Johann Gabriel Seidl
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Johann Gabriel Seidl

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VI.

Kunst und Natur.

(1564.)

                        »Auf, Improvisatore! Welch Gesicht
Für einen Dichter? Schämt Ihr Euch denn nicht?
Was soll die flaue Regenwettermiene?
Was soll im Arm die stumme Mandoline,
Bei so viel Lenzesklang und Lenzeslicht?
Vom Blütenbaum soll's Euch Sonette regnen,
Euch soll der Bach, der unter Ulmen rauscht,
Als eine flüss'ge Elegie begegnen;
Die Sonne, die durchs Laub verstohlen lauscht,
Mit Liederscherz Anakreons Euch segnen;
Der Vogel, der sich sonnt im Frühlingsschein,
Euch eine leibgewordne Hymne sein,
Und was da webt im Himmel und auf Erden
Euch zur Ottav' und zur Kanzone werden!«

    Zu Sylvio Antoniano spricht's
Die Herzogin, huldlächelnden Gesichts.
Doch was ein Lächeln ist um ihren Mund,
Tut bald bei jenen, welche sie umgeben,
Als hämisch Flüstern und als Spott sich kund,
Berechnet nicht, des Dichters Mut zu heben,
Nein, zu bewitzeln seines Schweigens Grund.
Und halb ermuntert durch den Scherz der Huld,
Und halb durch Spott gereizt zur Ungeduld,
Verneigt der Dichter sich und spricht bescheiden:
»Erhabne Herrin, fühlend meine Schuld,
Muß ich den Dornstich, wie die Bolzen leiden;
Doch ist's nun einmal Dichter-Mißgeschick:
Denn unser Meister ist der Augenblick.
Versetzet uns in einen Hain der Feen,
Wo Balsamdüfte sinnbezaubernd wehen,
Wo goldnes Licht von allen Zweigen träuft,
Wo Nektarfrucht an allen Ästen reift,
Wo auf der schönsten Blumen Glanzgewimmel
Herniederlacht ein blankristallner Himmel,
Wo Nymphen sich im Reigen fliehn und haschen,
Wo Sphärenmelodien uns überraschen,
Wo alles rings, was Aug' und Ohr genießt,
Nicht Stoff, nein selbst vollkommne Dichtung ist, –
Kommt nicht der Augenblick, den Kampf zu schlichten,
Wir werden schaun, genießen, doch nicht – dichten.
Das läßt sich nicht beschwören und nicht locken,
Man sieht's nicht fern, dann näher, endlich nah,
Es überkommt uns plötzlich, süß erschrocken
Empfinden wir's, – ein Blitz, und es ist da.
Ein Formenspiel mag dem Verstand gelingen,
Doch das Gedicht muß die Minute bringen,
Drum wenn es, Herrin, Euch an dem genügt,
Was wortgewandt die Sprache künstlich fügt,
So wollt die Aufgab' immerhin mir bringen,
Wenn's auch nicht zündet, nun, so wird's doch klingen!«

    Nachdenkend steht die Herrin, – horch! – ein Schall
Im nahen Busch. – »Ich hab's! – Die Nachtigall!« –
»»Die Nachtigall!«« so wiederholt er leise,
Nimmt ernsten Blicks das Saitenspiel zur Hand,
Und sucht dann mit dem Aug' den Gegenstand,
Dem Stimm' und Laute tönen soll zum Preise.

    Auf eines blühnden Mandelzweiges Rand
Wiegt sich der kleine Vogel, grau und schlicht,
Des Frühlings unscheinbarstes Festgedicht,
Und blickt, nur prüfend erst der Kehle Ton,
So stolz herab von seinem Blütenthron,
Als wüßt' er schon, daß huld'gend ihm die Musen
Ein Lied bereitet in verwandtem Busen.

    »Dich,« so beginnt, zur Nachtigall gewandt,
Der Dichter, während durch der Laute Saiten
Zu sanftem Vorspiel seine Finger gleiten, –
»Dich soll ich singen? – Bleib! o bleib, gebannt
Durch meiner Töne Flehn, an diesen Ort,
Und gieße deinen Wohllaut in mein Wort,
Und lehre mich dein traurig Schicksal künden,
Damit die Menschen es begreiflich finden,
Weshalb so menschlich deine Klage klingt.

    Ein Mädchen warst du einst, so sagt die Mythe,
Pandions Tochter, Tereus' Schwägerin;
Mit ihm, der insgeheim für dich erglühte,
Zogst arglos du zu seiner Gattin hin,
Zu Progne, deiner Schwester; da vergaß
Der arge jede Scheu und jede Schranke;
Und da der Untat quälender Gedanke
Ihm wie ein Geier an der Seele fraß,
So riß, damit dein Mund sie nicht erzähle,
Riß er die Zung' – o Graus! – dir aus der Kehle.
Doch auch der stumme Schmerz hat seine Sprache,
Dir ward ein Trost, ihn traf der Götter RacheDer griechischen Mythe zufolge soll sich Philomela gerächt haben, indem sie gemeinsam mit ihrer Schwester Progne den Sohn des Tereus, Itys, tötete und ihn dem Vater zur Speise vorsetzte. Progne wurde in eine Schwalbe verwandelt..
Dir ward ein Trost; von deinem Leibe glitt
Das blut'ge Menschenkleid wie Zunder nieder,
Fort schwangst du dich auf wiegendem Gefieder,
Und eins, dein menschlich Herz, nur nahmst du mit.
Dir ward ein Trost: du darfst seit jenen Tagen
Dein Leid der Welt im Liede rührend klagen,
Darfst, Mensch im Vogel noch, wie du's gewesen,
In jedem Menschenaug' dein Echo lesen;
Darfst zu dem Paar, das jeden Zeugen scheut,
Hinsetzen dich in Waldeseinsamkeit,
Und, nimmer fürchtend, seinen Schwur zu stören,
Durch Kuß und Seufzer dich gepriesen hören;
Darfst dem Gefangnen in den Kerkertod
Den Lebensgruß der Lieb' und Freiheit senden,
Und wenn dereinst die Erdennacht wird enden,
Und schon hereinflammt ew'ges Morgenrot,
Nicht einen Engel braucht es auf den Hügeln,
Um mit Posaunenton sie zu entsiegeln,
Der Himmel schicke dich, o Nachtigall!
Dein Lied, wie Nachklang längst verwundner Leiden,
Dein Lied, wie Vorschmack nie empfundner Freuden,
Tön' in die Welt als Auferstehungsschall! –
Sag an, versteh' ich dich, o Nachtigall?« –

    Wie fragend blickt der Sängersmann nach oben,
Und wie erwidernd stimmt der Vogel droben
Mit eins sein Lied, sein wundervolles, an.
Ein schmachtend Flöten ist es ohne Zunge,
Ein weinend Lallen; plötzlich dann im Schwunge
Wächst es empor und senkt sich wieder dann,
Und klagt wie ein in unbelauschten Tränen
Sich selbst beschwichtigendes Liebessehnen.

    »Ja klage, Sängerin der Schmerzen, klage,«
Beginnt der Dichter wieder, – »du mit mir
Und ich mit dir; – antworte, wenn ich frage,
Hast du den Ton, hab' ich das Wort dafür.
Ja, laß uns wechselseitig uns ergänzen,
Vereint uns buhlen um der Schönheit Gunst,
Laß dein Juwel in meiner Fassung glänzen,
Laß die Natur wetteifern mit der Kunst!« –

    Und wie der Sänger jetzt die Saiten schlägt,
Da ist's, als ob der Vogel ihn verstände;
Er sträubt sein Gefieder und regt
Die Flügel behende,
Und hebt die klugen Augen empor,
Und strömt, statt der schwülen, schmelzenden Klage,
In die er sich erst noch wie sinnend verlor,
Mit lautem, gellenden, schmetternden Schlage
Der Liebe wonnigsten Jubel hervor.

    Schnell fand der Dichter auch das Wort zum Tone,
Zur jauchzenden Hymne schwillt die Kanzone,
Zum vollen Akkorde die sanfte Terz;
Laut pochet der Hörer begeistertes Herz. –

    Jetzt neckisch wieder
Aus und nieder,
In rollenden Läufen, in hüpfenden Sprüngen.
Bald wie Gekicher, bald wie ein Ach,
Jetzt trillergewaltig, jetzt lispelnd schwach,
Den Takt sich schlagend mit flatternden Schwingen,
Tändelt und scherzet die Nachtigall. –
Der treue Dolmetsch deutet jeden Schall,
Und malt mutwilliger Liebe Necken,
Ihr kosend Flüstern, ihr schalkhaft Verstecken,
Ihr prüfendes Schmollen,
Ihr scherzendes Grollen,
Ihr eifernd Zürnen, ihr schnelles Versöhnen,
Des Herzens ew'gen Roman in Tönen,
So, daß wie Ton und Wort sich verschlinget,
Der Hörer zu unterscheiden zagt,
Und seinen Nachbar leise fragt:
»Ist sie's, die dichtet, oder er, der singet?«

    Doch ist ihm schönrer Lohn noch vorbehalten,
Die Sängerin verstand des Sängers Walten,
Und alle Scheu ist ihr so ganz geraubt,
Daß, wie um ihren Dank ihm zu bezeugen,
Sie plötzlich, niederschwebend aus den Zweigen,
Sich singend niederläßt auf seinem Haupt,
Und aus des Dichters dunklem Lockenhaare,
Wie von der Muse würdigstem Altare,
Den Hochverwunderten zu pred'gen scheint:
»So singt die Kunst mit der Natur vereint.«

 
Vogel und Dichter.

        Vogel in dem Bauer, mußt du singen,
Wie man es dir vorpfiff manchen Tag?
Mußt die Töne kunstgerecht verschlingen,
Statt zu schlagen deinen muntren Schlag?

Mußt den Triller welscher Meister wechseln
Statt des Trillers, den dich Gott gelehrt,
Mußt den Lauf in einen Walzer drechseln,
Der als Waldlied Gott so fromm geehrt?

Mußt der Kehle süßen Schmerz vergessen
Und den heil'gen Jubel deiner Brust,
Mußt im Takte dein Adagio messen
Und nach Vierteln mäß'gen deine Lust?

Mußt den unerschöpften Schwall der Lieder,
Ihres Wechsels ew'gen Überschwang,
Kargend schnüren in ein Alltagsmieder,
Bis die Freiheit fast erlahmt in Zwang? –

Aber nicht wahr, wann die Sterne blinken,
Wann das Leben einschlief weit und breit,
Wann aufs Ohr die müden Quäler sinken,
Nicht wahr, dann beginnt erst deine Zeit?

Dann entfaltest du der Seele Flügel,
Fällst in dein Naturlied freudig ein,
Schwebst im Traum hin über Tal und Hügel,
Singst für lang' dich aus beim Sternenschein! –

Vogel in dem Bauer, sieh! dir gleichet
Hier der Dichter oft mit seinem Leid,
Wenn die Sorge lauernd ihn umschleichet,
Wenn Gemeinheit ihn zum Opfer weiht.

Ach! wie rüttelt er auch an den Stäben
Seines Käfigs, darbend manchen Tag,
Mehr nicht gebend von dem innren Leben,
Als was Flachheit eben dulden mag.

Nur die Nacht, die stille Zeit der Tränen,
Läßt er sich nicht nehmen, die ist sein;
Während seine Quäler satt sich dehnen,
Singt er rüstig in die Nacht hinein.

Da ist seine Werkstund' ihm erschienen,
Seine Freiheit, sein ambrosisch Mahl:
Muß er's hart durch Qual sich gleich verdienen,
Dies Gefühl ersetzt ein Jahr der Qual.


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