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Zweites Kapitel.

Das Fest war schon seit Stunden in vollem Gange. Programmmäßig eine Stunde vor Sonnenuntergang hatten drei Böllerschläge von dem Landungsplatze des Gasthauses »Zu den drei Hechten« für die am See wohnenden Herrschaften das Signal gegeben, ihre Boote zu besteigen. Früher war diese Seefahrt obligatorisch gewesen, das Wetter mochte nun gut oder schlecht sein; und je schlechter es war, für um so lustiger hatte man den Spaß erachtet, um so heiterer war es bei dem Feste selbst zugegangen. Aber seit Jahren schon pflegte man sich nur der Boote zu bedienen, wenn das Wetter, wie diesmal, einwandfrei schön war. Hatte doch auch die Seefahrt ihre symbolische Bedeutung verloren, seitdem die Festgesellschaft sich längst nicht mehr aus den Familien der die Ufer des Sees umwohnenden sieben adligen Geschlechter zusammensetzte! man sich genötigt gesehen, auch die bürgerlichen Pächter der einst von Voigtschen und von Waldowschen, jetzt städtischen Güter mit Einladungen zu beehren! die Honoratioren der Stadt und die Offiziere der dort garnisonierenden zwei Schwadronen hinzuzuziehen! endlich auch Gutsbesitzern, die, fernerab hausend, mit dem See gar nichts zu schaffen hatten, wie Herrn von Trottau und andern, den Zutritt zu gewähren! Also, daß selbst der Name »Seefest« nur noch cum grano salis zu verstehen war. Wie denn auch sonst der Umstand, daß für diesen Abend das Gasthaus und seine Pertinentien nebst dem vom königlichen Oberförster zur Verfügung der Gesellschaft gestellten angrenzenden Wald ausschließlich den Festgenossen gehörte und der Wirt sich verpflichtet hatte, unter keinerlei Vorwand einen andern Gast aufzunehmen, noch das Einzige sei, was an die früher beobachtete strenge Exklusivität wenigstens erinnerte.

Diese Mitteilungen verdankte Eleonore Herrn Joachim von Brandt auf Pustow und Semlo, der, als einer der Festarrangeure, sich beeifert hatte, dem Fräulein, das zum erstenmal in dem Kreise war, die Honneurs zu machen, nachdem ihn Guido gebeten, die junge Dame, die eine ganz specielle Protegée seiner Mama sei, »ein wenig zu lancieren«. Es wäre Guido eine unaussprechliche Freude gewesen, das selbst in Person thun zu dürfen; aber er fühlte, daß er eine so liebe Aufgabe andern überlassen müsse, und harrte geduldig dem Beginn des Balles entgegen, der ihn ja in die geliebte Nähe bringen mußte. Auch sah sich Eleonore, dank den Bemühungen des Herrn von Brandt, bald auf Tritt und Schritt von einem Schwarm aufmerksamer Herren umgeben, unter denen sich besonders einige Offiziere durch ihre Beflissenheit hervorthaten. Das würde ihr unter andern Umständen lästig genug gewesen sein; heute ertrug sie das kleinere Uebel gern, um dem größeren auszuweichen: einem beständigen Beisammensein mit der Generalin und Kittie, die nicht von der Seite der Mama wich, ebensowenig wie von ihrer der Lieutenant von Trottau, der heute in Uniform erschienen war.

Da stand wieder einmal der unermüdliche Herr von Brandt, ein paar Offiziere, die zugleich auf sie einsprachen, sanft beiseite schiebend, vor ihr.

Verzeihung, meine Herren, wenn ich Sie bitte, mir das gnädige Fräulein auf ein paar Minuten anzuvertrauen! Mein gnädiges Fräulein, meine Frau brennt darauf, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Ich suche Sie schon seit einer Viertelstunde vergebens. Darf ich um Ihren Arm bitten?

Eleonore hatte sich mit ihren Herren auf der Wasserseite befunden, wohin bereits viele drängten, sich einen guten Platz für das demnächst zu erwartende Feuerwerk zu sichern. Aber bis dahin habe es noch eine halbe Stunde Zeit; er werde dafür sorgen, daß das gnädige Fräulein hernach nicht zu kurz komme, versicherte Herr von Brandt Eleonoren, während er sie durch das Haus führte, vorüber an der offenen Thür zum Speisesaal, in welchem an einer Menge kleiner Tische für das Souper gedeckt war, nach dem Vorplatz auf der andern Seite, wo unter den mit bunten Lampions geschmückten Bäumen noch ein zahlreicher Teil der Gesellschaft bei den Klängen der Militärkapelle herumspazierte oder auf Bänken und Stühlen in Gruppen plaudernd saß.

Dort ist meine Frau! rief Herr von Brandt, auf eine dieser Gruppen deutend, die von drei oder vier Damen gebildet wurde. Eleonore durchzuckte es: neben der von Herrn von Brandt als seine Gattin bezeichneten Dame saß Hertha. Da es bereits so spät geworden, ohne daß er, um dessenwillen sie gekommen, in dem bunten Schwarm erschienen wäre, hatte sie gefürchtet und gehofft, es werde heute für sie beide ein traurig-süßes Wiedersehen nicht geben. Nun sollte es doch sein.

Hier, liebe Hedwig, bringe ich dir die junge Dame; Frau Baronin darf ich Sie mit Fräulein Ritter – ah, die Damen kennen einander schon! Na, da darf ich mich eklipsieren – ich habe noch eine Welt –

Herr von Brandt war davongeeilt. Frau von Brandt hatte Eleonore auf einen leeren Stuhl neben sich genötigt, und sie in eine Unterhaltung gezogen, in der es sich um Kindererziehung zu handeln schien. Genau zu hören war unmöglich bei der Nähe der Kapelle, die eben einen Straußschen Walzer schmetterte. Die Dame schien das nicht zu stören; sie sprach mit großer Zungenfertigkeit weiter, augenscheinlich in der Ansicht, daß sie damit der Gesellschafterin auf Seehausen eine große Ehre erwies und einen seltenen Genuß bereitete. Eleonore ließ der redseligen Dame gern das Wort; sie behielt so wenigstens Zeit, ihre durch das plötzliche Erscheinen Herthas erschreckten Nerven einigermaßen zu beruhigen und sich auf den Moment vorzubereiten, wo Ulrich ihr gegenübertreten würde. Inzwischen streifte ihr forschender Blick immer wieder Herthas Gesicht, die einem Gespräch, das die beiden andern Damen führten, nur geringe Aufmerksamkeit zu widmen schien. Grillenfangen ist ein mißliches Geschäft, hatte Doktor Balthasar heute morgen gesagt. Herthas Aussehen ließ vermuten, daß in der Zwischenzeit etwas noch weit Mißlicheres sie beschäftigt hatte. Sie war sehr blaß, mit breiten, dunklen Rändern unter den matten, teilnahmlos vor sich hinblickenden Augen. Die welken, schlaffen Züge verrieten nichts von der mannhaften Energie, durch welche sich die Baronin auszeichnen sollte. Sie sah um zehn Jahre älter aus, als sie nach Eleonores Berechnung sein konnte; auch erschien sie ihr in den wenigen, seit ihrer ersten Begegnung verflossenen Tagen abgemagert und festlich an ihr nichts als die sehr elegante, geschmackvolle Toilette – alles in allem der Eindruck einer Frau, die von einem zu tiefen Seelenkummer heimgesucht ist, als daß sie Zeit und Lust zum Grillenfangen haben könnte.

Der Anblick schnitt Eleonoren durchs Herz. Sie wußte, woher dieser Kummer stammte, und schauderte bei dem Gedanken, der Aermsten könnten plötzlich die Augen darüber aufgehen, daß hier, ihr gegenüber, die saß, die ihr diesen Kummer geschaffen hatte, und bei der es stand, ob der Kummer zur völligen Verzweiflung werden sollte. – Das ist nicht zu ertragen, sagte es immerfort in ihr.

Frau von Brandt hatte sich mit einer flüchtigen Entschuldigung erhoben, eine Freundin, die sie jetzt erst im Gedränge sah, zu begrüßen. Der Stuhl zwischen Eleonore und Hertha war leer geworden.

Wollen Sie sich nicht zu mir setzen? sagte Hertha.

Die Musik war mit dem Walzer fertig, die beiden andern Damen fuhren in ihrer eifrigen Unterhaltung fort; wenn Eleonore und Hertha ein intimeres Gespräch wünschten, konnte die Gelegenheit nicht günstiger sein.

Eleonore hätte die Gelegenheit nicht gesucht; nun, da sie sich bot, war es ihr recht. Sie hatte mit Ulrichs Gattin neulich nur immer in Gegenwart andrer verkehrt und das Bild der Frau ihr nicht deutlich werden wollen. Sie wollte ein deutliches Bild haben; wollte wissen, wer die war, die sich in einer zehnjährigen Ehe Ulrichs Liebe nicht zu erwerben oder diese Liebe nicht zu erhalten verstanden hatte. Und sie hatte erfahren, daß, wenn es die Erforschung eines Charakters galt, manchmal ein in der Unterhaltung flüchtig hingeworfenes Wort wertvoller war als eine lange Reihe von Beobachtungen.

Bereits neulich hatte Eleonore es der Baronin zum Verdienst anrechnen müssen, daß sie den Abstand der gesellschaftlichen Stellung in keiner Weise hervorgehoben; heute war ihr Benehmen trotz des Druckes, der so augenscheinlich auf ihrer Seele lastete, noch um vieles freundlicher, ja, ein herzliches zu nennen. Clementines Unwohlsein, von dem Eleonore berichtete, erregte ihr lebhaftes Mitgefühl.

Das arme Mädchen! sagte sie; sie hat mir, als ich drüben war, anvertraut, welch eine Wohlthat Ihre Anwesenheit für sie ist. Ich gönne es ihr von Herzen. Sie führt ein elendes Leben bei Mama; ich hätte sie schon längst zu mir nehmen sollen. Es ist reiner Egoismus, daß ich es immer noch nicht gethan habe. In der ersten Zeit der Ehe ist es einem ein schrecklicher Gedanke, so einen dritten Menschen neben sich zu haben, und wäre es eine Schwester. Mein Mann hat mir oft gesagt: Warum hast du keine Freundinnen? und war immer unzufrieden, wenn ich antwortete: Ich brauche keine. Sie werden mir das vielleicht nicht nachfühlen können; Sie sind nicht verheiratet.

Doch, gnädige Frau, ich kann es Ihnen nachfühlen.

Man denkt nach der Ehe über so viele Dinge anders als vor der Ehe, und wenn man erst länger verheiratet ist, wieder anders als im Anfang. Leider sind die Fehler, die man im Anfang in seiner Unerfahrenheit und Dummheit begangen hat, nicht wieder gutzumachen.

Auch nicht, wenn von beiden Seiten der gute Wille da ist?

Von beiden Seiten! Ja, dann vielleicht. Aber wahrscheinlich ist er nur auf der einen Seite, und dann hilft es nichts. Anfangs sieht die junge Frau nicht, daß ihr Mann höhere geistige Bedürfnisse hat als sie, und sie lebt in den Tag hinein, als ob alles in bester Ordnung wäre. Vielleicht macht er ein paar Versuche, sie zu sich hinauf zu ziehen; aber die können nicht gelingen, denn sie weiß nicht, um was es sich handelt: ist wohl gar widerspenstig. Nach ein paar mißlungenen Ansätzen verliert er die Geduld und erklärt sie für bildungsunfähig. Dann kommt sie zur Besinnung, aber es ist zu spät. Er könnte jetzt wohl noch etwas aus ihr machen, wenn ihm etwas daran gelegen wäre, wenn er sie noch liebte. Es ist ihm nichts mehr daran gelegen; er liebt sie nicht mehr; nun ist alles vorbei.

Ihre immer nicht besonders weiche Stimme war bei den letzten Worten häßlich rauh geworden, Thränen traten ihr in die Augen.

Ich bin seit einiger Zeit so nervös! fuhr sie, wie zur Entschuldigung, fort. Früher wußte ich nicht, was Nerven waren. Ich wäre auch heute abend nicht gekommen, wenn mir Doktor Balthasar nicht so zugeredet hätte. Sie haben meinen Mann kennen gelernt?

Ja, gnädige Frau!

Vorgestern abend, er sagte es mir. Haben Sie ihn heute schon gesehen?

Eleonore hatte Ulrich, der mit ein paar Herren in einiger Entfernung stand, bereits seit einer Minute gesehen, und ihr stilles Gebet war, sie möchte sich von Hertha losmachen können, bevor er herantrat; oder er sie beide hier bemerken und, ohne heranzutreten, sich in der Gesellschaft verlieren. Aber Hertha hatte in dem Moment, als sie die letzte Frage that, ihre Augen nach derselben Richtung gewandt; zufällig hatte auch Ulrich herübergeblickt und Eleonore neben seiner Frau entdeckt. Ein Ausweichen war nicht mehr möglich, um so weniger, als Hertha ihn laut beim Namen rief. Er löste sich aus der Gruppe, in der er sich befand, und trat heran, Eleonore begrüßend.

Willst du dich nicht zu uns setzen? sagte Hertha. Fräulein Ritter erzählt mir eben, daß Clementine krank ist.

Ich hörte es schon von der Mama, erwiderte Ulrich; sie meint, es habe nichts zu bedeuten. Das hat freilich für sie niemals etwas, wenn es Clementine betrifft. Wenn Fräulein Ritter es bestätigt, glaube ich es natürlich.

Ich bin in Sorge um sie gewesen, erwiderte Eleonore; heute nachmittag ging es ihr entschieden besser. Ich wäre sonst bei ihr geblieben.

Das gnädige Fräulein und Clementine sind nämlich geschworene Freundinnen, sagte Ulrich, zu Hertha sich wendend, in einem spöttischen Ton, der Eleonore häßlich berührte.

Darf ich fragen, woher der Herr Baron das weiß? entgegnete sie ruhig.

Mein Gott, rief er, man hält eben leicht für wirklich, was man wünscht, und ich wünsche Clementine eine geschworene Freundin; geschworene Feindinnen hat sie genug. Uebrigens gebe ich zu: es ist in den meisten Fällen mehr als thöricht, für wirklich zu halten, was man wünscht.

Jetzt war auch Hertha der sonderbare Ton aufgefallen, in welchem ihr Gatte sprach. Sie fand es unschicklich, daß er seine üble Laune auch an der fremden Dame ausließ.

Sie müssen wissen, es ist ein großes Kompliment, das Ihnen mein Mann da macht, sagte sie freundlich zu Eleonore. Er schwärmt für Clementine.

Natürlich! sagte Ulrich. In den Augen seiner Frau schwärmt der Mann immer, wenn er die Unvorsichtigkeit hat, zu bemerken, daß es außer ihr noch andre Damen in der Welt giebt.

Du darfst dich deines Scharfblicks schon gar nicht rühmen, erwiderte Hertha, entschlossen, Ulrichs Erbitterung, die ja nur auf ihre Rechnung kam, Eleonore nicht entgelten zu lassen, sonst würdest du nicht zwei Wochen mit Fräulein Ritter auf Norderney gewesen sein, ohne sie zu bemerken. Ist denn die Insel so groß?

Die Insel nicht sowohl als die Gesellschaft, erwiderte Ulrich kurz.

Eleonore hatte sich herabgebeugt und strich an einer Falte ihres Kleides, die Glut der Scham, die ihr in das Gesicht geschossen war, zu verbergen. Sie hätte alles darum gegeben, dieser fürchterlichen Situation zu entrinnen; aber sie fand in ihrem verstörten Geiste keinen passenden Entschuldigungsgrund und mußte so den Graus weiter über sich ergehen lassen.

Es ist wirklich schade, fuhr Hertha fort, daß du Fräulein Ritter nicht kanntest. Es wäre doch jemand dagewesen, mit dem du gerne eine Stunde verplaudert hättest.

Wobei die Frage offen bleibt, ob dem gnädigen Fräulein damit gedient gewesen wäre, sagte Ulrich.

Ich darf das doch annehmen, liebes Fräulein? sagte Hertha. Wenn ich mich recht erinnere, äußerten Sie neulich, daß Sie keine einzige bekannte Seele da gehabt hätten. Ich denke mir das trostlos. Und dazu nichts als Sand und Meer. Wissen Sie, liebes Fräulein, die Skizze von Ihnen, die ich neulich in Seehausen sah, sie war gewiß sehr schön und sehr echt – das Bildchen, Ulrich, das du jetzt auf deinem Schreibtisch stehen hast – das ist doch auch Norderney? nicht?

Ich habe es wenigstens dafür gekauft, sagte Ulrich.

In Norderney?

Ja; ich fand es in einer Art von Bazar, wo man sonst nur die bange Wahl hatte zwischen ausgestopften Möwen, polierten Muscheln, versteinerten Schaltieren, Seehundfellpantoffeln und ähnlichen Herrlichkeiten. Aber ich glaube, es ist die höchste Zeit, daß wir zum Feuerwerk gehen. Alle Welt setzt sich in Bewegung.

In diesem Augenblicke kam Herr von Brandt vorübergerannt.

Meine Herrschaften, es ist kein Augenblick zu verlieren, wenn Sie noch einen leidlichen Platz haben wollen. Lieber Randow, bitte, führen Sie Ihre Damen hin!

Er war in das Haus geeilt, nach dessen Thür jetzt alles von dem Vorgarten aus drängte. Ulrich hatte sich erhoben.

Darf ich bitten?

Ich möchte hier bleiben, sagte Hertha. Mein Kopf ist nicht zum besten.

Wollen Sie mir verstatten, gnädige Frau, Ihnen Gesellschaft zu leisten? fragte Eleonore, die ebenfalls aufgestanden war.

Nein, nein, liebes Fräulein! sagte Hertha eifrig, Sie sollen durch mich nicht um den Spaß kommen. Offen gestanden, ich habe das Bedürfnis, für ein paar Minuten allein zu sein. Mein Mann macht sich ein Vergnügen daraus, Sie hin zu führen.

Eleonore hatte keine Wahl: Hertha schickte sie fort; und weshalb war sie denn hier, als um sich mit Ulrich auszusprechen?

Wollen Sie mir die Ehre erweisen? sagte Ulrich.

Eleonore nahm den dargebotenen Arm.


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