Johann Gabriel Seidl
Bifolien
Johann Gabriel Seidl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.

Le bon mariage.

        »San Jago de Compostella
Sei unser Ziel, o Braut,
Zum Heiligen laß uns pilgern
Dem wir in der Not vertraut.

Wir wollen im Glücke lösen,
Was wir gelobt in der Pein,
Und dann zur Ruh' uns begeben,
Und selig durch Liebe sein!«

Sie machten sich auf die Reise;
Die Braut und der Bräutigam,
Sie wallten vom frühen Morgen,
Bis spät der Abend kam.

Sie gönnten sich keine Ruhe
In ihrem Pilgerlauf,
Sie lösten all ihre Liebe
In feiernde Andacht auf.

Und von Poitou bis Limoges
Ging's fort im raschen Zug;
Sie aßen nicht zur Genüge,
Sie tranken nicht genug.

Da starb die junge Gattin,
Da war des Jammers viel;
Der Bräutigam zog weiter,
San Jago blieb sein Ziel.

Er wollte dem Heiligen lösen,
Was er ihm einst gelobt;
Er wollte dem Heiligen zeigen,
Wie Männerwort sich erprobt.

Er sank zu Compostella
Wohl auf die Knie und sprach:
»Ich habe gelöst mein Gelübde,
Du, Heiliger, steh mir nicht nach.

Ich hab' dir gelobt zu kommen,
Daß du mir hälfest treu,
Und daß ich Ruhe fände,
Und selig in Liebe sei!«

Da schien das Bild zu lächeln,
Da stand der Pilger auf,
Und maß zurück nach Limoges
Den traurigen Pilgerlauf.

Dort trat er ans Grab der Gattin,
Ließ heben den Marmorstein,
Da lag sie so mild und freundlich,
Als lüde sie ihn ein.

»O Gattin im schmalen Sarge,
Wie,« ruft er, »find' ich dich?
Liegst selber so eng da unten,
Hast nicht einmal Platz für mich!«

Da scheint die Tote zu lächeln,
Und regt sich wie im Traum,
Und rückt ganz sacht beiseite,
Als machte für ihn sie Raum.

Er hat den Wink verstanden,
Er drückt die Augen zu:
An ihre Herzensseite
Sinkt er hinab zur Ruh'.

Er hat nicht umsonst dem Heil'gen
Verlobt sich in seiner Pein,
Jetzt kann er ja ruhen ewig,
Und selig in Liebe sein.

 
Stelldichein.

        Ja, einmal muß ich dich noch sehen,
Noch einmal dir recht nahe sein,
Noch einmal alles dir gestehen
Bei einem trauten Stelldichein.

Doch wo, ach wo? – Vielleicht im Hause,
Wo mir manch Stündlein schwand bei dir?
Ach nein, es ward zur öden Klause,
Seit dein Geschick dich rief von mir.

Vielleicht am Berg, wo deine Wange
Gar oft geglüht im Abendrot?
Ach nein, am Berge wird mir bange,
Dich find' ich nicht, – die Welt ist tot.

Vielleicht am Quell, in dessen Welle
Du manch Vergißmeinnicht gestreut?
Ach nein, – nun flieh' ich diese Stelle,
Die schmerzlich mahnt an schönre Zeit

Vielleicht in einem jener Sterne,
Die uns so freundlich angeblickt?
Ach nein, – sie haben, seit du ferne,
Für mich die Augen zugedrückt.

Vielleicht in irgend einem Buche?
In irgend einer Melodie?
Ach nein, – die Stelle, die ich suche,
Die rechte Tonart find' ich nie.

Wohin ich horchen mag und spähen,
Es taugt mir nichts zum Stelldichein,
Und doch muß ich dich nochmal sehen,
Muß nochmal dir recht nahe sein!

So sei's auf jenseits denn verschoben,
Doch dort gewiß, nach unserm Sinn!
Drum blick getrost mit mir nach oben:
Es ist so weit wohl nicht mehr hin!


 << zurück weiter >>