Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Das wunde Herz.

              Die Königstochter seufzet:
»Ich fühl' es zu dieser Stund',
Es ist um mein junges Leben geschehn,
Mein Herz ist gar zu wund.

Und solang' ich in meinem Busen
Muß tragen dies Herz so wund,
Wird nimmer die Stirn mir heiter mehr,
Wird nimmer lächeln mein Mund.

Es sitzt mir zu tief im Herzen
Der Dorn der Liebe so scharf,
Und was ich will, das darf ich nicht,
Und will nicht, was ich darf!« –

Die Ärzte kommen und gehen,
Es gilt eines Königs Dank,
Allein für ein liebewundes Herz
Gibts weder Kraut, noch Trank.

Und eh' zwölf Monden verronnen,
Ist große Klag' im Reich,
Des Königs junge Tochter liegt
Auf ihrem Lager so bleich.

Selbst Mund und Stirn der Toten
Entstellt noch tiefer Schmerz; –
Da nehmen die Ärzte ihr aus der Brust
Das kalte, wunde Herz.

Und legen es, wohl durchbalsamt,
In einen kristallenen Schrein,
Und Mönche tragen es in die Gruft,
Und singen es segnend ein.

Dann wird auf Purpurkissen
Die Leiche zur Schau gestellt;
Da liegt sie, das liebliche Schmerzgesicht
Vom Fackelschein erhellt.

Und siehe! nun ist die Stirne
Der heitersten Ruhe Bild,
Und sichtbar spielt um den holden Mund
Ein Lächeln, freundlich und mild.

Im ganzen schönen Antlitz
Kein leiser Zug von Schmerz;
Sie hat es ja los, was sie gequält, –
Ihr armes, wundes Herz!

 
Meine Uhr.

              Ich trage, wo ich gehe,
Stets eine Uhr bei mir;
Wie viel es geschlagen habe,
Genau seh' ich's an ihr.

Es ist ein großer Meister,
Der künstlich ihr Werk gefügt,
Wenngleich ihr Gang nicht immer
Dem törichten Wunsche gnügt.

Ich wollte, sie wäre rascher
Gegangen an manchem Tag;
Ich wollte, sie hätte manchmal
Verzögert den raschen Schlag.

In meinen Leiden und Freuden,
Im Sturm und in der Ruh',
Was immer geschah im Leben,
Sie pochte den Takt dazu.

Sie schlug am Sarge des Vaters,
Sie schlug an des Freundes Bahr',
Sie schlug am Morgen der Liebe,
Sie schlug am Traualtar.

Sie schlug an der Wiege des Kindes, –
Sie schlägt, will's Gott! noch oft,
Wenn bessere Tage kommen,
Wie meine Seel' es hofft.

Und ward sie auch manchmal träger,
Und drohte zu stocken ihr Lauf,
So zog doch der Meister immer
Großmütig sie wieder auf.

Doch stünde sie einmal stille,
Dann wär's um sie geschehn: –
Kein andrer, als der sie fügte,
Bringt die zerstörte zum Gehn.

Dann müßt' ich zum Meister wandern,
Und ach! der wohnt gar weit,
Wohnt draußen jenseits der Erde,
Wohnt dort in der Ewigkeit.

Dann gäb' ich sie ihm zurücke,
Mit dankbar kindlichem Flehn:
»Sieh, Herr, ich hab' nichts verdorben,
Sie blieb von selber stehn!«


 << zurück weiter >>