Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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VIII.

Das Pilgerhemd.

                Die Geißel schwirrt, der Türke flucht,
Die Christen ziehn des Pfluges Wucht,
Und schwere Tropfen Schweißes rollen
Von ihren Stirnen auf die Schollen.

Auch mancher Tropfe Blutes netzt
Den Leib, von Geißelhieb verletzt,
Und träufelt über wunde Glieder
An ihren Hemden purpurn nieder.

Ein einz'ger Christensklav' allein
Erhielt sein Hemd noch blank und rein;
Mag drauf auch manche Perle fallen,
Noch weiß wie Schnee sieht man es wallen.

Der Sultan selber sieht den Mann
Sich eines Tags mit Staunen an,
Und fragt ihn, schauend, was er leide:
»Wie kommst du zu so blankem Kleide?

Wes Landes bist du, Christenhund?
Ward nie dein Leib von Geißeln wund?
Wie oder hast du Blut wie Schnecken,
Zu blaß, um Linnen zu beflecken?« –

»Ich bin ein Ritter,« spricht der Christ,
»Des Heimaterde Deutschland ist;
Zu Metz auf meines Schlosses Mauern
Laß ich ein Weib um mich vertrauern.

Als ich beim Scheiden sie umfing,
Und sie wie sterbend an mir hing,
Da gab sie mir dies Hemd zum Pfande
Der Treue mit in ferne Lande.

»Nimm's hin und trag es,« sprach mein Weib,
»Es komme nicht von deinem Leib;
Als ich den Flachs dazu gesponnen,
Ist manche Träne dreingeronnen,

Und unter brünstigem Gebet
Hab' ich's für dich gebleicht, genäht;
Drum, hoff' ich, wird es in Gefahren
Dich wie ein Amulet bewahren!« –

Und also dünkt es mich fürwahr,
Denn blank und rein ist's immerdar,
Quoll oft auch über wunde Glieder
Manch Tröpflein Bluts mir drauf hernieder.

Da trag' ich's nun zwölf Monden lang,
Es ward nicht mürb, kein Faden sprang,
Nicht Schweiß, nicht Regen kann's erweichen,
Es ist, als käm' es erst vom Bleichen.

Das muß der Hausfrau Keuschheit sein,
Dadurch ward dies Gespinst so rein:
Solang' sie treu und keusch geblieben,
Wird nichts mir seine Weiße trüben!«

Der Sultan hört die sondre Mär',
Ruft heimlich einen Seemann her,
Heißt ihn die Anker eilends lichten,
Und seine Fahrt nach Deutschland richten.

Heißt ihn zur Frau des Sklaven ziehn,
Um ihre Liebe sich bemühn,
Und sie mit Gold und Schmeichelblicken
Zuletzt verführen und bestricken.

»Ich will doch sehen, wenn sie fällt,
Ob wohl sein Hemd die Farbe hält!«
Der Sultan denkt's mit argen Sinnen;
Der Seemann segelt schnell von hinnen.

Auf Lotharingens Blütenau
Erforscht er bald des Sklaven Frau,
Und trifft sie in des Schlosses Mauern,
Versenkt in namenloses Trauern.

Da malt er ihr des Gatten Leid,
Des Wiedersehns Unmöglichkeit,
Der Witwen freudeloses Streben,
Der neuen Liebe neues Leben.

Umsonst! sein Säckel ist geleert,
Sein Schmeichelvorrat aufgezehrt
Sein schlaugewobnes Listgetriebe
Zerstiebt vor ihrer Treu' und Liebe.

Drum schickt er sich zur Heimkehr an; –
Da tritt ans Schiff ein Sängersmann,
Mit Zither, Stab und Pilgerhaube,
Daß man die Mitfahrt ihm erlaube.

Weil seine Klänge lieblich wehn,
So läßt der Türk' es gern geschehn,
Damit ihm durch des Liedes Würze
Der Troubadour die Fahrt verkürze. –

Schon nimmt nach rasch durchmessnem Lauf
Die ferne Heidenschaft sie auf;
Der Sultan hört die seltne Kunde
Mit Staunen aus des Schiffers Munde.

Fast grollt' er, weckt' ihm nicht das Spiel
Des Sängers gar ein süß Gefühl,
Wie er's wohl in den frohsten Stunden
In seinem Harem nicht empfunden.

»Wähl ein Geschenk dir!« spricht er einst,
»Ich bin wohl gnäd'ger, als du meinst;
Wem hell wie Gold die Saiten klingen,
Der mag auch goldne Frucht ersingen!«

»Herr!« fleht der Sänger, »nicht Metall
Verlang' ich für des Herzens Schall!
Durch deiner Christensklaven einen
Würd' ich mir reich vergolten meinen!«

Der Sultan winkt, und aus dem Tor
Treibt man die Sklavenschar hervor;
Da sieht der Sänger unter allen
Zuerst das weiße Hemde wallen.

»Den,« ruft er, »König, gib mir frei!« –
Der König nickt voll Huld: »Es sei!«
Und dankend eilt mit seiner Beute,
Der Pilger seelenfroh ins Weite.

Bald nimmt ein Schiff die beiden auf,
Nach Frankreich geht's in raschem Lauf.
Der Sklave wallt wie träumend weiter,
Ein Engel deucht ihn sein Begleiter.

Zwei Tage gilt's nur mehr zu ziehn,
So soll er schon der Heimat Grün,
Des deutschen Landes Blütenauen,
Des eignen Schlosses Zinnen schauen.

Da spricht der Sänger tiefgerührt:
»Nun zeuch, wohin dein Weg dich führt!
Nur wolle mir zum Angedenken
Ein Stücklein deines Hemdes schenken.

Es soll so unzerstörbar rein,
So wundersam gewoben sein,
Drum möcht' ich's gern auf meinen Reisen
Der Welt beglaub'gen und beweisen!«

Da trennt der Christ ein blankes Stück
Vom Wunderhemd, mit feuchtem Blick,
Gibt's seinem Führer, will ihm danken,
Und weinend seine Knie umranken;

Doch dieser kehrt sich schweigend ab,
Setzt weiter seinen Pilgerstab,
Und grüßt nur schmelzend noch vom weiten
Ihn mit den Klängen seiner Saiten. –

Schon sieht er seiner Väter Schloß,
Schon eilt er durch der Knechte Troß,
Die seiner Züge längst vergessen,
Die Gattin an sein Herz zu pressen.

Sie sieht ihn, stürzt mit Tränenlust
An seine langentbehrte Brust;
Die Qualen dreier Jahre schwinden
Wie Schnee in diesem Wiederfinden.

Da drängt sich Fest an Fest und Klang
An Klang und Jubel an Gesang,
Liebkosung, Fragen, Scherze, Bilder:
Erinnrung malt das herbste milder.

Doch an der heitren Zärtlichkeit
Stößt sich gar bald der finstre Neid,
Und raunt zu schwarzer Tat verschworen,
Dem Burgherrn spöttelnd in die Ohren:

»Du glaubst, die Gattin weint' um dich?
Sie litt so manchen Fant um sich;
Zwölf Monden trieb sie fern vom Hause
Sich wüst umher im Weltgebrause.« –

Der Funke zündet; grollend läßt
Der Burgherr rings zu einem Fest
Die Nachbarn und die Freund' entbieten,
Wie's ihm die Neider höhnend rieten.

Nun als das laute Fest begann,
Klagt er die Gattin wütend an,
Und höhnt ihr schmähliches Beginnen;
Sie aber wandelt still von hinnen.

Ein Viertelstündchen kaum verrann,
Da tritt zum Tisch ein Sängersmann
Mit Stab und Pilgerhaub' und Zither;
»Das ist mein Führer!« ruft der Ritter.

»Ich war's,« so spricht mit sanftem Blick
Der Pilgersmann, und zieht das Stück
Des Wunderhemds hervor mit Schweigen,
Um der Versammlung es zu zeigen.

Dann wirft er Kapp' und Kleid von sich,
Und ruft: »Nun, Gatte! kennst du mich?« –
Der Burgherr schaut mit tiefer Reue
Sein Weib, verklärt durch Lieb' und Treue.

Zu ihren Füßen stürzt er hin;
Sie hebt ihn auf mit mildem Sinn,
Und aller Lippen in dem Kreise
Ertönen laut zu ihrem Preise:

»Heil deutscher Weibertreue, Heil!
Von ihr prallt ab des Hasses Pfeil;
Sie mag in Nöten und Gefahren
Uns wie ein Amulet bewahren!« –

 
Mein Stammbuch.

                  Auch ich hab' mir ein Stammbuch angelegt,
Das manchen Spruch und manchen Namen hegt;
In trüben Stunden blick' ich oft hinein,
Und bald ist's in mir wieder Sonnenschein.

Mein Vater steht darinnen obenan,
Er schrieb zwar nichts mir drein, der gute Mann,
Als nur: »Dein Vater!« – doch es genügt, – er war's:
Noch denk' ich blutend seines Sterbejahrs.

Zunächst les' ich der Mutter Namenszug,
Dabei ein Sprüchlein ohne Lug und Trug,
Das sie noch einmal leise segnend sprach,
Als fern von mir ihr Herz im Tode brach.

Dann les' ich manchen Freund noch, dessen Hand
Nun nicht mehr schreibt, wenn nicht im bessren Land;
Aus ihren Lettern spricht ihr Bild mich an: –
Ich fühl's, wie man im Tode leben kann!

Auch manchen Sänger, dessen Liederklang
Wie Balsam in die wunde Brust mir drang;
Auch manchen Lehrer, dessen goldnes Wort
Mich mir enthüllte, les' ich dankbar dort.

So steht denn auch mein liebes Weib darin,
Und was es einschrieb, ist voll Glut und Sinn,
Des ganzen Liebelebens Widerstrahl,
Das wir durchlebt mit aller Lust und Qual.

Ein blonder Junge schrieb mir bald dazu:
»Was dir dein Vater war, das sei mir – du!«
Dahinter schrieb sich auch ein Mädchen ein,
Mein Töchterchen: – sein Sprüchlein ist gar fein!

Noch gibt's manch leeres Blättchen dort und hier,
Drum trag' ich auch mein Stammbuch stets mit mir;
Ich öffn' es gern der Trauer, wie dem Scherz: –
Das anspruchlose Stammbuch ist – mein Herz.

Drum tut mir's nach! – Was Feder und Papier?
Mit Lieb' ins Herz schreib' ich die Lieben mir:
Wer seine Teuren nicht im Herzen trägt,
Hat sich umsonst ein Stammbuch angelegt.


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