Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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XI.

Das Christusbild.

                        Ein hagrer Mann, ein blasses Weib,
Ein Kind mit siechem Schattenleib,
Und eine Stube, dumpf und feucht,
Wo sich bei Tag die Nacht verkreucht;

Und kahl die Wand, kein Schrank, kein Stuhl,
Und statt des Pfühls ein ekler Pfuhl, –
Verlangt's euch, solch ein Bild zu sehn,
Ihr habt zurzeit nicht weit zu gehn.

Ein armer Weber ist der Mann,
Der doch manch ärmern nennen kann:
Er hofft, er glaubt, er liebt ja noch,
Und trägt in Demut Gottes Joch.

Die Glocke tönt, wie fliegt die Zeit.
»Mut,« ruft er, »Weib, und sei bereit!
Der Wuchrer kommt, – und wenn er kommt,
Wohlan, so nehm' er, was ihm frommt!

So pfänd' er Boden, Luft und Licht, –
Die Seel' uns pfänden kann er nicht:
Du bleibst noch mein, ich bleibe dein,
Und unser Kind mag Gottes sein!

Und schleppt' er in den Turm uns fort, –
Weib, ist der Herr mit uns nicht dort?
Und schlüg' er, wenn er's dürft', uns tot, –
Wär's nicht Erlösung von der Not?

Vor keines Wuchrers Grimm erbebt,
Wer weiß, daß noch sein Heiland lebt! –
Die Glocke schlägt, es fliegt die Zeit,
Horch, horch, sie kommen, – sei bereit!« –

Da tritt ins düstre Kämmerlein
Der Wuchrer mit dem Büttel ein. –
»Räumt aus!« – Der Büttel schickt sich an,
Wie man den Hunger pfänden kann.

»»Nichts!«« – »Nichts?« – Des Wuchrers Katzenblick
Glotzt nochmal in die Nacht zurück. –
»Ha, Maulwurf,« – ruft er plötzlich wild, –
Dort an der Wand das alte Bild?!« –

»Herr,« fällt der Weber angstvoll ein,
»Ein Christusbild ist's, schlicht und klein,
Seht, wertlos ganz, für Euch ein Tand,
Doch uns vom Ahn ein teures Pfand.

Großvaters Blick hing sterbend dran,
Mein Vater rief's in Nöten an,
Aus meiner Wiege blickt' ich drauf,
Ob meinem Eh'bett hängt' ich's auf.

Und wenn uns oft recht hart geschah,
So warfen wir uns nieder da,
Und beteten zu ihm voll Schmerz,
Und leichter ward uns um das Herz.

Ja, Herr, wir dachten gar nicht dran,
Daß man's von da wegheben kann:
Wie eingewachsen in den Stein,
Schien's unbeweglich uns zu sein!« –

»Ihr Toren,« – höhnt der Wuchrer laut, –
»Ich weiß es flott zu machen! Schaut!«
Und seine Hände krallenhaft
Haut er ins Bild mit wilder Kraft.

Da klammern an den harten Mann
Die frommen drei sich bittend an;
Er stößt sie weg, er zerrt mit Macht,
Der Nagel wankt, der Rahmen kracht.

Ein Schlag dem Bild noch ins Gesicht, –
Zerbrochen ist's, – verschwunden nicht:
Denn siehe! klarer, als es war,
Stellt's wieder auf dem Stein sich dar,

Doch ist's kein Bild von Malerhand,
Was schmerzvoll lächelt aus der Wand,
Es lebt, es spricht mit stummem Mund,
Es neigt das Haupt, von Dornen wund;

Es läßt sein Aug', so ernst und hehr,
Hinfallen auf den Wuchrer schwer,
Und kehrt es mild mit langem Blick
Dann auf die frommen drei zurück.

Es scheint zu rufen: »Zaget nicht,
Wenn Spott mein Bild auch frech zerbricht:
Wer gläubig mich darinnen sah,
Dem ist sein Heiland selber nah!« – –

Der Wuchrer wankt entsetzt davon,
Und sühnt durch Wohltat seinen Hohn;
Den Frommen aber ward es klar:
»Daß Christi Bild ihr – Heiland war!«

 
Mein Heiland sieht herab auf mich!

        Es hängt zu meines Bettes Häupten
Ein schlicht und einfach Christusbild;
Des Mittlers Antlitz ist so heilig,
Sein Blick so schmerzvoll und so mild.
Oft wenn ich nachts, wo alle schliefen,
Der letzte, leis ins Zimmer schlich,
Dacht' ich, dem milden Blick begegnend:
»Dein Heiland sieht herab auf dich!«

Und wenn ich bei der Lampe Schimmer
Mit Sorg' und Kummer schlaflos rang,
Wenn alles Weh in mir erwachte,
Das ich bei Tag mit Müh' bezwang,
Da hob die tränenfeuchten Augen
Ich unwillkürlich über mich,
Und rief, erleichtert und erleuchtet:
»Dein Heiland sieht herab auf dich!«

Und oft in bangen Zweifelstunden,
Wo sich die Seele selbst verliert,
Wo sich Verdienst und Schuld vermischen,
Wo Wahnwitz sich mit Lorbeern ziert,
Da, wenn ich hinsank, abgemattet,
Erbittert auf die Welt und mich,
Ein Blick nach oben, – und ich fühlte:
»Dein Heiland sieht herab auf dich!«

Wenn in der Krankheit Fiebergluten
Auf meinem Bett ich stöhnend lag,
Und ungeduldig Stund' um Stunde
Nachzählte jeden Hammerschlag,
Da blickt' ich auf zu jenem Dulder,
Der so viel mehr noch litt als ich,
Und spürte Trost in dem Gedanken:
»Dein Heiland sieht herab auf dich!«

Und lag mir krank der Meinen eines,
Und wußt' ich in Gefahr mein Kind,
Und bangte mir um ferne Freunde,
Sah ich zum Bild empor geschwind.
Ich faßt' es nicht in schöne Worte,
Nach keiner Formel betet' ich,
Und doch schien mir das Bild zu sagen:
»Dein Heiland sieht herab auf dich!«

Drum soll zu Häupten meines Bettes
Das Bild mir bleiben für und für,
Zum Trost für mich und euch, ihr Lieben,
Pocht einst der Tod an meine Tür.
Und wenn ich stumm und starr dann liege,
So sprecht zum Segen über mich:
»Du liegst im Tod auch nicht verlassen,
Dein Heiland sieht herab auf dich!«


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