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Fünfzehntes Kapitel.

Es ist Ihnen doch auch recht, daß wir draußen bleiben? begann die Gräfin, als Eleonore auf einen freundlichen Wink von ihr im Begriff war, vor ihr Platz zu nehmen. Es haben nicht alle meine Passion für frische Luft.

Doch ich, gnädigste Gräfin, erwiderte Eleonore.

Das ist gut, sagte die Gräfin. Dann wollen wir einmal haben, was die Engländer ein chat nennen. Zeit genug wird uns bleiben. Sie brauchen eine Viertelstunde hin, eine Viertelstunde zurück, und unter einem halbstündigen Vortrag über die Hünengräber thut es der Herr Oberförster nicht. Es ist sein Steckenpferd. Uebrigens habe ich, damit die armen Menschen nicht vor Langerweile sterben, eine kleine Kollation vorausschicken lassen.

Sie hatte das alles in einem muntern, ja lustigen Ton gesagt, während ein reizendes, schalkisches Lächeln um ihre Lippen schwebte. Wie wenig Eleonore Menschenfurcht kannte, als sie sich mit der hohen Frau allein fand, hatte sie doch eine gewisse Beklommenheit gefühlt, die sich jetzt in einem leisen Lachen löste.

Lachen Sie nur dreist, sagte die Gräfin; ich höre so gern lachen, notabene, wenn man lacht wie Sie. Ist man, wie ich, fast ausschließlich auf das Gehör angewiesen, bekommt es eine Empfindlichkeit, die nicht immer erfreulich wirkt. Ein Organ, wie das der Generalin, kann mich krank machen. Und dabei habe ich mir eingeredet, daß der Mensch für seine Stimme verantwortlich ist, soweit wir armen Erdenwürmer überhaupt für etwas verantwortlich sind, was freilich, alles in allem, wenig genug sein mag. Sie haben eine Stimme, die meinem Ohre wohlthut – die rechte Cordeliastimme. Ich ärgerte mich über Tisch, daß der gute Trottau Sie kaum zu Wort kommen ließ. Holen Sie das jetzt nach! Was da von Ihren Eltern und Ihnen selbst aus Ihrer Kindheit zur Sprache kam, hat mich so sehr interessiert. Ich möchte gern noch mehr davon hören. Sie haben Ihre Eltern früh verloren?

Eleonore wußte nicht, wie es geschah. Ohne daß die Gräfin eine unziemliche Neugier an den Tag gelegt hätte, die sie vielmehr stumm gemacht haben würde, fühlte sie sich wie von einer sympathetischen Kraft angezogen, gegen die sie keinen Widerstand hatte und haben wollte, und der sich ihr Innerstes rückhaltlos erschloß. Während sie die Geschichte ihres Lebens erzählte, war es ihr, als ob sie selbst es in einem neuen Lichte sähe, das eine seltsame Klarheit über Partien breitete, die ihr bis zu diesem Augenblick dunkel und verworren erschienen waren. Eine sinnige Bemerkung, eine wohlgestellte Frage, welche ihre Zuhörerin von Zeit zu Zeit einfließen ließ, empfand sie nicht als Unterbrechung, nur als Aufforderung, weiter zu sprechen. Zuletzt, als sie zu dem Bericht ihrer Erlebnisse in England gekommen war, hatte ihr die Gräfin die Hand auf die Kniee gelegt und auf englisch gesagt: Bitte, nun weiter englisch! Ich höre es so gern, wenn ich es auch, wie Sie sehen, mangelhaft spreche. Land und Leute stehen einem deutlicher vor Augen, wenn einem auch noch die Sprache, die zu ihnen gehört, ins Ohr klingt. Ueberdies, meine Entschuldigung, Sie bei mir zurückzubehalten, sollte ja das unwiderstehliche Bedürfnis nach einer englischen Lektion sein. Ich darf den guten Leuten doch nichts vorgelogen haben.

Dazu hatte sie herzlich gelacht, und Eleonore hatte gelacht und auf englisch, das ihr wie die Muttersprache geläufig war, weiter erzählt und wieder lachen müssen, wenn die Gräfin, mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörend, in ihrem Englisch, das sie fließend, nur mit einem fremden Accent sprach, murmelte: »Das ist köstlich! das ist wie ein Kapitel aus Dickens!«

Nun war sie mit der englischen Episode und mit ihrer Geschichte zu Ende. Was noch folgte, war nicht mehr ihr eigenes Leben, über das sie hätte berichten können und gern berichtet hätte; war ihr Leben, verhängnisvoll verknüpft mit einem andern – ein Heiligtum, über dessen Schwelle sie keinen Dritten geleiten durfte, und wäre es auch die herrliche Frau gewesen, die ihr da gegenübersaß.

Ich danke Ihnen, danke Ihnen von ganzem Herzen! sagte die Gräfin. Sie haben mir eine köstliche Stunde bereitet. Ich darf sagen: Ihre Erscheinung, Ihr Wesen, Ihr Sprechen, Ihre Stimme – das alles ist mir vom ersten Augenblick wundersam sympathisch gewesen. Doch das waren nur zerstreute holde Töne; jetzt habe ich den vollen Accord und – ich liebe Sie.

Eleonore war zu erregt, eine Antwort zu finden. Auch die Gräfin schwieg eine kleine Weile, dann fuhr sie in leiserem Tone fort: Sie haben mir, ich weiß es, alles gesagt, was Sie sagen konnten. Wenn Sie von dem schwiegen, was doch sonst in dem Leben eines jungen Mädchens den Leitton gibt, – wenn Sie von Ihrem Herzen schwiegen, so weiß ich wiederum – aus einem mir teuren Munde – warum. Wollen Sie einer Frau, die Ihre Mutter sein könnte, und die Ihre Freundin ist und mehr als das – wollen Sie ihr nur das eine sagen: Ist Ihre Liebe eine glückliche?

Sie ist hoffnungslos, völlig, völlig hoffnungslos, erwiderte Eleonore dumpf.

Ich dachte es mir, sagte die Gräfin.

Und nach einer kleinen Pause: Darf ich Ihnen die Geschichte einer andern hoffnungslosen Liebe erzählen? Nun denn! hören Sie! – In Norwegen lebte vor dreißig und einigen Jahren ein Mädchen – wir wollen sie Friederike nennen, was nebenbei auch mein Vorname ist. Ihr Geschlecht war nach dem königlichen das vornehmste im Lande; ja, es durfte sich nicht minder vornehm dünken als jenes, denn seine Vorfahren hatten in grauen Zeiten über ein Jahrhundert lang das Reich beherrscht. Von seinem Glanz war freilich nichts geblieben als der Name, den jeder Norweger mit Ehrfurcht aussprach und noch heute ausspricht; sonst lebte der Vater des Mädchens, das sein einziges Kind war, nicht besser und nicht schlechter als seine bäuerlichen Gutsnachbarn. Von Zeit zu Zeit mußte er allerdings bei Hof erscheinen als erster Repräsentant seiner Landschaft, und weil er nun doch einmal zu den Granden des Reichs gehörte. Dahin nahm er auch wohl, nachdem sie erwachsen war, die Tochter mit. Das war nun für sie ein seltsamer Abstand von ihrer gewohnten, ländlichen Abgeschlossenheit zu dem rauschenden, glanzvollen Leben. Ich weiß nicht, ob die Leute recht hatten, aber sie fanden Friederike schön. Nehmen wir an, sie hatten recht. Jedenfalls sah sie sich, so oft sie erschien, von überschwenglichen Huldigungen umgeben, die, wenn sie ihr Herz nicht rührten, doch ihre Phantasie beschäftigten. Dafür konnte sie denn nie nach Hause kehren, ohne einige andre Herzen gebrochen zu haben, wie die Phrase lautet. Das war ihrem Vater gar nicht recht. Er war nicht mehr jung und wollte gern, bevor er starb, das Leben seines Kindes gesichert sehen; und, ich sagte es schon, er war arm und wünschte der Tochter ein weltliches Glück, das er für seine Person mit Würde zu entbehren wußte. Da, als sie zum viertenmale bei Hofe erschien und jetzt in ihrem einundzwanzigsten Jahre stand, kam abermals ein Freier, der ernster genommen sein wollte als seine Vorgänger, oder den doch wenigstens sie ernsthafter nahm. Nicht, weil er reicher war als jene – das hätte auf Friederike nicht den mindesten Eindruck gemacht –, sondern weil er mit seiner skrupulösen Ehrenhaftigkeit, seiner unendlichen Herzensgüte und nicht zuletzt seiner zweifellos aufrichtigen, treuen, edlen Liebe, wenn es eine Bürgschaft ehelichen Glückes gibt, diese Bürgschaft zu bieten schien. Sie gab ihm ihr Jawort; gab es ihm nach einem fürchterlichen Kampfe mit ihrem Herzen, das darüber in tausend Stücke zu brechen drohte. Denn sie liebte einen andern mit glühender, wahnsinniger Leidenschaft. Es war ein Nachbarssohn, ein paar Jahre älter als sie. Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten zusammen gelernt, studiert, musiziert, denn sie war sehr musikalisch, und seine Seele war voll von Musik. So hatte ihn sein Vater, um sein Talent auszubilden – wie denn bei uns Künstler, Gelehrte, Beamte, Militärs fast alle aus dem Bauernstande hervorgehen –, erst nach Christiania und Stockholm, dann nach Paris geschickt, wo sein wunderbares Talent Furore machte, so daß er eigentlich schon, ein berühmter Mann, als zwanzigjähriger Jüngling zu uns zurückkam, nur – um sich zu verloben. Mit einem Mädchen, ebenfalls einem Nachbarkinde, meiner speciellen, halb mütterlichen Freundin, denn sie war ein Jahr älter als er, und er hatte sie von lange her geliebt, während er mit mir nur gespielt hatte. Kurz nach seiner Verlobung – bei der ich nicht zugegen gewesen – der Vater hatte mich zum erstenmal mit nach Christiania genommen – sahen wir uns wieder. Ich war eben siebzehn geworden. Wir begrüßten uns als alte Freunde und fingen, während er, um seiner Braut nahe zu sein, bei uns auf dem Lande weilte, unser altes Leben mit gemeinsamem Lesen und Musizieren wieder an. Er war der schönste Mensch, den man sehen konnte, und brauchte nicht noch genialisch bis in die Fingerspitzen zu sein, damit die Mädchen sich in ihn verliebten. Mir gab er das beste, was er konnte und hatte – ich habe seitdem keine Geige wieder spielen hören mögen – und – ich weiß nicht, war es nach ein paar Wochen oder Tagen oder Stunden – ich liebte ihn, und er liebte mich. Ich hätte es gewußt, wenn er mir es auch nicht gesagt hätte; aber er sagte es mir in einer wonnevollen Stunde, aus der ich mich mit blutendem Herzen losriß – es durfte ja nicht sein. Seine Braut – nennen wir sie Brita – war ein makelloses Geschöpf, war meine Freundin, die an dem früh der Mutter beraubten Kinde unendlich viel Gutes gethan. Und sie liebte Hjalmar von ganzer Seele, hatte um seinethalben mehr als einen annehmbaren Freier zurückgewiesen; sich von ihm verlassen zu sehen, wäre ihr Tod gewesen – ich hätte lieber eine Kirche beraubt als sie des Liebsten. Das sagte ich ihm. Er erwiderte, daß wenn Brita nicht ohne ihn, so er ohne mich nicht leben könne; daß seine ganze Kunst nur ein Ahnen seiner Liebe zu mir gewesen sei und in dieser Liebe ihr Höchstes erreicht habe, von dem sie unaufhaltsam herab und immer herab bis zur kläglichsten Ohnmacht und in den tiefsten Staub sinken müsse, wenn ich ihm nicht, als sein besseres Ich, zur Seite bliebe. Ich sagte ihm, daß, was ich mit ihm verlöre, für mich nicht minderen Wert habe, als für ihn seine Kunst. Aber höher als Glück und Kunst und alles in der Welt stehe ein gutes Gewissen, das man sich nicht bewahren könne, wenn man seine Pflicht für nichts achte; und was seine und meine heiligste Pflicht sei, das sei uns klar genug vorgeschrieben. Ich verlangte von ihm den Beweis, daß er ohne mich kein großer Künstler sein könne. Er solle die beabsichtigte große Tour durch Europa machen. Wenn er zurückkäme, wollten wir uns wieder sprechen. Er kam nach einem Jahre zurück, mit Ruhm und Gold beladen. Den von mir geforderten Beweis hatte er nicht zu führen vermocht: die Zeitungen aller Länder behaupteten einstimmig, daß er der erste Geiger der Welt sei. Aber gesiegt hatte ich doch nicht: seine Leidenschaft war nur noch mächtiger, wilder, verzehrender geworden.

Ich darf die traurige Geschichte nicht länger machen, als zum Verständnis erforderlich ist. Drei Jahre folgten, in denen mein Herz keine einzige ruhige Stunde hatte. Wie konnte es anders sein, wenn ich sehen mußte, wie Hjalmar sich in dem Riesenkampf der Pflicht und der Leidenschaft verzehrte, seine düstere Prophezeiung, daß er ohne mich in seiner Kunst sinken müsse, in Erfüllung zu gehen schien; die arme, ahnungslose Brita allmählich zu einem Verständnis der schrecklichen Lage kam, in der wir uns alle drei befanden, ohne in ihrem liebenden Herzen die Kraft zu finden, auf ein Glück zu verzichten, von dem sie noch immer hoffte, es müsse ihr doch einmal zu teil werden. Ich hatte nicht das Recht, ihr diese Hoffnung abzusprechen, so wenig ich sie auch teilte. Das Rechenexempel: jetzt sind wir drei unglücklich; wenn Hjalmar und ich unsrer Leidenschaft folgen, ist es nur eine – wollte mir nicht in den Kopf, so oft er es mir auch vorrechnete. ›Ich kann nicht auf Kosten Britas glücklich sein!‹ war meine beständige Antwort. Nebenbei wäre es auch ein fürchterlicher Schlag für meinen loyalen Vater gewesen, der einem so zu stande gekommenen Bunde niemals seinen Segen gegeben hätte. Etwas Entscheidendes mußte geschehen. Ob es das Rechte war, wofür ich mich entschied, – ich weiß es nicht: der Mensch muß sich ja so oft damit begnügen, das Rechte gewollt zu haben. Ich meinte aber, solange Hjalmar noch einen Funken Hoffnung nähre, werde er seine unselige Leidenschaft nicht überwinden können, und daß, wenn ich mich vermählte, dieser Funke erlöschen müsse. So wurde ich die Braut, so wurde ich die Frau des Grafen.

Die Gräfin schwieg, fuhr sich mit dem Tuche, das sie zwischen den Händen im Schoße gehalten hatte, über die Augen und blickte starr in die Landschaft hinein. Eleonore wagte nicht, sich zu regen, kaum zu atmen. Auch wenn die Gräfin nicht, ohne es zu ahnen, die Friederike ihrer Erzählung mit sich selbst identifiziert hätte, würde sie längst gewußt haben, daß die Heldin der Geschichte vor ihr saß in dieser verehrten, liebenswürdigen Gestalt. Und die Geschichte mahnte sie so schmerzlich an eine, die sie selbst hätte erzählen können, oft mit denselben Worten. Das konnte die Gräfin nicht wissen. Dennoch war es ihr, als ob eine freundliche Hand ihr einen Spiegel vorhielt, aus dem sie das eigene Antlitz anblickte mit einem Schmerz, der doch nicht mehr der herbe von heute war: als sei die Flucht der Jahre mit sanftem Fittich über ihn hingeweht und habe die brennende Wunde ausgekühlt.

Die Gräfin hatte sich wieder zu ihr gewandt; ihre Augenlider waren gerötet wie von verhaltenem Weinen, aber die Stimme, welche bei ihren letzten Worten ein wenig gezittert hatte, war wieder fest, als sie mit mildem Lächeln fortfuhr:

Ein seltsamer Dank, nicht wahr, für all das Schöne und Anmutige, das Sie mir erzählt haben, diese leidvolle Geschichte? Nun, sie endet wenigstens besser, als sie begonnen hat. Ich habe meine Wahl nicht bereut, nicht einen Augenblick: mein Gatte war, wie sein Sohn, kein großer, aber ein guter Mensch in des Wortes schönster Bedeutung. Wenn Sie mich fragen, ob ich glücklich gewesen bin, so frage ich zurück: was ist Glück? Ist der Mensch dazu geboren? Zu dem Glück, das er in den Jahren leidenschaftlicher Jugend ersehnt, ganz gewiß nicht. Das ist ein holder Traum, aus dem man, ach, nur zu bald, erwachen muß. Aber was ist das Leid? Wenn man es überlebt – und welches überlebt man nicht? – nach Jahren auch nur ein Traum, aus dem man erwacht ist, man mag nun Gott dafür danken oder nicht. Wir wollen uns deshalb nicht schwach und charakterlos schelten; wir mußten wohl so sein, wenn wir leben sollten. Wo sich dann freilich wieder fragen läßt: warum wir überhaupt leben? Ich habe es mich oft und oft gefragt und nur eine Antwort darauf gefunden, die, wenn sie nicht jeden Zweifel löst, uns doch das Dasein erträglich macht: unter allen Umständen das zu thun, was wir nach bestem Wissen und Gewissen für unsre Pflicht halten. Ist das Dasein nicht von Gott, sondern die Erfindung eines Teufels, so haben wir ihn wenigstens um seine Lust betrogen. Wir fragen dann nicht mehr nach dem Glück, mit dem er uns narren, nach dem Unglück, mit dem er uns martern wollte. Wir haben uns von ihm freigemacht; ja – Sie werden keine Blasphemie darin sehen – es soll wenigstens keine sein, – wenn es ein Gott ist, mit dem wir es zu thun haben, auch von diesem Gott. Es muß das sogar mit seiner Absicht übereinstimmen: ein Freier, wie er doch ist, haßt die Sklaverei; und was sind Menschen, die nach dem Glück gieren und vor dem Unglück zittern, anders als Sklaven? Hjalmar – ich spreche es ungern aus, aber es gehört nun schon zur Geschichte – war einer. Wie ihn das Glück übermütig machte, konnte er das Unglück nicht ertragen. Wäre ich die Seine geworden – das hätte doch früher oder später zu Tage kommen müssen, und damit wäre mein und auch sein Schicksal besiegelt gewesen. Man braucht nicht zu lieben, wen man achtet; aber wen man lieben soll, muß man achten können. Auch kann er nicht das Genie gewesen sein, für das ihn meine jugendliche Schwärmerei gehalten hat: ein Genie, was ich jetzt so nenne, und was man, glaube ich, einzig und allein so nennen darf, will man das hohe Wort nicht mißbrauchen, geht niemals in Wüstheit zu Grunde – niemals!

Und was aus Brita geworden ist? Das stille, sanfte Wesen, das Sie hier im Hause wie einen guten Geist schaffen sehen: Dame Brita, wie ich sie im Scherz genannt habe, und wie sie nun von aller Welt, selbst von den Dienstboten, alles Ernstes genannt wird. Ich weiß nicht, was ich beginnen soll, wenn sie vor mir stirbt; und ich glaube, wenn ich vor ihr sterbe, sie stirbt in aller Eile hinter mir her.

So! Nun bin ich zu Ende. Und weshalb ich Ihnen die lange Geschichte erzählt habe? Mein Gott, das fällt mir jetzt erst wieder ein! Um Ihnen zu zeigen, wie eine aussieht, die eine hoffnungslose Liebe überlebt hat. Sehen Sie mich einmal mit Ihren großen, schönen Augen so recht an! Nicht wahr? es ist kein so schrecklicher Anblick.

Eleonore that, wie ihr geheißen. Aber sie sah das edle, bleiche, sanft lächelnde Antlitz nur für einen Moment. Dann sah sie es nicht mehr vor den schweren Thränen, die ihr in die Augen traten. Und dann war sie von ihrem Stuhl herabgeglitten in die Kniee und hatte ihr bleiches Gesicht schluchzend in den Schoß, in die Hände der Gräfin gedrückt.

Kind, Kind! hörte sie die sanfte Stimme über ihrem Haupte sagen. O, mein Gott, wie gern würde ich Ihre Mutter heißen! Versprechen Sie – versprich mir eines: wenn die Wunde deiner hoffnungslosen Liebe sich geschlossen hat – und sie wird sich schließen, glaube es mir! – und du könntest meines Guido Gattin werden – er wird dir inzwischen nie mit einem Wort, einem Blick beschwerlich fallen, sondern geduldig harren wie der Gläubige auf die Verheißung – dann schreibe mir nur das eine: du sollst mich Tochter nennen dürfen! – Willst du das?

Eleonore antwortete nicht, konnte es in Worten nicht, nur durch ein Nicken ihres gesenkten Hauptes.

Den Bund laß uns besiegeln! sagte die Gräfin. Sie richtete, die flachen Hände an ihre beiden Schläfen legend, den Kopf der Knieenden sanft empor und küßte sie innig auf den Mund.

Und nun steh auf, mein Kind! Ich höre die andern kommen. Sie brauchen nicht zu wissen, was wir untereinander ausgemacht haben.


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