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Neuntes Kapitel.

Fünf Uhr nachmittags sollte die Beerdigung vom Trauerhause aus stattfinden. Der Zug hatte sich dann nach dem Friedhofe von Salchow zu begeben, in dessen Kirche, wie die andern benachbarten Güter, so auch Seehausen eingepfarrt war. Es würde voraussichtlich ein sehr großer Zug werden: man hielt in der Seerunde darauf, auch bei solchen Gelegenheiten seine Zusammengehörigkeit zu beweisen. So mußte man darauf rechnen, daß von den dreißig in die Nachbarschaft versandten Todesanzeigen mindestens zwanzig durch das persönliche Erscheinen der unterrichteten Herrschaften beantwortet werden würden, was für den Kondukt eine Reihe von mindestens ebenso vielen Equipagen und eine Trauerversammlung von sechzig bis siebzig Köpfen bedeutete. Deren Mägen der Sitte des Landes gemäß nach einer Fahrt von manchmal mehr als zwei Stunden auch berücksichtigt sein wollten, wie die Vorbereitungen zu einem Büffetfrühstück bewiesen, welche man in einigen links vom Hausflur belegenen Zimmern getroffen hatte, gegenüber dem Saale rechter Hand, in welchem der Sarg aufgebahrt stand.

Die Generalin hatte die Hände voll zu thun. Sie versicherte ein über das andre Mal, daß sie nur in unausgesetzter Thätigkeit Balsam fände für die Wunde, welche nach dem unerforschlichen Ratschluß Gottes ihrem mütterlichen Herzen geschlagen sei. Auch wünschte sie zu wissen, wie Menschen, die nicht, gleich ihr, felsenfest im Glauben ständen, einen solchen entsetzlichen Schlag ertrügen. Einen so völlig unerwarteten, wenn ja freilich das liebe Kind Zeit ihres kurzen Lebens viel gekränkelt habe. Aber kränkliche Menschen lebten oft am längsten. Wie würde sie ohne diese allzu blinde Zuversicht eine Minute nur, nachdem sie die Nachricht von der Erkrankung des Kindes erhalten, auf dem Fest geblieben sein, den Wagen aus der Stadt abzuwarten – freilich wieder aus mütterlicher Sorge für Kitties zarte Gesundheit –, anstatt im Boote überzusetzen, wie Fräulein Ritter! Der sie dafür und für die Liebe und Treue, mit der sie bei der Heimgegangenen in der letzten Stunde gestanden, zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sei! – Und nun denken Sie: das prächtige Mädchen, das wir in den wenigen Wochen so schwärmerisch lieb gewonnen haben, will – vielmehr muß uns verlassen! Ihre Tante – eine Frau Geheimrat Bucher in Berlin – fordert sie für sich und ihre kranke Tochter zurück. Es ist eine Pflicht, der sie sich nicht entziehen kann. Ich begreife das vollständig! aber so kommt zu dem schweren Verlust ein neuer, den ich nun auch verschmerzen muß.

Bei diesen Reden, welche die Generalin den benachbarten, Trauerbesuch machenden Damen mit geläufiger Zunge zum besten gab, wurde sie von Kittie, die von Zeit zu Zeit ein beistimmendes Wort einfließen ließ, pflichtschuldig unterstützt. Mutter und Tochter hatten sich darüber geeinigt, daß, wie die Dinge lagen, es die schickliche Diplomatie sei, sich von Eleonore in scheinbar bestem Einvernehmen zu trennen. Doktor Balthasar hatte die unerhörte Keckheit gehabt, ihnen über ihr Verhalten in der Todesnacht wirklich verletzende Worte ins Gesicht zu sagen. Wer konnte wissen, ob der alte Schwätzer es dabei bewenden ließ und nicht vielmehr den bösen Leumund in der Nachbarschaft herumtrug? Da war es das Gebotene, Eleonore gleichsam als Mitglied der Familie hinzustellen, so daß Clementine mit nichten unter den Händen von Fremden gestorben war. Nicht minder lag auf der Hand, daß, falls man sich von der Person in Zank und Hader trennte, bei dem so schon gespannten Verhältnis zwischen ihnen und der Gräfin und Guido ein völliger Bruch die unvermeidliche Folge sein werde. Wogegen zu hoffen stand, der verblendete junge Mann werde zur Besinnung kommen, wenn man – nach der Entfernung des Gegenstandes seiner Schwärmerei – sich die Miene gab, auf den Unsinn einzugehen, um ihn desto sicherer von seiner Thorheit zu heilen. Wäre sie doch nur erst aus dem Hause! Die Generalin hielt es gar nicht für unmöglich, daß die Person im letzten Augenblick sich eines andern besann und blieb, während Kittie diese Furcht für lächerlich erklärte. Sie wisse mit voller Bestimmtheit, die Person habe alle Vorbereitungen getroffen, daß sie nach der Beerdigung nicht einmal in das Haus zurückzukehren brauche, sondern von dem Friedhofe direkt nach der Stadt fahren könne in dem Wagen von Pächter Besekow, der ihr von diesem auf ihre Bitte bereitwillig zur Verfügung gestellt sei. Ihre sämtlichen Sachen habe bereits am Morgen ein Besekowscher Leiterwagen in die Stadt befördert.

Möchtest du recht haben, mein süßes Kind! sagte die Generalin.

Ich habe immer Recht, Mamachen! sagte Kittie.

Schwarz steht dir doch am allerbesten! sagte die Generalin, ihren Liebling, der sich ihr in der neuen Trauergarderobe vorgestellt hatte, von allen Seiten betrachtend. Du siehst entzückend aus!

Ich finde auch, erwiderte Kittie, vor den Spiegel tretend. Die Gräfin hat abgesagt – natürlich! Aber Guido wird doch kommen? Der wird Augen machen, wenn er hört, daß er seine Flamme hier zum letzenmale anschwärmen kann.

Vielleicht weiß er es schon.

Von wem?

Von Hertha. Sie sagte gestern, sie werde Guido noch im Laufe des Tages sehen. Ist dir übrigens nicht aufgefallen, welche sonderbaren Augen Hertha machte, als sie hörte, daß die Person geht?

Sie hat auch alle Ursache dazu, wenn es wahr ist, was mir Herr von Odebrecht auf dem Feste gesagt hat.

Davon hast du mir ja noch nichts erzählt!

Ich habe ihm mein Ehrenwort geben müssen, es nicht weiter zu sagen.

Das ist doch kein Grund, es mir zu verschweigen.

Vielleicht doch. Du hättest nicht reinen Mund gehalten, und du weißt, wir haben alle Ursache, mit Hertha und Ulrich auf einem guten Fuße zu stehen.

Das weiß Gott! sagte die Generalin seufzend; wir brauchen das Geld, furchtbar notwendig. Aber was wußte denn Herr von Odebrecht?

Wenn du es denn durchaus wissen willst –

In diesem Augenblicke fuhr ein Wagen in den Hof.

Hertha! rief die Generalin, die an das Fenster gelaufen war. Eine Stunde vor der Zeit? und ohne Ulrich? Was mag denn das wieder zu bedeuten haben?

Ich wette, es handelt sich um die Person! sagte Kittie für sich. –

Eleonore hatte den Entschluß, welchen sie in der Nacht vor Clementines Tode gefaßt, am folgenden Morgen das Haus zu verlassen, nicht ausgeführt: sie mochte nicht die teure Tote, bis sie der Erde übergeben, in diesen lieblosen Händen sehen. Zu einer Auseinandersetzung mit der Generalin war es nicht gekommen: man wußte sich auf beiden Seiten die Empfindungen, die man gegeneinander hegte, auch ohne dies zu deuten. Im übrigen hatte Eleonore jede Berührung mit den Damen unter dem Vorwande, daß sie sich zu angegriffen fühle, vermieden, das wenige sogar, dessen sie an Speise und Trank bedurfte, durch Elise auf das Zimmer bringen lassen. Das gute Mädchen war auch ihre Vermittlerin mit Pächter Besekow gewesen und die unaufgeforderte Berichterstatterin der Vorgänge im Hause. Eleonore hatte immer mit halbem Ohr zugehört und nur aufgehorcht, als das Mädchen erzählte, daß gestern Frau Baronin Randow dagewesen sei ohne den Herrn Baron, der heute auch nur auf den Friedhof kommen werde; warum, wisse sie nicht. Eleonore wußte es nur zu gut, und die Vorsicht, die er anwandte, eine Begegnung mit ihr zu vermeiden oder doch möglichst neutral zu machen, hatte ihr ein schmerzliches Lächeln entlockt. Einst hätte man Jahre seines Lebens darum gegeben, einander auch nur für einen Augenblick sehen zu dürfen; heute ging man sich sorgsam aus dem Wege! Da mußte denn der Reifen, den die Nacht, als Clementine starb, um ihr Herz geschmiedet, ein übriges thun.

Für ihren Aufenthalt in der nächsten Zeit hatte sie die Wahl gehabt. Der Brief der Tante, welchen die Generalin als Erklärung ihrer plötzlichen Abreise gegen alle Welt erwähnte, war keine Erdichtung. Die gute Frau hatte sie aufs dringendste gebeten, eine Stellung, die sie niemals hätte annehmen sollen, schleunigst zu quittieren und zu ihr und Tilchen, die sie mit offenen Armen empfangen würden, zurückzukehren. Gleichzeitig mit diesem Brief war ein andrer, den ein reitender Bote überbrachte, eingetroffen:

»Soeben bringt mir Guido die betrübende Nachricht von dem Ableben unsrer guten Clementine. Ich habe das Gefühl, daß nach diesem für Sie so schmerzlichen Verluste Ihres Bleibens auf Seehausen nicht mehr sei. Darf ich Ihnen, meine holde Eleonore, dafür Schloß Wendelstein mit allem, was drum und dran hängt, anbieten? Fürchten Sie nicht, daß Ihnen durch den Aufenthalt hier – ich nehme ihn vorläufig auf ein halbes Jahrhundert an – Verpflichtungen irgend einer Art erwachsen, außer etwa der, die Gesellschaft einer alten Frau sich nach Wahl und Belieben gefallen zu lassen. Ich denke, Sie trauen mir und Guido den Takt zu, welchen ein so zartes Verhältnis, wie das unsre, erfordert. Sie sollen so frei sein wie die Adler auf meinen heimischen Bergen. Also kommen Sie und machen Sie glücklich Ihre mütterliche Freundin

Friederike Wendelin.«

Der Brief erheischte eine Antwort, zu der sich Eleonore bis jetzt – eine Stunde vor der Beerdigung – noch nicht hatte entschließen können. Sie wußte, daß die Gräfin und Guido halten würden, was der Brief versprach. War sie deshalb wirklich frei? Mußte der Aufenthalt bei der Mutter nicht in dem Busen des Sohnes Hoffnungen nähren, die ihrerseits nicht erfüllt werden konnten, solange Ulrich sie nicht freigegeben hatte? Aber wenn dies das einzige Mittel war, daß er sie freigab? die einzige Möglichkeit, ihn mit seinem Schicksal auszusöhnen? zu einem Menschen zu machen, der, ist er auch nicht glücklich – wer ist denn das? – doch die Last des Lebens tragen, die Pflichten, die es ihm auferlegt hat, erfüllen kann? Würde sie auch dann nicht den Mut haben, das Opfer zu bringen?

Sie hatte den Mut nicht gefunden. Und jetzt saß sie vor der kleinen Schreibmappe, die sie überallhin begleitete, und schrieb mit fliegender Feder ein paar diplomatische Zeilen, in welchen sie der Gräfin für ihre Güte dankte, die sie zur Zeit nicht annehmen könne, da sie bestimmte Rücksichten nach Berlin riefen. Wenn sie sich im Laufe des Winters freimachen könne und die Frau Gräfin – woran sie nicht zweifle – sie dann noch haben wolle, werde sie mit Vergnügen ihrer gütigen Einladung Folge leisten.

Sie wußte es: es war ein kläglicher Brief, wie sie ihn Zeit ihres Lebens noch niemals geschrieben, und es war hart, daß es gerade die Gräfin sein mußte, an die sie ihn schrieb. Aber ihn umzuschreiben hätte nichts geholfen; der zweite wäre nicht minder kläglich geworden. So schloß sie denn seufzend das Couvert und schrieb die Adresse.

Sie hatte eben den letzten Strich gethan, als an ihre Thür gepocht wurde. In der Meinung, es sei Elise, rief sie unbefangen: Herein!

Verzeihung, liebes Fräulein! sagte hinter ihr eine andre Stimme.

Erschrocken wandte sie sich um.

Es war wirklich Hertha.


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