Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Eleonore ließ am nächsten Morgen beim Kaffee ihre erste Sorge sein, die Tante darüber zu vergewissern, daß sie nicht heimgekehrt, ihr zur Last zu fallen, sondern sich, falls sie bleiben solle, als in Pension betrachte. Die Geheimrätin wollte davon nichts hören: sie habe nun einmal ein altmodisches Herz, und, wo das ins Spiel komme, wie in diesem Falle, lasse es nicht mit sich handeln. Das einzige Kind ihres seligen Bruders sei auch ihr Kind, und dabei müsse es bleiben.

Du weißt, liebe Tante, entgegnete Eleonore, ich war von jeher etwas rechthaberisch und habe diese Eigenschaft in England, wo sie nicht als Fehler, sondern als Tugend gilt, gründlich ausgebildet. Schätze habe ich drüben freilich nicht gesammelt – das liegt nicht in der Familie. Zudem, wie nach unsern Begriffen glänzend ich auch pekuniär gestellt gewesen bin, man machte an die Governeß, der man die Ehre erwies, sie als Lady zu behandeln und als solche in die Gesellschaft zu bringen, große Toilettenansprüche, denen ich mich nicht entziehen konnte und wollte. Daß ich es trotz alledem fertig gebracht, eine Summe zu erübrigen, die mir auf Monate hinaus verstattet, meine eigene Herrin zu sein, begrüße ich selbst als ein erfreuliches Wunder. Da begreifst du aber, daß ich lieber in deinen guten Händen sein will, als in die einer räuberischen Pensionsmutter fallen, was unweigerlich geschehen wird, wenn du nicht auf der Stelle nachgiebst.

Ein gewisser Zug von Unsicherheit und Verlegenheit, welchen Eleonore schon bei Beginn dieser Unterredung auf dem guten Gesicht der braven Tante bemerkt zu haben glaubte, war bei ihren letzten Worten noch deutlicher hervorgetreten. Sie meinte, daß es nur noch eines Ansturms bedurfte, die bereits Schwankende vollends zu überreden.

Komm, Tantchen! sagte sie, cut it short! Schließen wir den Handel ab!

Sie hatte die fleischigen Hände der vor ihr Sitzenden gefaßt und erschrak, als statt der Antwort, die sie erwartet hatte, die Tante schweigend vor sich hin blickte mit starren Augen, aus denen nur zwei Thränen langsam über die vollen Wangen rollten.

Mein Gott, Tante, rief sie, habe ich dich denn beleidigt?

Die Geheimrätin schüttelte den Kopf und versicherte unter neu hervorbrechenden Thränen: davon könne gar keine Rede sein.

Aber dann, was ist es? was hast du? rief Eleonore. Und, als die Tante von ihrem Stuhle aufstehen wollte in der augenscheinlichen Absicht, aus dem Zimmer zu eilen: Nein, nein! ich lasse dich nicht fort, bis du gebeichtet hast!

Wenn du durchaus willst! murmelte die Geheimrätin.

Ja, ich will – durchaus! versicherte Eleonore.

Die Geheimrätin nahm ihr Taschentuch aus dem Nähkörbchen im Fenster, trocknete sich die Augen und rief, Eleonorens beide Hände ergreifend: Gott ist mein Zeuge, liebes Kind, daß ich nur deinen Rat und nicht deine Hilfe will!

Davon reden wir nachher, sagte Eleonore. Auf alle Fälle wird es dein Herz erleichtern. Also, Tantchen, mutig heraus mit der Sprache!

Eleonores Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt: aber sie kannte die Gewohnheit der guten Frau, wenn sie ein Ereignis des Tages zu berichten hatte, mit Adam und Eva zu beginnen. Und hier galt es, auseinanderzusetzen, wie es gekommen war, daß sie sich trotz ihres rastlosen Fleißes, trotz aller der häuslichen Tugenden, derer sie sich nicht rühmte – Gott bewahre! – auf die sie aber doch wenigstens hindeuten mußte, damit Eleonore sehe, daß sie alles gethan, was in ihren schwachen Kräften stand – in großer ökonomischer Verlegenheit befinde. Die Zahl der jugendlichen Pensionäre habe in der letzten Zeit beständig abgenommen; ein halbes Jahr lang hätten ihre Zimmer gänzlich leer gestanden, bis sie sich entschlossen, anstatt der halben Knaben erwachsene Leute aufzunehmen. Dies sei ja nun soweit geglückt, wenn freilich erst ganz seit kurzem; aber die Herren machten natürlich größere Ansprüche als die Knaben, und so viel zu erübrigen, daß, wie in den früheren guten Zeiten, wenigstens der Mietzins dabei herauskäme, daran sei nicht zu denken. Noch viel weniger dürfe sie hoffen, den Ausfall der schlechten Jahre wieder einzubringen. In ihrer Verlegenheit und Not habe sie sich nicht anders zu helfen gewußt als durch Verpfändung ihrer Lebensversicherungspolice gegen eine Summe, die sie grausam hoch verzinsen müsse, und deren Zurückzahlung für sie außer allem und jedem Bereich der Möglichkeit liege, so daß bei ihrem Tode das arme, liebe Tilchen so gut wie vis-à-vis de rien stehen werde.

Eleonore hatte die Tante reden lassen, ohne ihre Teilnahme anders als durch ein gelegentliches verständnisvolles Kopfnicken oder einen ermutigenden Händedruck an Tag zu legen. Nun, als die langatmige Beichte zu Ende war, sagte sie nach einer kurzen Pause: Das war brav von dir, liebe Tante, und ich danke dir herzlich. Nun sei weiter brav! Wie groß ist die Schuld, die dich so sehr drückt?

Die Geheimrätin nannte zögernd die Summe. Sie war um ein Geringes kleiner als Eleonores englische Ersparnisse.

Wohl, sagte sie, du hast nur meinen Rat gewollt. So will ich dich mit einem Anerbieten meiner Hilfe verschonen. Mein Rat ist aber der: du erlaubst, daß ich für dich deine Schuld bezahle, was nebenbei auf der Stelle geschehen kann. Das ist doppelt vorteilhaft für dich. Erstens werde ich dir das Kapital nicht kündigen – eine Unannehmlichkeit, die du jeden Augenblick von deinem Gläubiger zu gewärtigen scheinst –, und zweitens brauchst du die Zinsen, die ich dir um die Hälfte billiger berechnen werde, nicht bar zu entrichten, wenn du verstattest, daß ich sie von meiner Pension abziehe.

Davon wollte nun die Geheimrätin abermals schlechterdings nichts hören: das ginge denn doch zu sehr gegen ihr altmodisches Herz. Eleonore drang nicht weiter in sie, sicher, ihren Willen durchzusetzen. Nur den Namen des Gläubigers, der sich seine Gefälligkeit mit Wucherzinsen bezahlen lasse, wünschte sie zu wissen. Zu ihrem nicht geringen Erstaunen nannte die Tante ihren Hauswirt, den famosen Herrn Witte.

Aber das ist unmöglich! rief sie. Dein Schwiegersohn in spe!

Die Geheimrätin ließ einen scheuen Blick durch das Zimmer schweifen, sich zu vergewissern, daß die drei Thüren wohl geschlossen, und sagte mit gedämpfter Stimme: Offen gestanden, es scheint mir auch ein vollkommener Widerspruch.

Und der vielleicht nicht so schwer zu lösen ist, meinte Eleonore. Wir brauchen nur anzunehmen, daß Herr Witte nicht daran denkt, Tilchen zu heiraten.

Aber Kind, Kind! rief die Geheimrätin, hast du denn gar keinen Glauben mehr an die Menschen?

O doch! so im allgemeinen, erwiderte Eleonore; an Herrn Witte? nein! an den habe ich keinen. Und als die gute Frau in bitterer Ratlosigkeit vor sich hinstarrte: Bedenke, Tantchen, es ist nun einmal ein Fakt, daß Tilchen im nächsten November vierunddreißig wird, und Herr Witte nach meiner Berechnung schon ansehnlich über die sechzig hinaus. Glaubst du, der Sechziger werde den Mut des Entschlusses haben, an dem es schon dem Fünfziger gefehlt hat? Dergleichen Charakterschwächen pflegen mit der Zeit nicht besser zu werden.

Es wird dem Kinde das Herz brechen, murmelte die Geheimrätin.

Ich denke, nein, sagte Eleonore. Es giebt im Leben soviel scheinbar herzbrechende Lagen, und ich habe immer gefunden, daß sie ihre ominöse Eigenschaft einbüßen, sobald man den Mut hat, sie fest ins Auge zu fassen, und den entschlossenen Willen, sich von ihnen nicht unterzwingen zu lassen.

Du, ja, du! rief die Tante, du bist und warst immer ein starker Geist. Aber mein armes Tilchen! so weich, so gläubig, so vertrauensvoll! so ganz das naive, unschuldsvolle Kind, das nichts von Verrat und Treubruch ahnt und weiß! Sie, die ganz mein dummes, altmodisches Herz hat!

Eleonore schwebte ein bitteres Wort auf der Lippe; aber die gute, thörichte Frau jammerte sie, und so sagte sie, ihr die gefalteten Hände streichelnd: Nun, Tantchen, ich bin auch nicht allwissend. Und wie heißt es in deinem Lieblingsspruch – da an der Wand unter Glas und Rahmen: Im Glück nicht jubeln und im Sturm nicht zagen! Also, Kopf in die Höhe! Bereit sein ist alles! sagt Hamlet.

Sie wollte sich erheben. Die Geheimrätin hielt sie fest und sagte ängstlich flüsternd: Aber das arme Tilchen! nicht wahr, wir sagen ihr von dem allem nichts!

Kein Wort, Tantchen, wenn du es für besser hältst.

Nein, kein Wort! ich bitte dich.

Abgemacht! Und nun will ich zu einem Bankier gehen und meine englischen Checks ein- und dich, gutes Tantchen aus den Händen unsres biedern Wirtes lösen.

Erkläre mir nur das eine! rief die Geheimrätin, Eleonore noch immer festhaltend, warum hat er mich diese fünfunddreißig Jahre nicht gesteigert?

Ja, Tantchen! wer kann es wissen! Vielleicht, weil er sehr gut weiß, daß er keinen Mieter findet, der mehr zahlt. Die Straße ist schon lange nicht mehr in der Mode.

Freilich! eine altmodische Straße und ein altmodisches Herz, die gehören zusammen – freilich!

Und die Geheimrätin nickte bedächtig mehrmals mit dem Kopfe, wie jemand, der einem lange nachgespürten Geheimnisse endlich auf den Grund gekommen ist.

Eleonore war bereits an der Thür, als sie die Tante in einem ängstlichen Ton ihren Namen rufen hörte.

Was, Tantchen?

Komm noch einmal her, liebes Kind!

Nein, Tante! sag nur, was du willst!

Wieviel – wieviel behältst du für dich übrig?

Daß ich achtzig Kamele damit beladen könnte, erwiderte Eleonore lachend und verließ eilig das Zimmer.


 << zurück weiter >>