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Drittes Kapitel.

Eleonore hatte die Situation auf Seehausen über ihr Erwarten erfreulich gefunden. Das Gut rechtfertigte seinen Namen. Unmittelbar am westlichen Ufer des langgestreckten Sees gelegen, dehnte sich der große Garten bis an das Wasser. In dem ausgedehnten Revier ein anmutiger Wechsel von Gruppen hochstämmiger alter Bäume, schattigen Bosketts und mit Blumenrabatten geschmückten Rasenflächen. Eine stattliche steinerne Terrasse war in den See hineingebaut. Die Hinterseite des zweistöckigen Wohnhauses, aus dessen Mitte ein höherer Giebel aufragte, lag dem Wasser zugekehrt; so hatte Eleonore, die hier wohnte, aus ihren Fenstern einen prachtvollen Blick über einen großen Teil des Gartens und die Breite des Sees auf das gegenüberliegende, fast überall mit Hochwald bekränzte Ufer. Das Haus, eine Schöpfung des Urgroßvaters der Generalin, war von außen und innen noch ganz im Stil der Mitte des vorigen Jahrhunderts; auch hatte die Generalin nicht verabsäumt, Eleonore auf das in Stein gehauene Wappen mit den drei Lilien über dem Hauptportal aufmerksam zu machen. Daß inzwischen Haus und Hof und Gut ihrem ersten Gatten, dem bürgerlichen Herrn Niemann, gehört, und heute ihrer Tochter Hertha gehören würde, hätte er sie nicht zur Universalerbin eingesetzt, war bei dieser Gelegenheit nicht erwähnt worden. Dafür beklagte sie elegisch die Decimierung des alten Meublements, für dessen Wert ihr Gatte – sie meinte damit stets den General – leider gar keinen Sinn gehabt habe, wie denn das auch die mesquine Einrichtung der Stadtwohnung, die durchweg von ihm herrühre, beweise. Da sei es ihm denn ein Kleines gewesen, die kostbarsten Stücke für ein Spottgeld zu verkaufen oder gegen moderne, geschmacklose Sachen einzutauschen. Der Not gehorchend, kommentierte Clementine lächelnd Eleonore das mütterliche Wort.

Die beiden Freundinnen waren übereingekommen, den geschlossenen Bund als strenges Geheimnis zu bewahren – ein Entschluß, den die Klugheit gebot. Die Mutter würde die Bevorzugung eines Kindes, das sie, alles in allem, für eine beklagenswerte Zugabe hielt, nicht begriffen und jedenfalls nicht vergeben haben. So begegneten sie sich denn vor den andern mit ruhiger Höflichkeit und entschädigten sich für diese Entsagung durch stundenlanges Geplauder des Abends vor dem Zubettgehen. Clementine hatte es so einzurichten gewußt, daß ihr neben Eleonores Wohn- und Schlafzimmer ein eigenes kleines Zimmer im zweiten Stock angewiesen war. Kittie schlief unten bei der Mama.

Die Generalin überbot sich Eleonore gegenüber in Liebenswürdigkeiten. Sie bat sie wieder und wieder, doch ja jeden Wunsch, den sie etwa hätte, zu äußern; es würde ihr eine Freude sein, ihn zu erfüllen, wofür sie nur beanspruche, sie einfach bei ihrem Namen nennen zu dürfen. Der Name Eleonore sei gar so schön; und »liebe Eleonore, meine beste Eleonore« kam kaum noch von ihren Lippen. Von einem Abhängigkeitsverhältnis war nicht die Rede; ein besonders geehrter und willkommener Gast hätte nicht mit größerer Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit behandelt werden können. Der Unterricht im Englischen, den Eleonore Kittie erteilen sollte, und an dem auch die Generalin teilnehmen wollte, wurde als eine reine Gefälligkeit ihrerseits dargestellt. Inzwischen hatten diese Unterrichtsstunden noch nicht begonnen. Es gab in Haus und Garten zu viel zu zeigen, zu sehen; und man müsse sich doch erst einmal ordentlich ineinander hineinplaudern, meinte die Generalin. Dasselbe meinte Kittie, die immer Mamas Meinung war. Bis auf die Stunden, in denen sie sich zanken, erklärte Clementine mit dem allerliebst malitiösen Lächeln, das Eleonoren jedesmal zum Lachen brachte.

So war denn scheinbar alles dazu angethan, ihr die Ruhe der Seele zu gewähren, um die sie einzig den Himmel bat. Wirklich hätte sie sich manchmal in dieser herrschaftlichen Umgebung, dieser aristokratischen Stille, die nie durch einen Laut von dem weiter landeinwärts gelegenen Wirtschaftshofe unterbrochen wurde, auf den glattgeharkten Parkwegen unter den ehrwürdigen Bäumen in den Frieden des herzoglichen Lustschlosses und die Tage ihrer Kindheit zurückversetzt glauben können. Dann aber brauchte sie nur von der Terrasse den See hinabzublicken, an dessen Ende, wie sie jetzt wußte, er wohnte, den sie über kurz oder lang wiedersehen mußte, und sie wäre am liebsten aus diesem Paradiese geflohen, wie sie damals von Norderney geflohen war. Doch das war eine Regung, der sie nicht nachgeben durfte; ja, sie sagte sich, daß bereits jene erste Flucht ein Akt der Feigheit und Thorheit gewesen sei. Die Wunde, die der Speer geschlagen, kann nun der Speer heilen. Der Brief, den sie ihm zum Abschied geschrieben, konnte das lebendige Wort nicht ersetzen. Was hatte er genützt? Anstatt nach Hause zu kehren, war er wochenlang, seine Wunde nährend, durch die Welt geirrt. Das mochte sein. Sie wußte es ihm sogar nachträglich Dank, daß sie in jenen ersten Tagen umsonst die Hände gerungen bei dem fürchterlichen Gedanken: jetzt küßt seine Gattin die Lippen, die du geküßt! Aber endlich hatte er es über sich gewonnen. Er war zurückgekehrt, sicher erst nach schweren Seelenkämpfen. Und diese Kämpfe dauerten noch fort. Da wollte sie ihm beistehen, wollte ihm sagen: es mußte sein; ich zürne dir nicht; ich danke dir. Als du dich selbst wiederfandest, hast du mich mir selbst zurückgegeben.

So suchte sie sich, ihrem Wahlspruche gemäß, in das Rechte zu denken, und empfand dabei den Zwang, den sie sich ihrer Umgebung gegenüber auferlegen mußte, als eine Wohlthat. Von der gelassenen Heiterkeit, die sie zur Schau zu tragen hatte, fiel ein Schimmer in ihre Seele. Sie hatte sich die Rolle, die zu spielen ihr jetzt oblag, nicht ausgesucht; nachdem das Schicksal sie ihr einmal zugeteilt, wollte sie sie auch würdig durchführen. Sie würde fest in dieser Rolle stehen müssen, wenn sie heute nachmittag, ohne sich zu verraten, seiner Gattin gegenüber treten sollte.

Die Generalin erwartete Hertha heute nachmittag mit aller Bestimmtheit.

Ich möchte darauf schwören, daß Mama ein Anliegen an sie hat, sagte Clementine zu Eleonore, als sie auf ihren Zimmern für den bevorstehenden Besuch Toilette machten. Die beiden Damen können sonst sehr gut ohne einander fertig werden.

Du liebst deine älteste Schwester nicht?

Ich habe keine besondere Ursache dazu. Das heißt: sie hat mir nichts gethan, weder Gutes noch Schlimmes.

Ist sie klug?

Ja und nein. In allem, was zum Leben gehört, weiß sie merkwürdig gut Bescheid, ordentlich wie ein Mann. Sie beurteilt auch die Menschen sehr richtig, was so die Durchschnittsmenschen sind. Dich würde sie nicht verstehen.

Natürlich! wer könnte das auch?

Ich will es dir sagen: ihr Mann – Ulrich. Der würde dich verstehen.

Wen und was verstände auch dein Idol nicht!

Und ich bleibe dabei: er würde dich verstehen. Und du ihn, viel, viel besser als Hertha. Ihm geht so viel durch den Kopf – Großes, Schönes. Sie – mein Gott, sie ist nicht gedankenlos – gewiß nicht! – aber ihre Gedanken sind nicht seine Gedanken. So leben sie nebeneinander hin und sind sich, glaube ich, heute noch nicht näher gekommen, als im Anfang. Und dann, siehst du, er hat so viel gelernt: Philosophie, Geschichte, Litteratur, Sprachen. Hertha weiß eigentlich recht wenig, nicht durch ihre Schuld. Mama hat sich nie um sie gekümmert, ihr nie ordentliche Lehrer gehalten; und als sie wieder heiratete, sie nicht mit nach Berlin genommen, sondern hier in unsrem Städtchen in eine elende Pension gethan, in der die Mädchen notorisch gar nichts lernen. Selbst das bißchen Französisch, das sie aus der Pension mitbrachte, hat sie zum größten Teil vergessen; von Englisch oder gar Italienisch keine Rede. Ja, wenn sie so viel wüßte wie du! Ueberhaupt: Du und Ulrich – ihr seid wie füreinander geschaffen. Weshalb lachst du?

Das Lachen war Eleonoren nicht vom Herzen gekommen; es hatte nur ihre Erregung verbergen sollen.

Muß ich nicht lachen, rief sie, wenn ich neulich das Ideal des Grafen Wendelin und heute für deinen Herrn Schwager wie geschaffen sein soll!

Bitte! erwiderte Clementine eifrig; ich habe nicht gesagt, daß du für den Grafen wie geschaffen bist, nur, daß er dich auf der Stelle heiraten würde. Das behaupte ich noch. Ich gehe sogar viel weiter und behaupte, jeder Mann, wenn er ein rechter Mann ist, muß sich in dich verlieben.

Womit du zugleich sagst, daß du eine komplette Närrin bist!

Kinder und Narren sprechen die Wahrheit.

Die subjektive, nicht die objektive.

Das ist mir zu hoch. Was heißt es?

Ich erkläre es dir ein andres Mal. Ist deine Schwester schön?

Du wirst sie ja heute zu sehen bekommen.

Schadet nicht. Ich werde dann beurteilen können, ob du richtig sehen kannst.

Ich weiß nicht, warum ich dummes Mädchen alles thun muß, was du verlangst.

Wenn du es nur thust. Also?

Sie ist nicht schön, nicht einmal hübsch, wenigstens nicht nach meinem Geschmack. Aber sie hat doch etwas Pikantes, Anziehendes im Ausdruck, was den Männern gefällt. Nicht bloß den Männern; sie ist auch bei den Frauen sehr beliebt. Das Schönste an ihr ist ihre schlanke Figur, in der sie dir sogar ähnelt, bloß daß deine so biegsam und elastisch ist, wie eine Gerte. Das ist ihre gar nicht. Sie hat etwas – ich will nicht sagen: Steifes, aber Ungelenkes – keine Gewandtheit, weißt du. Und ich glaube, sie fühlt das, und das läßt sie oft anders erscheinen, als sie wirklich ist: zurückhaltend, kalt sogar, während sie allen Menschen wohlwill und im stillen unendlich viel Gutes thut.

Also auch eine Stumme des Himmels, sagte Eleonore nachdenklich.

Was heißt das nun wieder?

Ein Wort von Jean Paul. Er nennt so die Menschen, denen kein Gott gab zu sagen, was sie leiden; ja, die nicht einmal für ihre Freude zur rechten Zeit den rechten Ausdruck finden.

Ein schönes Wort.

Ein wunderschönes. Nach meinem Gefühl nicht minder darum schön, weil es so unsäglich traurig ist. Denn siehst du, liebes Kind, diese Himmelsstummen sind eigentlich Poeten, denen, was andern zum Segen, zum Verhängnis und Fluch wird, eben weil sie stumm sind und sich von der Qual des ewigen Brütens über eine Welt, die ewig ungeschaffen bleibt, nicht lösen können. Verstehst du, was ich meine?

Ich glaube, ja; flüsterte Clementine.

Und nun, fuhr Eleonore, sich in immer tiefere Erregung sprechend, fort, kommt zu dem einen Unglück das andre, viel, viel schlimmere: von der Poesie nur das bittere Leid kostend, ohne je ihrer süßen Lust teilhaftig zu sein, klammern sie sich an die Liebe, stürzen sich in die Liebe, von der sie Rettung hoffen, ja, die ihnen ein Höheres dünkt, als die Poesie selbst, weil sie das Leben poetisch zu verklären, die Poesie zur Wirklichkeit zu verdichten scheint. Nur daß es eben ein Schein ist! ein trügerischer, elendiger Schein! Nur daß das Leben sich einzig erhalten kann, wenn es sich auf Schritt und Tritt zu kläglichen Kompromissen herbeiläßt und mit feiger Klugheit den Konsequenzen aus dem Wege geht, welche die Poesie frei und frank zieht und eben darin und dadurch Poesie ist.

Clementinens feines Gesicht war sehr ernst geworden.

Stumme des Himmels, sagte sie leise vor sich hin. Ich glaube, ich kenne solche Stummen. Aber du? Du bist doch keine?

Eleonore wurde die Antwort erspart. Johann klopfte an die Thür, um herein zu sagen, daß die gnädige Frau die gnädigen Fräulein bitten lasse. Die Frau Baronin sei schon seit einer halben Stunde bei ihr – auf der Seeterrasse.

Seit heute vormittag hatte sich Eleonore auf diese Minute vorbereitet; dennoch schlug ihr jetzt das Herz zum Zerspringen. Sie sollte ihr gegenübertreten, an der sie das Schlimmste gethan, was eine Frau der andern anthun kann: der sie das Herz ihres Mannes entwendet. Sie hatte sich nach Kräften bemüht, ihr den Raub zurückzugeben; aber Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen. Nie vorher glaubte sie das so schmerzlich empfunden zu haben.

Vor den Spiegel tretend, ihr Haar noch schnell ein wenig zu ordnen, erschrak sie über ihre Blässe.

Das richtige Armesünderingesicht, murmelte sie.

Clementine, die in ihr Zimmer nebenan geschlüpft war, trat wieder herein und warf einen prüfenden Blick auf sie.

Ich wollte heute rechten Staat mit dir machen; aber eigentlich hast du nicht deinen beau jour.

Das kommt davon, sagte Eleonore mit einem seltsamen Lächeln.

Wovon?

Eleonore antwortete nicht.


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