Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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III.

Der närrische Küster.

        Ein eisiger Dezemberwind
Durchsaust die öde Flur,
Soweit der Nebel schauen läßt,
Nicht eine Lebensspur.

Nur von der Kirchhofmauer her,
Wo still der Küster wohnt,
Da färbt ein matter Flammenschein
Den grauen Horizont.

Der Wandrer, der des Wegs verfehlt,
Wähnt dort das Dorf zu schaun; –
Doch kommt und sieht er, wo er steht,
Dann faßt ihn fröstelnd Graun.

Den närr'schen Küster sieht er dort
In kalter Nacht allein;
Der sitzt gekauert auf ein Grab
Bei mattem Flammenschein.

Ein morsches Brett ist, was er brennt,
Und offen gähnt ein Grab;
Drein sinkt mit mancher Flocke Schnee
Auch manche Trän' hinab.

Und näher zieht's den Pilger hin:
Das Graun hat eignen Reiz;
Nicht merkt, so scheint's, der Küster ihn; –
Er lauscht an einem Kreuz.

Der Küster aber sitzt und sinnt,
Und schaut ins Flammenlicht;
Sein Leib ist starr, sein Bart bereift,
Er aber achtet's nicht.

Der Pilger ahnt wohl, was es sei,
Tritt vor den stillen Mann,
Und da er nicht erstaunt ihn sieht,
Spricht er ihn freundlich an:

»Gott sei mit Euch! Es saust so kalt,
Daß mir's ganz frostig wird;
Und Ihr sitzt bei so karger Glut, –
Wie kommt's, daß Ihr nicht friert?«

»»Bei dieser Glut – ich frieren? – Ha!
Mir ist recht wohl zumut!
Ich brenn' ein Brett von Liebchens Sarg:
Das gibt gar warme Glut!««

 
Maß für Schmerzen.

        Ihr scheltet meinen Unmut – Traum,
Und spottet meiner Trauer,
Weil eine kurze Stunde kaum
Oft ihre längste Dauer.

Wehleidig heißt ihr mich und schwach,
Und kindisch meine Tränen,
Wenn mir das Herz beinahe brach
Vor namenlosem Sehnen.

»Ein Stündchen,« sprecht ihr, »trüben Blick,
Und alles dann vorüber;
Und doch erkennst du nicht dein Glück,
Und jammerst wohl noch drüber!

O Freunde, meßt die Trauer mir
Nach Stufen nicht und Stunden!
Im Herzen liegt das Maß dafür,
Wo sie sich eingefunden.

Ein weiches Herz – ein tiefer Schmerz,
Und währt' er nur Minuten,
Und was oft kalten Seelen – Scherz,
Läßt warme dran verbluten.

Und ach! wer kann die warme Brust
Mir kühlen oder nehmen?
Wer zügeln ihre heiße Lust,
Wer sänftigen ihr Grämen?

Was eure kaum in Jahren fühlt,
Sie fühlt's in Augenblicken;
Was euch kaum auf die Seele zieht,
Kann meine niederdrücken.

Ein Knäul ist ihr der kleinste Gram,
Woran sie zerrt und windet,
Bis sie so tief ins Rütten kam,
Daß die Geduld ihr schwindet.

Der kleinste Funk' ist ihr ein Brand,
Woran sie bläst und schüret,
Bis sie sich plötzlich übermannt
Von wilder Lohe spüret.

Dann bricht sie los, dann flammt sie auf
In unnennbarem Hader,
Und jagt das Blut in raschem Lauf
Von Ader mir zu Ader.

Drum messet nicht nach Stunden mir
Der Seele tiefe Schmerzen!
Das einzig wahre Maß dafür
Liegt nur im eignen Herzen.


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