Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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VIII.

Der Älpler.

                    »Leb wohl, mein Weib, leb wohl, mein Kind!
Ich muß hinaus, zu jagen.
Die Sonne scheint recht mild, der Wind
Ist lau und lind,
Wie nicht seit langen Tagen.
Benützt will solch ein Wetter sein:
Es ist nicht täglich Sonnenschein,
Vielleicht daß wir die Strahlen
Mit langer Nacht bezahlen!«

Der Älpler Rudi spricht's und nimmt
Gewehr und Stock und Tasche,
Geht, ruft von fern noch weichgestimmt,
Enteilt und klimmt,
Ob er kein Wild erhasche;
Allein die Gemslein, sonst so keck,
Ruhn heute, scheint's, im Felsversteck,
Und lassen lang' ihn steigen,
Bis sie sich neckend zeigen.

Resli, sein Weib, indes zu Haus
Hört seinen Ruf verhallen,
Blickt zag zum Fensterlein hinaus,
Das bunt und kraus
Umstarrt von Eiskristallen;
Und wie sie nimmer ihn erblickt,
Fühlt sie sich wunderbar bedrückt,
Und hält mit innrem Bangen
Den kleinen Sohn umfangen.

Da rieselt's plötzlich, rauscht und braust,
Wie von der Furka Gipfel;
Sie eilt zum Fenster hin, ihr graust; –
So heult und saust
Kein Föhn durch kahle Wipfel.
Hilf, Gott! Es ist der Lauwe Macht,
Die nimmer rieselt, die schon kracht,
Schon donnert, schon entzügelt
Vom Horn herunterflügelt.

Sie sieht nicht mehr, faßt nur den Sohn,
Sinkt nur ins Knie, vernichtet;
Da bricht's herein im Wetterton,
Und deckt sie schon
Mit Nacht, die nichts mehr lichtet, – –
Es ist vorbei, der Aufruhr schweigt,
Und regenbogenfarbig steigt,
Als wäre nichts geschehen,
Der Schneestaub in die Höhen, – –

Schon blickt aus leichtgewölktem Blau
Der erste Stern hernieder;
Da kehrt, umdampft vom Nebelgrau,
Zu Kind und Frau
Der Alpenjäger wieder.
Ein Gemslein auf der Schulter, geht
Und klimmt er, hält oft an und steht,
Und weiß ein banges Ringen
Im Herzen nicht zu zwingen.

So oft ein Uhu kreischt, ein Aar
Im Flug vorüberhastet,
So oft erfaßt's ihn wunderbar
Und sträubt sein Haar,
Und drückt auf ihn und lastet.
Mit jedem Fußtritt heimatwärts
Fühlt er beschwerter Kopf und Herz;
Wie Glocken hört er's summen,
Und wieder hohl verstummen.

Erreicht nun hat er bald das Ziel,
Die heißersehnte Schwelle; –
Er schaut, – ist's eitel Sinnenspiel?
Nein, nein, – es fiel
Wohl Schnee, – auch täuscht die Helle,
Des Eises greller Widerschein,
Auch kann er nicht daheim noch sein; –
Auch pflegt ja gern das Sehnen
Sein Ziel so nah zu wähnen.

Und weiter geht er, steht und schaut,
Mißt Firnen, Klüft' und Wipfel; –
Was dort, turmartig aufgebaut,
Herniederschaut,
Ist ja der Furka Gipfel;
Und zwischen diesem Alpenrand
Und jener ries'gen Gipfelwand
Muß ja sein Hüttchen stehen,
Muß er ja doch es sehen.

Er sucht – und sieht nicht, – Schnee, nur Schnee,
Und Eis und Schnee nur wieder; –
Er sieht's und denkt's, und rennt die Höh'
Hinan, schreit: »Weh!«
Und wirft sich heulend nieder.
Dann springt er auf, stürzt fort im Lauf,
Und schreit, daß Tal und Felsenknauf
Von seinen Jammertönen
Nachjammernd widerdröhnen:

»Mein Weib, mein Kind, mein Glück, mein all
Ist eingescharrt, verschüttet,
Zerschmettert vom Lauwinen-Fall,
Vom Eiskristall
Vermauert und verkittet!
Auf, auf vom Schlaf, Alphüttler, auf!
Zwei Leben, drei stehn hier zu Kauf!
Auf, auf, mit Hand und Spaten
Zu helfen und zu raten!«

Und mit der Sonne wallt's hinan
In hilfbeflissnem Zuge,
Mit Hack' und Schaufel, Kind und Mann,
Er vorne dran,
Empor zum Felsenbuge.
Die Hände ruhn und rasten nicht,
Bis Scholl' um Scholle schmilzt und bricht;
Doch wie die Mass' auch schwindet,
Ihr Schoß bleibt unergründet.

Drei Tage wechselnd wallt's hinan
In hilfbeflissnem Zuge,
Mit Hack' und Schaufel, Kind und Mann,
Er vorne dran,
Und wühlt im Felsenbuge.
Umsonst, umsonst! das Meer hat Grund,
Hier aber schwindet Stund' um Stund',
Und ohne Gottes Segen
Bleibt alles Tun und Regen.

Da sinkt die Hoffnung jedem Sinn,
Abstehn sie alle klagend,
Nur er stürzt auf den Wall noch hin,
Und gräbt darin,
Und wühlt, noch nicht verzagend.
Er wühlt bei Tage, wühlt bei Nacht,
Mit ewig neuer Kraft und Macht
Trotz allem Herzensklopfen,
Trotz aller Schweißestropfen.

Der neunte Tag geht auf, die Last
Des Schnees ist abgefallen; –
Und wieder gräbt er ohne Rast,
Und stößt mit Hast
Auf festern Grund, als Schollen,
Stößt wieder ein, stößt wieder an,
Und gräbt und schaufelt was er kann, –
Auftaucht's, – ihr Heil'gen Gottes! –
Es ist das Dach des Schlottes.

Des Schlottes Dach, des Hauses Mund,
Der führt zu seinem Herzen;
Er legt das Ohr an, horcht am Schlund, –
Es rauscht im Grund,
Und seufzt wie Ruf der Schmerzen.
Und nochmal horcht er, nochmal tönt's,
Und wieder, horch! und wieder dröhnt's! –
In unbewußter Eile
Langt er nach einem Seile.

Das knüpft er fest, dran knüpft er sich,
Steigt ein, läßt rasch sich nieder,
Langt an, blickt um sich –: »Resli! – sprich!
Und – Seppi – dich!
Hab' ich euch wirklich wieder? –
Ist's wahr? Und lebt und seid ihr's noch?
Und habt's ertragen Gottes Joch?« –
Sie können ihn nicht grüßen,
Nur weinen, nur ihn küssen,

Nur beten, fleh'n zu ihm, der sie
So wunderbar verklärte,
Der ihnen Kraft und Glauben lieh,
Und spät und früh
Durch seinen Hauch sie nährte. –
Doch, Gott! wie war's, als sie hervor
Ans Licht nun traten und ihr Ohr
Wettbuhlte mit den Augen,
Das Leben einzusaugen.

Wie schien da alles neu und schön,
Die Luft, das Licht, die Sonne!
Wie Melodie klang von den Höhn
Für sie der Föhn,
Die Adler krischen Wonne;
Die wüste, schneebedeckte Flüh
War mehr als Frühlingsschmelz für sie,
Geliebte Freunde schienen
Die alten Tannen ihnen. – –

Im nächsten Lenze stand bereits
Ein Mal am Felsenhange;
Und jährlich zum geweihten Kreuz
Kam allerseits
Das Volk mit Sang und Klange;
Manch Bräutchen, so vorüberkam,
Sah's an und bat den Bräutigam,
Daß er so treu ihr bleibe,
Wie Rudi seinem Weibe.

 
Der Älpler und der Fischer.

Der Älpler.
        Was machst du da? Was tändelst du am Kahn?
Solch eitles Tun ist's wohl der Rede wert?
Hingaukelnd auf des Sees geduld'ger Bahn,
Entfernst du dich ja kaum vom sichren Herd.

Im Auge deine Lieben, Feld und Haus,
Das Element nur prüfend, wenn es schläft,
Wirfst du die leichten Netze lässig aus,
Und treibst in Frieden sorglos dein Geschäft.

Sieh mich! Der Dämmrung Grauen ruft mich fort,
Ein dunkler Trieb nach oben heißt mich gehn;
Die Lieben lass' ich ohne Scheidewort,
Um niemals wieder sie vielleicht zu sehn,

Wetteifernd mit dem Tag klimm' ich empor,
Tief unter mir das Tal, das Wolkenmeer;
Kühn schauend in des Himmels offnes Tor,
Schreit' auf des Todes Wegen ich einher.

Doch steh' ich droben auf der Scharte Saum,
Wo Platz für mich und meinen Mut nur ist,
Und schau' ich weit aus in den freien Raum,
Den selbst des Adlers Auge schwindelnd mißt; –

Und steh' ich in der großen Stille da,
Die keines Gleckwurms Pfiff mehr unterbricht,
Allein mit meinem Gotte fern und nah,
Vielleicht der einz'ge rings so hoch am Licht; –

Dann schaut dein Tal, ein Rasenfleck, herauf,
Dein Haus, ein Vogelnest an seinem Rand,
Dein mächt'ger See, nur eine Lache drauf, –
Und stolz lobpreis' ich meinen Älplerstand.

 
Der Fischer.
Zieh hin mit Gott, du kühner Jägersmann!
Ich falte wohlgemut die Maschen aus,
Mit muntrem Liede geht's den See hinan,
Ein liebes Echo wiederholt's vom Haus.

Wohl schläft auch lauernd unter mir der Tod;
Doch frevelnd ihn zu wecken hüt' ich mich,
Und wenn er murrend aus der Tiefe droht,
Harr' ich in Demut, bis sein Zürnen wich.

Auch unter mir im Wasserspiegel ruht
Der blaue Himmel in erhabner Ruh',
Und wenn sie sich beäugelt in der Flut,
Bin ich der Sonne näher noch als du.

Die schroffen Zacken, die dein Fuß versucht,
Die Schlüft', in deren Öhr du schwindelnd hangst,
Sie bieten, spiegelnd sich in grüner Bucht,
Mir Hochentzücken, ungetrübt von Angst.

Und statt der Totenstill' im Reich der Luft,
Kommt, wenn die Herden ziehn im Abendstrahl,
Der Senne johlt, das Ave-Glöcklein ruft,
Der Geist der Stille trauter noch ins Tal.

Drum schau du immerhin von lust'ger Bahn
Herab aufs Tal, mein Haus und meinen See, –
Ich schiffe doch mit meinem leichten Kahn
Weg über deiner Alpen Eis und Schnee.

Weg über dich, der stolz auf sich vertraut,
Gleit' ich bescheiden in gemessnem Lauf
Und jener Mond, der auf dich niederschaut,
Schaut aus dem Wasser mild zu mir herauf.


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