit Gefahr des eigenen Lebens gerettet habe und stets der erste sei, wenn es gelte, Hilfe zu bringen. Aber diese Menschen hier sind wie die Engländer, die, um Himmels willen nicht als weibisch zu erscheinen, sich lieber den Anstrich von Barbaren geben.

Und dadurch doch wohl nur beweisen, erwiderte Ulrich, daß sie trotzdem mindestens noch Halbbarbaren sind. Die Griechen Homers schämen sich nicht der Thränen, ohne zu fürchten, dadurch an ihrer Mannheit etwas einzubüßen.

Ich zanke mich heute mit Ihnen nicht, sagte Eleonore lächelnd. Der Morgen war heute so entsetzlich traurig, daß ich mir fest vorgenommen habe, für den Rest des Tages auch nicht eine Grille mehr zu fangen. Sagen Sie ganz offen, ob Sie auf das Programm eingehen können! Sonst habe ich nicht den Mut, eine Bitte an Sie zu richten, deren Erfüllung auch so schon Ihre ganze Liebenswürdigkeit herausfordert.

Da es meines Wissens die erste ist, die Sie an mich richten, mein gnädiges Fräulein, wäre es wohl mehr als ungalant, sie Ihnen abzuschlagen.

Also denn. Ich möchte, nachdem ich die ganzen letzten Tage sträflich faul gewesen bin, endlich wieder einmal etwas für meine Studienmappe thun. Und dann gleich etwas Großes: die Weiße Düne! Unsre Spaziergänge haben nie so weit geführt, und allein möchte ich die Expedition nicht unternehmen. Sie sind wiederholt dagewesen und kennen das Terrain, um von Weg und Steg, die es ja hierzulande nicht gibt, nicht zu sprechen. Wollen Sie?

Können Sie fragen?

Gut. Wieviel Zeit brauchen wir?

Wenn ich zwei Stunden auf das Malen rechne, sechs.

Also sagen wir fünf. Es ist jetzt vier.

So können wir um neun zurück sein. Das ist früh genug; die Sonne ist dann kaum untergegangen. Wir müßten freilich sofort aufbrechen.

Vorausgesetzt, daß Sie sich erst einen Ueberzieher holen.

Den ich nie trage; aber ohne ein Plaid für Sie thue ich es nicht.

Womit Sie sich natürlich schleppen werden.

Natürlich, ebenso wie mit Ihrer Mappe. Ich habe beides schon mitgebracht; Sie sehen, wie sicher ich auf Sie rechnete.

Ich hoffe, Sie haben schon stärkere Beweise Ihrer Rechenkunst gegeben.

Finden Sie nicht, daß Sie heute eine entschiedene Neigung haben, malitiös zu sein?

Schon möglich. Ich habe heute morgen etwas viel in Sentimentalität geleistet. Da wäre es denn die natürliche Reaktion.

Also doch auch der Halbbarbar, der sich seiner Gefühle schämt?

Man muß es wohl werden, wenn man, wie Ovid bei den Skythen, unter lauter Halbbarbaren lebt.

Zu denen dann selbstverständlich auch ich gehöre?

Nur, wenn Sie mir nicht sofort, aber sofort! das Plaid und die Tasche ausliefern.

Er hatte ihr vor der Thür des Restaurants, wo der letzte Teil der Unterhaltung stattfand, lachend die Sachen aus den Händen genommen, und so, weiter lachend und plaudernd, gingen sie die kurze Strecke durch das Dorf; dann, vorüber an der »Giftbude«, zum Strande hinab, der sich schier endlos vor ihnen hinstreckte, und auf dem sich heute an der Küste einer unbewohnten Insel zu wähnen, keiner besonderen Einbildungskraft bedurfte. Denn die Sonne stand noch hoch; bis zur Promenadenzeit fehlten Stunden; auch nicht ein Mensch ließ sich blicken. Und doch marschierte es sich so prächtig in diesem Glanz der Nachmittagssonne, deren Glut ein frischer Wind vom Meere her wohlthätig kühlte, unmittelbar am Wogenschlage; auf diesem Strand, über dessen elastischen Sand sie mühelos dahinschreiten konnten, als ob sie von Flügeln getragen würden. Und manchmal gab es einen Sprung zur Seite, wenn der zerstiebende Schaum einer Brandungswelle neckisch hoch hinaufleckte, oder über eine der Rinnen, in denen krystallklares Wasser aus den kleinen Seen, die von der letzten Flut zurückgeblieben waren, nach dem Meere rieselte. Einmal gerieten sie auf eine schmale langgestreckte Halbinsel, zwischen deren Spitze und dem fortlaufenden festen Strande ein Bach floß, der nicht zu überspringen war. Eleonore hatte es vorausgesagt.

Sie verdienten, rief sie, daß ich mich jetzt von Ihnen hinübertragen ließe.

Ich bin zu jeder Buße bereit, selbst zu einer so schweren.

Freilich, Sie wissen ja, wie schwer ich bin! Aber gerade deshalb habe ich Mitleid mit Ihnen. Also: retournons sur nos pas! Und wenn Ihnen ein andermal ein verständiges Frauenzimmer einen Rat gibt, so verlassen Sie sich nicht auf Ihre Weisheit, die ein jämmerlich Stückwerk ist!

Sie war lustig, übermütig, wie Ulrich sie nie gesehen, nie geglaubt hatte, daß sie sein könne. Und in ihrem Uebermut so vornehm damenhaft wie in ihrem Ernst. Er meinte, wenn er ihre glänzenden Augen sah, sein Blick über ihre schlanke, elastische Gestalt glitt, sein Ohr den manchmal halb vom Winde verwehten, von der Brandungswelle verschleierten Ton ihrer weichen, tiefen Stimme trank, die so lustig zu scherzen wußte, er habe sie vor heute noch nicht geliebt. Aber nun müsse ein Schiff gefahren kommen und sie beide an Bord nehmen und sie tragen zu einer fernen, fernen Insel voll eitel Sonnenschein und Vogelsang und unsäglicher, unendlicher Liebe. Und dann sah er Jantje aus dem Hause rennen mit dem Briefe, in welchem stand, daß er morgen abreisen wolle; und seine Hand zuckte in die Luft, als könne er so die Eilige zurückhalten, die das Todesurteil trug, das er sich selbst geschrieben. Dann kam ein Scherzwort von ihr, und er gab ein Scherzwort zurück. Nein! sie sollte, sie durfte nicht wissen, wie es um ihn stand! Und sie wußte es offenbar nicht und meinte sicher, sie habe sich doch geirrt, als sie heute morgen aus seinen Augen das stumme Geständnis seiner Liebe zu lesen geglaubt hatte. Und daß sie wahr und wahrhaftig die guten Kameraden seien, wie sie es von Anfang an gewollt und gewünscht. Morgen würde sie anders denken. Aber morgen war er fort und brauchte nicht mehr das Entsetzen über die unglückselige Entdeckung in ihrem erbleichenden Gesicht zu lesen.

Sie waren so schnell, daß es ihnen beiden wundersam erschien, bis zu dem fernen Punkte gelangt, wo man, nach Ulrichs Erfahrung, von dem Strande, der dann unsicher wurde, in die Dünen abbiegen mußte, um nach einer kurzen Wanderung bis zu dem inselwärts gekehrten Fuß der Weißen Düne zu gelangen. Einer kurzen Wanderung, die aber doch beschwerlich genug war, trotzdem Ulrich die Hauptschwierigkeiten des Terrains zu umgehen suchte, im Widerspruch mit Eleonore, die lachend behauptete, daß es für sie keine unüberwindlichen Hindernisse gebe; und wieder lachte, wenn sie dann doch ihren Willen durchgesetzt hatte, und beide vor einer allzu steilen Wand, die sie bis zur halben Höhe mühsam erklommen, Hand in Hand wieder in den Thalkessel hinabrutschten.

Sie sind ein wahres Kind, sagte Ulrich. Wie wollen Sie denn hernach einen vernünftigen Strich machen können, wenn Sie sich so echauffieren und abmüden!

Dann male ich eben heute nicht. Die Welt wird dadurch nicht ärmer. Nebenbei bin ich überzeugt, Ihre vielgepriesene Weiße Düne verlohnt sich nicht der Mühe.

Noch fünf Minuten Geduld! Wenn Sie dann Ihr unbedachtes Wort nicht zurücknehmen, so –

Nun?

Verstehe ich von Naturschönheit nichts. Ist das nicht Strafe genug?

Mehr als ausreichend. Und wenn ich es zurücknehmen muß?

Darf ich mir aus Ihrer Mappe ein Blatt wählen.

Sonst pflegt man sich für eine gewonnene Wette belohnen zu lassen.

Ich könnte Ihnen gleich eine zweite Wette proponieren, die ich ebenso sicher gewinnen würde.

Nämlich?

Daß es Ihnen, Sie mögen sagen und thun, was Sie wollen, nicht gelingen soll, aus mir eine Phrase herauszubringen. Was gilt's?

Gar nichts. Ich danke Gott, daß ich endlich einen Mann gefunden habe, der keine Phrasen macht.

Aber die erste Wette?

Gilt. Und nun avanti! avanti! Ich sterbe vor Neugier.

Es war nur noch eine mäßige Hügelwelle zu übersteigen. Schnell war der Rand erreicht, und Eleonore blieb mit einem leisen, bewundernden Ah! stehen.

Unter ihnen senkte sich eine weite längliche Thalmulde, in der aus dem blendend weißen Sande auch nicht ein grünlicher Grashalm oder gelber Strandhafer, keine bläuliche Distelstaude wuchs, und deren Ränder, mehr oder weniger hoch, sich überall scharf von dem Himmel absetzten; links aus der Mulde die Pyramide der Weißen Düne, auf mehreren, Etagen zu dem völlig platten oberen Ende sich gipfelnd, hier, wo jede Dimension fehlte, schier riesenhaft anzuschauen. Ueber dem seltsam-erhabenen Wüstenbilde ein tiefblauer Himmel, an dem kein kleinstes Wölkchen zu entdecken war.

Sie haben gewonnen, sagte Eleonore, tief aufatmend, und reichte Ulrich die Hand. Aber das kann man nicht malen. Ich wenigstens nicht.

Versuchen Sie's!

Wenn Sie mir aufs Wort glauben, daß es nichts Rechtes wird und werden kann.

Es wird mir schwer; aber ich habe mich längst gewöhnt, Ihnen alles zu glauben.

So lassen Sie uns einen guten Standpunkt suchen!

Der Punkt war bald gefunden, etwas rechts von der Stelle, wo sie die letzte Kette überstiegen hatten, ein wenig unter dem Hügelrande auf einem Vorsprung, der im Schatten lag und groß genug war, ihnen beiden bequemen Raum zu gewähren. Eine geringe Erhöhung im Sande diente Eleonore als Feldstuhl. Ulrich hatte ihr Plaid darüber gebreitet, auf Eleonorens Geheiß so, daß ihm noch ein Stück davon, sich darauf auszustrecken, blieb.

Sie dürfen auch einschlafen, sagte sie; zusehen, während ein anderer malt, ist ein langweiliges Geschäft.

Vielleicht bin ich als Staffage zu verwenden.

Als Löwe zum Beispiel, der sich drüben halben Leibes über den Dünenrand hebt mit funkelnden Augen und gesträubter Mähne. Apropos! Was würden Sie thun, wenn da wirklich ein Löwe erschiene?

Mich ihm entgegenwerfen und von ihm zerreißen lassen, damit Sie Zeit zur Flucht gewinnen.

Und Sie glauben, ich würde davonlaufen?

Ich wüßte nicht, daß Sie etwas Gescheiteres thun könnten.

Ich würde es nicht. Verlassen Sie sich darauf! Uebrigens ist es doch ganz gut, daß kein Löwe da ist, uns beim Wort zu nehmen.

Sie kramte in ihren Malsachen und hatte schnell das Nötige beisammen.

So! sagte sie, nun kann ich anfangen. Es wird eine Blamage, ich sag's ihnen noch einmal. Das könnte nur etwa Böcklin malen. Aber Sie wollen es ja nicht besser. Es stört mich nicht, wenn Sie sprechen – im Gegenteil! Sollte ich gelegentlich nicht antworten, so denken Sie, daß ich inzwischen in den Himmel der Kunst entschwebt bin.

Zusehen darf ich nicht?

Um keinen Preis! Machen Sie sich's auf dem Plaid bequem – je bequemer, desto beruhigender für mich. Sie können auch aufstehen und hin und her gehen. Nur nicht hinter mich treten!

Sie begann zu malen. Ulrich war ihrem Geheiß gefolgt und hatte sich, ein paar Fuß von ihr entfernt und etwas niedriger, auf den Rand des Plaids gelegt, den Ellbogen aufgestemmt. Anfangs floß das Gespräch munter weiter. Dann – sie mochte inzwischen die Umrisse gezogen haben und in das eigentliche Malen gekommen sein – wurde sie erst einsilbiger und verstummte zuletzt ganz. Nun war auch er schweigsamer geworden und wurde endlich stumm wie sie. Sie bemerkte es offenbar nicht. Ihre Wangen waren leicht gerötet, die Lippen halb geöffnet; fortwährend hoben und senkten sich die dunklen Brauen über den Augen, die bald mit einem energischen Ausdruck, der manchmal etwas schier Zorniges hatte, in das Naturbild blickten, dann wieder niederwärts auf das Blatt, über das die weiße Hand, jetzt langsam zögernd, jetzt mit fliegender Eile die Striche führte. Hin und wieder beugte sie sich nach rechts, aus dem aufgeschlagenen Kasten eine andere Farbe, einen frischen Pinsel zu nehmen. Er bemerkte wohl, daß sie ihn dabei nicht ansah, obgleich sie, da er genau in der Richtung des Kastens lag, die Wimpern nur ein weniges hätte zu heben brauchen.

Ihm war es lieb: so durfte er sie immerdar anschauen, in ihrem Anblick schwelgen. Er hatte heute morgen gemeint, sie nie so schön gesehen zu haben, und meinte dasselbe jetzt wieder. Und so würde es morgen abermals sein, und so jeden folgenden Tag. An jedem Tag würde er eine neue Liebenswürdigkeit entdecken, an jedem Tag sich mehr mit einer Liebe erfüllen, die keine Grenzen kannte. Und dies sollte nun der Tag sein, dem kein Morgen folgte! Nie, nie wieder sollte er diese anmutige Gestalt sehen, diesen schönen, geistvollen Kopf! All die unsägliche Herrlichkeit sollte für ihn versunken sein, als hätte sie das Grab verschlungen!

Und wie nun sein Blick über die einödige Runde schweifte, die ihn anstarrte als das Bild seiner Zukunft, aus der die letzte Hoffnung entschwunden war, dem Grün der Pflanzen gleich, das sich nicht in diese Wüstenei wagte; und dann hinauf zum Himmel, der erbarmungslos in eherner Gleichgültigkeit auf ihn hinabsah, füllte ein Weh sein Herz, daß er hätte aufstöhnen mögen, wie ein zum Tode getroffenes Tier. Und dann packte ihn ein rasendes Verlangen, sie einmal, einmal nur an seine Brust pressen, einmal, einmal nur seine Lippen auf ihre Lippen drücken, ihr einmal, einmal nur sagen zu dürfen, wie namenlos er sie liebe.

Und durfte er das nicht, und war er verdammt, schweigend zu dulden, so wollte er sich wenigstens ihr Bild in seine Seele prägen, fest, so fest, daß es dastünde in seiner unsäglichen Anmut und Schöne Zug für Zug, morgen und alle Tage, und er es so sähe in seiner Todesstunde, um, wenn es denn doch ein Fortleben gab, es so hinüberzunehmen in die Ewigkeit.

Sie müssen mich nicht immer ansehen, sagte Eleonore, ohne die Augen von dem Blatte zu erheben.

Wie können Sie das wissen? Sie haben mich seit einer halben Stunde keines Blickes gewürdigt.

Ich fühle es nichtsdestoweniger.

Sie hatten mir es nicht verboten. Verzeihen Sie!

Da ist nichts zu verzeihen. Aber Sie wollen doch, daß ich mit der Geschichte hier zu Ende komme. Und wenn ich nun so Ihren Blick fühle, werde ich ungeduldig und denke: was quälst du dich hier nutzlos ab, und da neben dir ist jemand, der gern mit dir plaudert und mit dem du gern plauderst. Ach was! ich hab's satt. Fort mit dem Plunder!

Sie hatte das nicht eben große Blatt oben und unten ergriffen, offenbar in der Absicht, es zu zerreißen. Er war mit einem Sprunge bei ihr: Bitte! bitte! thun Sie es nicht! Schenken Sie es mir!

So etwas verschenkt man nicht.

Doch, wenn man recht herzlich darum gebeten wird und nicht stolz und eigensinnig ist.

Sie lachte und ließ sich das Blatt aus den Händen nehmen.

Ich gebe mich nicht für einen Kunstkenner aus, sagte Ulrich: aber ich meine, Sie thun sich bitter unrecht. Was kann ein Landschafter mehr verlangen, als daß es ihm gelingt, ohne der Natur Gewalt anzuthun, in sein Bild die Stimmung ganz hineinzulegen, welche das Urbild in seiner Seele wachgerufen hat? Ist das hier nicht geschehen? Ich versichere Sie: so, gerade so, wie aus dem Blatte hier, hat es mich angeblickt: so herzbeklemmend melancholisch, so aller Hoffnung bar.

Sie hatte ihre Malsachen in den Kasten gekramt und war an ihn herangetreten, ihm über die Schulter blickend. Sie sehen es eben als Poet; da hat man freilich leichtes Spiel.

Er wandte den Kopf und sah ihr in die Augen.

Als Poet? sagte er mit dumpfer Stimme. Wollte Gott, ich wäre einer! Dann würde ich es besser haben, würde einen Ausdruck finden für – für so vieles, was mir die Seele bis in die tiefste Tiefe bewegt.

Und jetzt wäre es doch über seine Lippen gekommen; aber sie hatte nach seinen ersten Worten die Augen abgewandt und sagte so, an ihm vorüber ins Leere starrend: Geht es mir denn anders? Wie oft habe ich gewünscht, ich wäre ein wirklicher Künstler, der über seinem Werke sich selbst vergißt. Das ist so herrlich, sich selbst vergessen können! Es kommen mir ja wohl solche Momente, aber eben auch nur Momente. Im nächsten schon ist der schöne Traum verflogen, und ich bin wieder das arme stumme Geschöpf, das unverständlich lallt, wo es doch so gern, so gern sprechen möchte.

Sie schüttelte, schmerzlich lächelnd, den Kopf und wies auf die Skizze: Ist dies mehr als gelallt, diese blauen Kleckse, die Schatten sein wollen? dieser Vordergrund, der sich nicht vom Mittelgrunde hebt? dieser Hintergrund, der auf dem Vordergrunde steht? Selbst der Kontur der Weißen Düne ist verzeichnet.

Mag alles sein, erwiderte Ulrich, und alles verhindert nicht, daß, wenn ich dies nach Jahren wieder ansehe, die Erinnerung der Stunde über mich kommen wird mit ihrem wundersamen, wundersamen Zauber.

Er hatte die letzten Worte nur vor sich hingemurmelt. Nun that er das Blatt schweigend in die Mappe, die er verschloß, und wandte sich zu ihr. Sie hatte sich wieder gesetzt, den Kopf in die Hand gestützt. Er stand vor ihr, sie mit den Blicken verzehrend, sich mit dem letzten Rest der Willenskraft wehrend gegen das wahnwitzige Verlangen, ihr zu Füßen zu stürzen, nur den Saum ihres Kleides zu küssen. Plötzlich ließ sie die Hand in den Schoß fallen und blickte auf. Ulrich erschrak. Ihr Gesicht war sehr bleich, die Augen wie er erloschen, um den Mund zuckte es schmerzlich.

Mein Gott, was ist Ihnen? rief Ulrich.

Nichts, nichts! murmelte sie tonlos. Ein wenig abgespannt, glaube ich. Es wird gleich vorüber sein. Gehen wir?

Sie erhob sich, und sagte, während er das Plaid zusammenlegte und die Mappe nahm: Sie Aermster! Nun müssen Sie sich auch damit schleppen! Wir werden auf dem Heimweg recht vernünftig sein, nicht wahr? Es ist doch derselbe, den wir gekommen sind?

Ich denke eben, ob wir nicht einen andern einschlagen könnten, erwiderte Ulrich, über den Leuchtturm. Es wäre möglich, daß wir da einen Wagen bekämen. Auf jeden Fall können Sie dort ordentlich ausruhen und eine kleine Erfrischung nehmen. Ist es Ihnen recht?

Ob es mir recht ist! Ich will Ihnen nur gestehen, ich bin erbärmlich müde.


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