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Dreizehntes Kapitel.

Die Geheimrätin war gegangen; Eleonore blickte ihr mit starren Augen nach, strich sich über die Stirn und griff nach den beiden Briefen, welche die Tante neben ihre Schreibmappe auf den Tisch gelegt hatte: der eine ein Stadtbrief, die Adresse in derselben Hand, durch die ihr Borykines Brief aus Zürich am Tage vor ihrer Abreise von Berlin übermittelt war. Dies mußte seine Antwort sein auf die Anzeige von ihrer Verlobung. Sie hatte sie ihm in einer Anwandlung übermütigen Humors geschickt und wünschte jetzt, sie hätte es nicht gethan. Es stand nicht zu erwarten, daß er es humoristisch genommen haben würde! Weshalb sich die Laune, die so schon nichts weniger als glänzend war, noch mehr verderben!

Sie legte den Brief aus der Hand und nahm den andern. Die Handschrift, offenbar eine weibliche und keineswegs sehr geübte, war ihr fremd; der Poststempel zeigte den Namen des Städtchens am See. Eleonore zuckte zusammen: konnte dies endlich der längst erwartete, mit herzbeklemmender Bangigkeit entgegengesehene Brief aus Wüstenei sein? Herthas Brief? Daß er schreiben würde, war ausgeschlossen. Warum auch nicht? Sie waren ja schon vorher ausgesöhnt gewesen. Ihre Verlobungsanzeige konnte den neuen Bund doch nur befestigt haben! Gleichviel! Der bittere Kelch mußte geleert werden. Wozu ist man denn aus einem starkgeistigen Geschlecht?

Eleonore hatte richtig geahnt: der Brief war von Hertha.

»Liebste, beste Eleonore!

Du hast Dich gewiß gewundert, daß unser Glückwunsch zu Deiner Verlobung so lange, beinahe eine ganze Woche, auf sich hat warten lassen; aber daran ist nur Helene schuld. Sie hatte sich in das Köpfchen gesetzt, daß Du bestimmt kommen würdest, konnte sich, als nun nichts daraus wurde, gar nicht beruhigen, bis sie in ein richtiges Fieber verfiel, das uns rechte Sorgen gemacht hat. Heute erklärt Doktor Balthasar sie außer Gefahr, und so will ich gleich die erste freie Stunde benutzen, bevor wieder was andres dazwischen kommt.

Liebste Eleonore, willst Du es glauben: als ich bei dem Begräbnis unsrer armen Clementine Dich am Arm von Graf Guido den Friedhof verlassen sah und ihr hernach wieder Arm in Arm neben unsrem Wagen standet, da ist mir der Gedanke durch den Kopf geschossen: wenn aus den beiden doch ein Paar würde! Aber wie hätte ich denken können, daß mein Wunsch so bald in Erfüllung gehen sollte! Ulrich sagt freilich, er habe es längst kommen sehen; aber so sagen die Männer immer, um uns mit ihrer höheren Weisheit zu imponieren. Allerdings würde es mir seine düstere Stimmung während der letzten Wochen erklären, und – Dir, beste Eleonore, darf ich es ja sagen – ganz frei ist sein Gemüt noch immer nicht. Er ist so lieb und gut zu mir und den Kindern – ich kann es Dir nicht beschreiben, wie sehr – und es macht mich das so unaussprechlich glücklich, wenn er selbst doch nur auch erst so recht, so ganz glücklich wäre! Aber nicht wahr, das wird noch kommen, wird mit jedem Tage besser werden, wenn er erst sieht, daß auch Du glücklich, recht glücklich bist? Es ist mein Herzenswunsch Tag und Nacht; es wäre auch zu schrecklich, wenn es anders wäre oder käme; ich würde dann keine ruhige Stunde mehr haben. Denn, liebste, beste Eleonore, ich möchte ja lieber sterben, als ein Wort davon verlauten lassen, es ist doch nicht anders: das großmütige Versprechen, das Du mir gegeben, mir weiterhelfen zu wollen, ist es, weshalb Du Dich so schnell verlobt hast. Wenn es sich nun zeigte, daß es eine Uebereilung gewesen ist, welche schreckliche Gewissensvorwürfe müßte ich mir machen! Und mein Mann, dem ich unser letztes Gespräch mitgeteilt habe, soweit es möglich war – alles konnte ich ihm freilich nicht sagen –, würde es mir nie vergeben, zu Deinem Unglück beigetragen zu haben. Doch weshalb solltest Du unglücklich werden? Guido ist ein so seelenguter Mensch und liebt Dich gewiß von ganzem Herzen. Die Gräfin Mutter, sagte mir Excellenz von Trottau, der nebenbei unendlich für Dich schwärmt, habe erklärt, daß der Tag, an welchem ihr Guido aus Berlin seine Verlobung depeschierte, der schönste ihres Lebens gewesen sei; und, liebste Eleonore, wenn ich auch überzeugt bin, daß materielle Interessen Dir völlig fremd sind, die vornehmste und reichste Frau in der Provinz zu werden, dagegen kannst Du doch am Ende nichts haben.

Ich habe Ulrich gesagt, daß ich an Dich schreibe. Er hat mir nichts Besonderes aufgetragen; aber wie könnte er Dir wohl nicht von ganzem Herzen Glück wünschen – das versteht sich von selbst.

Unsre Abreise ist nun auf den vierten Oktober, also auf heute über acht Tage, festgesetzt. Ich freue mich schrecklich darauf. Wir gehen nicht an die italienischen Seen; Ulrich sagt, die würden ihn immer an unsern See hier erinnern, und vor dem habe er ein Grauen. Er will nach Rom und dort seine Studien wieder aufnehmen, die er so lange hat liegen lassen. Doktor Balthasar meint, das würde ihm sehr gut thun; und rät, wir sollten den ganzen Winter dort bleiben. Ich hätte nichts dagegen. Die Kinder müssen sehen, wie sie mit Mademoiselle Didier fertig werden. Ulrich geht vor.

Wir kommen natürlich über Berlin, wo Du sicher noch während der nächsten Zeit durch Ausstattungssorgen festgehalten bist und wir dich also sehen werden. Ich hoffe zuversichtlich, recht zufrieden und glücklich. Das wäre für meinen geliebten Ulrich die beste Mitgabe auf die Reise. Und nicht minder für Deine Dich liebende, Dir ewig dankbare

Hertha.«

Ein Lächeln bitterer Ironie hatte während der Lektüre wiederholt Eleonores Lippen gekräuselt. Jetzt legte sie den Brief langsam auf den Tisch und blickte, sich in den Sessel zurücklehnend, düster vor sich hin.

Das war die Frau, zu der sie ihn zurückgeschickt hatte! Die beste Frau von der Welt! So hatte Ulrich zu Guido gesagt, Guido zu ihr; alle Welt sagte es, und sie selbst mußte es bestätigen: brav, ehrlich, gerecht, – soweit sich die Gerechtigkeit mit der üblichen naiven Selbstliebe verträgt – ein Muster von einer Frau, wie man sie lange vergeblich suchen mochte. Und doch! und doch! armer, armer Ulrich! Warum sie, die jeden andern glücklich gemacht hätte, gerade dir, den sie nun einmal nicht glücklich machen konnte! Nein, du beste aller Frauen, das bringst du nicht fertig: es wird nicht kommen, wird nicht besser werden; es wird so bleiben, wie es war. Mein armer, armer, geliebter Ulrich! was magst du in diesen Tagen gelitten haben! was magst du leiden! Sieh mich nicht so vorwurfsvoll, verzweifelt an! mein Herz ist ohnedies schwer genug. Ich habe dir doch nur zu Hilfe kommen wollen, wenn ich auch jetzt sehe – ah! es wird mich noch wahnsinnig machen!

Sie griff krampfhaft nach dem zweiten Brief, riß den Umschlag mit der Adresse von fremder Hand ab. Der einliegende, in Zürich aufgegebene Brief war, wie sie vorausgesetzt, von Borykine.

»Mein gnädiges Fräulein!

Verstatten Sie mir Ihnen zu bekennen: ich finde es ein wenig grausam, daß Sie mir die Anzeige Ihrer Verlobung gesandt haben, und etwas naiv, wenn Sie es in der Voraussetzung thaten, ich würde Ihnen zu ihr gratulieren. Die Grausamkeit steht Ihnen gut; aber die Naivetät kleidet Sie gar nicht. Fin-de-siècle-Menschen, die ihre Sache auf nichts gestellt haben, wie Sie, dürfen sich solchen Luxus nicht mehr gewähren. Und auch vorausgesetzt – was ich voraussetze –, daß Sie die Sache humoristisch nehmen – Sie wissen, ich bin ein großer Freund des Humors, nur habe ich die Erfahrung gemacht, daß er für gewisse Fälle nicht ausreicht. Zum Beispiel für den, daß eine große, schöne, edle Seele, wie die Ihre, sich aus dem Sturm einer unglücklichen Leidenschaft in den Hafen einer banalen Ehe retten will. Sie sehen mich mit Ihren großen, schönen Augen erschrocken an: von wannen kommt dir solche Wissenschaft? Ja, meine Beste, ich habe eben unter meinem harten Schädel ein Paar scharfer Augen. Mit denen hatte ich nach den ersten Tagen, ich möchte sagen: ersten Stunden, herausgebracht, daß Ihr Herz aus einer tiefen, frischen Wunde blutete. Um Sie zu zerstreuen, habe ich Ihnen auf Tod und Leben den Hof gemacht; die völlige Wirkungslosigkeit meines Mittels war mir ein Beweis der Richtigkeit meiner Diagnose.

Und dann, meine Gnädige: spielt man ein verzweifeltes Spiel, will es aber trotzdem gewinnen, muß man wenigstens eine Chance haben. In dem, welches Sie spielen, haben Sie keine. Es gibt keinen schlimmsten Sturm, den Sie nicht nach kürzester Frist mit Freuden eintauschen würden für die Hafenruhe, welche Ihnen jetzt so wünschenswert scheint.

Wie ich es wagen kann, eine solche Behauptung auszusprechen, da ich doch den Mann, dem Sie sich eignen wollen, nicht kenne?

Wenn ich ihn nun aber kennte? sehr gut, sehr genau?

Ich kenne den Herrn Grafen Guido Wendelin von dem Winter vor drei Jahren, in welchem er mehrere Monate in Petersburg zubrachte, und ich ihn in dem Hause des jungen Fürsten Demidoff – eines Verwandten der napoleonischen Prinzessin Mathilde und meines geschworenen Freundes – und auch an anderen Orten sehr häufig traf. Da er keine Ahnung hatte von den wahren Gesinnungen des Kreises, in welchem er verkehrte, und diese oder jene verfängliche Aeußerung, die sich in seiner Gegenwart hervorwagte, auf Rechnung der anders gearteten Rasse setzen mochte, gab er sich ganz unbefangen, zumal mir gegenüber, den er – ich weiß nicht, warum – mit seinem besonderen Vertrauen beehrte. So habe ich dem Herrn Grafen das Maß nehmen können. Er hat viel Wohlwollendes, was löblich; aber ohne allen Unterschied, was bedenklich ist. Er ist bescheiden – das ist erfreulich; aber ohne jeden Ehrgeiz, was bei einem Herrn seines Alters und Standes befremden muß. Er hat ein weiches Gemüt, was sich begreifen läßt, da ihn das Leben niemals rauh angefaßt hat; aber nicht einen Funken von Geist, was einfach unerträglich ist. Er hat Ansichten vom Staat und der Gesellschaft, die einen lachen machen könnten, wenn man nicht vor Erstaunen bereits erstarrt wäre.

Und die geistvolle, weit- und tiefblickende Eleonore – sie, die einen so exquisit feinen Sinn für das Lächerliche hat, glaubt die Gesellschaft eines solchen Mannes auf die Dauer ertragen zu können? Sie irrt sich, irrt sich vollständig.

Einer Verlobten das ins Gesicht zu sagen, ist sehr brutal. Ich gebe es zu. Aber wenn Tod und Leben auf dem Spiele stehen, darf der Arzt vor der Anwendung heroischer Mittel nicht zurückschrecken. So kritisch aber liegt hier der Fall. Von dem, was Sie noch retten kann, sofort. Wem Sie aber entgegengehen, das ist ein moralisches und intellektuelles Sinken von Stufe zu Stufe, bis die mondaine furieuse, die coquette à outrance fertig ist; und je höher die gute Eleonore stand, um so tiefer, fürchterlicher wird der Fall der schlimmen sein. Wollen Sie einer Welt, die Sie anbetete, das grauenhafte Schauspiel geben?

Aber die Rettung, rufen Sie, die Rettung!

Es gibt nur eine: schleunige, sofortige Flucht.

Sagen Sie nicht: das ist unmöglich! Sollten Sie wirklich verabsäumt haben, das thörichte Wort aus Ihrem Lexikon zu streichen, so will ich Ihnen zeigen, daß und wie es möglich ist.

In den nächsten Tagen kommt meine Schwester Wera durch Berlin. Sie geht – selbstverständlich unter fremdem Namen – nach Petersburg in einer besonderen Mission. Außer ihrem – wiederum selbstverständlich falschen – Passe führt sie einen zweiten bei sich, der auf eine Engländerin lautet, und so, daß er faktisch für Sie ausgestellt sein könnte. Sie heißen dann Miß Grace Claribel Gordon – das ist der ganze Unterschied. Ihre völlige Beherrschung der englischen Sprache wird das übrige thun. Ich verbürge mich dafür, daß Sie, so ausgerüstet, an der Hand meiner Schwester unbehelligt über die Grenze kommen.

Und was nun weiter?

Teuerste, das dürfen Sie jetzt nicht fragen. Das eine, das für den Augenblick not thut, ist, daß Sie zwischen sich und der bloßen Möglichkeit, par dépit eine Heirat einzugehen, durch die Sie sich in grenzenloses Unglück stürzen würden, eine unübersteigliche Schranke aufrichten; mit einem Worte: daß Sie sich frei machen. Wie diese Freiheit zu Ihrem und der Menschheit Besten zu benutzen ist, darüber kann Ihnen niemand bessere Auskunft geben, als meine Wera.

Ich tanze und singe den ganzen Tag in dem Gedanken, Sie und Wera vereinigt zu sehen. Waren je zwei Menschen zur Freundschaft prädestiniert, so sind Sie es und Wera.

Sie sehen, ich bleibe ganz aus dem Spiel. Wollen Sie mich später in den Freundschaftsbund aufnehmen, so hoffe ich sicher, Ihnen beweisen zu können, daß hinter der Maske des verrückten Gregor, die ich zu Ihrem Besten vornehmen zu sollen glaubte, ein sehr vernünftiger steckt.

Noch eines au cas que: Wera ist mit Geldmitteln für Sie beide reichlich ausgestattet.

Also, meine holde, anbetungswürdige Freundin: Freiheit oder Tod! nicht der glorreiche, den der Brave gern für die Freiheit stirbt, sondern der schmähliche, dem zu entgehen er dreimal sein Leben geben würde: der Tod der Sklaverei.

Können Sie wählen? –

Gr. B.«

An die Thür wurde gepocht. Die Stimme der Tante fragte:

Bist du fertig, Kind?

Sie nahm den Brief an die Gräfin aus dem noch nicht geschlossenen Couvert und schrieb darunter:

»Nach reiflicher Ueberlegung scheint mir denn doch, daß es in unser aller Interesse ist, wenn ich die Zeit der Trennung möglich kurz mache. Ihr dürft mich daher schon in den nächsten Tagen erwarten.«

Sie hatte der Tante und Tilchen die Thür geöffnet.

Kind, wie blaß du bist! rief die Tante. Du hast doch keine unangenehmen Nachrichten gehabt?

Bewahre, erwiderte Eleonore; alles in bester Ordnung. Ich habe mir nur überlegt, ob ich nicht doch lieber hier alles lasse, wie es ist, und erst einmal nach Wendelstein gehe.

Ganz mein Gedanke! rief die Tante. Hast du es der Frau Gräfin schon geschrieben?

Hier! ich will den Brief unterwegs in den Kasten stecken.

Bitte, gib mir! sagte Tilchen mit nassen Augen. Ich möchte mich an der Botschaft, die deinen Guido so glücklich machen wird, auch ein wenig beteiligen.


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