Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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XII.

Vogelweide.Walter von der Vogelweide (geb. um 1160, † um 1227) hatte seinen Namen angeblich von seiner Geburtsstätte, der »Vogelweide« im Eisacktal. Die in dem vorliegenden Gedichte verwertete Sage gründet sich auf eine alte Chronik, doch heißt es dort, daß das Domkapital zu Würzburg (wo Walter begraben wurde) das Vermächtnis zugunsten der Vögel in Semmeln verwandeln ließ, die am Jahrestag von Walters Tode den Chorherren zukommen sollten.

            Walter von der Vogelweide
War ein wackrer Sängersmann,
Sich und anderen zur Freude
Stimmt' er seine Lieder an.

Walter von der Vogelweide
Sagt' und sang aus Herzensgrund,
Nahm in Freude wie im Leide
Sich kein Blättlein vor den Mund;

Tat sich Zwang in keinem Dinge,
Recht so wie der Vogel singt,
Der da singt, damit er singe,
Nicht weil's Lob und Lohn ihm bringt.

Und so wie der Vogel eben
Sich bald da, bald dort gefällt,
Zog er hin und her im Leben, –
Seine Weide war die Welt.

Sechzig Lenze schon hat Walter
Eingeläutet mit Gesang,
Bis auch seinem frischen Alter
Einst das letzte Stündlein klang.

Dort zu Würzburg legt' er nieder
Seinen morschen Wanderstab,
Bat im letzten seiner Lieder
Um ein stilles Sängergrab.

Bat, daß sie das Grab bedecken
Einfach nur mit rohem Stein,
Der da hohl an seinen Ecken,
Hohl auch oben möge sein.

In die hohlen Ecken gieße
Man alltäglich klare Flut,
Daß ein Born dem Vogel fließe,
Der darauf vom Fluge ruht.

Oben in die Mulde streue
Man alltäglich frisches Korn,
Daß der Vogel baß sich freue,
Träf' er Atzung auch am Born. –

Was er wünscht', es ward vollzogen,
Korn und Wasser fehlte nie, –
Und so kam's zum Grab geflogen
Scharenweis', voll Melodie.

Wenn noch kaum der Morgen graute,
Sang und zwitschert es schon drauf,
Wenn der Mond durch Wolken schaute,
Saßen dort die Vöglein auf.

Recht so eine Vogelweide
Gab es, wo im kühlen Hag,
Walter von der Vogelweide,
Nie des Lieds entbehrend, lag.

 
Dichter-Alter.

Quique pii vates et Phoebo digna locuti,
Omnibus his (merita privantur) tempora (lauro).

Nach Virgil (Aen. VI. 662.)

                        Es ist kein Segen mehr, ein Dichter sein,
Einst war's ein Segen, selbst im Alter Segen:
Nachsommer gab's noch, späten Sonnenschein,
Und Blumen noch, um sie aufs Grab zu legen.

Wetteifernd flocht das jüngere Geschlecht
Den grauen Locken seines Sängers Kränze,
Und macht' ein Bett aus Rosen ihm zurecht,
Und freute sich, daß noch sein Auge glänze.

Und maß sich selbst an ihm, und lauschte gern
Dem süßen Nachklang aus entschwundnen Tagen,
Und wünscht' ihm lange noch die Stunde fern,
Die ihm als Dichter längst vorausgeschlagen. –

Das ist vorbei! – Die ungeduld'ge Zeit
Will Jugend, Tag, – kein Alter, kein Verdämmern,
Kein Werden auch, – nein, Urvollkommenheit,
Und fert'gen Stahl gleich ohne Glut und Hämmern.

Wie Pallas aus der Stirn des Zeus, so springt
Der neue Gott ins raschbewegte Leben;
Ein kühner Griff ins Saitenspiel, – es klingt,
Und tausend gleichgestimmte Herzen beben.

Bewundert durch die Länder zieht er hin,
Gefolgt vom Heer nachäffender Begleiter,
Hoch zu den Sternen trägt er seinen Sinn,
Da ruft die Zeit: »Bis hieher und nicht weiter!«

Ihm macht's nicht bang, die Saiten schnell vertauscht,
Den Ton gewechselt, wie die Mod' ihn fodert,
Und wieder ist er Herr, die Menge lauscht,
Er altert und verglimmt nicht, – er verlodert!

So will's die Welt, die alterscheue Welt; –
Ein alter Dichter, armer Mann des Spottes!
Das Standbild deiner Mus' ist längst zerschellt,
Gras überwuchs den Tempel deines Gottes.

Geh, – sag nicht, daß du sangest! Daß du sangst,
Ist dein Verbrechen, laß es niemand wissen,
Der Kranz, um den du einst so glücklich rangst,
Er würde dir mit Hohn vom Haupt gerissen.

Sie tun es jetzt den Kannibalen nach,
Die ihre Väter, um in alten Tagen
Sie zu bewahren vor des Siechtums Schmach,
Mit frommer Hand, bei Festgesang, erschlagen.

Drum wecke nicht der jungen Helden Wut,
Sie haben recht: denn sie sind jung, sie singen, –
Du hast gesungen; wenn für einst auch gut,
Jetzt würd' es dennoch wie ein Mißton klingen.

Und hast du einst auch manches Herz gelabt,
Jetzt stirb, – und laß dich mit dem Trost begraben:
»Wer einmal eine Zeit für sich gehabt,
Wird einmal wieder eine für sich haben.«


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