Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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II.

Des Menschen Bild.

                        Der Dänenkönig Sigar saß trüben Angesichts;
Er rief die Schar der Freunde, – sie kam, – doch sprach er nichts.
Und endlich hob er langsam die Augen himmelwärts,
Und öffnete die Lippen und sprach mit innrem Schmerz:

»Ich bin ein alter König, hab' viel gewirkt, gestrebt,
Hab' lange mit den Menschen als Mensch geirrt, gelebt,
Hab' matt den Leib gerungen und grau gekämpft mein Haar,
Und dennoch weiß ich nimmer zu sagen, wer ich war.

Meerwogen lass' ich geißeln, wofern es mich erfreut,
Eisberge rollen nieder, wofern mein Wink gebeut,
Für alles hab' ich Bilder, was fliegt und steht und quillt,
Und dennoch such' ich immer umsonst für mich ein Bild!

Was ist der Mensch? – Ein Träumer? – Träumt er, oft wacht er doch!
Was ist der Mensch? – Ein Schemen? – Mein Leben lebt mir noch!
Er ist zu groß, ein Würmchen, zu klein, ein Gott zu sein,
Zu hart für eine Blume, zu weich für einen Stein.

Sein Bild ist nicht die Schlange, sein Bild ist nicht der Aar: –
Ich bin ein alter König, und weiß nicht, wer ich war!
Geht, ruft mir meinen Skalden, der trank aus Mimers Quell:
Er schaffe mir vom Menschen ein treues Bild zur Stell'.«

Der Skalde kommt gegangen, der König fragt bewegt,
Der Skalde faßt den Griffel, den er am Gürtel trägt;
Und an die Mauer tritt er mit still erhobnem Sinn,
Und zeichnet einen Zirkel und wieder einen hin. –

Mit Staunen sieht die Menge dem sondren Maler zu. –
»Das ist der Mensch, o König, – das,« spricht er, »bist auch du!
In diesem Zirkel schaust du des eignen Leibs Geschick:
In seinen Anfang eilt er, der Staub in Staub, zurück.

In jenem aber schaust du der eignen Seele Glück:
In ihren Anfang eilt sie, das Licht in Licht zurück!« –
Der König aber hört es, und drückt des Skalden Hand,
Und wischt mit seinem Mantel die Zirkel von der Wand.

 
Bitte.

        Seht ihr mich an manchem Tage
Tun, als wüßt' ich mich allein;
Gleich' ich, taub für jede Frage,
Meinem eignen Bild von Stein;

Nennt der Zeiger meiner Augen
Euch den Lauf der Seelenuhr;
Schein' ich euch nur Gift zu saugen
Aus dem Becher der Natur;

Laßt dann immer mich gewähren,
Und verschwendet kein Bemühn,
Sucht mich ja nicht zu bekehren,
Oder unter euch zu ziehn.

Keines Scherzes tändelnd Witzeln
Bannt den Geist, der da mich faßt,
Keine Schmeichelfinger kitzeln
Mich in Schlummer oder Rast.

Keines Vorwurfs herbe Rede
Macht mich irr in meinem Tun;
Eh' sie abgetan die Fehde,
Bringt mich keine Macht zum Ruhn.

Seht das Meer, wenn seine Wellen,
Aufgewühlt von innrem Krampf,
Grollend aufeinander schwellen,
Und entglühn im Bürgerkampf!

Torheit dann, die Flut zu streicheln,
Daß sich leg' ihr dumpfer Groll;
Ihr mit Balsamtropfen schmeicheln,
Daß sie ruhig werden soll;

Torheit auch, sie drob zu geißeln,
Daß sie möge stille stehn: –
Sie wird ihre Wirbel kräuseln,
Ihr mögt drohen oder flehn.

Seht, so ist's mit den Gedanken
Und Gefühlen meiner Brust;
Oft im Stürmen und im Schwanken
Feiern sie ganz eigne Lust.

Darum wollt mich dann nicht stören!
Sei der Himmel noch so grau:
Ewig kann der Sturm nicht währen,
Einmal wird es wieder blau.


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