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Fünftes Kapitel.

In dem Speisesaal hatte Excellenz von Trottau den Tisch für sich und seine Gesellschaft frei gefunden, dank der Energie, mit welcher Guido ihn gegen den Ansturm der von dem Feuerwerk Hereindrängenden verteidigt. Nicht alle waren so glücklich gewesen; manche fanden die erhofften Plätze bereits besetzt; die Eindringlinge wollten nicht weichen: am Seefeste herrsche abonnement suspendu. Da gab es großen Lärm und viel Verwirrung, auch hier und da einen Streit, der vielleicht ernsthaft geworden wäre, wenn der gewandte Herr von Brandt ihn nicht noch immer gütlich geschlichtet hätte.

Endlich kam er atemlos und schlug die Hände in komischer Verzweiflung zusammen, als er an Eleonores linker Seite die Excellenz, zu ihrer Rechten Guido sah.

Nein, rief er, das ist zu arg! Für all meine Mühen hätte ich doch wohl verdient, einen Platz neben dem gnädigen Fräulein zu haben. Von Excellenz ist nicht die Rede – Ehre, dem Ehre gebührt – aber Sie, Graf, mit Ihnen werde ich ein Hühnchen pflücken.

Guido blickte sehr bestürzt aus den sich vordrängenden Augen.

Excellenz ist mein Zeuge – stammelte er.

Ja, ja, ich bin sein Zeuge! rief der alte Herr. Der Graf hat für seine heldenhafte Verteidigung des Tisches keinen Lohn beansprucht, sogar behauptet, nicht zu wissen, ob er hier überhaupt willkommen sei. Für welche Bescheidenheit ich ihn dann mit dem Platze, den Sie ambitionieren, belehnt habe. Setzen Sie sich da dem gnädigen Fräulein gegenüber! Sie haben dann sogar noch die Ehre eines dos-à-dos mit Ihrer Frau Gemahlin.

Na, da bist du ja auch! sagte Frau von Brandt vom Nachbartische her, den Kopf über die Schulter wendend. Sitzt du gut?

Daß ich nicht besser sitzen könnte, rief Herr von Brandt zurück mit einem komischen Pathos, das sogar Eleonore ein Lächeln abnötigte, während die übrigen laut lachten.

Es wurde auch sonst noch im Laufe des Soupers viel an dem Tische gelacht. Excellenz von Trottau war unerschöpflich in drolligen Hofgeschichten; Herr von Brandt blieb hinter seinem Ruf, der glänzendste Gesellschafter weit und breit zu sein, nicht zurück; die beiden Offiziere, von denen der ältere, ein Rittmeister, der schönen Witwe eifrig den Hof machte, während der jüngere dem reichen Fräulein Nichte in diskreter, aber entschiedener Weise huldigte, erwiesen sich als harmlose, freundliche Gesellen, die jeden Scherz goutierten und manchen guten selbst zum besten gaben: Herr von Busse, im übrigen stumm, lächelte nur jezuweilen unter dem dicken, roten Bart wohlgefällig, – man konnte nicht wissen, ob über einen besonders gelungenen Witz der andern, oder weil er wieder einmal das beste Stück von der Schüssel erwischt hatte; Guido war still, wie neulich an der Tafel seiner Mama, aber sobald ihm Eleonore dazu Gelegenheit gab, immer mit einem bescheidenen Worte bereit.

Eleonore war im Anfang des Soupers von dem Furchtbaren, das sie soeben durchlitten, wie betäubt gewesen, unfähig zu denken, unfähig selbst, einen Schmerz zu empfinden. Dabei hörte sie jemand, der nur sie selbst sein konnte, sprechen und lachen, während sie das schauerliche Gefühl hatte, als sei sie ohne Hirn und Herz und Eingeweide, und in ihrer Brust hange regungslos ein schwerer drückender Stein.

Nun kam sie soweit wieder zu sich, daß sie die Rolle, die sie bisher völlig mechanisch gespielt hatte, mit Bewußtsein weiterspielen konnte; dann fand sie an der Rolle Geschmack; endlich redete sie sich ein: das sei ja keine Rolle, die sie nur so spiele, das sei ihr ganz eigentliches Selbst, wie es jetzt geworden und in Zukunft immer sein werde. Und das sie heute vormittag vorausgeahnt, als sie an Borykine schrieb: ein vernünftiger Mensch müsse sich nicht zum russischen Nihilismus, der nur eine untergeordnete Stufe sei, sondern zum Weltnihilismns bekennen. Die alte Excellenz – nun ja, er war ein wenig stark Geck; weshalb ihn das merken lassen? weshalb nicht ihn zu bewundern scheinen, wie er sich selbst bewunderte, und über seine Geschichten, die sie sämtlich schon auf Wendelstein gehört, lachen, als ob sie ihr völlig neu wären? Guido – nun, er war kein Genie, nur ein guter, lieber Junge, der famos zu Pferde saß, über dessen Gebiet man anderthalb Stunden in schlankem Trab fahren konnte, und der – selbstverständlich! – für sie durch Feuer und Wasser gehen würde; – weshalb ihn also nicht heiraten? Die übrige Gesellschaft hier am Tisch – durch den ganzen Saal: blaublütige Stockjunker mit ihren ebenbürtigen Frauen und Töchtern – weshalb sich darüber echauffieren, daß sie antediluvianische Ideen hatten? weshalb nicht mit ihnen ohne langes Kopfzerbrechen lustig sein und Champagner trinken?

Die Tischrunde konnte sich nicht genugthun in Bewunderung einer so schönen, so liebenswürdigen, so geistreichen Dame, die an allerliebsten Einfällen, witzigen Worten, amüsanten Reiseanekdoten unerschöpflich war und, während sie in keinem Augenblick nach Beifall zu haschen schien, mit jedem Augenblicke mehr Beifall fand. Selbst bei der hübschen, jungen Witwe und ihrer Nichte, die sich ihr willig unterordneten und ihren Nachbarn erklärten, es sei ein »Phänomen«. Excellenz von Trottau machte kein Hehl daraus, daß er sterblich in sie verliebt sei und zum erstenmale im Leben seine Jahre bedaure, die ihm nicht erlaubten, gegen die Verehrer der Dame, unter welchen er die ganze junge Männerwelt verstehe, in die Schranken zu reiten. Der alte Herr brachte das so drollig vor, in so viel verschnörkelte, antiquierte, galante Redewendungen gehüllt, – es konnte niemand ein Arg darin finden, nicht einmal Guido, der in seiner stillen Weise eifersüchtig darüber wachte, daß seine Heilige mit keinem Wort, keinem Blick verletzt wurde.

Denn völlig als seine Heilige erschien sie ihm, die sich in dem Ueberschwang ihrer Gnade zu dem Volk herablasse, in das er sich selbst voll Demut einreihte. Während sein diskreter Blick ihre lieblichen Züge streifte, die anmutigen Linien, die ihre Gestalt umschrieben, nachzeichnete, er andachtsvoll ihrer Rede lauschte, fragte er sich verwundert, woher er jemals die Kühnheit geschöpft, um ihre Hand anzuhalten; und wenn dann von Zeit zu Zeit ihre großen, leuchtenden Augen sich mit freundlichem Ausdruck zu ihm wandten, erschrak er jedesmal in tiefster Seele. Vergebens, daß ihm die Mama Mut einzusprechen gesucht, ihn getröstet hatte, es könne noch alles gut werden – er glaubte nicht mehr daran.

Wieder einmal hatte sich Eleonore zu ihm gekehrt.

Ich habe Ihnen noch gar nicht ordentlich sagen können, wie ausnehmend es mir auf Wendelstein gefallen und vor allem, welch tiefe Bewunderung und Verehrung mir die Frau Gräfin eingeflößt hat. Wie glücklich muß es Sie machen, eine solche Mutter zu besitzen!

Ja, gewiß, erwiderte Guido, es macht mich sehr glücklich – sehr – selbstverständlich!

Und Sie sind gewiß ein guter Sohn!

Ich bestrebe mich, es zu sein; aber damit ist es nicht gethan.

Wie meinen Sie das?

Ich meine, ich bin bei allem guten Willen nicht der Sohn, den ich Mama wünschte.

Sie sind zu bescheiden!

Ach nein, ich bin es nicht; ich mache mir nur über mich selbst keine Illusionen. Ich bin mir ganz klar darüber: von allem, was ich besitze, habe ich nichts, rein gar nichts durch eigenes Verdienst erworben; es ist mir alles vom Glück geschenkt worden. Ich kann Ihnen sagen, das stimmt mich oft recht traurig.

Tausend andre in Ihrer Lage würden anders denken. Womit ich nicht gesagt haben will, daß Sie wie jene andern denken sollen; das heißt: sich einbilden, zu sein, was Sie nicht sind. Jeder Mensch hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, zu sein, was er ist. Mit dem ›wie andre sein wollen‹ erreicht man nichts, außer daß man die Zahl der traurigen Kopien vermehrt, von denen so schon die Welt wimmelt.

Sie haben gut reden, mein gnädiges Fräulein! Sie brauchen freilich nur Sie selbst zu sein, um überall Bewunderung zu erregen.

Wissen Sie, Herr Graf, daß Sie im Begriff sind, meinem Nachbar zur Linken Konkurrenz zu machen?

Nein, aber das geht doch nicht, daß der Graf das gnädige Fräulein für sich allein in Anspruch nimmt! rief Herr von Brandt über den Tisch herüber.

Guido warf ihm den bösesten Blick zu, über den seine freundlichen Augen geboten. Seit den unvergeßlichen Stunden in dem Eisenbahnwagen hatte er keine so eingehende Unterhaltung mit seiner Heiligen gehabt, und sie hatte so lieb und gut zu ihm gesprochen! Sollte Mama doch diesmal, wie immer, recht haben? Sollte es möglich sein?

Guido blieb nicht viel Zeit, über die wichtigste Frage, die je in seinem Leben an ihn herangetreten, nachzudenken. Schon wiederholt waren jüngere Herren hinter Herrn von Brandts Stuhl getreten und hatten ihm ins Ohr geraunt: ob er denn nicht endlich die Tafel aufheben wolle? Er hatte gezögert und gezögert, mußte sich nun aber doch dazu entschließen.

Er that es, indem er die Herren aufforderte, sich zu erheben, um auf das Wohl der Damen ihr Glas zu leeren, und sich nicht wieder hinzusetzen, abermals zum Wohl der Damen, denen die Tanzmusik schon längst in den zarten Gliedern hüpfe.

Die Gläser klangen aneinander; jeder in der kleinen Tafelrunde wollte noch einmal mit Eleonore anstoßen; darauf allgemeines geräuschvolles Stühlerücken und Gesegnetemahlzeitwünschen. Während Excellenz Trottau ihr die Hand küßte mit einer verblümten Anspielung auf die höhere Gunst, die sie als Kind im weißen Kleidchen mit blauer Schärpe ihm gewährt, hörte sie hinter sich jemand fragen: Wo stecken denn eigentlich Randows? und Herr von Brandts Stimme antworten: Sie sind schon vor dem Essen fortgefahren; die Baronin befand nicht ganz wohl.

Eleonore atmete schmerzlich auf. Sie hatte gemeint, daß Ulrich und seine Frau in einem der Nebenzimmer Platz gefunden; nun war ihr die Begegnung erspart mit dem Geliebten – den sie zu seiner Frau geschickt! Ah!

Darf ich Ihnen meinen Arm bieten? sagte Guido; und als sie ein wenig aus dem Gedränge heraus waren: Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein, ob sie sich an eine Zusage erinnern, die Sie mir auf Wendelstein zu machen die Güte hatten?

Gewiß! Den ersten Walzer! Mit großem Vergnügen! Haben Sie Kittie zu einem Tanz engagiert?

O Gott! Nein!

Bitte, thun Sie es – mir zu Gefallen! Sie steht dort mit der Generalin.

Ich muß mich den Damen so wie so einmal wieder vorstellen. Wollen Sie?

Sie haben nur zu befehlen, gnädiges Fräulein!


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