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Sechstes Kapitel.

Der Schauplatz des Festes war wieder der freie Raum vor dem Hause, der jetzt mit Guirlanden farbiger Lampions, welche man von Baum zu Baum gezogen, förmlich übersponnen war, und das mächtige, reich geschmückte, auf einem angrenzenden Wiesenplan errichtete, nach dem Raum unter den Bäumen offene Zelt, in welchem getanzt wurde. Nach der zuletzt recht lästigen Hitze im Speisesaal empfand man den Aufenthalt in freier Luft als eine besondere Wohlthat, und die laue, windstille, noch völlig sommerliche Nacht ließ auch in einem ängstlichen Gemüt die Furcht vor der Erkältungsgefahr nicht aufkommen. Die älteren Herrschaften saßen um die Tische in lebhaft plaudernden Gruppen, die Herren ihre längst herbeigesehnten Cigarren dampfend und den Durst, den sie sich im Speisesaale getrunken, mit frischen Flaschen Sekt kühlend. Aus dem Zelte heraus erklangen, nur durch kurze Pansen unterbrochen, die munteren Tanzweisen, jetzt von dem städtischen Orchester, welches zur Genugthuung zarterer Ohren die Militärkapelle mit ihrer Blechmusik abgelöst hatte.

Guido hatte mit Eleonore den Ball eröffnet. Da er in diesem Kreise unbestritten als der Vornehmste galt, gebührte ihm der Vortritt; nur die Wahl seiner Partnerin erregte starkes Befremden. Wenn es sich hier auch um ein ländliches Fest handelte, bei dem man von einer strengen Beobachtung der Etikette absehen mochte, – ganz durfte man die schuldige Rücksicht nicht aus den Augen setzen; und es schien doch mindestens nicht eben taktvoll von Graf Guido, eine Dame so auszuzeichnen, von der es noch fraglich war, ob man sie als Dame im eigentlichen Sinne bezeichnen könne.

Allerdings konnte man dergleichen Reden – und hier auch von den Herren – nur in dem Kreise hören, dessen viel umschwärmter Mittelpunkt Kittie war – die einzige ernsthaft zu nehmende Rivalin, die Eleonore hatte. In dem Kreise, der Eleonore umgab, leugnete man diese Rivalität – zwischen einem Stern entschieden erster und einem nicht minder entschieden zweiter Größe könne davon keine Rede sein. Frau von Ozanski, welche erklärte, in das Mädchen völlig verliebt zu sein, hatte das Wort lanciert: »Primadonna und Soubrette«, ein Vergleich, den von Brandt durch die Uebersetzung in »Vollblut und Halbblut« dem Verständnis der Herren anbequemte.

Mochten die Herren und Damen das untereinander ausmachen, Eleonore berührte es nicht; sie hatte nur die starke Empfindung, von einer hohen Woge des Beifalls getragen zu werden und einen öffentlichen Triumph zu feiern. Den ersten in ihrem Leben deshalb, weil die beschränkten Verhältnisse, in denen sie ihre frühere Jugend zugebracht, und später die Abhängigkeit ihrer gesellschaftlichen Lage keine Gelegenheit dazu gegeben. So sagte sie sich, während die Herren sie um einen Tanz, eine Extratour bestürmten; sie jetzt an dem Arm dieses, jetzt jenes durch den Saal schwebte und sich in den Pausen mit Galanterien und Aufmerksamkeiten überschüttet sah. Und daß es ganz in ihrer Macht stehe, sie nur ein Wort koste, und die kommenden Jahre bildeten eine Kette solcher und noch viel glänzenderer Triumphe. Und daß sie eine Närrin sei, wenn sie dies Wort nicht spreche, um des Vorurteils willen, man dürfe es nicht sprechen, wenn es nicht von leidenschaftlicher Liebe diktiert würde – jener Liebe, die ihr außer ein paar holden Stunden nichts als Gram und Herzeleid und heute eine Beschämung gebracht, von der ihr, dachte sie daran, noch die Wangen brannten. Aber sie wollte nicht daran denken; sie wollte den Augenblick genießen, wollte schwelgen in dem stolzen Bewußtsein, durch ein Wort, einen Blick, ein Lächeln Menschen glücklich machen zu können.

Guido war es – überglücklich! Daß er seinen Arm um den schlanken, biegsamen Leib legen, den zarten, klopfenden Busen so nahe an seinem Herzen spüren, den Hauch ihres reinen Atems auf seiner Wange fühlen durfte, – es machte ihm seine Heilige nicht weniger heilig, nur anbetungswürdiger. Und während ihm der Wunsch und die Hoffnung, die er doch einst gehegt, denen er doch einst Ausdruck zu geben gewagt: das wundersame Mädchen sein zu nennen, immer wahnsinniger erschien, hatte er nur das eine Verlangen: der Himmel möchte ihm irgend eine Gelegenheit geben, beweisen zu dürfen, wie unsinnig er sie liebe. Selbst der Gedanke, daß sein Tod – denn um Geringeres handelte es sich nicht – die Mama tief betrüben werde, hatte für ihn keinen Schrecken. Ein höheres als diese seine Liebe konnte ihm das Leben nicht gewähren. Für dies Höchste zu sterben, es hätte alles wieder gutgemacht, was er im Leben unter dem Gefühl, trotz seiner Grafschaft ein unbedeutender Mensch zu sein, peinlich gelitten.

Welche erdenkliche Mühe er sich auch gab, mit keiner Miene, keinem Worte dem angebeteten Mädchen seine Gefühle zu verraten, und wie gut ihm das auch, dank der angewöhnten vornehm-ruhigen Haltung, gelang, – Eleonore hätte ihm alles sagen können, was in seiner Seele vorging. Und nachdem sie eben erst das Höllenleid erfahren, das Liebe bringen kann, war es wie eine Erlösung: der Blick in dies sanfte, geduldig liebende Herz. Wahrend sie jetzt in einer Pause mit ihm plauderte und seinen gewiß nicht geistvollen, aber treuherzigen, schlichten Worten zuhörte und seinen Blick in so stiller entsagungsvoller Verehrung auf sich gerichtet sah, mußte sie eines Frühmorgens gedenken auf Schloß Glenmore. Es hatte in der Nacht ein rasender Sturm gewütet, und sie hatte im Licht der Blitze die hohen Parkbäume vor ihrem Fenster wie im Wahnsinn ihre Wipfel hin und her schleudern und ihre Zweige durcheinander peitschen sehen. Dann war sie am Morgen in den Park gegangen: die Bäume hatten in tiefem Frieden den warmen Sonnenschein getrunken und ihre blauen Schatten über die Wiesen gemalt, auf deren Grashalmen die Tropfen vom wilden Regen der Nacht wie Diamanten funkelten. Und in den friedvollen Bäumen hatten die Vögel jubiliert, und sie hatte von dem Leben geträumt an der Seite eines Mannes, den sie lieben konnte.

In diesem Moment fühlte sie ihre Schulter von einem Finger berührt. Als sie sich erschrocken wandte, sah sie die Generalin vor sich stehen, ein böses Lächeln auf dem harten Gesicht.

Ich habe Sie zu sprechen – lieber Graf, Sie verzeihen wohl?

Was ist es, gnädige Frau? fragte Eleonore. Clementine?

Natürlich! Sie thut es nicht anders. Aber wir sprechen darüber besser draußen. Noch einmal: Entschuldigung, lieber Graf!

Sie ging schnell voran, Eleonore folgte ihr. Die liebe Clementine! Wäre sie doch nur bei ihr geblieben!

Auf den Stufen, die zu dem Podium des Tanzzeltes hinaufführten, stand die Generalin einen Moment still, so daß Eleonore an ihre Seite kommen konnte.

Warum sind Sie nicht bei Clementine geblieben? sagte sie, weiterschreitend, in einem heftigen, fast groben Tone.

Die gnädige Frau vergessen, erwiderte Eleonore, daß Sie ausdrücklich meine Begleitung gewünscht haben. Ich bitte, sagen Sie mir, was es mit Fräulein Clementine ist!

Deshalb habe ich mir die Erlaubnis genommen, Sie in Ihrem Vergnügen zu stören, sagte die Generalin höhnisch. Man hätte es vorauswissen können. Clementine soll kränker geworden sein. Die Gänse von Mädchen verlieren immer gleich den Kopf. Da schicken sie sofort zu Doktor Balthasar in die Stadt, und der in seiner gewohnten Aengstlichkeit hat natürlich nichts eiliger, als einen reitenden Boten hier heraus zu jagen, damit wir die angenehme Nachricht doch ja recht warm bekommen. Bevor er selbst noch weiß, um was es sich handelt. Lächerlich!

Ich fürchte, gnädige Frau, sagte Eleonore, der Herr Doktor weiß nur zu gut, was er thut. Er weiß sicher, daß, wenn gegen die Erwartung, die er heute vormittag hegte, eine Verschlimmerung des Zustandes eintritt, diese Verschlimmerung eine Gefahr bedeutet.

Schade nur, daß Sie mich nicht schon heute morgen mit Ihrer tiefen Einsicht beglückt haben, bemerkte die Generalin.

Eleonore, in ihrer Sorge um die Freundin, empfand die Brutalität der Dame kaum.

Was haben Sie beschlossen, gnädige Frau? sagte sie.

Da ist nicht viel zu beschließen: der Wagen aus der Stadt, der uns abholen soll, kann erst in einer Stunde hier sein. Bis dahin werden wir uns wohl gedulden müssen.

Aber wir haben heute, über den See zu kommen, kaum eine halbe Stunde gebraucht.

Ueber den See! nachdem wir unser Boot zurückgeschickt haben!

So wird doch leicht ein andres aufzutreiben sein. Bedenken Sie, gnädige Frau, wir gewinnen so mindestens zwei Stunden!

Die Generalin war unsicher geworden. Eleonore hätte drei Stunden sagen können. Wenn auch der aus der Stadt erwartete Wagen pünktlich eintraf, schneller als in zwei Stunden konnte man den Weg um den halben See, man mochte ihn von dieser oder jener Seite nehmen, nicht zurücklegen. Sie hatte selbst schon an die vorgeschlagene Auskunft im schlimmsten Fall gedacht. Aber der verhaßten Person recht zu geben, war unmöglich. Und wo lag hier ein schlimmster Fall vor?

Wo denken Sie hin! rief sie, über den See – in der Dunkelheit! Nein, meine Liebe, ich habe nicht Lust, meine Kittie, nachdem sie sich hier heiß getanzt hat, in der feuchten Nachtluft auf dem See sich den Tod holen zu lassen. Das können Sie mir nicht verdenken.

So erlauben mir die gnädige Frau, hinüber zu fahren.

Daran hatte die Generalin wieder nicht gedacht. Diese ewigen Einwendungen, denen sie nichts entgegenzusetzen wußte, brachten sie außer sich.

Meinetwegen! sagte sie, jetzt mit unverhüllter Grobheit; thun Sie, was Sie nicht lassen können. Ich übernehme keine Verantwortung. Und um das Boot, das Sie hinüberbringen soll, werden Sie sich wohl selber bemühen müssen.

Ich bitte das gnädige Fräulein, mir das überlassen zu wollen! sagte Guido hinter ihnen.

Er war in dem dunklen Gefühl, daß die Miene der Generalin gleichbedeutend mit einer Unannehmlichkeit für Eleonore, vielleicht mit etwas noch Schlimmerem sei, den Damen in diskreter Entfernung gefolgt und erst in der letzten Minute, als die Generalin ihre niemals leise Stimme immer lauter und heftiger erhob, herangetreten.

Ah, der Herr Graf! rief die Generalin; Pardon! ich wußte nicht, daß ich meine Gesellschafterin ohne Ihre Gesellschaft nicht sprechen dürfe.

Guido bebte vor Zorn; aber er bezwang sich und erwiderte mit seiner gewohnten vornehmen Höflichkeit:

Verzeihung, gnädige Frau, davon kann nicht wohl die Rede sein. Ich bin nicht indiskreter gewesen als die Herrschaften dort am Tisch, denen augenscheinlich keines Ihrer Worte entgangen ist, so wenig wie mir.

Und dann, sich zu Eleonore wendend:

Wollen das gnädige Fräulein mich hier erwarten? Ich hoffe, in wenigen Minuten zurück zu sein.

Ich werde mit Ihnen gehen! erwiderte Eleonore. Haben die gnädige Frau sonst noch Befehle?

Nein! ich danke Ihnen.

Unerhört! murmelte Guido, während er und Eleonore rasch dem Hause zuschritten. Gnädiges Fräulein, verzeihen Sie meine Dreistigkeit: Sie dürfen in diesem Hause nicht bleiben.

Glauben Sie, daß ich es nach dieser Scene freiwillig eine Stunde länger als nötig thun werde? Seien Sie versichert, ich setzte keinen Fuß wieder in das Haus; aber ich kann Clementine in diesem Zustande nicht verlassen.

Ja, ja, das begreife ich, sagte Guido, selbstverständlich! Aber dann? Was dann?

Ich weiß es nicht; ich bin gewohnt, von einem Tag zum andern zu leben.

Sie waren in das Haus getreten; Eleonore mußte in die Garderobe, sich Mantel und Schleiertuch zu holen; Guido wollte indessen das Boot besorgen.

Es war das bald geschehen: von den Hausknechten, die zugleich Bootknechte waren, erbot sich sofort einer, die Dame nach Seehausen hinüber zu rudern. Es solle keine halbe Stunde dauern.

Das Boot war bereit; Eleonore kam nicht; jedenfalls ging in der Garderobe alles drunter und drüber. An Guido, der vor der Landungsbrücke ungeduldig auf und nieder schritt, trat der alte Herr von Trottau heran, der in dem jetzt verödeten, fast dunklen Garten behaglich seine Cigarre rauchte.

Sieh da, lieber Graf! ich glaubte doch, Ihre Stimme zu erkennen. Was treiben Sie hier?

Guido sagte ihm in fliegenden Worten, um was es sich handelte. In seiner Erregung konnte er sich nicht enthalten, dem Unwillen gegen die Generalin einen für seine freundliche Gemütsart sehr entschiedenen Ausdruck zu geben.

Ja, ja, sagte der alte Herr, sie ist schon ein Drache, trotz ihrer Katzenallüren. Das arme Mädchen! Aber ich glaube zu wissen, was sie eben jetzt so aus dem Harnisch gebracht hat. Nur muß ich für das, was ich Ihnen mitteilen werde, um vorläufige strengste Diskretion bitten. Also: mein Windhund von Hans ist seit vier Wochen mit seiner Cousine Elise verlobt. In dem Augenblicke, wo die Verlobung publiziert werden sollte – die Karten waren schon gedruckt –, wird Frau von Bärwald krank, daß das Schlimmste zu befürchten war. Nun, Sie wissen, sie lebt heute noch, aber kann jeden Tag sterben. So hat sich die Publikation hingetrödelt. Und die Zwischenzeit benutzt mein Sausewind, um sich noch einmal gründlich zu amüsieren. Kann's ihm nicht verdenken, hat nur alles seine Grenzen. Mit seiner Courschneiderei bei der kleinen Arnfeld, das geht zu weit. Ich habe ihm vorhin gründlich die Leviten gelesen. Na, und ich hielt es für meine Pflicht, auch der Generalin reinen Wein einzuschenken. Ich konnte voraussehen, daß er ihr sehr schlecht schmecken würde; es ging nicht anders. Daß Hans von seinem Engagement zurücktreten könnte, daran ist aus tausend Gründen nicht zu denken. Ueberdies hat er mir eben erklärt, daß es ihm nicht im Traum einfalle, das Techtelmechtel mit der kleinen Arnfeld ernst zu nehmen. Ja, ja, so seid ihr jungen Leute von heute! Und da wir einmal bei dem Kapitel sind – wollen Sie dem alten Freunde Ihrer lieben Mama, und der Sie hat aufwachsen sehen, eine freie Frage verstatten? Sie haben doch in Beziehung auf – na, Sie wissen schon, wen ich meine – da haben Sie doch ernste Absichten?

Gott ist mein Zeuge! sagte Guido innig.

Der alte Herr ergriff seine Hand mit kräftigem Druck.

Ich wußte es. Ich wußte es – es wäre auch gräßlich, wenn es anders wäre. Sie glauben nicht, welchen Anteil ich an dem Mädchen nehme. Es wird ungeheures Aufsehen machen. Ich selbst – na! ich schwärme gerade nicht für dergleichen Verbindungen; aber es giebt Ausnahmen – großartige Ausnahmen. Und wenn Sie mit der Mama d'accord sind –

Selbstverständlich! beteuerte Guido.

So ist alles in schönster Ordnung. Na, ich gratuliere – gratuliere von ganzem Herzen!

Aber, Excellenz, es ist noch nichts entschieden!

Nichts entschieden? Sie sollte – na, wissen Sie was, lieber Guido, ich bin überzeugt, sie hält große Stücke auf mich; ich werde gleich mal mit ihr sprechen.

Es dürfte kein sehr günstiger Augenblick sein, sagte Guido ängstlich; jetzt, wo sie um Fräulein Clementine –

Gott, ja, das habe ich ganz vergessen, rief der alte Herr. Das arme Mädchen! Freilich! Und sie will sich hinüberrudern lassen – ganz allein –

Ich würde ihr so gern meine Begleitung anbieten, aber –

Nein, das geht nicht! Auf keinen Fall! Das gäbe einen unerhörten Skandal und Oberwasser auf die Mühle der Generalin. Wer soll sie denn fahren?

Ich, Excellenz, sagte der Knecht, der mit ihnen auf der Landungsbrücke stand und die Kette vom Boot bereits in der Hand hielt.

Ah, du, Christian! rief der alte Herr, den Mann erkennend. Na, lieber Guido, dem können wir sie getrost anvertrauen. Den alten Christian kenne ich. Der ist treu wie Gold. Apropos – hier, Christian!

Ne, Excellenz, sagte der Mann abwehrend, der Herr Graf hat mich ja schon –

Ei, so nimm doch, dummer Kerl! Doppelt reißt nicht.

Da kommt ja auch unser Fräulein!

Mit jugendlicher Lebhaftigkeit war der alte Herr Eleonoren entgegengeeilt, die schnellen Schrittes vom Hause herkam. Die Sachen in der Garderobe waren nicht zu finden gewesen; dann hatte ihr die gutmütige Wirtin, als sie hörte, um was es sich handelte, noch ein großes Tuch aufgedrängt, darüber waren wieder Minuten vergangen. Sie dankte den Herren für ihre Güte, reichte ihnen die Hand, die der alte Herr küßte, während Guido sie nur stumm drückte, und sprang in das Boot. Gott geleite Sie! rief der alte Herr. Guido sagte nichts. Das Herz war ihm zu voll. Mit gleichmäßigen, kraftvollen Schlägen trieb Christian das leichte Boot in den See, dessen Wasser ein laulichter Wind, der von Zeit zu Zeit darüber hinstrich, nicht aus dem Schlaf zu wecken vermochte. Am schwarzblauen Himmel stand der beinahe noch volle Mond, mit seinem Glanz das Licht der Sterne auslöschend. Bald klarer, bald dunkler, je nach der Entfernung traten die Ufer aus der Dämmerung hervor – alles in Schweigen gehüllt. Nur von dem Festplatze her kamen noch einzelne verschwommene Töne der Musik. Dann verklangen auch sie, und Eleonore vernahm nichts mehr als das gleichförmige Eintauchen der Riemen und ihr dumpfes Knirschen an den Pricken. Christian hatte sie gleich im Anfang der Fahrt gefragt, »ob sie steuern könne«; sie hatte, da sie es in England gut gelernt, mit »Ja« antworten dürfen und saß nun am Ruder, in das Umschlagetuch der Wirtin gehüllt, manchmal nur zum Himmel empor oder über den See blickend, sonst die Augen fest gerichtet auf die dunkle Masse der Bäume des Parkes von Seehausen, die sich scharf vom westlichen Himmel abhob, auf welchem, trotzdem Mitternacht längst vorüber, noch ein schwacher Rest des Abendrots zu zögern schien.

In dieser feierlichen Stille unter dem erhabenen Himmel bemächtigte sich Eleonores die seltsamste Empfindung. Anfangs war noch die Erinnerung der Scenen, die sie heute abend erlebt, durch ihre Seele geglitten: Ulrich hatte sie angeblickt mit den schönen, vor Liebe und Zorn glühenden Augen; Guido war an sie herangetreten und hatte schüchtern nach ihrer Hand gefaßt; Kittie war im Arm Hans von Trottaus an ihr vorübergeschwebt und hatte ihr über die nackte Schulter einen spöttischen Gruß zugenickt – dann aber schwand dies und alles vor einem einzigen großen Bilde: dem Nachen, welchen Charon über den stillen Acheron rudert, während die abgeschiedene Seele selbst, in ihr Leichentuch gehüllt, das Steuer führt, – die abgeschiedene Seele, die den Göttern dankt, daß der Graus des Lebens hinter ihr liegt und vor ihr das Land der Schatten winkt, in welchem sie nicht mehr zu lieben und zu hassen braucht, sondern es in ihr still sein darf, ganz still in alle Ewigkeit.

Da glitt das Boot in den Schatten der Parkbäume und legte an der Landungsbrücke an. Christian half ihr hinaus. Sie wollte ihm Geld geben, das er entschieden ablehnte: Excellenz und der Graf hätten ihm mehr gegeben, als er in einem Monat verdienen könne. Eleonore empfahl ihm noch die Sorge für das Tuch der Wirtin, das sie im Boot zurückließ, und eilte dem Hause zu, auf dessen Fenstern das gelbe Mondlicht flimmerte.


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