Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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V.

Der Pfarrer von Stockholm.

                      Verewigung, du bist wohl aller Worte Wort!
Uns alle ruft ein Tag zur Todespforte fort;
Schmerzloser aber mag das Auge jedem brechen,
Der weiß, man werde noch manch Wörtlein von ihm sprechen.
Doch Spott, du bist die Schlang' am grünen Nachruhmbaume,
Du nagst im Wachen, nagst geheim daran im Traume,
Vergällst die schönste Frucht mit eklem Geiferschaume.

    So ging's dem Pfarrer an dem Dom zu Stockholm auch.
Wie jeder für den Ruhm will etwas tun nach Brauch,
So wollt' auch er es tun, und warum er denn nicht?
Die Welt will sprechen, ihr gilt's gleich, von wem sie spricht.
Und an dem Strande ging er sinnend auf und nieder,
Aufs Lager warf er sich bei Nacht, auf sprang er wieder,
Las neue Kriegsbericht' und alte Heldenlieder,
Jedwedes wog er, was ihn ausgeprägt zum Mann,
Und sah sein liebes Ich von allen Seiten an,
Um endlich eine doch davon herauszuspüren,
Die ihn, so Gott es will, zum Nachruhm könnte führen.

    Und als er lange sich versucht und lang' gequäkt,
Und viel verworfen rasch und vieles bang gewählt,
Da sollt' in einer Nacht, in einer sternenklaren,
Es ihm mit aller Macht sich endlich offenbaren.

    Vom Schlaf gemieden lehnt' er mitternachts am Fenster,
Vom Dom unheimlich klang die Stunde der Gespenster,
Die Wolken ließen sich forttummeln von dem Sturm,
Und wie ein grauer Nordlandsrecke stand der Turm;
Und auf dem spitzen Helm des grauen Nordlandsrecken
Schien, wie ein goldner Knopf, ein blanker Stern zu stecken.

    Nun war's gefunden, nun durchblitzt' es seinen Kopf.
»Wie lange sucht' ich,« rief er, »ich verschlagner Tropf?
Was fehlt dem Dome zur Vollendung noch? – Der Knopf!
Ein goldner Knopf so hell, wie dieser Stern da sitzt,
Und fernhin blitzend, so wie dieser fern da blitzt!
Wozu hätt' ich das Gold in meinem Schrank vergraben?
Heraus! Ich will mich dran der Welt zum Dank erlaben!
Einschmelzen soll's der Schmied, und schmieden, glätten, ründen,
Als Knopf soll's meinen Ruhm vom Turm der Nachwelt künden!«

    Und leichtern Herzens trägt sein Gold er aus der Kammer,
Und liefert's freudig dar dem Feuer und dem Hammer;
Und was noch übrig ist, das gibt er halb dem Schmied,
Halb Wirten für ein Fest und Sängern für ein Lied.
In wenig Wochen wogt der Domplatz von Gedränge,
Trompeten schallen laut in lautere Gesänge;
Ein spinnenfüßiges Gerüst umklettert keck
Den Turm, mit Menschen drauf zum Schwindel und zum Schreck.
Jetzt flimmert's wie ein Stück, der Morgensonn' entrückt,
Vom Gipfel weit hinaus, und alles jauchzt entzückt;
Der Knopf ist aufgesetzt, der Pfarrer ist beglückt.

    Wer hat dem Dom dies goldne Siegel aufgedrückt?
Wer hat die goldne Blum' auf diesen Stiel gepfropft?
Auf diesen Leuchter wer dies goldne Licht getropft?
Dem Nordlandsrecken wer den goldnen Helm geweiht? –
»Der Pfarrer!« tönt das Lob, – »der Pfarrer!« raunt der Neid.
»Der Pfarrer!« überall, wohin er horcht und lauscht,
Er schwelgt von seines Ruhms Verewigung berauscht:
Die Wolken werden ziehn, die Sterne werden flimmern,
Und Wolk' und Stern wird fliehn, der Knopf wird oben schimmern!
Und wenn der Tod einst kommt und ihm befiehlt zu gehn,
Gleichwie zu seinem Stern wird er zum Knopfe sehn,
Und denken: »Ich geh' fort, – du bleibst, – und ich mit dir,
Und reden wird die Zeit von dir und auch von mir;
Und wenn der Turm zerfiel, wird man den Knopf bewahren,
Daß er des Pfarrers Ruhm der Welt mög' offenbaren!«
So dünkt', ob auch verarmt, der Pfarrer nun sich reich,
Und wand durchs Leben sich, dem ärmsten Knechte gleich;
Er wußte ja, daß ihm der Nachruhm nahestand,
Und dachte nicht des Neids, der stets den Ruhm noch fand. –

    Und todkrank lag er so zuletzt auf seinem Lager,
Da trat der Neid herein, ein Männlein, blaß und hager,
Und sprach: »Herr Pfarrer, ach! ich möcht' Euch's gern ersparen,
Doch sollt Ihr nicht getäuscht aus diesem Leben fahren!
Die Welt ist bös, Ihr habt gelebt, Ihr sterbt mit Freuden,
Weil Ihr am Vorgeschmack des Ruhms Euch wähnt zu weiden:
Der Knopf am Dome dünkt Euch Eures Ruhmes Pfand;
Ei seht, den Knopf am Dom mißbraucht' Euch Neiderhand.
Ein Spottgedicht auf Euch ist in dem Knopf versteckt,
Und Spott ist Euer Lohn, wenn's einst die Welt entdeckt;
Entdecken aber wird's die Welt, denn sie ist klug,
Zumal wofern es gilt Verkleinerung und Trug!«

    Das Männlein spricht's und geht. – Der Pfarrer fährt empor,
Vor seinen Augen sprüht der Knopf als Meteor;
In seinem Ohre klingt wie Donnerspruch die Kunde,
Der Argwohn träufelt Gift in seines Herzens Wunde.
Er hält's nicht aus, er rafft sich auf, gesträubt das Haar,
Er kreischt: »Verloren ist mein Nachruhm, bleibt das wahr!«
Mit seiner letzten Kraft entwankt er schattenblaß
Dem Haus, – dort blitzt der Knopf so höhnisch, hu! so graß.
»Herab mit ihm!« so schreit er, »nehmt mein letztes Gut,
Mein Bett, mein Kleid vom Leib, aus meinem Leib das Blut,
Und schmelzt es um in Geld, und zimmert ein Gerüste,
Herunter muß der Knopf, wenn ich verdammt sein müßte!« –

    Die Menge lacht und staunt und rennt und zimmert Balken,
Das dürre Männlein fliegt empor gleich einem Falken;
Schon rüttelt's an dem Knopf, schon läßt die Klammer nach,
Des Pfarrers mattes Herz durchzuckt ein Jammer-Ach.
Jetzt, wie ein goldner Stern vom Himmel, fällt der Ball,
Und birst vorm Pfarrer knapp entzwei mit lautem Knall.

    Mehr tot als lebend kriecht er hin, durchsucht den Knopf,
Der goldne Knopf ist leer, – und ächzend stirbt der Tropf.

 
Fried' und Lied.

– nec cithara carentem!  
Horat.

                Fried' und Lied! ich will nichts weiter,
Fried' und Lied! das ist mein Reim;
Laßt mich leben still und heiter,
Oft auch weinend insgeheim.

Wandt' ich auf besondren Wegen,
Legt es mir nicht übel aus:
Jeder baut sich seinen Segen,
Und ich bau' ihn mir zu Haus.

Hab' auch einst versucht zu fliegen,
Doch die Kraft versagte mir; –
Will mich jetzt behaglich wiegen
Zwischen dort und zwischen hier;

Bald die Blicke sehnend werfen
Ins verlorne Paradies,
Bald für das mein Auge schärfen,
Was mir Gott auf Erden ließ.

Tu' ich keinem was zuleide,
Rühr' ich keinem an sein Licht,
Nun so laßt auch mir die Freude,
Stört auch mir den Frieden nicht.

Doch nicht klanglos sei der Friede,
Den sich meine Seel' erkor,
Manchmal schwinge sie im Liede
Sehnsuchtsvoll sich noch empor.

Längst hinabgesunkne Sonnen,
Jugendlust und Liebesglück,
Wonneschmerz und Schmerzenswonnen
Zaubre mir das Lied zurück.

Nimmt es auch nicht hohe Flüge,
Wenn es nur zum Herzen dringt,
Und den Bessern zur Genüge,
Und mir selbst zum Troste klingt!

Fried' und Lied ist, was hienieden
Noch allein mich lockt und zieht,
Bis mich einst zum ew'gen Frieden
Eingewiegt mein letztes Lied.


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