Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

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VII.

Der Ahorn am Teich.

              Lieb-Ännchen ist so matt, so blaß;
Die Mutter denkt: wie deut' ich das?
Die Mutter denkt's nicht ohne Grund;
Lieb-Ännchen ist von Liebe wund.

Und geht sie bleichen auf die Flur,
So bückt sie sich mit Mühe nur;
Und fühlt sie, wie ihr Herzchen schlägt,
So fühlt sie, wie sich noch was regt.

Da hilft kein Leugnen, keine List,
Gestehen muß sie, was es ist.
Die Mutter hört's und glaubt es kaum,
Die Tochter wünscht, es wär' ein Traum.

Und wie's die Mutter endlich glaubt,
Da fährt sie auf wie sinnberaubt:
»Hinweg, du Dirn, hinweg von mir,
Nimm meinen Mutterfluch mit dir!

Und also möcht' ich lieber gleich
Du wärst ein Ahornbaum am Teich,
Wärst Holz und Laub und Stamm und Bast,
Und dorrtest, wie das Grün am Ast!«

Die Mutter flucht, das Kind erstarrt,
Sein Leib wird Ahorn, zäh und hart,
Der Busen Holz, die Haut zum Bast,
Die Locken Laub, die Hand zum Ast.

Entsetzen faßt die Mutter an; –
Das haben Schuld und Fluch getan!
Und schmerzlich Laubgelispel weht
Am Teiche, wo der Ahorn steht. –

Doch horch! was klingt nach langer Zeit
So lustig durch die Einsamkeit?
Das ist ein Fiedler wohlgemut,
Der spielend unterm Ahorn ruht.

Er streicht so kühn und kräftig aus,
Als gält's im Fasching Saus und Braus;
Er spielt, daß ihm der Bogen bricht,
»Ei,« ruft er, »brich, mich kümmert's nicht!

Der Ahorn, unter dem ich lag,
Hat Äste mehr, als frommen mag;
Ein solches Ästlein, zäh und fein,
Mag wohl der beste Bogen sein!«

Sein Messer nimmt er, schneidet an,
Da stöhnt's, – ein Tröpflein perlet dran,
Ein rotes Tröpflein, rot wie Blut:
Dem Fiedler sinkt beinah der Mut.

Er schneidet wieder – horch! wie's stöhnt:
»Schneid immerhin, mein Blut versöhnt;
Schneid immerhin ein Vöglein dir,
Und spiel damit ein Grablied mir.

Und geh ins Dorf vors Bleicherhaus,
Und sieht die Mutter dort heraus,
So geig ein Stücklein, lieb und lind,
Und sag' es sei von ihrem Kind!« –

Dem Fiedler dringt die Klag' ins Herz,
Er schnitzt und zieht mit stillem Schmerz,
Und tritt im Dorf vors Bleicherhaus,
Da sieht ein blasses Weib heraus.

Er spielt ein Stücklein, lind und fein:
Von ihrem Kinde sollt' es sein;
Noch traf's kein Bogen je so weich,
Als der vom Ahornbaum am Teich.

Die blasse Mutter hört, wie's tönt,
Die blasse Mutter seufzt versöhnt:
»Ach, besser ein gefallnes Kind,
Als – keines! – Flucht nicht zu geschwind!«

 
Die wandelnde Linde.

              Es muß doch den Bäumen recht weh geschehn,
So immer auf einem Fleck zu stehn, –
Wie lustig wär's für sie, zu wandern
Von einem Nachbar zu dem andern?

Dann, meine geliebte Linde du,
Die oft mich beschattet in meiner Ruh',
Dann könntest du auch weiter schreiten,
Und, wenn du wolltest, mich begleiten.

Du wolltest wohl auch, denn du kennst mich ja,
Standst oft meinem Sinnen und Träumen nah;
Gewiß du hieltest oft am Morgen
Dich hinter meinem Haus verborgen.

Und schritt ich ahnungslos vors Tor,
So trätst du rauschend rasch hervor,
Und schütteltest mir einen Regen
Von Blütenflaum als Gruß entgegen.

Geschmeichelt durch meinen getreuen Sinn
Zögst du gewiß oft mit mir dahin,
Und wölbtest, wenn der Mittag schiene,
Dich über mir zum Baldachine.

Und läg ich dereinst im stillen Grab,
So schrittest du wohl von der Wies' herab,
Um meines Hügels kahlen Rücken
Als lebend Grabmal mir zu schmücken!


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