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Siebentes Kapitel.

Als Ulrich, das Herz zerfleischt von der qualvollen Aussprache mit der Geliebten, in den Vorgarten kam, fand er seine Gattin noch in der Gesellschaft jener älteren Herrschaften, die nun auch in den Bankettsaal wollten und Hertha zum Mitgehen zu bereden suchten. Ein Blick in ihr bleiches, verstörtes Gesicht sagte Ulrich, daß ihre Entschuldigung, sich dazu zu unwohl zu fühlen, keine leere Ausrede war. Ihr Zustand enthob ihn der Mühe, für seinen Teil einen Grund vorzubringen, weshalb er selbst sofort aufzubrechen wünschte. Er habe sich für das Souper nicht engagiert, und selbst, wenn das der Fall wäre, würde er sie in dieser Verfassung nicht allein fahren lassen. Es war ein fast herzlicher Ton, in welchem er das sagte, und den er nicht zu heucheln brauchte. Auch fremde Not hätte hier seine Hilfsbereitschaft herausgefordert, und Hertha einen Dienst erweisen zu dürfen, minderte in etwas das Bewußtsein der Schuld ihr gegenüber und rührte an eine Saite in seinem Herzen, die lange nicht erklungen war.

So kostete es ihn auch keine Ueberwindung, auf dem Wege nach Hause von freundlicher Aufmerksamkeit gegen sie zu sein, ihr wiederholt in dem offenen Wagen, der gegen die Nachtluft keinen Schutz gewährte, den Mantel fester um die Schultern zu ziehen; sie zu fragen, ob es ihr eine Erleichterung verschaffen würde, wenn sie den schmerzenden Kopf an seine Schulter lehne? Sie antwortete mit einem kurzen: Nein! ich danke. Sonst saß sie stumm in ihre Ecke gedrückt. Für sie war all seine Freundlichkeit pure Heuchelei. Er dachte ja dabei nur an die andre, die das Heucheln und Lügen nicht weniger gut verstand als er. Wahrscheinlich hatte sie ihn jetzt nach Hause geschickt, weil sie fürchtete, er werde in seiner verliebten Tollheit eine verräterische Unvorsichtigkeit begehen, die die Wahrheit an den Tag brächte. Sie würde ihn schon für die Entbehrung heute abend ein andermal zu entschädigen wissen. Er war ja nur der Verführte, wenn es auch schändlich blieb, daß er sich hatte verführen lassen. Die Hauptschuld fiel auf den Teil der Verräterin mit der scheinheiligen Miene eines stolzen, keuschen Mädchens. Die stolz und keusch! Und daß die Männer sich durch solche plumpe Gaukelei verblenden lassen! Aber man braucht nur ihrer Eitelkeit zu schmeicheln, dann hat man sie sicher. Und er war nicht besser als sie alle – er, den sie so grenzenlos geliebt hatte!

Sie hätte in Thränen vergehen, hätte laut schreien mögen in ihrem maßlosen Jammer. Die Genugthuung sollte die schamlose Person nicht haben. Unglücklich hatte sie sie machen können; demütigen, erniedrigen vor sich selbst – das sollte ihr nicht gelingen. Mußte sie von ihrem Platze an Ulrichs Seite, von seinem Herzen weichen, so wollte sie freiwillig gehen. In den Tod. Wohin sonst?

Hätten sie laut gesprochen, sie würden sich in demselben Gedanken begegnet sein. Ulrich, während er dumpf brütend in seiner Ecke lehnte, sah keinen andern Ausweg aus dem Irrsal. Wollte Eleonore nicht die Seine werden; hatte sie recht, wenn sie behauptete, er dürfe und werde es niemals übers Herz bringen, Hertha zu verstoßen – ohne Eleonore leben konnte er nicht; die Liebe zu ihr im Herzen, mit Hertha das gewohnte Leben weiterführen, war eine Qual, in der sie beide zu Grunde gehen mußten – was blieb ihm da als der Tod? Wenn Hertha darüber wegkam – und bei ihrer Charakterstärke und Willenskraft schien es nicht unmöglich –, so wurde doch wenigstens sie für den Augenblick gerettet. In der Sorge für, in der Liebe zu den Kindern mochte dann im Laufe der Zeit die Wunde vollends ausheilen. Sie war neunundzwanzig Jahre; für sie brauchte das Leben nicht zu Ende zu sein auch nach einem so schweren Schlage.

Wüstenei war, da der Kutscher auf seines Herrn Befehl die Pferde unausgesetzt in starkem Trabe erhalten hatte, in verhältnismäßig kurzer Zeit erreicht. Der Wagen hielt auf der Rampe vor der Thür. Ulrich half Hertha heraus; er bemerkte, daß sie am ganzen Leibe zitterte. Dennoch wollte sie, als sie in das Wohnzimmer gelangt waren, von keiner Hilfe wissen; selbst ihre Kammerjungfer, welche die Herrschaften so zeitig nicht erwartet hatte und mit verschlafenem Gesicht herbeigeeilt war, als Ulrich ungeduldig an der Klingel riß, schickte sie wieder fort. Auf die freundlichen Vorwürfe, die Ulrich ihr deshalb machte, erwiderte sie nichts, ordnete ihrer Gewohnheit gemäß noch ein paar Kleinigkeiten im Zimmer und ging auf ihr Schlafgemach zu, das, nach dem Garten hinaus gelegen, an das Wohnzimmer stieß. Ulrich blickte ihr verstört nach. Er empfand es als eine Grausamkeit, sie so allein zu lassen, aber jenes Gemach dort hatte er seit seiner Rückkunft nicht mehr betreten. An der Thür angelangt, blieb sie stehen und sagte, ohne sich zu wenden: Was soll nun aus den Kindern werden?

Ulrich zuckte zusammen: also so weit war es gekommen! so weit hatte er sie gebracht!

Wie meinst du? fragte er verwirrt.

Sie wandte sich langsam.

Ich meine, sagte sie in einem heiseren und doch seltsam deutlichen Ton, daß es so nicht länger geht.

Wie nicht länger?

Ein Lächeln schmerzlichen Hohns zuckte über ihr bleiches Gesicht. Sie war wieder ein paar Schritte zurückgekommen und fuhr in demselben Tone fort: Ich würde mich an deiner Stelle schämen, so zu fragen. Du mußt mich für ein Tier oder einen Stein halten. Das bin ich denn doch nicht, obgleich ich sehr dumm sein mag. Zum Anbrennen dumm. Sonst würde ich es längst herausgefunden haben. Daß du mich nicht mehr liebst, war ja mit Händen zu greifen. So etwas hat ja bei euch immer denselben Grund: ihr liebt eine andre. Da muß denn die Frau so lange mißhandelt werden, bis sie es satt hat und der betreffenden Dame Platz macht. Wenn man so etwas Dame nennen kann!

Als Hertha zu sprechen begann, hatte Ulrich gemeint, er werde sich nur gegen ihre Anklage, sie in der letzten Zeit so vernachlässigt zu haben, verantworten müssen; dann sah er wohl, daß sie mehr, vielleicht alles wisse; ihre letzten, mit verächtlichem Lachen gesprochenen Worte, wie allgemein sie gehalten schienen, hoben bei ihm jeden Zweifel und erfüllten ihn zugleich mit Wut. Er sagte mit schneidender Kälte: Für euch fängt die Dame natürlich erst bei der Frau Baronin an.

Ich wüßte nicht, was die Baronin bei der Sache zu thun hat, erwiderte sie. Mir deucht, es kommt auf dasselbe hinaus, ob eine Baronin oder eine Bürgerliche deine Maitresse ist.

Das Uebermaß, der Beschuldigung brachte ihn wieder zu sich.

Die betreffende Dame würde sich schämen, auch nur das Wort in den Mund zu nehmen, sagte er.

Würde sie? Dann muß ich sagen: sie ist in ihren Reden schamvoller als in ihren Handlungen.

Was weißt denn du von ihren Handlungen? Ueberhaupt, von wem hast du – ah!

Er brach plötzlich ab. Es kam ihm in Erinnerung, daß er für einen Augenblick Odebrecht hatte durch die Gesellschaft streichen sehen. So hatten sich seine Befürchtungen von Norderney her doch bestätigt: niemand anders als Odebrecht konnte der Verräter gewesen sein. Mit dem würde er später abzurechnen haben. Aber hier zu leugnen, wäre thöricht gewesen. Und zur Sprache mußte es ja doch einmal kommen.

Hertha hatte sich an den Tisch gesetzt, den Kopf in die Hand gestützt. Er war ein paarmal auf und ab gegangen; jetzt blieb er stehen und sagte: Nun gut! Ich habe Fräulein Ritter in Norderney kennen gelernt und viel mit ihr verkehrt. Wenn sie und ich darüber geschwiegen haben, so ist es, weil wir sicher sein konnten, daß, wie die liebenswürdige Welt nun einmal ist, unsre Beziehungen doch nicht würden verstanden werden.

Hertha hob den Kopf, aus ihrem bleichen Gesicht stand wieder das steinerne, verächtliche Lächeln.

Ich dächte, diese Beziehungen wären klar genug: du liebst sie und willst sie heiraten, sobald du mich los bist.

Und wenn ich dir schwöre, daß sie nicht daran denkt, daß sie mir es noch vorhin erst gesagt hat!

Sie besinnt sich morgen vielleicht eines anderen. So ein bißchen kokettes Spiel macht die Sache nur interessanter. Angebissen hat der Fisch; warum sollte man ihn nicht noch etwas zappeln lassen.

Ich beneide dich um die Wahl deiner Bilder ebensowenig wie um die Reinheit deiner Phantasie. Es ist eben unmöglich, dir gewisse Dinge klar zu machen.

Vielleicht verstehe ich doch, wenn du mir sagst, was du beschlossen hast. So geht es länger nicht; ich ertrage es nicht.

Ich muß es auch ertragen.

Was?

Du hast vorhin gesagt: ich liebe sie. Nehmen wir es als richtig an. Und jetzt sage ich dir: daß sie nicht daran denkt, daß sie den Gedanken mit Abscheu von sich weist, über dich hinweg, auf deine Kosten glücklich zu werden. Das Unglück, das zu ertragen ist, scheint mir also aus beiden Seiten ziemlich gleich.

Wer hat denn das Unglück angerichtet?

Darüber ließe sich viel reden. Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Ich klage auch dich nicht an. Es ist eben ein Unglück, das über uns gekommen ist.

Das ist freilich sehr bequem. Also ändern kannst du es nicht. Und wir sollen nun so nebeneinander weiter leben wie zwei einander wildfremde Menschen, daß die Leute mit Fingern auf uns weisen, die Dienstboten die Köpfe zusammenstecken und sich über uns lustig machen. Und die armen Kinder –

Sie konnte nicht weiter sprechen. Das Gesicht auf die beiden Hände drückend, brach sie in krampfhaftes Weinen aus, das ihren ganzen Körper erschütterte. Er ging verzweifelt, ratlos auf und ab. Mit Phrasen, das fühlte er, war hier nichts auszurichten; und was er auch zu ihrer Beruhigung hätte vorbringen mögen, es wären Phrasen gewesen. Das eine, was sie zu hören verlangen mußte: daß er Eleonore nicht mehr liebe, daß er sie aufgeben wolle, konnte er nicht sagen. Und dabei war er vom tiefsten, herzbeklemmenden Mitleid mit der Aermsten erfüllt. Er würde alles darum gegeben haben, hätte er ihr zu helfen vermocht.

Er trat zu ihr und legte ihr leicht die Hand auf die Schulter: Hertha! –

Sie fuhr bei seiner Berührung in die Höhe und stierte ihn mit irren Augen an. Was willst du von mir? Geh zu der andern! Ich habe nichts mehr mit dir zu schaffen.

Hertha, laß uns wie zwei vernünftige Menschen miteinander reden –

Ich bin kein vernünftiger Mensch mehr – ich will es nicht mehr sein – ich bin es nur zu lange gewesen. Was hat es mir geholfen? Alle diese Jahre habe ich dich geliebt, habe ich in dir mein Ideal gesehen, habe geglaubt, daß auf Erden keiner so gut und edel sei wie du. Ich habe gethan, was in meinen Kräften stand, dir meine Liebe, meine Dankbarkeit zu beweisen. Was nennst du vernünftig sprechen? Zugeben, daß alles das Unsinn gewesen ist? Gut, ich gebe es zu, es war lächerlicher Unsinn – rein zum Lachen!

Sie lachte laut auf und fuhr sich mit beiden Händen an die Stirn. Ich werde verrückt – verrückt! Nein, das darf ich nicht – der Kinder wegen. So!

Sie strich sich über die Stirn.

So! sagte sie noch einmal. Wir haben uns ja nun wohl ausgesprochen. Du wirst müde sein, und mir ist der Kopf auch etwas wüst. Morgen wirst du vielleicht die Güte haben, mir zu sagen, wie es nun mit uns beiden und den Kindern werden soll. Gute Nacht.

Sie hatte eines der beiden auf dem Tisch brennenden Lichter ergriffen und war in das Schlafgemach gegangen. Ulrich hörte, wie sie hinter sich abriegelte.

Er war mitten im Zimmer stehen geblieben, auf die verriegelte Thür starrend, betäubt, ratlos. Welche Qualen er auch in diesen Wochen durchduldet – und die Qual, Hertha so leiden zu sehen, war nicht die geringste gewesen – er hatte doch immer fest an das Recht seiner Liebe geglaubt. Jetzt war dieser Glaube erschüttert. Hier stand seiner Liebe eine andere entgegen, nicht minder machtvoll als seine, nicht minder das ganze Gemüt erfüllend, in jeder Faser des Leibes bebend, und die also dasselbe Recht beanspruchen durfte. »Der Weg zu unsrem Glück geht über die Leiche deiner Frau« – mit dem Scharfblick und dem Feingefühl des Weibes hatte Eleonore es begriffen, als sie Hertha nur erst aus seinen Schilderungen kannte! Und wie mangelhaft waren diese Schilderungen gewesen! wie getrübt durch die neue Leidenschaft! Es war nicht wahr, was er sich eingeredet, daß Hertha eine gewöhnliche Natur sei. Gewöhnliche Naturen sind solcher Energie der Liebe und des Hasses nicht fähig.

Aber was half das alles? Mitleid, Achtung – selbst die aufrichtigste, tiefste – sind nicht Liebe. Und Hertha wollte Liebe – nicht die, mit der sie sich bis dahin begnügt – die, von der sie jetzt erst in seiner Liebe zu einer andern das wahre Gesicht gesehen –

Mit einem tiefen Atemzuge wachte Ulrich aus seinem dumpfen Brüten auf. Vielleicht, daß der Morgen es besser machte, ihm irgend einen Ausweg wies.

Er nahm das zweite Licht und begab sich in sein Arbeitszimmer. Es hatte, wie Herthas Schlafzimmer, Fenster und Fensterthür nach der Veranda, die an der Hinterseite des Hauses vor dem Mittelbau angebracht war, und von der ein paar Stufen in den Garten hinabführten. Als er das Licht auf den Tisch setzte, traf sein Schein hell Eleonores Farbenskizze von dem Sturmabend auf Norderney. Wie gedankenlos unvorsichtig war er gewesen, als er sein Kleinod hier so offen zur Schau gestellt! Aber hatte er es denn mit seiner Liebe anders gemacht? sie in seinem düstern, verstörten Wesen nicht auch zur Schau getragen? Hertha und alle Welt in sein Geheimnis sehen lassen? Fluchenswert elende Schwäche, lange bevor man zur That schreitet, schon die Maske der That zu tragen und – die That selbst dadurch unmöglich zu machen! Die Welt will getäuscht sein; so täusche man sie doch! Und bringe das dumme Gewissen, das sich dagegen auflehnt, zum Schweigen! Dann hat man Ruhe vor der Welt. Reservatio mentalis! Die Jesuiten sind die klugen Leute.

Er trat in die offene Fensterthür. Aus Herthas Gemach fiel der Lichtschein über die Veranda. Zehn Jahre lang war es ihnen gemeinschaftlich gewesen. Der Lichtschein war so hell: die Thür dort mußte offen sein wie diese hier. Zwanzig Schritte nur bis dahin! Die Strohläufer auf dem Estrich der Veranda würden den Schritt unhörbar machen. Und wenn es dessen gar nicht bedurfte? Wenn die Thür offen stand nicht, um nur die Nachtluft einzulassen? »Du schickst mich wieder zu meiner Frau?« – »Nun denn – ja!«

Nun denn – nein! Du kannst es nicht gewollt haben; oder du hättest mich nie geliebt. Und selbst wenn das wäre – ich habe dich geliebt und liebe dich noch; und wärst du zur Verräterin an mir geworden – ich will nicht zum Verräter an mir selbst werden.

Er lehnte an dem Thürpfosten, in den Garten starrend. Auf dem Rasenrundell vor der Veranda lag heller Mondenschein, Dunkel brütete unter den hohen Ulmen, die den Platz umgaben. In dem Zimmer herrschte noch die Schwüle des Tages, vom Park herauf atmete es erquicklich kühl. Er stieg die Stufen hinab, umschritt das Rundell und bog in eine Allee, die von dem Hause gerade aus bis zur Landstraße führte. Hätte er den Schlüssel zu dem Gitterthor gehabt, er wäre in die Felder gerannt, so weit ihn seine Füße trugen. Unmutig bog er in einen Baumgang, welcher die Hauptallee rechtwinklig durchschnitt und auf das Flüßchen mündete, das an jener Seite den Park begrenzte. Der Gang war weniger lang als die Allee, und er hatte kaum ein paar Schritte in dem Halbdunkel gemacht, als er am Ende des Ganges, da, wo das kleine Boot, mit welchem man über das Flüßchen zu setzen pflegte, am Ufer befestigt war, im vollen Licht des Mondes einen hellen Gegenstand bemerkte, für den er keine Erklärung hatte.

Bis er, in schnellen Schritten, deren Geräusch der elastische Waldboden dämpfte, näher kommend, sah, daß es eine kauernde weibliche Gestalt war. Mit einem Sprunge war er an ihrer Seite und hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt.

Hertha!

Sie hob den Kopf, ohne sich sonst zu regen, und blickte mit irren Augen, in denen das Mondlicht unheimlich glitzerte, zu ihm auf.

Ich bin so feig! murmelte sie kaum lauter als das leise Plätschern des Flüßchens, das blinkend zwischen seinen Schilfufern rasch dahinglitt.

Komm! sagte Ulrich, sie um den Leib fassend und sanft in die Höhe ziehend.

Sie murmelte noch einmal: Ich bin so feig! ließ sich aber ohne Widerstand von der unheimlichen Stelle führen. Ihr leichtes Nachtgewand war feucht von Tau und Thränen. Sie schauderte wiederholt zusammen; er zog seinen Rock aus und umhüllte damit ihre nackten Schultern. Sie schien es nicht zu merken: Seelen- und Körperkraft waren offenbar gebrochen; ein paarmal strauchelte sie, wie fest er sie auch stützte. An der Verandatreppe angekommen, nahm er sie in seine Arme und trug sie die Stufen herauf in das Schlafgemach, wo er sie auf dem noch unberührten Lager bettete.

Sie ließ alles teilnahmlos geschehen; Ulrich mußte annehmen, daß sie, ohne völlig ohnmächtig zu sein, doch bewußtlos war. Er beobachtete sie, wie sie mit geschlossenen Augen, bleich, regungslos dalag. Ein paar Minuten später und sie hätte so auf dem Grunde des Baches gelegen!

Leise schloß er die Fensterthür. Neben dem ihren stand noch sein Bett zugedeckt. Er ging auf den Fußspitzen nach dem Hintergrund des Zimmers zu einem breiten Divan, von dem er ihr Bett und die Fensterthür im Auge behalten konnte.

Da hatte er ein paar Minuten gelegen, als er sie sich bewegen und laut aufseufzen hörte, wie jemand, der aus tiefem Schlaf erwacht. Er stemmte sich auf den Ellbogen, lauschend. Leises Wimmern und Weinen und zwischendurch gemurmelte, unverständliche Worte. Offenbar glaubte sie sich allein.

Und dann in herzzerreißenden, angstvollen, fast schreienden Tönen! Ulrich will mich verlassen! O, mein Gott! mein Gott!

Es war zu viel. Er eilte an ihr Lager und beugte sich über sie: Hertha!

Sie starrte ihn an, ihren Sinnen nicht trauend. Plötzlich glänzte es in ihren Augen auf. Sie fuhr mit einem Freudenschrei in die Höhe, umschlang ihn mit beiden Armen und preßte ihn an ihren Busen in wahnsinniger Leidenschaft. Ulrich! Ulrich!


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