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Vierzehntes Kapitel.

Die Gesellschaft hatte sich in den Salon zurückbegeben, aus dem man unmittelbar auf die mächtige Terrasse trat, welche der ganzen Hinterseite des Schlosses vorgemauert war. Hier sollte unter einem Zeltdach der Kaffee eingenommen werden. Herr von Trottau hatte sich sofort wieder zu Eleonore gesellt. Da er ihr nicht wohl mehr die Hände schütteln und aber- und abermals versichern konnte, wie glücklich es ihn mache, sie hier getroffen zu haben, begann er, nur um sie bei sich festzuhalten, ihr die Situation des Schlosses zu erklären, welche eine der merkwürdigsten in der Welt sei.

Sie werden bemerkt haben, liebes Fräulein – und, nicht wahr, wenn ich Sie einmal aus Versehen ›liebes, Kind‹ nennen sollte, laufen Sie nicht gleich davon – was ich sagen wollte? – ja, daß der Weg aus dem Walde zum Schlosse sanft emporsteigt. Es ist da der Anfang des Hügels, der auf seinem Rücken das Schloß trägt, in allmählicher Hebung auf jener, in schrofferem Abfall, wie Sie sehen, auf dieser, dem Flüßchen zugewandten Seite. Der Erbauer war Guido Wendelin – die Erstgeborenen der Familie heißen alle Guido –, General unter dem großen Kurfürsten, von ihm in den Grafenstand erhoben und nebenbei – was das Wichtigste war – mit ein paar Quadratmeilen Sand und Wald – weiter gab's damals hier nichts – belehnt. Natürlich mußte der Graf für seine fürstliche Besitzung ein Schloß haben, und weil er viel in Italien gewesen war und sich da an Schlössern und Palästen auf schroffen Berghängen begeistert hatte, auch auf einem Berge. Na, Berge sind hier zu Lande nicht Mode und schroffe nun schon gar nicht. So mußte es denn ein Hügel – dieser hier – thun, der leider nur nicht aus Granit oder Marmor, nicht einmal aus Sandstein, dafür aber ans schierem, festgelagertem Sande bestand. Sand ist ein guter Baugrund, notabene, wenn er nicht wegrutschen kann, wozu er eine entschiedene Neigung hat, wenn man ihn schwer belastet und ein Ausweichen nach den Seiten möglich ist; was hier der Fall war. Da blieb denn, sollte der Sandhügel nun einmal partout ein Schloß tragen, nichts übrig, als ihn, sozusagen, einzumauern. Das war ein tolles Stück Arbeit und verschlang Unsummen; aber der Graf hatte es dazu und einmal seinen Kopf darauf gesetzt. So fing man drüben mit einer gewaltigen Futtermauer an – Sie wissen, was das ist, liebes Kind, – um den Sand zum Stehen zu bringen; planierte hinterher den Hügel so weit, daß man für einen Unterbau zu Kellerei und Küchen und so weiter Raum gewann; schob sich dann mit dem eigentlichen Erdgeschoß weiter in den Hügel hinein und den Hügel hinauf, bis man auf dem schmaleren Erdgeschoß und dem hinter ihm so weit abgetragenen Hügelkamme für die um vieles breitere Hauptetage genügenden Raum fand. Da aber das Erdgeschoß weder die Höhe noch die Tiefe hatte für eine imposante Eingangshalle, mußte diese durch die Hauptetage durchgeführt werden, die so in zwei Teile geteilt wurde. Wiederum, für die Marmortreppe zu der Hauptetage Platz zu schaffen, kam man auf die Anlage der Rotunde, durch welche nun diese nach Norden gelegenen Räume bequem kommunizieren, während für die bessere Verbindung der nach Süden gelegenen jene prächtige Galerie sorgt, die oben an der vorderen Wand der Halle über dem Portal von der einen zur andern Seite führt, Verhältnismäßig leichteres Spiel hatte man hier. Man brauchte nur eben den schrofferen Abfall des Hügels nach dem Flusse in einer mächtigen Terrasse abzubauen, auf deren oberster, breitester Stufe wir uns befinden. Aber ich langweile Sie, liebes Kind, mit meiner weitschweifigen Erklärung!

Gewiß nicht, Excellenz, erwiderte Eleonore; man sieht einen solchen Platz mit ganz andern Augen an, wenn man weiß, wie er entstanden ist.

Nicht wahr? nicht wahr? rief der lebhafte alte Herr. Seitdem ich die Baugeschichte des Schlosses kenne, ist es mir noch einmal so interessant. Mein Gott, ich bin doch auch weit in der Welt herumgekommen – Tivoli! Kunststück! wenn man die großartigen Felsen hinter sich und die Campagna vor sich hat, und einen Boden, aus dem Cypressen und Pinien wie Spargel schießen; Kaktus, Aloe, Rhododendron, Kamelien, Magnolien, Syringen und was es alles ist, wie Unkraut wuchert. Aber hier, aber dies – aus dem reinen Nichts, sozusagen! Drehen Sie sich mal um! Diese prachtvolle Fassade in schönster Renaissance! Na ja! er hatte sich einen Baumeister aus Italien kommen lassen! Und nun stellen Sie sich mal hierher! Ist es nicht wunderbar?

Er hatte Eleonore bis an die Balustrade der Terrasse geführt, die unter ihnen in vier oder fünf kühnen, durch Steintreppen verbundenen Etagen zum Flußufer hinabstieg, dessen Wasser zwischen Baum und Busch hier und da hell heraufblinkte. Eine steinerne Brücke führte von der untersten Treppe in etwas prahlerischem Bogen über das Flüßchen in einen weiten englischen Park, dessen Wiesenflächen hier im bläulichen Schatten der dichten Bosketts, dort im glänzenden Sonnenschein lagen. Ueber den Park hinweg blickte man, wo nicht gerade höhere Bäume die Aussicht hemmten, in die Ebene, die sich wie ein Meer dehnte, aus dem nur die Gutshöfe mit der Umgebung ihrer Gärten gleich Inseln auftauchten.

Und nun zu denken, rief der alte Herr, daß dies alles vor zweihundert Jahren nach dem schrecklichen Kriege nichts war als eine Sand- und Sumpfwüste und wilder Wald, in dem Bären und Wölfe hausten!

Und, sagte Eleonore, vergessen wir nicht, was mir das Beste und Ehrwürdigste daran scheint: daß solche Prachtbauten bei uns entstehen konnten auch zum besten des armen Mannes, und nicht nur auf seine Kosten, wie zu oft in Italien, wo ich immer wieder beim Anblick der Herrlichkeiten schmerzlich an das Elend gemahnt wurde, das sich um sie breitet, und von dem die Erbauer nichts wußten oder nichts wissen wollten, wohl auch nichts wissen durften, sollte ihnen der Mut zu ihrer prächtigen Grausamkeit nicht verloren gehen.

Der alte Herr sah sie mit großen Augen an.

Ja, ja, sagte er, Sie haben recht, ganz recht; nichts wissen durften! Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Ueberhaupt Sie – Sie müssen mir wirklich noch einmal die Hand geben! Ich freue mich zu sehr, daß ich das Glück gehabt habe, Ihre Bekanntschaft – ich hätte beinahe gesagt: zu machen, während ich doch nun schon so lange – na, wie lange wird es denn her sein? So ein sechzehn Jährchen, wie? Und noch immer – beim Himmel, ich begreife unsre jungen Männer von heute nicht. Wenn ich – Nun, lieber Graf?

Verzeihung! sagte Guido, der schon eine halbe Minute hinter ihnen gestanden hatte. Mama möchte wissen, ob Excellenz sich bei der Partie beteiligen wollen – nach den Hünengräbern – Mama hat den Vorschlag gemacht.

Wenn Ihre Frau Mama den Vorschlag gemacht hat, das ist so gut wie Befehl. Ich werde gleich einmal –.

Herr von Trottau entfernte sich eilig, die Gräfin aufzusuchen, die in einiger Entfernung auf der Terrasse unter dem Zeltdach mit der Generalin und Dame Brita saß. Guido war neben Eleonoren stehen geblieben, ein unbestimmtes, etwas verlegenes Lächeln auf dem guten Gesicht.

Nun weiß er wieder nicht, wie er die Unterhaltung, zu der ihn Mama kommandiert hat, anfangen soll, dachte Eleonore.

Wie klein doch die Welt ist! sagte sie. Da treffen sich zwei Menschen, die sich nie vorher gesehen hatten, auf der Eisenbahn; haben ein angenehmes Plauderstündchen; sagen sich adieu auf voraussichtlich Nimmerwiedersehen: und fünf Wochen später stehen sie abermals nebeneinander par ordre desselben Zufalls, der sie das erste Mal zusammenführte.

Ist es unbescheiden, wenn ich befürworte, daß ich dem Zufall dafür dankbar bin? sagte Guido.

Gar nicht, erwiderte Eleonore, jedenfalls geht es mir ebenso. Ich freute mich aufrichtig, Herr Graf, als ich Sie gestern abend wiedersah, und bin heute sehr gern hierher gekommen.

In Guidos Wangen schoß eine dunkle Röte.

Sie machen mich glücklich, mein gnädiges Fräulein! stammelte er. Auch meine Mama –

Ich wollte eben von ihr sprechen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt ist: ich schmeichle niemandem und niemals. Da darf ich denn wohl sagen, daß Sie jeder um eine solche Mutter beneiden muß; daß ich es zu den größten Glücksfällen meines Lebens rechne, sie kennen gelernt zu haben.

Ach, wenn Sie sie doch erst wirklich kennten, rief Guido, Sie, gerade Sie!

Er schwieg plötzlich und schien den abgerissenen Faden der Unterhaltung nicht wieder fassen zu können.

Was ist das für eine Partie, von der Sie vorhin sprachen? sagte Eleonore?

Nach den Hünengräbern, erwiderte Guido schnell und offenbar erleichtert. Eine wirklich sehr sehenswerte Stelle in dem Walde, durch den wir gekommen sind. Zwei Gräber mit ungeheuren Findlingen umstellt. Virchow hat sie vor zwei Jahren auf meine Bitte durchsucht und eine Menge der interessantesten Dinge gefunden.

Ist es weit?

Keine Viertelstunde.

Das ist gut. Ich bin, offen gestanden, ein wenig abgespannt und bliebe lieber hier, wo es so zauberhaft schön ist. Aber wenn es sein muß –

Nein! nein! es muß nicht sein! sagte Guido eifrig. Im Gegenteil! Ich – ich hatte einen Auftrag von Mama an Sie – eine Bitte –

An mich? von Ihrer Frau Mama?

Ja, daß Sie die Freundlichkeit haben möchten, ihr Gesellschaft zu leisten, während wir andern den Spaziergang machen. Würden Sie –

Aber, Herr Graf, wie können Sie fragen!

Dürfte ich dann – ich sehe, man ist bereits im Aufbrechen.

Sie gingen auf die Gesellschaft zu, die jetzt unter dem Zeltdach sich um die Gräfin versammelt hatte, mit Ausnahme Kitties und des Lieutenants von Trottau, welche noch an der Balustrade lehnten und eine lebhafte, wiederholt von Kitties Lachen unterbrochene Konversation führten.

Ich – ich hätte noch eine große Bitte für mich selbst, sagte Guido, nachdem sie ein paar Schritte schweigend gemacht, die sie mir selbstverständlich abschlagen werden, wenn –

Was ist es, Herr Graf?

Uebermorgen ist unser Seefest. Sie werden kommen?

Ich weiß es nicht. Es hängt das ganz von der Frau Generalin ab.

Wenn Sie kommen – es wird getanzt werden – dürfte ich Sie um die Ehre des ersten Walzers bitten?

Mit dem größten Vergnügen.

Guido wurde wieder dunkelrot und wollte etwas erwidern, aber in dem Augenblick kamen Kittie und der Lieutenant zu ihnen, Kittie in nervöser Aufregung, der Lieutenant, sein Bärtchen mit selbstgefälligem Lächeln drehend.

Denken Sie sich, Graf Guido! rief Kittie. Herr von Trottau ist auf dem letzten Hofball gewesen und hat sich mir nicht vorstellen lassen! Wie finden sie das?

Unbegreiflich – selbstverständlich! murmelte Guido.

Nicht wahr? Dafür soll er mich aber auch zur Strafe jetzt den ganzen Weg am Arm führen – hin und zurück.

Sollte das eine Strafe sein? fragte Guido zerstreut.

Ich kenne wenigstens Leute, denen es eine wäre! erwiderte Kittie in ihrem schnippischsten Ton.

Kittie! Kittie! rief die Generalin.

Ich komme schon, Mamachen! rief Kittie zurück, vorauslaufend, von dem Lieutenant gefolgt.

Sie werden es noch ganz mit Kittie verschütten, sagte Eleonore lächelnd.

Sie glauben nicht, wie selbstverständlich gleichgültig mir das ist, erwiderte Guido treuherzig.

Die Generalin kam ihnen aus dem Kreise um die Gräfin entgegen. Ihre harten Augen glänzten unheimlich, und die dünnen Lippen waren noch schärfer als sonst auf die starken Zähne gepreßt.

Die Frau Gräfin wünscht Sie hier zu behalten, liebe Eleonore, sagte sie in einem affektiert gleichgültigen Ton – zu einem englischen Konversationsstündchen. Ich habe natürlich gern meine Erlaubnis gegeben.

Ich danke Ihnen, gnädige Frau, erwiderte Eleonore ruhig, während Guido einen wütenden Blick auf die Generalin warf, den diese, da sie sich bereits wieder gewandt hatte, glücklicherweise nicht bemerkte.

Schocking! murmelte er.

Why, dear count, sagte Eleonore gelassen; she is the mistress, and I am used to treated as governess.

But you shouldn't, sprudelte er. I can't stand it. And I have a great mind to tell that – that woman –

Er kam nicht weiter; die andern traten heran, bereits zur Promenade gerüstet, die Damen mit Sonnenschirmen, die Herren mit Stöcken, die Guido aus seinem Vorrat hatte herbeischaffen lassen. Der Oberförster hatte die Führung übernommen. Excellenz von Trottau zog Eleonoren ein wenig beiseite und versicherte sie in halb ärgerlichem, halb humoristischem Flüsterton, daß, wenn er gewußt hätte, sie würde nicht von der Partie sein, ihn keine zehn Pferde nach den vermaledeiten Hünengräbern gebracht hätten, bei denen er schon ein Dutzend Mal gewesen sei, ohne ihnen was Merkwürdiges absehen zu können. Kittie hatte ihre Drohung ausgeführt und ihren Arm in den des Lieutenants gelegt mit einem unbotmäßigen Blick auf die Generalin, den diese mit einem Grinsen, das ein Lächeln sein sollte, beantwortete. Guido war der letzte, der die Terrasse verließ, nachdem ihm seine Mutter noch ein paar leise Worte gesagt. Die Diener hatten die Kaffeesachen weggeräumt, Dame Brita den Schaukelstuhl der Gebieterin dicht an die Balustrade gerückt und sich dann ebenfalls entfernt. Die Gräfin und Eleonore waren allein.


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