Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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XI.

Orgellust.

                  Ein Lied gar fromm und inniglich,
Das ›Großer Gott, wir loben dich!‹
Zumal wenn recht mit hellem Sang
In schlichtem Kirchlein zum Orgelklang
Es singt die ganz kleine
Gemeine.

Das war dem Küster Seelenlust.
Schier sprengen wollt' es ihm die Brust;
Allein die Orgel, verstimmt und klein,
Mocht' ihm nie recht zu Willen sein;
Er meint', er müsse sie zwingen
Zum klingen.

Doch macht' er's noch so gut und fein,
Die Orgel blieb verstimmt und klein;
Den Klang, den's in der Brust ihm gab,
Er zwang ihn den Pfeifen doch nicht ab;
Das macht' ihn wohl im Herzen
Oft schmerzen.

So schlug er die Orgel jahrelang
Im Widerstreit von Gefühl und Klang,
Durch das, was innen ihm tönte, beseelt,
Durch das, was außen ihn höhnte, gequält,
Sonntäglich unter Freuden
Und Leiden.

»Ha, welche Wonne muß das sein,
In vollen Akkorden, kräftig und rein,
Ausströmen zu lassen der Töne Meer,
Und mit gehorchenden Tasten ein Heer
Von unsichtbaren Geistern
Zu meistern!

Nur einmal auf einer Orgel, gebaut
Von Künstlerhand, volltönig und laut,
Und rein und schwellend und stark und mild,
Zu spielen, wie's in mir tönt und spielt,
Dies Glück laß, o Gott, mich erwerben,
Dann – sterben!«

Und sammeln geht er von Tor zu Tor,
Und malt's so beweglich den Leuten vor,
Und bittet so dringend und dankt so warm,
Die kleine Gemein' ist aber so arm,
Und was er gewinnt alljährlich,
Nur spärlich.

Doch viele Tropfen füllen ein Glas;
So füllt nach Jahren sich auch sein Maß.
Wie trägt er den mühsam erkämpften Gewinn
So freudig zum Orgelbauer hin,
Wie zählt er mit bangem Pochen
Die Wochen!

Doch ehe das Werk noch vollendet steht,
Da hat es ihn plötzlich wie angeweht!
Allmählich fallen die Wangen ihm ein,
Erloschen ist seiner Augen Schein,
Kalt rieselt's ihm oft die Glieder
Hernieder.

Gebrochen liegt der traurige Mann –
»Die Orgel und kam sie denn noch nicht an?« –
Und eines Sonntags als er erwacht,
Da heißt es: »Der Meister hat sie gebracht,
Im Chore steht sie schon, mächtig
Und prächtig!« –

»Die Orgel?« – ruft er und rafft sich empor, –
»Hinaus! O führt mich hinaus ins Chor!
Sonntag ist heut', die Orgel ist da, –
Der Augenblick meines Glücks ist nah:
So ließ mich's Gott doch erwerben
Vorm Sterben!«

Der bleiche Küster wankt ins Gestühl,
Da blitzt in den Augen ihm Jugendgefühl,
Da zuckt es durch seine Finger mit Macht,
Sein ganzes Wesen ist nochmal erwacht;
Wie läßt er die Orgel tönen
Und dröhnen!

Wie lieblich singt die Gemeine dazu,
Indes er spielt und horcht voll Ruh'! –
Da starrte sein Arm, sein Auge brach,
Die Tasten klangen noch lange nach;
Gott gönnt' es ihm, zu scheiden –
In Freuden.

 
Empfinden und Dichten.

        Vor einem Klaviere sitz' ich,
Es ist besaitet wohl;
Doch wie ich die Saiten berühre,
Da klingen sie leer und hohl.

Ich fühl' es im Gehöre,
Ich hör' es im Gefühl,
Im Herzen könnt' ich es greifen,
Doch nicht im Saitenspiel.

Zur Hand nun nehm' ich die Geige,
Vom welschen Meister gemacht,
Sie hat unter Künstlers Händen
Schon manchen zu Tränen gebracht.

Doch wie ich den Bogen ziehe,
Mit selbstbewußtem Stolz,
Da werden die Saiten – zu Därmen,
Da wird die Geige – zu Holz.

Und eine Flöte, die nächste
Verwandte des Menschentons,
Setz' ich voll Hast an die Lippen,
Gewärtig des klingenden Lohns.

Ich geb' ihr herzliche Seufzer,
Und Mißklang gibt sie dafür,
Als höhnt' ihr widriges Pfeifen
Das warme Gefühl in mir.

Da flücht' ich zu dir, o Feder!
Du triffst die gegebene Spur,
Als Schatten des schnellen Gedankens,
Als Zeiger der Seelenuhr.

Da flücht' ich zu dir, und setze
Dich hoffend aufs freundliche Blatt;
Du aber stehst und trotzest,
Als wärst du des Dienstes satt.

Du stehst – und prägst, wie Flügel
Und Geig' und Flöte mir ein:
Wie doch Empfinden und Dichten
So ganz verschieden sei'n.


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