Johann Gabriel Seidl
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Johann Gabriel Seidl

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XII.

Der Wiedertäufer.

(1568.)

                Über Hollands Moorgeländen lagert schwer die Winternacht,
Auf die Erde drückt der Himmel wie ein sternenloser Schacht,
Nur ein zweifelhaftes Schneelicht wirft unsichren Dämmerschein
In der trostlos öden Fernen mattes Nebelgrau hinein.

Wie ein straffgezogner Teppich liegt die weiße Heide da,
Spiegelglatt, ununterbrochen, ohne Hügel fern und nah,
Überweht die niedern Deiche, plattgefüllt die seichten Becken,
Und kein Haltpunkt für das Auge rings auf meilenweiten Strecken.

Alles still, nur daß der Ostwind ächzend durch die Nacht hin stöhnt,
Wie von einer fernen Walstatt dumpfes Sterbgewimmer dröhnt;
Und es ist danach im Lande: denn ein Schlachtfeld ist's geworden,
Wo der Haß und die Verfolgung unter Albas Fahne morden.

Alles ruht wie ausgestorben, keine Scheib' ist mehr erhellt,
Kalt ist jeder Herd, kein Vogel regt sich mehr, keine Dogge bellt,
Doch – und sieh! vom Dorf Asperen huscht es längs den weißen Matten,
Pfadlos einer – und noch einer, wie zwei flücht'ge, schwarze Schatten.

Ha, so flieht nur die Verzweiflung, so verfolgt der Haß allein,
Wahrlich, Opfer nur und Henker können diese Schatten sein;
Opfer ist ein Wiedertäufer, ist Herr Richard Willemson,
Und der Henker ist ein Zöllner, Albas findigster Spion.

Betend noch zu später Stunde kniet' Herr Willemson allein
In der wohlverschlossnen Stube bei der Lampe mattem Schein,
Sein Gemüt, sein andachtvolles, wie's der Wiedertäufer Weise,
In ein schlichtes Lied ergießend, innig, rührend, aber – leise.

Leise, aber nicht zu leise für den schleichenden Spion,
Der mit angehaltnem Atem horchend einsog Ton für Ton,
Und, ein sprungbereiter Tiger, lauernd vor der Türe lag,
Bis er, seiner Beute sicher, kund sich tat durch raschen Schlag.

Willemson fährt auf erschrocken: – »Ha, so meldet sich kein Gast!« –
Sich behend durchs Fenster schwingend, rennt er fort in toller Hast,
Hinter ihm sein wilder Jäger, der für seine Beute zagt,
Ohne Wahl durch Nacht und Nebel geht die grause Menschenjagd.

Über Felder, über Deiche, – o der Fuß der Angst ist leicht! –
Über Zäun' und Gräben fliegt er, unaufhaltsam, unerreicht;
Jetzt durchgellt ein Pfiff die Gegend, – ha! – ein unheilkündend Zeichen:
Fand ein Wolf des Wandrers Fährte, findet bald er seinesgleichen.

Seine letzten Kräfte sammelnd, keucht arbeitend Willemson,
Seinen Treiber, erst noch ferne, spürt er nah und näher schon,
Matte Lichter sieht er flimmern und Gestalten sich bewegen, –
Jetzt im raschen Vorsprung wieder stürzt er sich dem Strom entgegen.

Dünn nur ist des Eises Spiegel, doch dem Fuße dicht genug,
Der nur in Gespensterschritten drüber hinstreift wie im Flug;
Schon am andern Ufer klettert Willemson erschöpft empor,
Horch, da schallt ein knitternd Krachen, und ein Schrei schlägt an sein Ohr.

Ha, im Schneelicht sieht er's ringen, sein Verfolger ist in Not,
Vom geborstnen Eis verschlungen, kämpft er schreiend mit dem Tod.
Ja – das ist des Himmels Rache, juble, Richard, du bist frei!
Aber nein, für Richards Ohren war's nicht seines Henkers Schrei.

Eines Menschen Schrei nur war es, eines Menschen, – ha! – wohl gar
Eines Gatten, eines Vaters: – und sein Recht ist die Gefahr;
Schnell entschlossen, rasch gewendet, dringt er bis zur Spalte vor,
Zieht aus schwarzem Todesschlunde den Geretteten empor.

Starr, ungläubig faßt der Zöllner seines Retters Hand und dankt,
Dankt zerknirscht, indes vom Ufer Fackelschein herniederschwankt.
»Flieht, die Häscher!« kreischt er angstvoll, – ha! zu spät schon sind sie da,
Grinsend knebeln sie ihr Opfer, hören spottend, was geschah.

»Schont des Manns, er ist mein Retter!« fleht der Zöllner auf den Knien; –
»Schweig',« so drohn sie, »solche Beute soll dem Holzstoß nicht entfliehn!
Willst mit Weib und Kind du brennen? Ketzer ist, wer Ketzer schont,
Und du weißt, wie Alba strafet, und du weißt, wie Alba lohnt!«

Also seinem Häscherhandwerk fluchend wohl zum erstenmal,
Treibt er vor sich her sein Opfer, selbst ein Opfer eigner Qual,
O wie gerne ging' er lieber selbst verspottet, selbst gekettet,
Statt zum Tode den zu schleppen, der das Leben ihm gerettet.

Jetzo stehn sie vorm Gerichte, wenn zu nennen ein Gericht,
Wo dem ungehörten Lamme Fuchs und Wolf das Urteil spricht.
›Wiedertäufer‹^ ist die Klage, ›Tod durchs Feuer‹ ist der Spruch,
Klingend Gold der Dank des Hasses, und des Hasses Frucht der Fluch.

Sieh! sein Flammenzeichen lodert aus den Scheitern schon hervor,
Schreit mit tausend roten Zungen schon zu Gott um Rach' empor;
Aber ruhig, in den hellen Purpurmantel eingeschlagen,
Steht der Dulder, wie Elias, der Prophet, im Feuerwagen. –

Ja der war ein Wiedertäufer, seine Kläger hatten recht,
Zweimal war der Mann getaufet, und zu beiden Malen echt:
Einmal als ein Christ mit Wasser in des eis'gen Stromes Fluten,
Dann als Märtyrer mit Feuer in des Scheiterhaufens Gluten.

 
Meine Taufen.

          Zuerst hat mich die Kirche
Zum Christen eingeweiht;
Was fremder Mund für mich gelobt
Ich hab' es selbst danach erprobt:
Es ist ein schöner Glauben,
Den soll mir niemand rauben
In Zeit und Ewigkeit!

Fürs zweite hat die Liebe
Zum Dichter mich getauft;
Was ich gewünscht, geahnt, gemeint,
Was ich gejubelt und geweint,
Mocht' ich gleich viel mich grämen,
Ich ließ es mir nicht nehmen:
Mein ist's, ich hab's erkauft!

Zum dritten gab das Unglück
Die Taufe mir als Mann;
Was mancher nur vom Hören kennt,
Es war mein jahrlang Element,
Was dulden heißt, ich weiß es,
Was kämpfen heißt, ich preis' es,
Und kann, was einer kann.

Es haben die drei Taufen
Mich wunderbar gestählt;
Getrost der vierten harr' ich nun
Als eines Prüfsteins für mein Tun;
Wenn einst mein Sand verlaufen,
So mag der Tod mich taufen
Für eine bessre Welt!


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