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Achtes Kapitel.

Guido war mit dem von Clementine getroffenen Arrangement wenig zufrieden. Seine verdüsterten Blicke hafteten an den beiden schlanken Gestalten vor ihm. Er wäre so gern an Ulrichs Stelle gewesen, trotzdem er sich sagte, daß er dann in einer fürchterlichen Verlegenheit sein würde. Eine Tete-a-Tete mit ihr nach der letzten Scene zwischen ihnen im Salon der Frau Geheimrätin! Als er den Vorschlag einer Promenade machte, hatte er auch nur an eine gemeinschaftliche Unterhaltung gedacht, die ihm das Vergnügen gewähren würde, in der Gesellschaft des angebeteten Mädchens zu sein, ohne daß ihn dabei eine besondere Verantwortung traf. Davon durfte natürlich seine Begleiterin nichts merken. Er sagte deshalb, nachdem sie ein paar Schritte schweigend nebeneinander gegangen waren, in seinem freundlichen Tone: Sie wollten mir etwas mitteilen, Fräulein Clementine?

Später, sagte Clementine, die ihm auf der Welt nichts mitzuteilen hatte. Zuerst, seit wann sind Sie auf Salchow?

Seit gestern morgen.

Wissen Sie, daß Mama sehr ungnädig sein wird, wenn sie das hört? Seit gestern morgen! und konnten in zehn Minuten herübergaloppieren! Herr Ritter, ist Eure Liebe so heiß?

Ach, Fräulein Clementine, necken Sie mich nicht! sagte Guido bittend. Sie wissen doch am besten, was Sie davon zu denken haben.

Ich habe es bis jetzt geglaubt, erwiderte Clementine, der daran gelegen war, Guido noch etwas bei dem Thema festzuhalten. Aber Sie scheinen neulich in Berlin bei Tante Excellenz alle Ihre Sünden wieder gutgemacht zu haben; Mama und Kittie stehen ja seitdem ganz in Flammen! Und was haben Sie in Salchow zu thun, als nach Seehausen hinüberzuschmachten? Oder hat Frau Becker mit ihren roten Haaren es Ihnen angethan? Nehmen Sie sich in acht! Mit Herrn Becker ist nicht zu spaßen.

Ich habe nicht gewußt, daß Sie so grausam sein können.

Ich habe dies Talent bei mir auch jetzt erst entdeckt, rief Clementine lustig. Ich habe mich überhaupt erst entdeckt. Finden Sie denn nicht, daß ich eine ganz andre geworden bin?

In der That, Fräulein Clementine, ich erkenne Sie kaum wieder.

Ich mich auch nicht. Und sehen Sie, das macht alles die große Zauberin da!

Und sie deutete mit der Hand nach Eleonoren vor ihnen.

Fräulein Ritter? – Selbstverständlich?

Er hatte es in einem so seltsam gepreßten Tone gesagt, und sein Lieblingswort hatte so eigentümlich nachgeschleppt – Clementine warf einen schnellen verwunderten Blick auf ihn. Er war noch eben sehr rot im Gesicht gewesen und jetzt ebenso blaß. Die Oberlippe mit dem blonden Bärtchen zuckte; die blassen Augen hatten einen gläsernen Glanz.

Ah! sagte Clementine leise. Und als er, offenbar ihrer ganz vergessend, schweigend mit großen Schritten weiter ging, die Hand auf seinen Arm legend: Guido!

Er blieb stehen und starrte sie an mit einem hilflos verlegenen Lächeln.

Guido, Sie haben mir immer gesagt, daß ich nach Ihrer Mama Ihre beste Freundin auf der Welt bin. Sollte der Augenblick gekommen sein, wo ich es beweisen kann?

Von dem Moment, als er heute abend Ulrich unter den Kastanien am See traf, hatte ihm sein Geheimnis auf den Lippen geschwebt; vergeblich hatte er sich im Champagner Mut zu seiner Beichte trinken wollen. Es war so schwer einem Manne gegenüber, wenn es auch sein angebeteter Freund war. Aber ihr, die er wie eine Schwester liebte, ihr konnte, mußte er es sagen.

Und er sagte es in einer treuherzigen schlichten Weise: wie er Eleonoren geliebt bei dem ersten Erblicken – so wolle es ihm jetzt scheinen – und jedenfalls lange, bevor er in Berlin auf dem Bahnhofe sich von ihr trennen mußte. Und wie er seitdem keine ruhige Minute gehabt, und seiner Mama sein verändertes Wesen aufgefallen sei – selbstverständlich – und er ihr alles offen gestanden und Eleonoren geschildert habe, so gut er es vermocht. Und wie die gute Mama dann gesagt: wenn die Dame seiner Schilderung entspräche – und sie zweifle nicht daran – so sei sie das Mädchen, das sie sich immer zu ihrer Schwiegertochter gewünscht, und er solle mit ihrem Segen sein Heil versuchen. Das habe er dann gethan – an dem letzten Tage in Berlin –, aber Eleonore, die freilich im übrigen die Güte selbst gewesen, erklärt, daß ihr Herz nicht mehr frei sei. Seine Verzweiflung möge sich Clementine ausmalen. Erst habe er sich töten wollen; aber an seine Mama gedacht und es sein lassen – selbstverständlich! Und nun sein freudiger Schrecken, als er noch an demselben Abend bei Tante Excellenz die Damen traf und erfuhr, daß Eleonore mit ihnen nach Seehausen gehe. In seinem Entzücken müsse er Dinge gesagt haben, welche die Generalin und Kittie, wie er nun zu seinem Bedauern höre, falsch ausgelegt hätten, wenn er auch nicht leugnen könne, daß ihm plötzlich die Wichtigkeit, mit ihnen in gutem Einvernehmen zu bleiben, sehr stark eingeleuchtet. Es sei ja gewiß grenzenlose Thorheit, sich jetzt noch Hoffnung zu machen. Aber die Mama, als er ihr seine vergebliche Werbung mitgeteilt, habe gesagt: in dem Leben eines so schönen Mädchens, wie Eleonore, und das, wie sie annehme, aus ihren »teens« heraus sei, finde sich überhaupt kein Moment, in welchem es über ihr Herz ganz frei verfügen könne. Das Bild von dem letzten Anbeter stecke immer noch darin. Es komme nur darauf an, dies Bild zu verdrängen. Das möge immerhin Mühe kosten; aber, wenn man wahrhaft liebe, dürfe einen die Mühe nicht verdrießen. Ihn würde keine verdrießen – selbstverständlich; und so sei er denn vorläufig nach Salchow übergesiedelt, zu größter Verwunderung von Herrn und Frau Becker, die durchaus nicht wüßten, was er da wolle, und, offen gestanden, recht eigentlich wisse er es auch nicht.

Denn Sie begreifen, Fräulein Clementine, schloß er seine Beichte, die sonderbare Lage, in der ich bin. Komme ich nicht nach Seehausen, so hätte ich ebensogut auf Wendelhof bleiben können. Und komme ich, so werden Ihre Mama und Kittie glauben, daß ich Kitties willen komme. Und das ist mir ein höchst peinlicher Gedanke – selbstverständlich! Nun raten Sie mir, beste Clementine! Was soll ich thun?

Clementine hatte, während sie Guido, ohne ihn zu unterbrechen, sprechen ließ, Zeit gehabt zur Ueberlegung, was sie auf diese Frage, mit der er zweifellos endigen würde, antworten solle. Daß Guido Eleonoren liebe, war ihr, sobald er es gesagt, völlig begreiflich, ja als etwas Unvermeidliches erschienen, dafür dann die Zumutung, Eleonore solle diese Liebe erwidern, ebenso absurd. Je länger aber Guido sprach, desto mehr fühlte sie sich zu ihrer eigenen Verwunderung geneigt, nach der letzteren Seite Konzessionen zu machen. Trotzdem sie innerlich oft genug über ihn lachte oder in ihrer harmlosen Weise offen neckte, sie wußte, daß er durch und durch ein Gentleman war mit dem besten Herzen von der Welt und einer liebevollen, liebebedürftigen Seele. Wenn es nur nicht gerade Eleonore gewesen wäre, die er liebte! Und gerade wieder Eleonore mußte, wenn eine, imstande sein, ein so edles, schlichtes Herz, wie das Guidos, nach seinem vollen Werte zu schätzen. Und wie prachtvoll, würde sie die Honneurs in seinem fürstlich reichen Hause gemacht haben! Freilich, wenn ihr Herz nicht mehr frei war, wie sie Guido gesagt! Aber sagen das junge Mädchen nicht immer, wenn sie nicht wissen, was sie sonst sagen sollen, den Bewerber los zu werden? Oder sie hatte, was mehr als wahrscheinlich, nicht geflunkert. So mochte doch immer wieder Guidos kluge Mama recht haben. Auf alle Fälle durfte man dem armen Menschen, der offenbar der Verzweiflung nahe war, nicht alle Hoffnung rauben. Jetzt, als Guido seine Rede, die ihm diesmal ausnahmsweise klar von den Lippen floß, beendet hatte, war sie auch mit ihrer Antwort im reinen.

Lieber Guido, begann sie, zuerst: ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Wahl. Ein edleres Mädchen, als Eleonore existiert nicht. Sie sollte eigentlich eine Königin sein.

Ganz, was ich eben zu Ulrich gesagt habe! rief Guido entzückt. Die geborene Prinzessin, habe ich gesagt.

Ulrich weiß von Ihrer Liebe?

Kein Wort! Das heißt – er ist mein bester Freund –, Sie meinen, ich solle ihm –

Ich meine, Sie sagen ihm nichts. Ich habe keine Erfahrung in diesen Dingen – gar keine. Aber zwischen euch Männern, deucht mir, sind solche Bekenntnisse immer eine eigene Sache. Und er ist von der Reise äußerst verstimmt zurückgekommen und würde Sie vielleicht nicht so freundlich anhören, wie Sie erwarten.

Sie sind ein Engel, Clementine, sagte Guido, ihre Hand ergreifend und an die Lippen führend. Sie denken an alles. Aber was raten Sie mir nun zu thun?

Es ist da schwer zu raten, erwiderte Clementine. Ich meine nur, wenn ein Mann einem Mädchen seine Liebe erklärt, und sie muß ihn zurückweisen, weil ihr Herz nicht mehr frei ist, so kann sie ihm deshalb nicht gram sein. Sie haben mir ja auch gesagt, daß Eleonore sehr lieb und gut zu Ihnen gewesen ist und Ihnen ihre Freundschaft angeboten hat. Hat sie das gethan, so hat sie's auch so gemeint – Phrasen kennt sie nicht. Sie wird also weiter lieb und gut zu Ihnen sein, und Sie dürfen vorderhand nicht mehr erwarten und verlangen. Eine Annäherung ist es immer, und je mehr Gelegenheit Eleonore hat, Sie zu sehen und zu beobachten, um so mehr wird sie Sie auch schätzen lernen.

Wenn das wäre! murmelte Guido. Sie wissen, ich habe keine übertrieben hohe Meinung von mir. Ich – ja, ja, ich weiß, was Sie sagen wollen: ich muß Mut haben. Ich habe auch Mut; ich könnte für sie alles thun – alles! Aber die Gelegenheit!

Die ist für heute verpaßt, sagte Clementine, und das ist vielleicht kein Unglück. Es ist besser, ihr habt euch vorerst einmal wieder gesehen und ein paar höfliche Worte ausgetauscht. Dann machen Sie uns morgen einen Nachmittagsbesuch, entschuldigen sich, daß Sie nicht früher hätten kommen können und am folgenden Tage nach Wendelhof zurück müßten. Länger dürfen Sie hier schon Kitties wegen nicht bleiben.

Wird man nicht immer glauben, daß, was ich auch thue, ich Ihrer Schwester wegen thue?

Es wird sich kaum vermeiden lassen; aber daran können wir doch nun nichts ändern. So haben wir an einem der nächsten Tage einen Besuch bei Ihrer Mama vor. Ich werde Ihnen einen Wink geben, und Sie müssen natürlich kommen. Vielleicht können Sie es so einrichten, daß es wie ein Zufall aussieht. Wenn nicht, müssen Sie eben das Risiko auf sich nehmen.

Ich werde es auf mich nehmen.

Gut. Bei einer zweiten Gelegenheit ist nicht so viel zu riskieren: wir haben am fünfzehnten das Seefest.

Und das ist ganz unverfänglich. Ach, Gott! Clementine, wie gut Sie sind! und wie klug!

Ich wundere mich über mich selbst. Es scheint, wenn man, wie ich, so gar keine Veranlassung hat, Dummheiten für seine eigene Rechnung zu machen, ist es verhältnismäßig leicht, für andre Leute klug zu sein. Aber nun lassen Sie uns ein wenig zugehen; die beiden sind stehen geblieben. Himmel, wir sind schon an unserm Park! Wie ist das möglich?


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