Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.

Seit einer Stunde befanden sich die Generalin und ihre Damen wieder zu Hause. Die Rückfahrt, welche sie wiederum in der Equipage der Gräfin, aber ohne die Eskorte Guidos machten, der auf Wendelstein bei der Gräfin zurückblieb, war nicht erfreulich gewesen, trotzdem sie auf dem ganzen Wege, erst von dem letzten Schimmer des Tages, dann von dem herrlichsten Vollmondschein begleitet wurden. Die Generalin hatte fortwährend in ihre Ecke zurückgelehnt gesessen, scheinbar schlafend, in Wirklichkeit die Wut, die sie erfüllte, in sich verkochend. Kittie rekapitulierte ihre verschiedenen interessanten Unterhaltungen mit Lieutenant Trottau, sich dabei immer mehr in der Ueberzeugung bestärkend, daß sie vollkommen recht gehabt habe, der Mama Trotz zu bieten und Guido für seine Indolenz abzustrafen. Die frischweg begonnene Flirtation mit dem Lieutenant war ein Meisterstreich. Fraglos hatte der hübsche junge Mensch sich »prima vista bis über die Ohren in sie verliebt«, und als notorischer Erbe seines reichen Onkels war er, »faute de mieux«, immerhin eine sehr annehmbare Partie. Er hatte sie für das Seefest um jeden Tanz angefleht, den sie noch frei habe, und sie hoffte zuversichtlich, bei der Gelegenheit »die Sache in Ordnung zu bringen«. Clementine ihrerseits dachte nur an Guido und Eleonore. Mit einem Stolze, der ihr das Herz schwellte, sah sie in den beiden lieben Menschen ihre Schützlinge, denen sie zu ihrem Glück verhelfen müsse, das jetzt, nachdem sich Eleonore mit der Gräfin so ersichtlich angefreundet, in viel näherer, ja, wie sie sich gern einredete, gewisser Aussicht stand. Ihre kluge Eleonore mußte doch begreifen, daß der gute, prächtige Guido mindestens so viel wert sei, wie der junge Lordssohn, oder wessen verblassendes Bild aus der englischen Zeit her ihr noch das schöne Herz beunruhigte.

Wenn so Mutter und Töchter, jedes mit seinen peinlichen oder erfreulichen Gedanken beschäftigt, stumm blieben, fühlte sich Eleonore, der Kopf und Herz so voll waren, sicher nicht veranlaßt, das von jenen beliebte Schweigen zu brechen, welches denn auch ununterbrochen herrschte, mit Ausnahme einer und der andern von dieser oder jener Seite gemachten gleichgültigen Bemerkung.

Auch als man endlich angelangt und die gräfliche Equipage, die für die Nacht in Seehausen auf dem Pachthofe blieb, weggeschickt war, stellte es sich heraus, daß man bei der augenscheinlich allgemeinen Abspannung auf das gewöhnliche, von der Generalin sonst so gepriesene »abendliche Plauderstündchen« bei einer nochmaligen Tasse Thee heute verzichten müsse. So trennte man sich bereits in der Halle, indem die Generalin mit Kittie in ihren zu ebener Erde liegenden Gemächern verschwand, Eleonore und Clementine die Treppe zu ihren Wohnzimmern hinaufstiegen.

Clementine hatte mit Freuden das »Plauderstündchen« unten darangegeben in der Hoffnung, dafür oben eine desto längere herzliche Aussprache mit Eleonoren zu haben. Sie fühlte sich deshalb sehr enttäuscht, als Eleonore, vor ihrer Thür angelangt, stehen blieb, also gute Nacht, liebe Clementine! sagte und mit einem Kuß auf ihre Stirn, der ihr recht kühl vorkam, sie verabschiedete.

Das war, solange sie sich nun Freundinnen nannten – seit dem Abend von Eleonores Ankunft – noch nie geschehen. Clementine setzte in ihrem einsamen Zimmer den Leuchter mit zitternder Hand auf den Tisch und warf sich in den nächsten Stuhl, um in Thränen auszubrechen. Die böse, die schlechte, die undankbare Eleonore! Aber vielleicht war das liebe Wesen krank –, sie hatte unten auf der Flur so sehr blaß ausgesehen! Oder sie war verletzt durch das Benehmen von Mama und Kittie, das ja auch ganz abscheulich gewesen war! Sie selbst – mein Gott! sie war an diese Sorte Behandlung gewöhnt; Eleonore durfte verlangen, daß man sie nicht zwei geschlagene Stunden lang als Luft traktierte. Wenn die liebe alte Excellenz Trottau ihr so närrisch den Hof machte oder die Gräfin sie so sichtlich auszeichnete – sie hatte es doch nicht verhindern können. Und wenn Guido – freilich, sie stand zwischen Guido und Kittie, und möglich, daß Mama und Kittie darüber ein Licht aufzugehen anfing oder schon aufgegangen war. Und Eleonore mit ihrem feinen Gefühl hatte das herausgefunden, wovon dann die nächste Folge, daß sie unter diesen Umständen in dem Hause nicht länger bleiben konnte und wollte.

Als Clementine zu diesem Schluß gelangt war, der ihr sofort als ganz zweifellos erschien, sprang sie voller Entsetzen vom Stuhle auf und begann händeringend im Zimmer umher zu irren. Eleonore wollte fort! Was sollte ohne Eleonore aus ihr werden! Sie mußte einfach vor Herzeleid sterben. Ja, tausendmal lieber, als wieder zu dem alten elenden Leben verurteilt zu sein; weiter so von Mama wie das schlechteste Dienstmädchen behandelt zu werden; von Kittie als ein ohnmächtiges Geschöpf, an dem man jede ordinärste Laune ungestraft auslassen durfte! Sollte sie an die Thür klopfen und betteln, bis Eleonore sie einließ, und sich ihr dann zu Füßen werfen und ihre Kniee umklammern und sagen: Eleonore, wenn du gehst und du nimmst mich nicht mit, so laufe ich direkt in den See!

Plötzlich vernahm sie etwas, das ihr das Herz für einen Moment stillstehen und dann in desto schnelleren Schlägen pochen machte, Sie hatte an Eleonores Thür ein Geräusch gehört – dann einen elastischen, ihr so wohlbekannten Schritt vorbei an ihrer Thür nach der Seitentreppe zu, die am Ende des Ganges direkt in den Garten führte. Es konnte nur eines sein: Eleonoren sollte der nächste Morgen nicht mehr in diesem Hause finden. Den Pächter Besekow hatte sie in den drei Tagen, wie alle Welt, außer der Mama und Kittie, bezaubert. Er würde auf eine Bitte von ihr, wie spät es auch war, sofort anspannen und sie in die Stadt fahren lassen. Dort blieb sie über Nacht im Gasthof und eilte morgen mit dem Frühzuge nach Berlin – auf Nimmerwiedersehen.

Das hatte sich mit Blitzesschnelle in Clementines Kopf zurechtgestellt, ohne daß ihr nur für einen Augenblick der Gedanke gekommen wäre, wie überaus unwahrscheinlich doch alles sei. Sie mußte Eleonoren zurückhalten oder, besser noch, mit ihr fliehen.

Hut und Mäntelchen waren unten in der Halle liegen geblieben. So ergriff sie ein leichtes Tuch, das ihr zuerst zur Hand kam, schlug es sich über Kopf und Schultern und eilte Eleonoren nach, die sie noch auf dem Gange oder doch auf der Treppe einzuholen hoffte. Aber sie mußte längere Zeit, als sie dachte, verloren haben: der Korridor und die Treppe, die das Mondlicht durch das hohe, schmale Flurfenster hell genug beleuchtete, waren leer; auch was sie vom Garten überblicken konnte, als sie jetzt unten in der Thür stand, die Eleonore offen gelassen hatte. Aber über die Richtung, welche die Entflohene eingeschlagen, konnte kein Zweifel sein: um das Haus herum, quer über den großen freien Platz vor dem Portale; oder, wenn sie, wie anzunehmen, den hatte vermeiden wollen, weiter durch den Garten auf dem Wege nach dem Seitenpförtchen, durch das sie gestern abend auf ihrem Spaziergange gegangen und zurückgekommen waren. Von da gelangte man auf einen Feldweg, der im rechten Winkel auf den Kommunalweg stieß, in fünf Minuten zu dem Pachthofe.

Clementine nahm diese Richtung, jetzt, ihrer Sache völlig sicher, langsamer schreitend und, wenn die Stiche am Herzen gar zu heftig wurden, sich an einen Baum lehnend, bis der Anfall vorüber war. Auch wenn Herr Besekow sich noch so sehr beeilte, bis die Pferde aus dem Stall und vor dem Wagen waren, mußte mindestens eine halbe Stunde vergehen. –

Eleonoren hatte es nicht in dem Zimmer gelitten. Schon unterwegs war ihr immer gewesen, als müsse sie aus dem Wagen springen und in die nächtliche Welt hineinlaufen. Was die Gräfin da gesprochen von Pflichterfüllung und Entsagung, das war ja alles recht schön, und hundertmal hatte sie sich's selbst schon gesagt – im Grunde war es doch Feigheit und Verrat an der Liebe, die nur der begehen konnte, der nicht wahrhaft liebte mit allen seinen Seelenkräften, allen seinen Sinnen. So hatte die Gräfin nicht geliebt – es war unmöglich. Sie konnte Hjalmar aufgeben, weil ihr Verstand größer war als ihr Herz; und Hjalmar mußte untergehen, weil sein Herz größer war als sein Verstand. Die Gräfin hatte gut sagen: »er wäre auch mit mir verloren gewesen, er war kein Genie.« Wann hat des größten Künstlers Genie jemals seine reichste, feinste Nahrung anderswoher genommen als aus seinem Herzen? Zerbrich ihm das Herz, du zerbrichst sein Genie. Und all die hehre Weisheit, zu welchem Zweck? Damit seiner Mutter Sohn zu der Frau kam, die er liebte, was denn der Durchschnittsmensch so lieben nennt, und mit ihr ein langweilig-ehrbares Leben führte, bis eines Tages das geknechtete Herz sein Recht verlangte, an dem Herzen schlagen zu dürfen, das ihm der Mittelpunkt der Welt und die ganze Welt war!

So wütete es durch Eleonores verstörte Seele, während sie die Gartengänge durcheilte, jetzt von Dunkel eingehüllt, jetzt umflossen von der blendenden Helle des Mondlichts, das ihren Schatten bald seitwärts von ihr, bald lang vor sie hinwarf. Ein bestimmtes Ziel verfolgte sie nicht. Ihr selbst unbewußt eilte sie auf das Seitenpförtchen zu, wo sie gestern abend, als sie voneinander schieden, als letzten fürchterlichen Gruß, seine Augen in wildem Zorn auf sich gerichtet gesehen hatte. Die geliebten Augen! Ach, nur noch einmal, ein einzig Mal, Verzeihung flehend, in sie zu blicken! Und wenn sie Verzeihung zurückblickten und die atemlose, seelenmörderische Liebe der Tage von Norderney – sterben zu dürfen in einem letzten Kuß!

Der Parkweg, auf dem sie dahineilte, führte eben, schon ganz nahe dem Pförtchen, um dichtes Gebüsch herum, in welchem eine oben offene Laube mit Ruhebänkchen ausgespart war. Plötzlich hörte sie das leise Wiehern eines Pferdes, und in demselben Moment stand vor ihr auf dem Wege die Gestalt eines Mannes, der eben aus dem Eingang zur Laube herausgetreten sein mußte. Ein Schrecken wahnsinniger Freude durchzuckte sie – es konnte ja nur er sein! Da hatte er auch schon die Arme ausgebreitet und sie sich mit leisem Jubelschrei an seine Brust geworfen, trunkene Küsse mit trunkenen Küssen erwidernd.

Und dann – es hätte keins gewußt, wie sie dahin gekommen – saßen sie in der Laube, eng aneinander geschmiegt, sich wieder und wieder sagend und mit seligen Küssen besiegelnd, daß sie sich liebten und ohne einander nicht leben könnten.

Und dann hatten sie die holden Erinnerungen der Norderneyer Tage wachgerufen: den Sturm, der sie zusammengeführt; die köstlichen Mahlzeiten an dem kleinen Separattisch in dem weiten, niedrigen Speisezimmer bei Otterndorf zwischen all dem Möbelgerümpel und tausendfachen bric-à-brac mit dem brummigen Wirt, der seine Gäste so naiv brüskierte, daß sie beständig in der Furcht lebte, es werde doch noch zu einer Scene zwischen ihm und Ulrich kommen; und ihr Schweifen durch die Insel, und ihr Ausruhen in einem stillen Dünenthal mit dem Ausblick auf das Meer – er immer ein wenig tiefer gelagert als sie, damit er ihr in die Augen sehen konnte; und am letzten Tage die große Tour nach der Weißen Düne, wo sie die kostbare Zeit mit Malen so heillos vertrödelte, und er auch nichts Besseres zu thun gewußt hatte, als sie anzugaffen! O, das alberne, liebe Angaffen! Was in aller Welt hatte er denn immer an ihr zu sehen gehabt!

Und was der eine und der andre bei dieser und bei jener Gelegenheit gesagt! welch kluges Wort sie, welch ungeheure Dummheit er! und wie sie sich auf Tod und Leben gestritten und gezankt, und er zuletzt immer nachgegeben – nicht weil er überzeugt gewesen wäre! Gott bewahre! niemals! – nur aus purer Höflichkeit und Mitleid mit ihrem weiblichen Mangel an Logik und den horrenden Lakunen ihrer fragmentarischen Bildung!

Keine kleinste Scene, kein unbedeutendstes Wort war vergessen!

Und nun der Streit darüber, wer den andern zuerst geliebt! Nach Ulrichs Behauptung er: denn er habe sie geliebt von dem allerersten Blick in ihre Augen, und das könne sie beim besten Willen nicht überbieten. Was sie einräumen mußte und zugeben, ihr sei die Liebe erst ein paar Minuten später gekommen: in dem Moment, als der Sturm sie in seine Arme warf, und sie fühlte, daß er sie nicht fester an sich drückte, als nötig war, um sie zu halten. Für welche Ritterlichkeit sie ihn jetzt mit einem nachträglichen Kusse belohnen müsse.

Und das ist der letzte, Geliebter. Ich muß ins Haus. Clementine möchte sonst Verdacht schöpfen. Sie schläft im Zimmer neben mir.

Das gute Mädchen! Weiß sie von unsrer Liebe?

Um Gottes willen! Aber ich weiß von einer andern. Es braucht dich nicht zu beunruhigen; der Mann hat nicht aus der Schule geschwatzt, ich habe es mir nur so zusammengereimt: Graf Wendelin liebt dich.

Wenigstens hat er es mir gesagt.

Verräterin! Wann?

O, schon vor acht Tagen, oder so – in Berlin.

Und du? Was hast du ihm geantwortet?

Daß ich mein Herz verloren habe – hoffnungslos – Gott sei es geklagt! – Geliebter, du mußt fort; dein Robin schlägt sich die Hufe ab.

Mag er!

Und zu Hause?

Ich habe kein Haus.

Deine Frau!

Ich habe keine Frau. – Geliebte, kannst du es für möglich halten, daß meine Lippen die einer andern Frau berührt haben, nachdem du sie geküßt hast?

Um Gottes willen! nicht davon! nicht davon! Laß mir diese eine, einzige Stunde ungetrübt!

Aber es kann so nicht bleiben.

Wie soll es anders werden?

Es muß. Du brauchst mich nur nicht fortzuschicken, mir nur zu folgen. Wohin? gleichviel! Nur fort! Auf der Stelle! Der Pächter hier ist mein guter Freund. Er giebt uns einen Wagen. Morgen abend sind wir hundert Meilen von hier. Komm! ich flehe dich an: komm!

Ulrich, hab' Erbarmen! Sieh, ich müßte ja thun, was du willst. Aber du darfst das nicht wollen.

So liebst du mich nicht!

Mehr als du dich selbst. Wenn das geschähe, was du willst, du würdest der elendeste der Menschen.

Elender als ich schon bin?

Tausendmal mehr. Vergiß nicht, Ulrich: ich bin so elend wie du.

Du bist es nicht. Du bist frei, bist niemand Rechenschaft schuldig. Hast nicht den Jammer mit anzusehen – ah!

Mein armer, armer Ulrich! Ja, du bist unglücklicher als ich – viel! viel! Aber du bist ein Mann.

Ich habe ertragen, was ein Mann ertragen kann. Ich kann nicht mehr.

O, mein Gott, mein Gott!

Sie weinten eines in des andern Armen. Dann war es Eleonore, die sich zuerst löste.

Wir müssen scheiden, Geliebter. Du hast noch einen weiten Weg.

Ich reite nicht nach Haus – in die Stadt – irgendwohin – nur nicht nach Haus.

Gleichviel, du mußt fort. Hierher darfst du nicht wiederkommen. Nicht wahr, das ist unmöglich? Uebermorgen ist euer Seefest. Ich denke, wir werden hingehn. Du wirst da sein. Wir sprechen uns da weiter. Wenn nicht, schreibe ich dir. Darf ich nicht?

Doch! In die Stadt – poste restante.

Auch das. Ich begleite dich bis zu deinem Pferde. Komm!

Sie verließen die Laube, eins das andre umschlingend. – Clementine war auf einem schmalen Seitenpfade bis zu dem dichten Gebüsch gelangt, welches die Laube umgab, als sie in unmittelbarer Nähe Stimmen vernahm. Erschrocken blieb sie stehen. Es würde ein Liebespärchen aus dem Dorfe sein, das sich in dem verschwiegenen, immer offenen herrschaftlichen Park ein Stelldichein gegeben. Fatal! Sie mußte an dem breiten Eingang der Laube vorüber oder einen weiten Weg zurück machen. Das war unmöglich. Sie konnte froh sein, wenn ihre Kraft noch bis zu dem Pachthofe reichte.

In dem Gebüsch war eine Lücke. Der Mond, den zuletzt eine Wolke verschleiert hatte, trat wieder in glänzender Klarheit hervor. Sein Licht schien hell in die Laube über die Bank, auf der die Sprechenden saßen: Leonore und Ulrich!

War es denkbar? war es möglich?

Aber das Bild blieb, vollkommen deutlich, sie konnte jeden Zug in den Gesichtern unterscheiden.

Und jetzt, bei der atemlosen Stille ringsherum, auch jedes ihrer Worte: süße, leidenschaftliche Worte – Bekenntnisse, Geständnisse, Beteuerungen, sinnlosholdes Geplauder und Kuß um Kuß.

Sie wollte fliehen; aber das kranke Herz hämmerte so entsetzlich; sie mußte fürchten, bei den ersten Schritten zusammenzubrechen und dann ihre Anwesenheit sicher zu verraten. Sie konnte nichts andres, als, den schlanken Stamm eines Bäumchens mit beiden Händen umklammernd, regungslos so verharren.

Wie lange? Sie hätte es nicht zu sagen gewußt. – Es schienen ihr Stunden; es mochten aber auch nur Minuten gewesen sein, bis jene die Laube verließen.

Auch dann blieb sie regungslos stehen: Eleonore mußte denselben Weg zurückkommen.

Und sie kam zurück, die schlanke Gestalt, eilenden Schritts, so nahe an ihr vorüber – es schien ein Wunder, daß sie unbemerkt blieb.

Dann vernahm sie den elastischen Schritt nicht mehr und durfte sich endlich hinwerfen, wo sie stand, und, die brennenden Augen auf den Boden geheftet, versuchen, in ihr verstörtes Gehirn hineinzubringen, was sie eben gesehen und gehört.

Das also war die Liebe – nicht die, von der sie tausendmal in Büchern gelesen – die wirkliche Liebe in Fleisch und Blut von zwei gesunden, schönen Menschen, die den süßen Trank in vollen Zügen trinken durften? Die Liebe, von der sie ausgeschlossen war, der häßliche Krüppel mit der schiefen Hüfte und der hohen Schulter! Ah! wie sie diese Eleonore haßte, die Glückselige, die von Ulrich geliebt wurde! Und sie liebte ihn nicht, wie man einen Ulrich lieben mußte, wie sie ihn geliebt haben würde, wie sie ihn liebte! Ihr sollte er gesagt haben: Flieh mit mir! Ja, Ulrich, ja! bis ans Ende der Welt! dich glücklich zu machen, wenn ich kann! zu sterben, wenn ich es nicht kann! Und nicht nach den Menschen und nicht nach Himmel und Hölle zu fragen, ob ich es darf!

Was nun? In den See? Das einfachste wär's schon; sie würde sich ja wohl bis dahin schleppen können. Oder hier so liegen bleiben auf der feuchten Erde? Dann war sie morgen früh sicher auch tot. –

Endlich löste sich doch der wilde Schmerz in eine Thränenflut und das gequälte Herz fühlte wieder den alten, sanften, liebevollen Schlag. Ah! die geliebten Beiden! Die so grenzenlos unglücklich waren! Wenn sie ihnen helfen könnte! Wie gern wollte sie ihr Leben dafür hingeben!

Deshalb durfte es aber auch hier nicht damit zu Ende sein. Sie mußte ins Haus zurück und in ihr Bett. Sie würde so leise auftreten; Eleonore würde nichts hören.

Und hörte sie's, weshalb sollte sie nicht auch Lust bekommen haben, ein wenig spazieren zu gehen in der schönen Mondennacht?

Das muß einem armen Krüppel doch erlaubt sein, wenn sie auch keinen heimlichen Liebsten hat und sicher ist, allein, mutterseelenallein zu bleiben, allein und verlassen, wie der Stein am Wege – in der schönen Mondennacht!


 << zurück weiter >>