Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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VII.

Das Totenlichtlein.

                    Am Allerseelentage da sind
Die Gräber von Lichtlein umglänzt,
In Blumen des Herbstes spielet der Wind
Mit denen die Kreuze man kränzt.

Und sinnende Menschen knien entlang,
Die Augen von Tränen umflort,
Vom Chor erdröhnt es im Orgelklang:
»Bedenket, was ihr verlort!« –

Und Mägdlein, was verlorst denn du?
Kein Grab, kein Kreuz ist nah,
Und du kniest doch voll ernster Ruh'
Abseit von den Gräbern da.

Ein rosenfarbenes Lichtlein brennst
Du weinend, seufzend an;
Sprich wer ist's, den du gestorben nennst,
Damit man dich trösten kann!?

Ruht dir der Vater im kühlen Moos? –
»Er freut sich des Lebens noch sehr!« –
Ruht dir die Mutter im Erdenschoß? –
»Noch wandelt sie rührig umher!«

So ruht dir ein Bruder oder ein Freund
Tief unten im modernden Schrein? –
»Nicht Schwester, nicht Bruder hab' ich beweint:
Ich war ja immer allein!

Der eine, mit dem ich's auf dieser Welt
Am besten mein' –, auch er –
Er wandelt vor allen gar wohl bestellt,
Gar fröhlich im Leben umher.

Er ist so munter, er ist so froh,
Er ist vom Grabe noch weit,
Er schwebt – ach! könnt' er es immer so! –
Im Taumel der Seligkeit.

Ich aber, weil ich's nicht ändern kann,
Knie hier in seligem Schmerz,
Und brenne weinend mein Lichtlein an
Für ein mir gestorbenes Herz!«

 
Dorf und Kirchhof.

              Was seh' ich hier? – Ein Dorf? – Nein, nein!
In diesen schmalen Klausen,
Um die sich Wind und Wetter zankt,
Wie? – sollten Menschen hausen?

Dies Holzgeripp' mit Fleisch aus Schlamm,
Mit stumpfem Gram im Herzen,
Das wollte gelten für ein Haus,
Bewohnt von Glück und Scherzen?

Der Fleiß, der frohe Jugendsinn,
Die Liebeslust, der Segen,
Sie könnten auch in solcher Haft
Gedeihn und sich bewegen?

Und doch – man leibt und lebt und liebt
Auch unter Halmendächern,
Auch in den Särgen dieses Dorfs,
Wie in der Stadt Gemächern.

Doch seltsam! – wenn ich hier mich weg,
Und da hinüberwende, –
Ein stiller Friedhof lehnt sich dort
An dieses Dorfes Ende.

Bezeichneten die Kreuze nicht,
Welch eine Saat er trage,
Man hielt ihn für ein üppig Feld
Von einfach schöner Lage.

Getreideswellen ähnlich blähn
Sich seine grünen Hügel,
Und durch die hohen Halme wehn
Des Westes leise Flügel.

Er hat kein Tor, – wozu nur wär's?
Den Weg hin finden alle;
Ein Kreuzdornzaun genügt, – wer schleicht
Sich fort aus dieser Halle?

Er hat kein Dach, – der Blick hinauf
Ist allen unbenommen,
Und was von oben kommen will,
Das möge freundlich kommen!

Wenn man den Kirchhof und das Dorf
Zusammen so beschauet,
Wer sehnte sich nach jenem nicht,
Indes vor dem ihm grauet?

Wie sind die guten Lebenden
Doch dort so schlecht begraben,
Indes die lieben Toten hier
Das schönste Leben haben!


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