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Dreizehntes Kapitel.

Während die Damen sich in den für sie bereit stehenden Zimmern von der Hitze des Weges erholten und ihre Toilette auffrischten, war Guido, bestäubt, gestiefelt und gespornt, zu der Gräfin geeilt, welche in dem großen, nach Norden und den Terrassen zu gelegenen Salon die Gäste erwartete. Er fand sie an einem der breiten geöffneten Fenster, ihrem Lieblingsplatz, ihm herzlich entgegenlächelnd, als sie seinen eilenden Schritt in dem Vorsaal vernahm.

Mama! liebste Mama! sie ist da!

Das hätten mir deine heißen Lippen verraten, erwiderte die Gräfin, ihre Hand, die er mehrmal heftig geküßt hatte, sanft zurückziehend.

Ach, beste Mama, ich bin in einer Aufregung, und du –

Ja, mein lieber Junge, einer von uns beiden muß doch den Kopf oben behalten. Da du es offenbar nicht kannst – was ich übrigens gar nicht verlange – werde ich es wohl thun müssen.

Ach, Mama, wenn du dich nun nicht –

Sofort in sie verliebst? Sei ruhig, ich werde mich in sie verlieben – sterblich. Und was ich dir noch sagen wollte: wenn es nicht den Anschein hat, ich wohl gar gegen meine Gewohnheit kühl bleibe – laß dich das nicht anfechten! Das ist nur der andern wegen. Ist Brita bei den Damen?

Ja, Mama.

Es ist gut. Und nun, mein Junge, zieh dich um und beeile dich, daß du wo möglich schon wieder hier bist, wenn die Damen kommen!

Guido war davon geeilt; die Gräfin saß in ihrem Schaukelstuhl zurückgelehnt, die Hände im Schoß gefaltet, starr vor sich hinblickend. In ihrer Seele war es gar nicht so ruhig, wie sie sich eben dem Sohne gezeigt. Ihr Herz klopfte in schnellen, erwartungsvollen Schlägen. Wenn der gute Junge sich nun doch geirrt hätte! Und hatte er sich nicht geirrt, war sie so schön und so gut und so hinreißend liebenswürdig, wie er sie ihr begeistert geschildert, und sie blieb dabei, ihn nicht lieben zu können – armer Junge! Er würde den Schmerz früher oder später verwinden, aber welche Mutter ersparte ihrem Kinde nicht gern auch einen vorübergehenden Schmerz!

Es währte noch einige Zeit, die der Ungeduldigen schier unendlich dünkte. Endlich hörte sie Geräusch im Vorzimmer und Guidos Stimme, der den Damen auf dem Wege zu ihr begegnet war. Als sie sich erhob, ihren Gästen entgegenzugehen, schlug ihr das Herz bis in die Kehle.

Das ist doch sonderbar, sprach sie bei sich; als ob ich noch achtzehn wäre und den Liebsten erwartete.

Eleonore und Clementine waren längst bereit gewesen, aber die Generalin hatte an Kittie noch immer etwas zu nesteln gefunden, so daß diese zuletzt selbst die Geduld verlor und in gereiztem Tone erklärte, wenn die Mama es darauf angelegt habe, sie nervös zu machen, so dürfe sie mit dem Resultat zufrieden sein, worauf die Mama etwas von Undank murmelte, auf den ein Mutterherz gefaßt sein müsse.

So war die Laune der beiden nicht zum besten, während Dame Brita, die alte Vertraute der Gräfin, vor ihnen her schritt, und Clementine und Eleonore folgten: erst durch die hohe, kühle Halle, welche sie beim Eintritt in das Haus aufgenommen hatte; dann eine breite Marmortreppe empor zu einer kleineren gewölbten, mit Statuen in den Nischen geschmückten Rotunde, aus der links eine mit kostbarem Teppich verhüllte Thür in ein saalartiges Gemach führte, wo ihnen Guido aus einer Seitenthür entgegentrat und die Führung übernahm, indes Dame Brita sich verabschiedete. Er hatte sein Reithabit mit einem hellen Sommeranzug vertauscht, da die Damen auf den Wunsch der Gräfin ebenfalls nur in Promenadenkostüm erschienen. Sein hübsches Gesicht war im Verhältnis zu der gesunden Röte, die es sonst schmückte, blaß, und der Arm, welchen er der Generalin gereicht hatte, zitterte. Er bemerkte es zu seinem Schrecken und murmelte etwas von der tropischen Hitze unterwegs, die ihn ein wenig mitgenommen habe. Die Generalin lächelte gütig und sagte, Kittie gehe es ebenso. – Sie hätte dem Zaghaften gern ein ermutigendes Wort zugeflüstert, wagte es aber nicht der Mädchen wegen, die ihnen auf dem Fuße folgten. Auch waren sie jetzt bereits bis zu der Thür gelangt, durch die man, wie sie wußte, in den Salon der Gräfin trat. Es schien freilich jetzt zweifellos, daß die Gräfin das Projekt begünstigte; aber bei dem für sie unberechenbaren Charakter der Dame wußte man heute nie, welches Sinnes sie morgen sein würde; und der gute Guido war Wachs in der mütterlichen Hand. Es wurde ihr bänglich zu Sinn.

Doch auch von den andern war keiner unbefangen; gewiß nicht Guido, der seine Liebe einem Richterspruche unterwerfen wollte, welcher ihm als der höchste auf Erden galt; und nicht Eleonore, die der Frau gegenübertreten sollte, mit deren Segen ausgestattet der Sohn gekommen war, sich vergebens um ihre Liebe zu bewerben; und nicht Clementine, die seit gestern abend alles wußte, an beiden einen so herzlichen Anteil nahm und die eigentliche Bedeutung des Tages zu ahnen begann. Verhältnismäßig am ruhigsten war Kittie. Ihres Sieges gewiß, schwankte sie nur noch über die Miene, die ihr am besten stehen würde, wenn Guido seine Werbung nun vorbrachte.

In den Räumen, welche man durchschritten, hatte, bei herabgelassenen Vorhängen, eine glanzlose Dämmerung geherrscht im Vergleich zu dem machtvollen Licht, das in dem Salon der Gräfin durch die beiden hohen geöffneten Bogenfenster und durch die ebenfalls geöffnete Glasthür, welche unmittelbar auf eine Terrasse zu führen schien, hereinflutete. In der Mitte des prächtigen Gemaches, umflossen von diesem Lichtglanz, stand die Gräfin. Eleonore erschrak. Sie hatte sich, verführt durch Guidos mangelhafte Schilderung, seine Mutter als eine kleine, kränkliche, alte Dame vorgestellt mit einem verwitterten, freundlichen Gesicht, und gutmütigen zwinkernden geröteten Augen unter einem großen, grünen Schirm. Nun fand sie sich einer Erscheinung gegenüber, wie sie sie so königlich nie gesehen hatte: die Gestalt, weit über das gewöhnliche Maß hoch und mädchenhaft schlank, gehüllt in ein schmuckloses, aber höchst elegantes Kleid von silbergrauer Seide; der nicht große Kopf, den dichtes, silbergraues in der Mitte gescheiteltes, hinten in einen fast üppigen Knoten zusammengebundenes Haar bedeckte, edel geformt, wie von der Hand eines griechischen Meisters; die Züge des mattweißen, nur auf den Wangen sanft geröteten Gesichtes, in voller Harmonie mit der Form des Kopfes, imponierend in ihrer strengen Schönheit und doch von Herzensgüte wie durchleuchtet; die großen blauen Augen, unter scharf gezogenen Bogen, machtvoll und zugleich mit bestrickender Freundlichkeit blickend. Wiederum dieser königlich gütigen Erscheinung entsprachen Haltung und Gebärden und der Ton der Stimme, als sie jetzt die Damen begrüßte und sie um Entschuldigung bat, wenn sie, die Halbblinde, ihnen nicht weiter entgegengekommen sei. Sie hatte dabei einer nach der andern die Hand gereicht, welche von den beiden Mädchen geküßt wurde. Eleonoren war ein Handkuß immer ein Greuel gewesen, und die Eltern hatten ihre liebe Not mit ihr gehabt, wenn fürstliche Herrschaften das Jagdschloß besuchten und die Ceremonie nicht zu umgehen war. Jetzt, als die Reihe an sie kam, und die schlanke, weiße, kühle Hand sich in die ihre legte, beugte sie willig das Haupt. Indem sie es wieder hob und aufblickte, erschrak sie abermals über den Ausdruck der fest auf ihr Gesicht gerichteten großen blauen Augen: die Güte schien aus denselben ganz verschwunden und nur die auf ihre Macht eifersüchtige Würde und Hoheit übrig geblieben zu sein. Nur für ein paar Momente. Dann kam es wieder wie Sonnenschein in das dunkle Blau; die Strenge schwand in einem gütigen Lächeln, und ihre Hand, die sie bis dahin festgehalten, nach nochmaligem sanften Druck loslassend, sagte die Gräfin mit ihrer leisen und doch klangvollen Stimme, die ein Anflug von fremdländischem Accent nur noch anmutiger machte, halb zu den andern Damen gewendet:

Das liebe Fräulein muß meine Indiskretion schon entschuldigen. Sie weiß noch nicht, daß ich mir ein neues Gesicht sehr nahe bringen muß, wenn es mir nicht fremd bleiben soll.

Clementine, die in der Stille ihres liebevollen Herzens erwartet und gehofft hatte, die Gräfin Mutter werde die Angebetete ihres Sohnes noch sonst in irgend einer Weise auszeichnen, sah sich getäuscht. Sie stand mit dieser Enttäuschung nicht allein. Keine der Damen konnte sich rühmen, von der hohen Wirtin aufmerksamer behandelt zu werden als die andern. Ihre vornehme Freundlichkeit war für jede dieselbe; ihre Rede, die ihr, ohne daß sie je nach einem Worte zu suchen brauchte, melodisch von den feinen Lippen floß, wandte sie abwechselnd bald an diese, bald an jene.

Inzwischen hatten zwei Diener Erfrischungen herumzureichen begonnen und bald erschienen auch die übrigen zu Mittag geladenen Gäste: Baron von Trottau, ein alter jovialer Herr, ihr nächster Nachbar, mit seinem Neffen, einem jungen Offizier, der sich bei dem Onkel auf dem Lande mit achttägigem Urlaub für die bevorstehenden Strapazen des Manövers trainierte; Oberförster Wittmann, der das königliche Revier verwaltete, welches an die Wendelinschen Waldungen grenzte; zuletzt ein Herr von Busse, ebenfalls ein noch jüngerer Mann, der sich kürzlich in der Nachbarschaft angekauft und der Frau Gräfin die pflichtschuldige Visite gemacht hatte.

Darüber war vier Uhr herangekommen, die für das Diner bestimmte Stunde. Ein paar Minuten vorher hatte man Guido mit der obligaten unbefangenen Miene an einen Herrn nach dem andern herantreten sehen, um ihm eine scheinbar unwesentliche, aber doch vertrauliche Mitteilung zu machen, mit welchem Geschäft er in dem Augenblick fertig war, als zwei Diener die Flügelthür zu dem Speisesaal öffneten.

Darf ich die Herren bitten, sagte Guido mit einer Stimme, die ein wenig unsicher klang, indem er zugleich auf Clementine zutrat, ihr den Arm zu bieten. Die Generalin traute ihren Augen nicht. Hier mußte ein Irrtum obwalten. Aber sie hatte keine Zeit, mit Kittie, die nicht minder entsetzt war, auch nur einen Blick zu wechseln, da bereits der alte Herr von Trottau vor ihr stand und um die Ehre bat, Ihnen folgte die Gräfin mit dem Oberförster, Kittie mit dem jungen Trottau, Guido mit seiner Dame, Eleonore mit Herrn von Busse. Dann Brita, die sich im letzten Moment eingefunden, den Zug schließend.

Der Speisesaal war von so großen Dimensionen, daß die in der Mitte für die elf Personen hergerichtete Tafel fast verschwand. Zu dem imposanten Eindruck, den er machte, trug auch wohl bei, daß die Damastvorhänge an den vier Fenstern sorgfältig geschlossen waren, um der Nachmittagssonne den Eintritt zu wehren, wofür denn die Kerzen auf dem mächtigen Kronleuchter in der Mitte brannten und von den Wänden schicklich verteilte Kandelaber ihr Licht verbreiteten. Die Tafel funkelte von dem Silbergeschirr, mit dem sie bedeckt war. Zu den beiden Dienern in Livree hatten sich noch zwei andere gesellt, während der Haushofmeister im Frack mit obligaten Kniehosen, seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen an dem Büffett servierte, das beinahe die ganze eine Schmalseite des Saales füllte. Seit Eleonore England verlassen, hatte sie solche Pracht nicht wieder gesehen; ja, das weite Gemach mit seinen hohen dunklen Panelen, den Gobelins an dem oberen Teil der Wände und seinem mannigfachen Schmuck von alten Bildern in kostbaren vergoldeten Rahmen und ritterlichen Emblemen in nachgedunkelter Bronze erinnerte sie unmittelbar an den Bankettsaal auf Schloß Glenmore. Eine eigen wehmutvolle Stimmung überkam sie, die doch nicht ohne Süßigkeit war. Freud- und leidvolle Stunden ihres Lebens zogen an ihrem inneren Blick vorüber, alle wie von dem Clair-Obscur umschleiert, in welchem die ferneren Partien des Saales verdämmerten. Selbst der Schmerz der Wunde, von der ihr Herz blutete, war nicht so brennend. In dieser vornehmen Umgebung erschien Entsagung, das vornehmste aller menschlichen Gefühle, das einer stolzen Seele einzig würdige. Immer wieder mußte sie ihre Blicke auf die Wirtin des Hauses richten, die ihr gegenüber saß, und sie fühlte, daß der Zauber, mit der die hohe Frau es ihr angethan, sich ständig vertiefte. Was hatte diese zarte Stirn so klar und fest gemacht? was diesen halb erblindeten Augen den tiefen Glanz gegeben? was dem Lächeln, das gelegentlich die feinen Lippen umspielte, diese bestrickende Anmut, trotzdem es nur wie Sonnenschein war, der über eine unergründliche Tiefe gleitet?

In der Flucht ihrer Gedanken war sie ihrem Tischherrn dankbar, daß er eine lebhafte Unterhaltung zu den Tafelfreuden nicht zu rechnen schien, dafür aber den materiellen Genüssen eine fast ungeteilte Aufgabe zuwandte, und auch Guido, ihr Nachbar zur Rechten, trotzdem er die Speisen kaum berührte, seine harmlose Gesprächigkeit offenbar eingebüßt hatte. Kaum, daß er sich ein und das andere Mal zu ihr wandte, irgend eine unbedeutende Bemerkung zu machen; und Eleonore entging nicht, daß er sich den Mut dazu immer erst aus einem mahnenden Blick seiner Mutter holte. In jedem andern Falle würde ihr die sklavische Abhängigkeit eines jungen Mannes im Alter des Grafen von einer Frau, und wenn sie auch seine Mutter war, lächerlich oder verächtlich erschienen sein; hier war sie geneigt, eine Ausnahme gelten zu lassen: dem Einflusse einer so machtvollen Persönlichkeit konnte sich wohl keiner entziehen, am wenigsten der Sohn. Dazu rührte sie die achtungsvolle Höflichkeit, die aus jedem seiner Blicke und Worte sprach, als habe er sie um Verzeihung zu bitten, daß er sie jemals in die peinliche Lage gebracht, ihm wehe thun zu müssen. Sie hätte ihm so gern ein gutes Wort gesagt und konnte es nicht, da er irgend einer intimeren Unterhaltung mit solcher Geflissenheit auswich.

So wäre sie denn bei der Schweigsamkeit ihrer Nachbarn zu ihrer Genugthuung sich selbst überlassen geblieben, hätte der alte Herr von Trottau, ihr schräg gegenüber, nicht eine merkwürdige Entdeckung gemacht. Er hatte vorhin Eleonores Namen nicht verstanden und sich ihn jetzt gegen Ende der Tafel, von der Generalin wiederholen lassen, die denn auch einige wenige Details, wie Eleonore sie ihr vor Tisch aus ihrer frühesten Jugend mitgeteilt, hinzugefügt haben mochte. Nun aber war er, ehe er sich auf seine Güter zurückzog, im diplomatischen Fach und unter andrem zur Zeit, als Eleonore noch als Kind und heranwachsendes Mädchen bei ihren Eltern lebte, jahrelang Gesandter an dem kleinen herzoglichen Hofe gewesen. Man hatte ihn damals den »schönen Trottau« genannt, und die Erinnerung an jene Periode galt ihm aus diesem und anderen Gründen als der Silberblick seines Lebens. Eine so treffliche Gelegenheit, die Erinnerung daran in dieser Gesellschaft aufzufrischen, mochte er sich nicht entgehen lassen. Er hatte, wie sich herausstellte, Eleonores Vater sehr gut gekannt; war mehr als einmal auf den herzoglichen Treibjagden sein Nachbar gewesen; verdankte seiner Entschlossenheit und Bravour sogar möglicherweise sein Leben. Im dichtesten Forst, wo kein Ausweichen möglich, hatte ihn ein angeschossener Eber angenommen, den Eleonores Vater im entscheidenden Augenblick durch einen Schuß aufs Blatt niederstreckte, während von den andern Jagdgefährten keiner mehr zu schießen wagte aus Furcht, statt des Tieres den Mann zu treffen.

Diese Anekdote gab der alte Herr in aller Ausführlichkeit zum besten und machte, da er ein sehr kräftiges Organ besaß und sich immer mehr in Erregung hineinsprach, die ganze Tischgesellschaft zu seinen Zuhörern. Die denn nun auch weiter zu vernehmen hatte, welch in jeder Hinsicht exemplarischer Mann der Herr Schloßhauptmann gewesen sei, und in welchem Ansehen er bei Serenissimus gestanden habe; ebenso wie man noch jetzt den Namen der Frau Schloßhauptmann in der Nachbarschaft des Schlosses, zumal in dem Städtchen am Fuß des Schloßberges, in dankbarer Erinnerung bewahre. Davon habe er sich selbst überzeugt, als er vor zwei Jahren die Stätten seiner teuersten Reminiscenzen auf der Rückreise von Kissingen besuchte.

Und nun kam ein Stück dieser Reminiscenzen, an dem er, wie die Herrschaften zugeben würden, unter diesen Umstanden noch seine ganz besondere Freude haben müsse.

Ja, meine Herrschaften, rief er, so wahr ich die Ehre und das Vergnügen habe, hier an dieser Tafel an der Seite unsrer erlauchten Wirtin zu sitzen, ich habe die schöne große Dame, da mir gegenüber, gekannt, als sie noch ein kleines fünf- oder sechsjähriges Mädchen war und mit dem damaligen Erbprinzen, dem jetzt regierenden jungen Herrn, auf der Wiese vor dem Schlosse Haschens spielte. Sie hatte ein weißes Kleidchen an mit einem blauen Gürtel und trug das braune Haar in Locken, die ihr beim Laufen um den Kopf flatterten. Ich könnte sogar noch mehr erzählen; aber über die Gunst, die man von einer Dame empfangen, auch wenn sie erst sechs Jahr alt war und man selbst überreichlich ihr Vater hätte sein können, ist tiefes Schweigen Ehrenpflicht, zumal für einen grauhaarigen Junggesellen, dessen Reminiscenzen nach dieser Seite immer mehr oder weniger verdächtig sind. Und so denn, mein gnädiges Fräulein, nicht als Lohn einer Diskretion, die sich von selbst versteht, nur als Zeichen, daß sie nicht ungern einem alten Freunde Ihrer verehrten Eltern begegnet sind, bitte ich um die Gunst, dieses Glas auf Ihr Wohl leeren zu dürfen.

Der alte Herr hatte, das gefüllte Champagnerglas in der erhobenen Hand, sich mit der Zierlichkeit eines Exdiplomaten tief vor Eleonore verneigt, und da Guido und ihr Tischherr um die Ehre baten, sich Excellenz anschließen zu dürfen, die beiden noch übrigen Herren sich ebenfalls, die Gläser in den Händen, verneigten, und die Gräfin wenige Augenblicke später das Zeichen zum Aufheben der Tafel gab, gewann es fast den Anschein, als habe sie dem Bankett mit dieser kleinen Ovation für Eleonore den würdigsten Schluß geben wollen.


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