Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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X.

Die Pestjungfrau.

              Wehe, wehe! durch die Straßen geht sie wiederum bei Nacht,
Sie, die alles Blut gerinnen, alle Pulse stocken macht;
Ihr voraus der bleiche Schrecken, neben ihr die dürre Not,
Hinter ihr der blöde Jammer, und sie selbst – der schwarze Tod.

Wo sie nachts vorbeigegangen, sieht der Morgen keine Lust,
Kalt noch klammert sich der Säugling an die kalte Mutterbrust,
In der Braut erstarrten Armen liegt erstarrt der Bräutigam,
Bei dem Alter liegt die Jugend, bei der Freude liegt der Gram.

In des Kriegers Aug' erloschen ist die Glut des Heldenblicks,
Aus des Priesters Hand gesunken ist das heil'ge Kruzifix,
Über Leichen kriecht das Leben, halb schon Leiche, mühsam fort,
Und der Liebe blieb kein Balsam, und dem Troste blieb kein Wort.

Wer sie ist, das wissen alle, weh! es ist – die Pestjungfrau!
Aber keines Menschen Auge sah die Schreckliche genau.
Stieg sie plötzlich aus der Erde, schlich sie längst schon lauernd nah,
Flog sie aus den Wolken nieder? – Niemand weiß es, – sie ist da!

Wenn die Menschen schauernd sitzen um die Ampel dann und wann,
Pocht's um Mitternacht gar leise dreimal an die Scheiben an:
Klirrend öffnen sich die Flügel, und bei fahlem Mondenschein
Langt, mit roter Schärp' umwunden, eine weiße Hand herein.

Wehe, wo die rote Schärpe, wo die weiße Hand erschien!
Alles Rot muß dort erbleichen, alles Leben muß dort fliehn;
Qualmend, wie aus allen Fugen, strömt des Todes Odem aus,
Bis die Räume leer geworden, und verödet steht das Haus.

Nur vom Schlosse der StarostenSo nannte man in Polen die Edelleute, welche ein königliches Schloß zu Lehen hatten und damit eine gewisse Gerichtsbarkeit verbanden. hält die Spröde lang sich fern;
Erst die Knechte will sie morden, eh' sie sich vergreift am Herrn.
Trauernd in der stillen Halle sitzt der gute Herr allein,
Fühlt in seinem edlen Herzen tausendmal der Seinen Pein.

Horch, da pocht es auch im Schlosse dreimal einst um Mitternacht,
Daß aus seinem tiefen Sinnen plötzlich der Starost erwacht. –
»Bist du's,« ruft er, »ha, willkommen! Allzulang' schon harr' ich dein!« –
Und mit roter Schärp umwunden greift die weiße Hand herein.

Und der Schloßherr schnellen Sprunges war er auf, faßt' an die Hand,
Nahm sein Schwert, worauf der Name Jesu und Mariä stand,
Hieb vom Leib des Ungeheuers Schärp' und Hand mit einem Streich, –
Kalt her blies es, einem langen eis'gen Todeshauche gleich.

Ausgestorben war am Morgen des Starosten ganzes Schloß,
Tot er selbst und Weib und Kinder, Kastellan und Knecht und Roß,
Doch verschwunden aus dem Gaue war die böse Pestjungfrau,
Tausend Herzen jauchzten dankend ihren Psalm zum Himmelsblau.

 
Abstand.

              Wenn von der Wolken schwarzem Bogen
Der Pfeil des Blitzes saust daher,
Und, wo er zürnend hingeflogen,
Die Hütte dampft, – wohl ist es schwer.

Wenn eines Stromes Ader springend
Des Landes Herz, die Stadt, umschwillt,
Was es gehegt, im Nu verschlingend, –
Wohl gibt's ein grauses Jammerbild.

Wenn ähnlich einem trägen Drachen
Sich eine Seuche wälzt durchs Land,
Entvölkernd mit gefräß'gem Rachen, –
Wohl sinkt uns mutlos Haupt und Hand.

Wenn brausend oft von wildem Gären
Die Erde birst in falschen Wehn,
Begrabend nur, statt zu gebären, –
Wohl ist's um Menschenglück geschehn.

Wenn Elemente sich erheben,
Um uns zu öffnen unser Grab:
Wir sind in ihre Macht gegeben,
Weil sie ein Größrer ihnen gab.

Was sie auf unser Haupt auch laden,
Ein frevelnd Unrecht ist es nie,
Sie können es von Gottes Gnaden, –
Was er geschenkt, er nimmt's durch sie.

Doch wenn uns Menschenbosheit quälet,
Wenn Mutwill' unsre Blüten knickt,
Wenn Übermut, zum Kampf gestählet,
Mit Hohn uns Hoffnungen zerdrückt;

Wenn falsche Größe spielt mit Wehe,
Wenn Roheit fordert blut'gen Zoll,
Wenn ich die Torheit rasen sehe,
Dann schwillt das Herz mir auf in Groll.

Wir ehren mit gebeugten Stirnen
Des Elementes Ungestüm;
Dem Menschen mag der Mensch drob zürnen
Denn arger Frevel ist's von ihm.


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