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Vierzehntes Kapitel.

Freiheit oder Tod!

Es ließ Eleonore nicht los; es summte ihr in den Ohren; es bohrte in ihrem Kopfe; es hämmerte in ihrem Herzen Tag und Nacht. Freiheit oder Tod – der schimpfliche Tod der Sklaverei. Der Sklaverei des Leibes und der Seele, der sie entgegenging, wenn sie Guidos Gattin wurde. Gattin! fürchterliches Wort! Noch hatte er nur ihre Hand geküßt! noch ihre Lippen nicht berührt! Bei der nächsten Begegnung – auf Wendelstein – unter den Augen der Mutter – er würde sich sicherer fühlen, als hier in der fremden Umgebung – auf eigenem Grund und Boden sein Herrenrecht fordern – konnte, durfte sie's ihm weigern? Die Lippen versagen, die nie ein Mann geküßt, außer dem einen, dem Geliebten? Der auf das, was sein eigen war, verzichten mußte, damit es einem andern gehöre? Konnte sie das denken, ohne in Scham zu vergehen?

Ohne in Scham zu vergehen, wenn sie das andre dachte: daß der Mann, der ihr, sie mochte ihn nehmen, wie sie wollte, immer wie ein nicht ausgereifter Knabe, ja, wie ein Spielzeug erschien, ihr Herr sein sollte? sie sich einleben sollte in den engen Kreis seiner Ideen? daß zwischen ihnen nicht einmal von einer Scheidung der Gedanken, die man die schlimmste nennt, die Rede sein konnte, nein! nur von der viel schlimmeren einer Seele, der in der Helligkeit des Denkens zu wohnen die höchste Wonne ist, und einer andern, die sich nur in der Dämmerung wohlig fühlt und vor dem Licht ein banges Kreuz schlägt?

So denn: Freiheit! Freiheit!

Um die Sklaverei einer Ehe, die sie als unsittlich verdammen mußte, mit einer andern zu vertauschen, welche vielleicht nicht weniger hart drückte und nicht weniger unsittlich war? Dem Dienst einer Idee, die nicht aus ihrem Hirn und Herzen, ihren Erfahrungen und Ueberzeugungen heraus geboren war, sondern aus dem Geist und Gemüt, den Aspirationen und der Verzweiflung eines ihr fremden Volkes, mit dem sie nichts gemein und nichts zu schaffen hatte, in dessen Getriebe sie untergehen würde, ein »verlorner Schwimmer in der Brandung Schwelle«!

Und gesetzt, sie lernte mit den russischen Steppenwölfen heulen, fände Geschmack an dem Leben der Nomadenhorde, die heute in dieser, morgen in jener Großstadt ihre Zelte aufschlägt, um, wo sie sich auch befindet, in der Wüste zu leben, die sie um sich her schafft – einen würde sie immer an ihrer Seite finden, einen würde sie immer von sich abzuwehren haben: Gregor Borykine. Nicht einen Augenblick war ihr die wirkliche Meinung seines Briefes verborgen geblieben. Diese Freundschaftsversicherungen, diese Miene des uneigennützigen Biedermanns – nichts als moskowitischer Trug, der, um zu wirken, nur weniger plump hätte sein müssen. Der Tiger bleibt darum nicht weniger Tiger, weil er für den Moment die Krallen eingezogen hat. Gewiß mußte sie Guido aufgeben, wenn sie für einen gewissen andern nicht verloren sein sollte! Einen andern, an dessen wilde, gierige, unter den buschigen Brauen glühende Augen sie nie ohne Schauder hatte denken können, wenn sie sich zugleich erinnerte – und sie erinnerte sich dessen nur zu gut – welch fascinierende Gewalt diese Augen für sie gehabt, wie sie sich von ihrem Blick gelähmt gefühlt hatte, wie der Vogel von dem Blick der Schlange. Hier lauerte eine Gefahr viel furchtbarer als auf der andern Seite.

Und während sie sich so rechts und links von Schrecken umlauert sah, floh ihre geängstete Seele geradewegs zu dem, an dessen Brust es sich einzig ruhen ließ, in dessen holder Nähe die Pulse voller klopften, die Gedanken sich höher schwangen, das ganze Wesen aufblühte und aufglühte, wie die Blume unter dem Kuß der Maiensonne. Ach, nur einen wieder der seligen Tage von Norderney! nur eine Stunde! Und sie hatte den Liebsten, Besten mit bittern Worten und bösen Blicken kränken können! ihm sein schweres Los noch schwerer machen! zürnen können, weil er gethan, was sie selbst von ihm verlangt: sich seines verzweifelten Weibes erbarmt hatte! der Mutter seiner Kinder! Das war kein Verrat, den er an ihr geübt; nur die Konsequenz allmächtiger Verhältnisse. Was sie thun wollte – das war Verrat! Und sie durfte es nicht thun.

Was ist das nur mit Eleonore, sagte die Geheimrätin zu Tilchen, als sich am Abend zwei Tage später die Thür des gemeinschaftlichen Schlafzimmers hinter ihnen geschlossen hatte. Ihr Aussehen gefällt mir gar nicht. Sie bekommt schwarze Ränder unter den Augen. Die paar Bissen, die sie ißt, muß man ihr geradezu aufdrängen.

Das ist die Liebe! erwiderte Tilchen, verschämt die Augen senkend, während sie den Leuchter auf den Tisch stellte.

Ich weiß nicht, sagte die Geheimrätin, den Kopf nachdenklich wiegend. Es mag altmodisch sein, aber zu meiner Zeit sah die Liebe anders aus.

Sie ist ein so besonderes Wesen! meinte Tilchen entschuldigend, sich vor den kleinen Stellspiegel setzend, ihr blondes, längst nicht mehr üppiges Haar für die Nacht in Papilloten zu wickeln.

Ich gebe das zu, sagte die Geheimrätin, eine frische Nachthaube aus der Kommode nehmend. In meiner Familie sind die besonderen Wesen keine Seltenheit; ich möchte fast sagen: die Regel. Dein Großvater war wegen seiner Excentricität weit und breit bekannt. Einmal hat er von der Kanzel herab das Gespräch zwischen Faust und Gretchen über Gott nicht nur das erhabenste religiöse Gedicht genannt, sondern es von Anfang bis zu Ende deklamiert, daß es Eckhof oder Iffland nicht besser gekonnt hätten. Dergleichen Beispiele könnte ich noch mehr anführen, und ich muß sagen: diese verschiedenen in unsrer Familie gang und gäbe absonderlichen Qualitäten scheinen alle auf einmal in unsrer lieben Eleonore zu kulminieren. Dennoch wünsche ich von ganzem Herzen, dieser Brautstand wäre vorüber und sie Frau Gräfin.

Ich denke mir gerade den Brautstand so süß! sagte Tilchen, ihr Spiegelbild mild anlächelnd. Er scheint mir das sanfte Morgenrot der Liebe.

Du bist und bleibst mein unschuldiges romantisches Kind! sagte die Geheimrätin, ihren Liebling zärtlich auf die blasse Wange klopfend; aber du mußt meinem altmodischen Herzen schon erlauben, ein wenig ruhiger zu schlagen. Ich bleibe dabei, ihr Wesen gefällt mir nicht. Am Sonntag sagte sie, sie wolle in den nächsten Tagen nach Wendelstein. Ich habe ihr so zugeredet! Heute ist Dienstag. Warum reist sie nicht?

Aber, Mama, sagte Tilchen, sich auf dem Stuhl umwendend, du weißt es doch! Sie erwartet den Besuch einer Dame, den ihr einer der Briefe am Sonntag angekündigt hat. Ich denke, es wird eine Verwandte von Graf Guido sein, die ihre Bekanntschaft zu machen wünscht. Erlaube, Mama!

Tilchen war aufgesprungen, ihrer Mutter vollends in die Nachtjacke zu helfen, als die Flurglocke gezogen wurde.

Eine Depesche! rief die Geheimrätin. Für Eleonore! Gewiß von der Gräfin. Gut, daß Auguste noch auf war!

Der eilige Schritt des Mädchens kam eben den Korridor herauf an der Thür vorbei. Mutter und Tochter standen lauschend an der ein wenig geöffneten Thür. Es währte für ihre Ungeduld sehr lange, bis Auguste zurückkam.

Nun? fragten Mutter und Tochter aus einem Munde.

Eine Dame! erwiderte Auguste geheimnisvoll, die zum gnädigen Fräulein wollte.

Wenn ich es doch nicht gedacht hätte! flüsterte Tilchen.

Um elf Uhr! murmelte die Geheimrätin. Wie ist sie denn ins Haus gekommen?

Der Portier hat ihr heraufgeleuchtet. Ich soll zu Bett gehen, hat das gnädige Fräulein gesagt. Sie würde die Dame hinabbringen.

Die Geheimrätin schüttelte den Kopf.

Wenn es aber Eleonore lieber ist? flüsterte Tilchen. War es eine junge Dame?

Weiß ich nicht! erwiderte Auguste; sie war dicht verschleiert.

Madame la Comtesse, peut-être! flüsterte Tilchen.

Mais, mon enfant, vous êtes rudicule! gab die Geheimrätin zurück.

Gute Nacht! sagte Auguste, empört, daß man vier Jahre lang treu gedient haben und doch noch aus dem Vertrauen der Herrschaft ausgeschlossen sein kann.

Die Damen waren aus der halbgeöffneten Thür in das Zimmer zurückgetreten. Die Geheimrätin erklärte, sehr verstimmt zu sein.

Ich kann es nicht in der Ordnung finden, sagte sie, daß Eleonore vor ihrer zweiten Mutter noch immer Geheimnisse hat. Sie hätte uns doch wenigstens den Namen der Dame nennen können.

Tilchen antwortete nicht. Sie war überzeugt: es war die Frau Gräfin in Person. Und sie war nach Berlin geeilt, um Eleonore sofort mit sich nach Schloß Wendelstein zu entführen, damit dem Grafen Guido nicht vor Sehnsucht das Herz breche.


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