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Zehntes Kapitel.

Nach Verlauf von anderthalb Stunden war Eleonore zurückgekehrt als Gesellschafterin der Generalin von Arnfeld. Den Namen hatte sie auf dem Schilde an der Thür der Wohnung gelesen, den Titel gelegentlich im Laufe der Unterredung gehört, die zwischen ihr und der Dame zuerst unter vier Augen geführt, dann, als man sich bereits geeinigt, in Gegenwart der jüngeren Tochter noch eine Weile fortgesetzt worden war. Die ältere Tochter war nicht zum Vorschein gekommen; Eleonore hatte die Empfindung, daß sie in der Familie nur eine untergeordnete Rolle spiele. Der Eindruck, den die Generalin auf sie gemacht, war, alles in allem, günstig gewesen: eine Frau Anfang der Fünfziger etwa, welche die sehr elegante Toilette, die schlanke Gestalt und die große Beweglichkeit ihres Mienen- und Gebärdenspiels um mindestens zehn Jahre jünger erscheinen ließen. Etwas verblaßte, von den Lidern meist halb verhüllte, in die großen Höhlen zurückgesunkene blaue Augen; römische, nicht eben schöne Nase; das einzig Häßliche der Mund mit den dünnen, auf die starken Zähne gepreßten Lippen; im ganzen: eine Erscheinung, die vornehmer gewesen wäre, hätte sich die Absicht, so zu erscheinen, weniger bemerklich gemacht.

Nicht annähernd so deutlich war das Bild, das Eleonore von der siebzehnjährigen, Kittie genannten Tochter davongetragen, die sie allerdings zu beobachten nur wenig Zeit gehabt hatte: ein hübsches, aber nichts weniger als bedeutendes Gesicht, dessen kleiner Mund mit den roten schwellenden Lippen – das völlige Gegenteil von dem Mund der Mutter –, der kaum mittelgroßen Gestalt entsprach mit ihren für die große Jugend fast verletzend üppigen Formen. Das auffällige, nur wenig gelungene Bestreben der jungen Dame, die Mama in Haltung und Sprachweise zu kopieren, hatte Eleonore ein paarmal heimlich lächeln gemacht. Trotz dieser großen Verschiedenheit in der äußeren Erscheinung und vermutlich auch in geistiger Begabung, schienen Mutter und Tochter sich gegenseitig zu vergöttern: mein bestes, mein herrliches Mamachen – mein süßes, mein herziges Kind – das war, wie bunte Reifen, hinüber und herüber geflogen. Das altmodische Herz und Tilchen machen es ebenso, nur in etwas andrer Manier, hatte Eleonore bei sich gedacht.

Uebrigens waren beide Damen von einer Zuvorkommenheit gegen sie gewesen, die ihr in Anbetracht der eben erst gemachten Bekanntschaft übertrieben erschien. Besonders die Generalin hatte sie mit Liebenswürdigkeiten förmlich überschüttet und sich zuletzt ordentlich in einen Enthusiasmus für sie hineingeredet, hinter dem die Tochter nicht zurückbleiben wollte, so daß Eleonore nur immer abzuwehren, immer wieder zu betonen gehabt hatte: man möge doch die Erwartungen nicht so hoch spannen und ihr eine Beschämung ersparen, sowie sich selbst eine sonst unvermeidliche Enttäuschung. Ihre Mahnung war unberücksichtigt geblieben; sie hatte alles, wie peinlich es ihr auch war, über sich ergehen lassen müssen.

In dem Gespräch mit der Generalin hatte Eleonore das Nötige über ihre Familienverhältnisse in der Kürze mitgeteilt. Die Generalin war nach dieser Seite offenbar mit dem Wenigsten zufriedengestellt; dafür hatte Eleonore von ihrem Aufenthalt in England nicht genug erzählen können. Daß sie sozusagen direkt aus dem Hause eines Lords in ihr Haus übersiedelte, schien der Generalin sehr wohlzuthun. Von ihren eigenen Verhältnissen war nur im Vorübergehen die Rede gewesen; Eleonore hatte kaum mehr erfahren, als daß die Dame seit fünf Jahren Witwe sei, des Sommers auf ihrem Gute, des Winters hier in Berlin lebe, wo sie sich seit acht Tagen aufhalte – immer auf der Suche nach der, die sie ja nun endlich zu ihrer wahren Herzensfreude in Eleonore gefunden habe. Jetzt, nachdem der einzige Zweck, der sie hierher geführt, erreicht, brenne sie vor Begierde, die Stadt, die sie im Winter schwärmerisch liebe und im Sommer fanatisch hasse, zu verlassen. Ob Eleonore es fertig bringen könne, noch heute zu ihr überzusiedeln, um morgen mit dem ersten Zuge hinaus auf das Land, in die Freiheit zu fliehen? Eleonore hatte ja gesagt. Brannte doch auch ihr der Boden hier unter den Füßen, wohl noch etwas heißer als der überschwenglichen Dame, und einen Reiseentschluß von heute auf morgen gefaßt und ausgeführt zu sehen, war sie von England her gewöhnt. Wo das »auf dem Lande« war, hätte sie gewußt, wäre ihr die kleine Stadt, in deren Nähe das Gut liegen sollte, und deren Namen die Generalin erwähnt, nicht völlig unbekannt gewesen. Sie hatte die unbestimmte Vorstellung von einem in unmittelbarer Nähe von Berlin liegenden Städtchen gehabt, aber die Lücke in ihrer Heimatkunde nicht eingestehen mögen. Es kam auch nicht darauf an.

Den Entschluß, ein neues Engagement anzunehmen, hatte sie gefaßt und ausgeführt, ohne ihre Verwandten davon zu unterrichten. Es würde, wäre sie mit ihrem Plane hervorgetreten, ein endloses unnützes Gerede gegeben haben. Und weshalb sollte der Tante und Tilchen die Trennung von ihr schwer fallen, durch die mittelbar und unmittelbar so viel Unheil über die »Familie« gekommen war? So fühlte sie sich denn wahrhaft beschämt, als sie die schmerzliche Erregung sah, in welche die alte Dame durch eine Mitteilung versetzt wurde, die sie freilich jetzt nicht länger hinausschieben durfte. Ob sie oder Tilchen im Laufe dieser Wochen je etwas gesagt, oder gethan hätten, das einer Mutter, einer Schwester ungeziemend gewesen wäre? Die letzten Tage hätten sie gelehrt, daß mit Pensionären, die bereits einen Bart trügen, ein dauernder Bund nicht zu flechten sei; aber daß auch Familienbande sich nicht minder leicht lösen ließen, habe ihr altmodisches Herz nicht für möglich gehalten. Und denke Eleonore denn wirklich zu ihrem großen Kummer über diese Dinge so ganz anders als sie, warum sie ihr das nicht an dem Tage gesagt habe, als sie sich erbot, von ihren Ersparnissen die Schuld an Herrn Witte zu bezahlen? Für eine Mutter, die sich in Not befinde, sei es, wie peinlich immer, doch nicht schimpflich, die Hilfe einer Tochter anzunehmen; von einer Fremden –

Hier konnte die gute Frau vorderhand nicht weiter sprechen, denn Eleonore war ihr um den Hals gefallen, sie zu versichern, daß sie die beste Tante von der Welt und alles, was sie da gesagt, mit ihrer gütigen Erlaubnis, Unsinn sei. Sie für ihr Teil habe es nur nicht in der Ordnung erachtet, das Brot ihrer Tante zu essen, während sie ihr eigenes Brot verdienen könne, und also von Gottes und Rechts wegen verdienen müsse. Dafür gebe sie ihr denn ihr Wort, daß sie, falls sich dies neue Engagement als ein Fehlschlug erweisen sollte, auf der Stelle zu ihr zurückkehren werde.

Unter dieser Bedingung, die Eleonore feierlich wiederholen mußte, kam ein leidlicher Friede zustande, zu dem auch Tilchen vom Bett aus unter vielen Thränen ihren Segen gab. Nur als sie erklärte, noch heute abend die Uebersiedelung vornehmen zu müssen, drohte der Sturm von neuem loszubrechen. Aber Eleonore blieb fest: sie habe einmal ihr Wort gegeben, und das müsse sie halten; von einer Unmöglichkeit, in der kurzen Zeit mit dem Packen ihrer Sachen fertig zu werden, könne nicht die Rede sein, da sie heute nur das Notwendige mitzunehmen gedenke. Das übrige möchte man ihr nachsenden.

Und wohin wäre das, liebes Kind? fragte die Geheimrätin.

Eleonore mußte lachend gestehen, ihr darüber keine Auskunft geben zu können; doch wollte sie nicht vergessen, den wichtigen Punkt noch heute abend ins reine zu bringen.

Kind, Kind! rief die Geheimrätin, nimmermehr hätte ich einem Mitgliede unsrer Familie eine solche Unbedachtsamkeit zugetraut. Da dürfte ich mich nicht einmal mehr wundern, wenn du auch den Namen der Dame, zu welcher du gehen willst, vergessen hättest.

Es fehlte nicht viel, so hätte die Ironie der guten Frau das Richtige getroffen: Eleonore mußte sich einen Augenblick besinnen, bevor sie die Generalin von Arnfeld nennen konnte.

Die Geheimrätin zog die Augenbrauen in die Höhe und die Mundwinkel herunter.

Kennst du sie? fragte Eleonore erstaunt.

Ich kann nicht sagen, daß ich die Frau Generalin kenne, erwiderte die Geheimrätin, trotzdem ich mit ihr im vorigen Winter in dem Komitee für den Bazar gesessen habe, der dann im Rathaussaale unter der Protektion der Frau Kronprinzessin abgehalten wurde, und von dem du gelesen haben wirst.

Freilich, sagte Eleonore, die keine Ahnung von einem solchen Bazar hatte. Und nun: welchen Eindruck hat sie auf dich gemacht? Du kannst doch denken, wie mich das interessiert.

Ich weiß nicht, ob ich jetzt noch offen sprechen darf, nachdem du dich, wie es scheint, fest gebunden hast, erwiderte die Geheimrätin.

Aber erst recht! rief Eleonore, um so mehr, als ich auf alles gefaßt bin.

Ja, ja, sagte die Geheimrätin seufzend; so seid ihr jungen Mädchen von heute. In meiner Jugend hatte man so viel Selbstvertrauen nicht. Nun, es mag eine schöne Sache darum sein, wenn es auch für altmodische Herzen nicht paßt, und ich möchte es dir nicht rauben.

Also etwas ganz Schlimmes! sagte Eleonore, sich von einem Koffer, an dem sie eifrig packte, aufrichtend.

Gott soll mich bewahren, daß ich bösen Leumund von meinen Mitmenschen redete! rief die Geheimrätin. Und gar in diesem Falle habe ich nichts mitzuteilen als subjektive Eindrücke, die für einen andern vielleicht völlig wertlos sind. Ueberdies pflegen sich nach meiner reichen Erfahrung die Damen in einem Wohlthätigkeitskomitee nicht von der günstigen Seite zu zeigen. Mit Ausnahme von ein paar altmodischen Herzen, die zu arbeiten gekommen sind und wirklich arbeiten, wollen sie alle kommandieren, das große Wort führen, sich den Anschein geben, als ob man ohne sie rat- und hilflos sei. Darin that es die Frau Generalin allen andren zuvor. Und natürlich, als dann die kronprinzlichen Herrschaften erschienen, machte sie die Honneurs. – Nun, liebes Kind, ich bin gewiß loyal gesinnt, wie es einer preußischen Beamtenwitwe zukommt; aber was zu viel ist, ist zu viel. Ich darf sagen: unser guter Kronprinz ließ die Frau Generalin sehr deutlich merken, daß ihm mit honigsüßen Redensarten und Augenverdrehen und Knixen bis auf den Boden kein X für ein U zu machen ist. Alle Welt hat sich darüber mokiert und über die Beflissenheit – um kein härteres Wort zu gebrauchen –, mit der sie das Töchterchen – gewiß dasselbe, das du gesehen hast – in den Vordergrund zu schieben suchte. Die Kleine ist nicht übel; nur wenn Tilchen sich, noch dazu in einem öffentlichen Lokal, vor Hunderten von Menschen so aufstellen wollte, ich wäre außer mir. Aber so etwas, scheint es, gefällt den Herren von heute, wenigstens hatte sie in der Büffettbude einen immensen Erfolg. Zehn, zwanzig Mark für ein Gläschen Likör oder Champagner – das war gar nichts. Ein Graf Wendelin soll sogar für eine Cigarre, von der sie – ich schäme mich, es zu sagen – die Spitze abgebissen hatte, fünfhundert Mark gegeben haben.

Es sollte mir leid thun, sagte Eleonore, wenn das derselbe wäre, der mir heute mittag einen Besuch gemacht hat.

Ja, wahrhaftig, rief die Geheimrätin; in der Aufregung vergißt man alles. Darüber haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Was wollte der Herr Graf eigentlich bei dir? Denn daß er sich auch bei mir hat melden lassen, war doch wohl nur pro forma?

Er sagte, er wolle sich nach meinem Befinden erkundigen, erwiderte Eleonore. Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß er eine andre Absicht gehabt hat. Was meinst du, Tante? soll ich das Kleid nicht doch lieber erst zu Spindler schicken?

Auf jeden Fall! rief die Geheimrätin, das betreffende Garderobestück einer genauen Musterung unterziehend; es ist freilich noch so gut wie neu; aber so verwöhnten Damen gegenüber darf man sich auch nicht das Geringste vergeben.

Der Abend war bereits hereingesunken, als die beiden Koffer, die Eleonore vorläufig mitnehmen wollte, fertig gepackt standen, und Auguste gegangen war, von dem nächsten Stande eine Droschke zu holen. Eleonore dankte im stillen dem Himmel, daß es so weit war. Seit Jahren gewöhnt, die Herrin ihrer Entschlüsse zu sein, war es eine schwere Geduldsprobe für sie gewesen, die Ermahnungen und Einwendungen der Tante über sich ergehen zu lassen. Dabei mußte sie sich gestehen, daß die Reden der guten Frau nicht ohne Eindruck auf sie geblieben waren. Bei allen ihren kleinen Schwächen war die Tante doch eine in ihrer Weise gescheite Frau, und die, wenn sie auch mehr Wesen als nötig davon machte, das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Das bewiesen wieder einmal ihre Bazarbeobachtungen, die sich, wie Eleonore im stillen zugeben mußte, mit den von ihr selbst aus dem Salon der Generalin mitgebrachten so ziemlich deckten. In ihrer gedrückten Stimmung wollte ihr der Schritt, den sie gethan, als eine schlimme Uebereilung erscheinen, an der, wie sie meinte, die Aufregung, in welche sie der Antrag des Grafen versetzt, die meiste Schuld trug. Sie hatte ein Los ausgeschlagen, nach dem tausend andre Mädchen mit Freuden gegriffen hätten, und sich zum Entgelt dafür beweisen wollen, daß sie fest in ihren eigenen Schuhen stehe und nicht, wie andre Mädchen, nötig habe, ihr Schicksal von einem Zufall bestimmen zu lassen, auch wenn er in der freundlichen Gestalt eines blonden harmlosen jungen Mannes vor sie trat. Oder war der Herr Graf auch so harmlos nicht? Die häßliche Geschichte mit der von weißen siebzehnjährigen Mädchenzähnen abgebissenen Fünfhundert-Mark-Cigarre! Es war wie mit dem neuen Kleid, das um eines kleinen Fleckens willen in die Waschanstalt mußte. Und kam es zurück, war es kein neues Kleid mehr.

Auguste meldete, daß die Droschke da sei. Während die Koffer hinabgetragen wurden, dankte Eleonore noch einmal der Tante für alles Liebe und Gute, das sie in ihrem Hause genossen; nahm Abschied von dem schluchzenden Tilchen und stand dann unten auf der Straße vor der Droschke. Im Begriff einzusteigen, mußte sie noch einen Gruß mit Don Fernando wechseln, der eben nach Hause kam und vor Verwunderung über etwas, das denn doch eine Abreise schien, die braunen Augen weit aufriß. Nun fehlt nur noch, daß der auch kündigt, dachte Eleonore und lehnte sich in die Wagenecke, um sich den Blicken des Mannes mit der Troddelmütze zu entziehen, der, seine Abendpfeife schmauchend, im Fenster lag und sie mit den dummfrechen kleinen Augen anstarrte.

Das müde Pferd zog an; der Wagen rumpelte über das holprige Pflaster hinein in den dämmerigen schwülen Abend. Eleonore fühlte sich zum Sterben traurig. Mein Gott, wie war dies alles so grauenhaft häßlich! Häßlich, wie der Leichenwagen, der eben vorüberschlotterte, schwarz verhangen, von keinem Menschen begleitet! Mut, Eleonore! Nicht sentimental werden! Es steht dir schlecht; und die Damen Arnfeld sehen nicht aus, als ob sie eine thränenreiche Gesellschafterin sehr goutieren würden.


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