Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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X.

Die Freierprobe.

                  Zu einem Jungfräulein weis' und klug,
Nebstdem auch lieb und reizend genug,
Kam gar ein schöner, loser Gesell,
Und wollt' ihr Freier sein zur Stell'.

Sie sagt nicht ja, sie sagt nicht nein,
Sie sieht ihm aber ins Herz hinein;
Sie ahnt den lustigen, leichten Sinn,
Und hofft sich dessen keinen Gewinn.

Doch fühlt sie dabei hinwieder, wie tief
Manch Ernsteres ihm in der Seele schlief;
Das achtet die Jungfrau nicht für gering,
Und stellt ihm solchen sondren Beding:

»Ich sag', Herr Junker, nicht ja, nicht nein,
Doch so Ihr wollet mein Gatte sein,
So müßt Ihr's beschwören mit heil'gem Eid,
Zu tun, was jetzt mein Wort Euch gebeut.

So oft Ihr, bevor zwei Jahre verwehn,
Den Priester seht zu dem Kranken gehn,
So schließet Euch an und bittet ihn,
Daß er Euch lasse mit sich ziehn!

Und tretet mit ihm zum Kranken hin,
Und nehmt's Euch jedesmal ernst zu Sinn. –
Wofern Ihr das tatet in dieser Zeit,
Dann kommt und holt Euch bei mir Bescheid!«

Der Junker denkt: »Nun immerhin!
Es haben die Dirnen so eignen Sinn;
Drum, solches zu tun in dieser Zeit,
Beschwör' ich mit einem heil'gen Eid!«

Und wie nun des Mesners Glöcklein schallt,
Da springt er auf und tut sich Gewalt,
Und folgt dem Priester und bittet ihn,
Daß er ihn lasse mit sich ziehn.

Oft wenn er mit Zechern spielt und singt,
Und plötzlich des Mesners Glöcklein klingt,
Muß er verlassen Saus und Braus,
Und gehn aus dem Freuden- ins Schmerzenshaus.

Am Tummelplatz, an Freundesbrust,
Im Wintersturm, in Sommerlust,
Bei Tag, bei Nacht, in Freud' und Leid,
Mahnt oft ihn das Glöcklein an seinen Eid.

Und eh' zwei Jahre ganz entrauscht,
Da ist der Junker wie umgetauscht;
Wo ist sein lustiger, loser Sinn?
Sein Lebenstaumel, wo ist er hin?

Erst seit er dem Tod ins Aug' gesehn,
Glaubt er das Leben zu verstehn;
Erst seit er erkannt des Menschen Leid,
Weiß er zu schätzen des Menschen Freud'.

Und zu der Jungfrau weis' und klug
Zieht jetzt ihn ein weit süßrer Zug;
Hat er sie früher begehrt voll Glut,
So naht er ihr jetzt mit scheuem Mut.

Sie aber liest ihm's im Auge leicht,
Daß sie ihr edles Ziel erreicht:
»Jetzt schlag' ich,« ruft sie, »mit Freuden ein,
Ein frommer Mann muß glücklich sein!«

 
Tagesleben.

                Tagüber lebt der Mensch ein ganzes Leben,
Doch nicht wie sonst der Gang der Zeit es lehrt:
Der Lauf der Horen, die sein Dasein weben,
Ist seltsam hier verwechselt und verkehrt.

Der Morgen hebt auf seinen Purpurarmen
Des Tages Königin zum Thron empor,
Und tausend Puls' erwachen und erwarmen,
Und Erd' und Himmel jauchzt im Jubelchor.

Da steht der Mensch und gleicht dem rüst'gen Greise:
Aufs Leben schaut er hin mit freiem Blick,
Und überdenkt der Nacht durchträumte Reise,
Und überzählt des vor'gen Tages Glück.

Die süßen Schwärmereien sind vergessen,
In denen ihn das jüngste Spätrot sah;
Ein neues Leben soll er bald durchmessen,
Und frohbereit und ruhig steht er da. –

Nun flammt der Tag heran mit seinem Treiben,
Und sieh! zum Mann ist schnell der Greis verjüngt:
Ins Leben stürzt er ohne Rast und Bleiben,
Und prüft und zagt und ringet und erringt. –

Da kommt der Abend leisen Schritts gegangen,
Die Welt erkennt den Sieger, der ihr droht;
Sie wird nun still und ruft auf ihre Wangen
Der süßen Liebe schwärmerisches Rot.

Der Mensch bemerkt, was seiner Mutter fehlet,
Und ahmt ihr nach als ein getreuer Sohn;
Von neuer Glut fühlt er die Brust beseelet,
Zwar neu für jetzt, doch einst empfunden schon.

Zum träumerischen Jüngling wird er wieder,
Die Wehmut läßt er kommen in sein Herz,
Beschwört die alten Träume sich hernieder,
Und tränkt mit alten Tränen alten Schmerz. –

Und weiter rückt die Zeit, die Farben bleichen,
Die Zungen ruhn, die Lichter brennen ab,
Die Wesen schaun sich an wie starre Leichen,
Es legt die Nacht sich auf das weite Grab.

Wo ist der Jüngling nun? Er ist verschwunden,
Er ward zum Kinde, dem's im Finstern graut,
Wie von Gespenstern fühlt er sich umwunden,
Und fröstelnd weint er seinen Jammerlaut.

Gestalten schaut er, die er nie gesehen,
Fühlt Ahnungen, an die er nie geglaubt,
Hört Stimmen um das Ohr der Seele wehen,
Daß es das Hirn ihm heiß zusammenschraubt.

Nach langem erst sieht er die Sterne blinken,
Sein Kindersinn schöpft Mut aus ihrem Schein,
Sein Schmerz wird Mattheit, seine Wimpern sinken,
Und weinend wie die Kinder schläft er ein.


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